"Egal, ob man in München oder auf dem Mars sitzt"
LTO: Für Anwältinnen und Anwälte ist es ja nicht unbedingt üblich, eine "Workation", d.h. eine Kombination aus Arbeit und Urlaub, zu machen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Prof. Dr. Clemens Engelhardt: Das stimmt. Oft hört man Vorurteile wie "Wer länger in den Urlaub geht, ist raus, und dann ist auch der Mandant weg". Ich bin aber immer schon gern gereist – und wollte jetzt Arbeit und Urlaub verbinden. Christopher Hahn und ich haben trustberg seit der Gründung im Jahr 2016 bewusst so aufgebaut, dass das bei uns möglich ist. So habe ich 2018 die Professur für Wirtschaftsrecht angenommen und mein Mitgründer hat das Honorarkonsulat der Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) übernommen, ist also viel in Afrika unterwegs – solche Dinge müssen in einer Kanzlei abbildbar sein; und zwar für alle.
Deshalb haben wir trustberg bereits seit der Gründung vor sieben Jahren entscheidende Plattformelemente beigefügt. Wir haben bestimmte Anforderungen an unser Arbeitsumfeld, ich wollte zum Beispiel Familie und Beruf unter einen Hut kriegen. Deshalb brauchten wir eine Organisation, die damit umgehen kann, dass man nicht permanent vor Ort ist. Die Kanzlei ist für die Menschen da und nicht der Mensch für die Kanzlei.
"Wir Kanzleipartner sind finanziell nicht voneinander abhängig"
Was macht Ihre Kanzlei denn anders?
Es hat viel mit Kanzleistrukturen bzw. dem Geschäftsmodell zu tun. Wir verdienen nicht aneinander. Die meisten Kanzleien sind pyramidenförmig aufgebaut, das heißt es wird unten viel gearbeitet und oben viel verdient. Die Idee eines Associates war es nie, wirklich frei zu sein. Bei trustberg gibt es jedoch keine verschiedenen Senioritätsstufen, wir haben nur Partnerinnen und Partner. Im Moment sind wir zu acht, wir werden aber demnächst deutlich wachsen; mehrere Neuzugänge stehen bereits fest. Statt der Pyramide mit Über-Unterordnungsverhältnissen gefällt uns das Bild einer reich gedeckten Tafel, an der wir alle gerne platznehmen. Bei trustberg bekommen übrigens alle den Teil ausgezahlt, den sie umsetzen, abzüglich Kanzleikosten in Höhe von acht Prozent. Und die individuellen Kosten, etwa die Leasingrate für ein Fahrzeug, muss man natürlich selbst tragen. Wir sind also nicht finanziell voneinander abhängig, wir belasten einander nicht und wir verdienen auch nicht aneinander. Verteilt man verursachungsgerecht und schüttet monatlich aus, gibt es auch intern keine Streitigkeiten über Finanzen. Fairness ist uns sehr wichtig.
Außerdem haben wir schon vor Corona sehr digital gearbeitet. Natürlich muss man manchmal auch umorganisieren. Diese Woche kann ich zum Beispiel einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen, das macht dann ein Kollege. Aber dafür sind wir ja viele und arbeiten vertrauensvoll zusammen. Insgesamt zeigt die Erfahrung über unsere Standorte im In- und Ausland: Echt partnerschaftliches Zusammenarbeiten entsteht besonders da, wo man sich untereinander nicht abgrenzen muss, um den eigenen Vorteil zu sichern. Wer nicht um seinen Anteil bangen muss, ist gedanklich frei für gemeinsame Mandate, Akquise, Cross-Selling oder eben Workation.
Finanzielle Unabhängigkeit ist wichtig – aber was passiert, wenn ein Partner oder eine Partnerin aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen starke Umsatzeinbußen hat?
Das ist in der Tat die Kehrseite der geringen Kanzleikosten. Da die Kanzlei lediglich acht Prozent des Umsatzes einbehält für Marketing, IT und weitere Kosten, kann hiervon nicht mehr bestritten werden als das. Man kann sich aber natürlich individuell Rücklagen bilden.
Dafür gibt es in Ihrer Kanzlei die Möglichkeit, eine Workation zu machen. Gilt das auch für nicht-anwaltliche Mitarbeitende?
