Auskunft als erster Schritt zur gleichen Bezahlung

Anfrage nach dem Ent­gelt­tran­s­pa­renz­ge­setz: So geht’s

Gastbeitrag von Prof. Dr. Nora Markard, MALesedauer: 6 Minuten

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen ist ein Grundrecht. Doch klagen kann nur, wer weiß, was die Kollegen verdienen. Wie man das erfährt und wie die Frauen sich vor Sanktionen schützen können, erklärt Nora Markard.

Das Grundrecht auf gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist schon seit 1957 fester Bestandteil der europäischen Verträge. Es ist in EU-Richtlinien und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ebenso festgehalten wie im Völkerrecht. Trotzdem wird jedes Jahr im März zum Equal Pay Day ein Gender Pay Gap beklagt: Im Durchschnitt verdienen Frauen 20 Prozent weniger als Männer. Rechnet man eine Reihe von strukturellen Faktoren wie Berufserfahrung oder Branchenzugehörigkeit heraus, ist ihr Bruttostundenlohn immer noch um 6 Prozent niedriger als der von vergleichbaren Kollegen. Wie können Frauen ihr Recht auf Entgeltgleichheit durchsetzen?

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Das neue Auskunftsrecht nach dem Entgelttransparenzgesetz

Die erste Hürde bei der Durchsetzung ist, dass sie meist gar nicht wissen, dass ihre männlichen Kollegen für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen. Oft ist das sogar mit Schweigeklauseln im Arbeitsvertrag abgesichert. Aber eine Klage auf gleiche Bezahlung muss genau beziffert werden – dafür braucht es genaue, offizielle Zahlen.

Diese Lücke soll das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) schließen: Seit 2018 kann in Betrieben ab 200 Beschäftigten jede und jeder den Median (also den Mittelwert) der Vergleichsgehälter des anderen Geschlechts erfragen. Bisher galt das nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Am 25. Juni 2020 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass sich auch sogenannte arbeitnehmerähnliche Beschäftigte auf dieses Gesetz berufen können (Az. 8 AZR 145/19). Dies verlange das Unionsrecht.

Geklagt hatte eine als sog. feste Freie beim ZDF beschäftigte Redakteurin, die herausgefunden hatte, dass ihre männlichen Redaktionskollegen mehr verdienen als sie – auch die, die im selben Tarifvertrag beschäftigt sind. Der Gleichstellungsbericht des ZDF erfasst nur Festangestellte; bei den tausenden "festen Freien" herrscht bisher völlige Intransparenz. Damit ist nun Schluss, auch sie können jetzt Anfragen nach dem EntgTranspG stellen.

Anfrage nach dem EntgTranspG: So geht’s

Zu beachten ist: Das Auskunftsrecht gilt nur in Betrieben ab 200 Beschäftigten; viele Frauen arbeiten in kleineren, mittelständischen Betrieben.

Die Anfrage selbst kann die Beschäftigte entweder frei formulieren oder auch das Formular der Bundesregierung benutzen. Die Anfrage sollte möglichst konkret beschreiben, was sie als gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ansieht. Bei gleicher Tätigkeit können die Beschäftigten sich gegenseitig ersetzen. Gleichwertige Tätigkeiten können inhaltlich unterschiedlich sein, bringen aber in der Summe die gleichen Anforderungen und Belastungen mit sich – zum Beispiel Regale einräumen und kassieren. Es muss im Betrieb mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts geben, die eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ausüben; das soll verhindern, dass die Anfragende die Auskunft individuell zuordnen kann. Über die Spitzengehälter erfährt man durch den Median ohnehin nichts.

Wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt und dieser die Auskunft übernommen hat, richtet sich die Anfrage an den Betriebsrat, ansonsten an den Arbeitgeber. Eine mündliche Anfrage reicht nicht, sie muss in Textform erfolgen (E-Mail, Brief, Fax).

Neben dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt (im Median) können Beschäftigte auch Auskunft über bis zu zwei einzelne Entgeltbestandteile verlangen, z.B. Leistungs- oder Erschwerniszulagen oder Leistungsprämien. Sie können sich natürlich mit anderen zusammentun und dadurch gemeinsam jeweils verschiedene Entgeltbestandteile erfragen. Auch männliche Kollegen können mitmachen! Je mehr Informationen Sie haben, desto besser können Sie einschätzen, ob es in dem Betrieb Entgeltdiskriminierung gibt. Das Auskunftsrecht erstreckt sich außerdem auf die Vergütungskriterien und darauf, wie diese angewandt werden.

Die Anfrage gut vorbereiten

Eine Beschäftigte, die das EntgTranspG nutzen will, ist allerdings auch sonst gut beraten, wenn sie sich mit anderen zusammentut. Das gilt nicht zuletzt auch für die Frage, was sie eigentlich machen will, wenn sie herausfindet, dass die Kollegen mehr verdienen.

Die zweite Hürde bei der Durchsetzung des Rechts auf Entgeltgleichheit beseitigt das EntgTranspG nämlich nicht. Es sieht keine Folgen vor, wenn die Anfrage ergibt, dass der Mittelwert der vergleichbaren Kollegengehälter höher ist als das eigene Gehalt. Auch ein Verbandsklagerecht, z.B. für Gewerkschaften, sieht das Gesetz nicht vor. Wer das gleiche Gehalt – und Schadensersatz für die Diskriminierung – bekommen will, muss also gegebenenfalls selbst den Arbeitgeber verklagen.

