"Führung in Teilzeit muss Normalität werden"
In Teilzeit führen – das erschien lange Zeit kaum vorstellbar. Der Chef oder die Chefin müsse das Büro schließlich immer als letzte Person verlassen und am meisten von allen arbeiten. Diese Vorstellung ist längst nicht mehr zeitgemäß – und die Arbeitswelt und auch die Justiz reagieren.
Derzeit sind Führungspositionen in der Justiz aber nur selten mit teilzeitbeschäftigten Mitarbeitenden besetzt, das zeigt eine Mitte des Jahres 2019 vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen (NRW) durchgeführte Abfrage im Geschäftsbereich. So sind beispielsweise nur rund ein Prozent der Gerichts- und Behördenleiterinnen und -leiter in Teilzeit tätig.
Das möchte das Ministerium ändern und den Anteil der Teilzeitbeschäftigten in Führungspositionen erhöhen. In einer Umfrage hat es daher eine Art Bestandsaufnahme durchgeführt: Wer kann sich vorstellen, in Zukunft – trotz Teilzeit – Führungsaufgaben wahrzunehmen? Was hindert die Beschäftigten noch daran? Und was muss verbessert werden?
Das Justizministerium will mit Hilfe der Ergebnisse ein Umdenken anstoßen, "dass Führungsverantwortung und Teilzeit nicht in Widerspruch zueinanderstehen, sondern für eine attraktive Arbeitgeberin selbstverständlich gelebte Realität darstellen", heißt es in der Auswertung der Umfrage, die LTO vorliegt.
Mehr als drei Viertel der Teilnehmenden sind Frauen
Das Ministerium hat diese anonymisierte Online-Befragung "F.I.T. für die Zukunft – Führen in Teilzeit" von Mitte August 2020 bis Mitte September 2020 unter allen Beschäftigten in der Justiz – mit Ausnahme des Vollzugs – durchgeführt.
Insgesamt 28.477 Mitarbeitende der nordrhein-westfälischen Justiz waren dazu aufgerufen, sich an der Umfrage zu beteiligen. Insgesamt konnten 2.809 Antworten, also rund 10 Prozent, in die Auswertung einfließen.
Nicht verwunderlich dabei ist, dass mehr als drei Viertel der Teilnehmenden weiblich sind – schließlich lassen sich bei einer Teilzeittätigkeit Familie und Beruf oft besser in Einklang bringen, was gerade auch für Frauen ein Argument sein kann.
42 Prozent aller Teilnehmenden sind in Teilzeit beschäftigt. Davon arbeitet der größte Anteil zwischen 50 und 75 Prozent. Und: Drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer üben derzeit keine Führungstätigkeit aus – woran kann das liegen?
"Gleichberechtigter Zugang zu Führungspositionen"
Mehr Begeisterung für fachliche Arbeit, kein Interesse an Personalverantwortung oder Verwaltungsaufgaben oder die private Lebenssituation – die Gründe, wieso die Juristinnen und Juristen keine Führungsaufgaben übernehmen wollen, sind vielseitig. Rund die Hälfte der Teilnehmenden möchten an der Situation etwas ändern, während ein Viertel mit dem Status Quo zufrieden sind und 23 Prozent keine weiteren Angaben machten.
Knapp die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Teilnehmenden ohne Führungsverantwortung möchten gerne eine Führungsaufgabe gerne übernehmen, bei den Vollzeitkräften sind es 55 Prozent. Mit mehr Arbeitszeit sollte das nach Meinung der Teilnehmenden allerdings nicht einhergehen, rund 72 Prozent möchten die Zeiten beibehalten – der Wunsch nach Führung in Teilzeit ist also da.
Dass das nicht nur ein Wunschdenken bleibt, dafür möchte sich das Justizministerium einsetzen: "Alle Personalverantwortlichen in den Gerichten und Behörden sind entschlossen, gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen, um qualifizierten Teilzeitkräften einen gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen zu verschaffen und das weitere Potential zu fördern und zu nutzen“, heißt es in einem Statement gegenüber der LTO.