Ja, natürlich. Eigentlich dürfte sich die Frage nicht stellen, aber man muss es leider betonen. Immer mehr Unternehmen erlauben ihren Mitarbeitenden die Workation, u.a. die BayernLB und die DZ Bank. Das ist einfach die Zukunft. Spitzensportler dürfen schließlich auch da trainieren, wo es schön ist. Deshalb soll das auch jede und jeder bei uns dürfen.
"Die Mandanten finden die Workation großartig"
Wie waren die Reaktionen Ihrer Mandantinnen und Mandanten?
Die finden das großartig – und wissen natürlich auch, dass wir trotzdem liefern. Eine Transaktion, die für die Zeit auf Mauritius geplant war, ist mir allerdings spontan abgesagt worden. Das passiert – und den Leerlauf habe ich lieber auf Mauritius als in München bei Nieselregen.
Wieso haben Sie sich für Mauritius entschieden?
Wir wollten unbedingt in die Sonne – und die Zeitzone kam mir gelegen. Mauritius ist drei Stunden vor der Mitteleuropäischen Winterzeit und das ist sehr praktisch. Heute zum Beispiel habe ich den ganzen Vormittag mit meinen Kindern gespielt. Wenn man in Deutschland den ersten Kaffee im Büro trinkt, sitzen wir beim Mittagessen. Das hat natürlich den Nachteil, dass ich einiges abends nachhole, wenn meine Familie schläft. Wenn ich trotz der vormittaglichen Freizeit auch hier einen vollen Arbeitstag habe, dann muss ich das nachts oder tags darauf nachholen. Aber die Arbeitstage von Kanzleipartnern sind bekanntlich Schwankungen unterworfen.
Wie viele Stunden arbeiten Sie denn tatsächlich gerade?
Das ist unterschiedlich. In jedem Fall mache ich hier nicht den Umsatz, den ich in Deutschland gemacht hätte, was aber erwartet war. Workation bedeutet für mich nicht, unter vollen Segeln zu fahren, eben nur in anderen Gewässern. Workation bedeutet eben bewusstes Arbeiten im Urlaub bei verlängerter Reisezeit. Man verändert den Fokus: Nicht für den Urlaub "freischaufeln", was oftmals nur mäßig gut klappt, sondern bewusst beides kombinieren.
"Derjenige, der in der Zeit voraus ist, muss sich an die anderen anpassen"
Wie haben Ihre Kollegen reagiert, als Sie Ihr Vorhaben angekündigt haben?
Sie waren wenig überrascht. Die haben uns eine gute Reise gewünscht und gesagt, ich soll Bilder schicken. Das war völlig selbstverständlich, weil es bei uns fast egal ist, ob man in München oder auf dem Mars sitzt. Der entscheidende Faktor ist nicht die physische Anwesenheit. Wir hätten unternehmerisch alles falsch gemacht, wenn trustberg nur funktionieren würde, wenn wir uns gegenseitig auf dem Schoß sitzen. Aber natürlich muss man sich etwas mehr Mühe bei dem Thema "Community" geben, wenn man "so weit weg" ist; psychologisch spielt die Entfernung eine größere Rolle als technisch und organisatorisch.
Wie funktioniert die Arbeit im Team über die Distanz?
Die unbeschwerte Kanzleikultur ist uns sehr wichtig. Und weil das so ist, arbeiten wir erfolgreich auch im Team sehr digital. Und durch die Zeitzone im Falle von Mauritius funktioniert das auch sehr gut. Derjenige, der in der Zeit voraus ist, muss sich an die anderen anpassen, das ist eine Frage der Höflichkeit. Wenn ich etwas von meinen Kolleginnen und Kollegen will, muss ich das zu deren Arbeitszeiten tun. Das kann auch dazu führen, dass ich spätabends, wenn meine Familie längst schläft, noch ein längeres Telefonat führe. Beispielsweise war ich um 19 Uhr deutscher Zeit noch in einer Telefonkonferenz über zwei Stunden. Danach war es zu meiner Ortszeit Mitternacht. Das ist aber nicht schlimm, wenn man dabei einen Strandspaziergang im Mondschein machen kann.
"Keine anderen Probleme mit dem beA als in Deutschland"
Was hat Ihnen an Mauritius besonders gut gefallen?
Mauritius ist ein Vielvölkerstaat, das ist kulturell sehr interessant. Ich habe viele neue Erfahrungen gemacht, spannende Menschen kennengelernt und Dinge erlebt, zum Beispiel Giraffen gefüttert. Meine Sichtweise auf die Zeit hat sich stark verändert. Die vier Wochen auf Mauritius fühlten sich so an, als wäre ich ein halbes Jahr dort gewesen. In jedem Fall eine Reise, von der man verändert zurückkehrt.