Eine Klage kann sich durchaus lohnen; bei Birkenstock wurde der Schadensersatz bei der ersten Klägerin 2014 wegen der jahrelangen vorsätzlichen Geschlechtsdiskriminierung auf 6.000 Euro festgesetzt. Einer weiteren Klägerin wurden im Jahr 2015 fast 25.000 Euro Nachzahlungsansprüche zugesprochen.

Doch die Frist für eine Klage ist kurz: Ein Entschädigungsanspruch muss nach § 15 AGG innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden. Ob das auch bei Dauertatbeständen wie Gehaltszahlungen gilt, ist bisher ungeklärt. Ab dann läuft die dreimonatige Klagefrist nach § 61b ArbGG, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber antwortet oder nicht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen also eine mögliche anwaltliche Vertretung und eine mögliche Kostenübernahme durch eine Rechtsschutzversicherung geklärt sein.

Knackpunkt Beweisfrage

Der größte Knackpunkt ist aber die Beweisfrage. Dem Europäischen Gerichtshof genügt es als Anscheinsbeweis der Diskriminierung, dass eine Klägerin zeigen kann, dass jedenfalls ein männlicher Kollege mehr verdient, der die gleiche oder eine gleichwertige Tätigkeit ausübt. Dann dreht sich die Beweislast um: Es ist dann am Arbeitgeber, zu zeigen, dass die ungleiche Bezahlung nichts mit Geschlechtsdiskriminierung zu tun hat, sondern auf neutralen, sachgerechten Kriterien beruht.

Die deutsche Rechtsprechung ist wesentlich strenger. Sie verlangt, dass die Klägerin zusätzlich Indizien dafür liefert, dass ihre niedrigere Bezahlung auf ihrem Geschlecht beruht. Wie das gehen soll? Realistischerweise ist das wohl nur möglich, wenn der Arbeitgeber – wie Birkenstock – offen zur Diskriminierung steht. Im Fall der ZDF-Reporterin haben dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die zahlreichen Hinweise auf eine Benachteiligungskultur beim ZDF jedenfalls nicht genügt.

Ihre Revision wurde nicht zugelassen, obwohl eine solche offene Abweichung von der EuGH-Rechtsprechung zwingend eine Vorlage zum EuGH erfordert hätte. Weil das ein Verstoß gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter ist (Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz, GG) und die europäischen Grundrechte ist, hat die ZDF-Reporterin die Klägerin mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte Verfassungsbeschwerde erhoben.

Solidarität schützt vor Sanktionen

Klagen ist einfacher, wenn man sich mit Kollegen und Kolleginnen zusammentut – das zeigen die 28 "Heinze-Frauen", die Foto Heinze in den 1970er Jahren bis zum Bundesarbeitsgericht verklagten. Außerdem schützt das Beschäftigte vor der dritten Hürde: Sanktionen durch den Arbeitgeber. Denn wenn sich viele zusammentun, ist es für den Arbeitgeber schwieriger, sie unter Druck zu setzen.

Sanktionen sind zwar nach § 16 AGG als Maßregelung verboten, passieren aber trotzdem. Die mehrfach preisgekrönte ZDF-Journalistin beispielsweise wurde von verschiedenen Stellen des Hauses unter Druck gesetzt. Nun wird sie nach 13 Jahren bei Frontal21 an den Einsatzort Mainz versetzt. Das ZDF bestreitet den Sanktionscharakter dieser Maßnahme natürlich.

Wenn Ihre Mandantin den Eindruck hat, ihr Arbeitgeber sanktioniere sie für ihre Rechtsdurchsetzung, raten Sie ihr dringend dazu, alles möglichst genau zu dokumentieren. Schließlich könnte sie Anspruch auf Schadensersatz haben (BAG, Urt. v. 18.05.2017, Az. 8 AZR 74/16).

Dringender Reformbedarf

Eine Evaluation des EntgTranspG durch die Firma Kienbaum hat 2019 in zahlreichen Punkten Nachbesserungsbedarf ergeben. Klar ist: Es braucht dringend eine Reform.

Denn bisher lässt der Gesetzgeber die Frauen beim Kampf gegen Entgeltdiskriminierung allein. Sie tragen alle Risiken, sowohl bezüglich der Kosten als auch mit Blick auf ihre Karriere. Der Median allein nützt ihnen da herzlich wenig. Helfen würde ein Verbandsklagerecht, wie es beispielsweise schon 2012 im Entwurf für ein Entgeltgleichheitsgesetz der SPD enthalten war und 2017 auch von Grünen und Linken gefordert wurde.

Außerdem muss der Beweisstandard gesetzlich klargestellt werden. Die strengen Anforderungen, die die deutsche Rechtsprechung entwickelt hat, sind mit dem bindenden Unionsrecht nicht vereinbar. Und sie machen die Durchsetzung des Grundrechts auf Entgeltgleichheit effektiv unmöglich.

Die Autorin Prof. Dr. Nora Markard, MA ist Inhaberin des Lehrstuhls für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. In ihrer Funktion als Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat sie die Klage der Journalistin Birte Meier betreut. Die GFF berät Meier und unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit zu dem Fall, vertritt die Journalistin aber nicht anwaltlich.

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