Teilnehmende kritisieren schlechte Information
Akzeptieren aber Vorgesetzte überhaupt, dass man auch in Teilzeit führen kann? Das Meinungsbild der Teilnehmenden zu dieser Frage ist geteilt. Bei den Kolleginnen und Kollegin hingegen stößt Führungsverantwortung für Teilzeitler nach Meinung der Teilnehmenden überwiegend auf Akzeptanz.
Durchaus Luft nach oben gibt es auch bei der Information über die Möglichkeiten, überhaupt Führungsaufgaben in Teilzeit auszuüben. Rund 50 Prozent fühlen sich nicht gut informiert. Das Ministerium schlägt als Lösungen zum einen eine bessere schriftliche Information der Beschäftigten, zum anderen mehr Kommunikation in persönlichen Mitarbeitergesprächen vor.
Knapp drei Viertel der Teilnehmenden rechnen außerdem mit unvorhersehbaren Ereignissen und außerplanmäßigen Anwesenheiten der Führungskräfte in Teilzeit – beispielsweise wichtige Dienstbesprechungen um 17 Uhr oder ein spontaner Einsatz am Wochenende. Das Ministerium erkennt an, dass dies "oftmals in der Natur der Führungsaufgabe liegt".
Oft seien private Verpflichtungen der Grund für die Teilzeittätigkeit – und der oder die Mitarbeitende dadurch zeitlich weniger flexibel. Allerdings bedeutet "konsequente Vereinbarkeit von Karriere und Familie (…) auch, dass Führungspositionen gleichermaßen in Vollzeit und in Teilzeit ausgeübt werden können", heißt es in einem Statement gegenüber LTO.
Justizminister fordert mehr Anerkennung für Führungskräfte in Teilzeit
Deshalb gelte es, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und eine entsprechende Kultur vorzuleben: Zu festen Zeiten stattfindende Dienstbesprechungen, Führungsmodelle wie Job-Sharing, mehr Homeoffice und digitale Konferenzen – durch einfache Mittel kann hier viel erreicht werden.
Die Umfrage hat deutlich gezeigt, dass hier noch Luft nach oben ist. Einzelne Teilnehmende kritisieren etwa, dass ihnen die Teilzeit wiederholt zum Vorwurf gemacht werde und Besprechungen außerhalb der eigenen Arbeitszeit stattfinden.
Das muss sich ändern, so Justizminister Peter Biesenbach, und findet deutliche Worte: "Menschen, die aus verschiedenen Gründen Führungspositionen in Teilzeit wahrnehmen, bringen sehr unterschiedliche Aufgaben unter einen Hut und erbringen eine enorme Leistung. Dies muss sich in der Anerkennung widerspiegeln!“
"Information, Akzeptanz und Flexibilisierung"
Doch was ist nun zu tun? Wie kann das Modell "Führen in Teilzeit" gelingen? Das Justizministerium fasst die Anforderungen in der Auswertung der Umfrage mit den Schlagworten "Information, Akzeptanz und Flexibilisierung" zusammen.
Die Teilnehmenden wünschen sich eine bessere und frühere Information über berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und über die konkrete Führungsaufgabe. Die Arbeitsbedingungen sollten zudem flexibler sein – in zeitlicher und örtlicher Hinsicht.
Vor allem ist ihnen aber auch wichtig, dass Vorgesetzte und Kolleginnen und Kollegen die Teilzeitbeschäftigung akzeptieren – und anerkennen, dass man auch in Teilzeit Führungsverantwortung übernehmen kann.
Denn: "Führung in Teilzeit darf nicht eine gewöhnungsbedürftige Ausnahme bleiben, sondern muss Normalität werden", so Biesenbach gegenüber LTO. Die Umfrage hat jedoch gezeigt, dass bis dahin noch einiges zu tun ist.
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2022 M06 1
Justiz
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