Welche Herausforderungen und Schwierigkeiten hatten Sie?
Die technischen Herausforderungen sind dieselben wie in Deutschland, wenn man mobil arbeitet. Man braucht einen stabilen Internetzugang und das kriegt man hin. Auch das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) hat auf Mauritius keine anderen Probleme als in Deutschland.
Meine eigentliche Herausforderung war die Selbstdisziplin. Wir wohnen hier direkt am Strand – und da liegt die Versuchung nahe. Aber als Volljuristen sind wir es ja gewöhnt, uns selbst zu motivieren. Wenn man gelernt hat, mit der Uhr in der Hand zu arbeiten, dann geht das. Es ist aber ein höherer Aufwand als Zuhause.
Als Anwalt im Transaktionsgeschäft muss ich mich auch viel mit Projektmanagement und Planung beschäftigen. So machen wir bei trustberg auch die Projekt- bzw. Kapazitätsplanung, Wenn ich beispielsweise weiß, dass eine due diligence die bis Freitag fertig sein muss, gibt eben das Projekt die Taktung vor. Dem Mandanten ist es zumeist egal, wann daran gearbeitet wird, solange die Prüfung rechtzeitig fertig ist. Deshalb arbeiten wir weniger mit billable hours, sondern denken in Ergebnissen für den Mandanten und Finanzergebnissen mit Budgetsicherheit. Wir bieten auch Paketpreise an. Gerade diese erfordern natürlich ein gewisses Verständnis für Projektmanagement, Ressourcen- und Zeitplanung.
"Herausfordernd, lehrreich und toll"
Welche Erfahrungen nehmen Sie für Ihre Arbeit mit nach Deutschland?
Ich freue mich auf meinen Schreibtisch. So ein Büro-Equipment hat auch Vorteile.
Aber ich nehme die Erfahrung mit, dass ich noch eine Workation machen will. Es ist als Dauerimprovisation herausfordernd, aber lehrreich und einfach toll. Und, das habe ich vorhin auch einem Mandanten am Telefon gesagt: Es ist anders, als wenn man krampfhaft versucht, den Urlaub zu genießen und so wenig wie möglich zu arbeiten. Dann drückt man sich dauernd vor dem Arbeiten, aber es ist doch irgendwie immer dabei. Wenn man sich einfach sagt, dass das jetzt ein Arbeitsurlaub ist, dann fließt das ineinander über und belastet nicht.
Eine Workation ist wohl noch nicht in jeder Kanzlei möglich. Wie sollte sich die Kanzleiwelt aus Ihrer Sicht verändern?
Althergebracht ist die Anzahl von billable hours, die pro Jahr Mandanten in Rechnung gestellt werden die Kennzahl vieler Kanzleien. Aus unserer Sicht nicht nur überkommen, sondern auch mit vielen Fehlanreizen versehen. Die klassischen Kanzleien werden über ihre Strukturen nachdenken müssen. Ich glaube auch, dass sich der Rechtsmarkt sehr viel mehr Potenzial hat, großartige Persönlichkeiten weiter zu fördern und zu entwickeln. Ein Zahlenbeispiel: Etwas über 56 Prozent der Absolventen sind weiblich – und nur ein Bruchteil davon wird Partnerin. Noch viel zu oft werden Menschen nicht als Persönlichkeiten gesehen, sondern als Umsatzbringer. Dass Geld nicht alles ist, hat spätestens die junge Generation verstanden.
Ich bin Vater, ich bin Professor, ich habe eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, nebenbei noch trustberg mitaufgebaut und mich dabei nicht rund um die Uhr kaputtgemacht. Warum? Weil wir in der Kanzlei nicht aneinander verdienen. Wenn man aufhört, aneinander zu verdienen, dann fängt man an, miteinander zu wachsen und zu leben. Wenn die Struktur passt, passt auch Workation.
Vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Clemens Engelhardt ist Partner bei trustberg und Professor für Wirtschaftsrecht. Bei trustberg konzentriert sich Prof. Dr. Engelhardt auf Gesellschaftsrecht, Private Equity, M&A, Prozessführung und Immobilientransaktionen. Er ist Autor mehrerer Standardwerke im Wirtschaftsrecht.
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