Kein menschenwürdiges Existenzminimum für Studenten?
Die meisten Studenten müssen in ihren Ausbildungsjahren finanziell zurückstecken. Diejenigen von ihnen, die während dieser Zeit Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehen, tun dies aber auf verfassungswidrigem Niveau, findet die Bundestagsfraktion der Linken. Sie stellte der Bundesregierung deshalb kurz vor Weihnachten eine Kleine Anfrage zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Höchstsatzes (Drs. Nr. 19/356). Die Oppositionspolitiker halten die Unterstützung durch das BAföG für zu niedrig, weil sie noch unter dem Hartz-IV-Regelsatz entsprechend dem Sozialgesetzbuch (SGB) II liegt. Als die Kleine Anfrage gestellt wurde, betrug dieser 409 Euro. Der BAföG-Grundbedarf lag zu diesem Zeitpunkt bei einem Betrag von 399 Euro. Der Linken geht es dabei aber weniger um die Differenz von 10 Euro zwischen den Basisbeträgen als vielmehr um die zusätzlichen Leistungen: Während nach der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch die Kosten für die Unterkunft in vollem Umfang getragen werden, gibt es für BAföG-Bezieher, die eine Wohnung suchen, lediglich eine Pauschale von 250 Euro im Monat. Und auch Bedarfe für sogenannte langlebige Lebensgüter wie etwa Kühlschrank oder Waschmaschine müssten nach Auffassung der Fragesteller in den BAföG-Leistungen berücksichtigt werden, was bisher nicht der Fall sei.
Linke: BAföG-Satz unter Hartz-IV-Satz eindeutig verfassungswidrig
Für ihre Annahme, dass die BAföG-Leistungen verfassungswidrig niedrig seien, zieht die Linke zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) heran. Dieses entschied zum einen, dass der Staat Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten muss, das deren physische Existenz und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichern soll (Urt. v. 09.02.2010, Az. 1 BvL 1/09). Zum anderen befanden die Karlsruher Richter die Leistungen nach dem SGB II im Jahr 2014 für derzeit noch verfassungsgemäß (Beschl. v. 23.07.2014, Az. 1 BvL 10/12). Für die Linke liegt der Umkehrschluss auf der Hand: Wenn die Höhe der Zahlungen nach dem SGB II so gerade eben noch mit der Verfassung im Einklang steht, müssten alle sozialen Leistungen, die diesen Grenzwert nicht erreichen, verfassungswidrig sein – und damit auch die Höhe des BAföG. Insbesondere kritisiert die Fraktion in ihren Vorbemerkungen zur Kleinen Anfrage den Betrag der Wohnpauschale in Höhe von 250 Euro. Nach Erhebungen des Deutschen Studentenwerks geben Studenten tatsächlich das meiste Geld für die Miete aus. Da aber nur circa jeder Zehnte in einem günstigen Wohnheim unterkomme, für das die 250 Euro im Schnitt gerade reichten, müsse das verbleibende Gros wesentlich mehr berappen und spare deshalb an anderen Enden, beispielsweise am Essen.Regierung: Studenten sind eine besondere Gruppe
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage, die LTO vorab vorliegt, ordnet die Bundesregierung Studenten aber als besondere Personengruppe ein: Während sich arbeitslose, erwerbsfähige Menschen um einen Job bemühen sowie den Behörden zur Verfügung stehen müssten und etwa für die Nichteinhaltung von Auflagen gegebenenfalls sanktioniert werden könnten, seien Studenten "auch ohne Nachweis zumutbaren eigenen Bemühens um Einkommenserzielung" förderungsberechtigt. Außerdem könnten sie Wohnheimplätze oder Wohngemeinschaften nutzen und damit ihre Aufwendungen häufiger teilen, "wenn sie nicht ohnehin noch im elterlichen Haushalt" wohnten. Letztlich ist die "typische Situation von BAföG-Beziehern" nach Auffassung der Bundesregierung "mit der von Beziehern von Grundleistungen nach dem SGB II nicht vergleichbar". Schließlich erhöhe "ein Hochschulstudium die anschließende Erwerbs- und Einkommenschancen regelmäßig beträchtlich", heißt es. Deshalb seien die Vorgaben aus der BVerfG-Entscheidung zum menschenwürdigen Existenzminimum auch nicht "unverändert auf die Bemessung der Bedarfssätze für die Leistung von Ausbildungsförderung […] übertragbar." Entsprechend hält man auch die besonders bemängelte Wohnpauschale in Höhe von 250 Euro für existenzsichernd und damit verfassungsgemäß, so die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Sie sehe insofern "keine Veranlassung zu Konsequenzen" und ist der Auffassung: "[M]ögliche finanzielle Beschränkungen bei der Lebensführung für die Dauer des Studiums trotz BAföG-Bezugs" seien "vorübergehend [...] hinnehmbar".Die Menschenwürde für Studenten relativieren?
Auf Anfrage von LTO hieß es seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, dass der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage "nichts hinzuzufügen" sei. Niema Movassat, Mitglied des Bundestags für die Linke, kritisiert diese Haltung: "Die Bundesregierung meint, diese Unterschreitung des Existenzminimums sei vollkommen in Ordnung. Denn Studierende und Auszubildende würden später eine bessere Einkommensperspektive haben. Im Prinzip sagt die Bundesregierung, dass Studierende ruhig hungern können, weil es ihnen ja später einmal besser gehen würde." Insbesondere glauben die Oppositionellen nicht, dass die Eingruppierung der Studenten als separater Personenkreis zulässig ist. Wieder stützen sie sich dabei auf Rechtsprechung aus Karlsruhe: In einem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz hat das Verfassungsgericht entschieden, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum deutschen wie ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zustehe. "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", so die Karlsruher Richter (Urt. v. 18.07.2012, Az. 1 BvL 10/10). Für Movassat steht damit fest, dass das menschenwürdige Existenzminimum jedem Menschen zusteht, der sich in Deutschland aufhält: "Das Existenzminium gilt für alle Menschen gleich. Deshalb ist die Auffassung der Bundesregierung mit dem Grundgesetz unvereinbar und der BAföG-Satz verfassungswidrig niedrig."Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2018 M01 24
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