Interview zu Diversity in Unternehmen und Kanzleien

"Viel­falt ist nicht die Bereit­stel­lung von Behin­der­ten­toi­letten"

Interview von Tanja PodolskiLesedauer: 7 Minuten

Homosexuelle, Mütter, Migrationshintergründe, Behinderungen: Unternehmen sind divers. Die Strukturen sind es aber oft nicht. Wer trotzdem damit wirbt, vergrätzt die Generation Z. Warum, erklärt Diversity-Expertin Anna Engers im Interview.

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LTO: Anna, zur Zeit Deines letzten Interviews mit LTO im Jahr 2015 hast Du versucht, Arbeitgebende davon zu überzeugen, dass sie sich mit dem Thema Diversity befassen sollten. Wie erfolgreich warst Du mit dem Vorhaben? 

Anna Engers: Natürlich gab es Unternehmen und Kanzleien, die Diversity als Thema schon aufgegriffen hatten. So richtig ernstgenommen haben sie es aber lange nicht. Das ist jetzt anders. Erstaunlicherweise kam in der Corona-Pandemie ein solider Schub an Anfragen und Initiativen – vielleicht, weil sich Werte in dieser Zeit verschoben haben.  

Das Bewusstsein ist jetzt da, wo ich es gerne schon vor vielen Jahren gehabt hätte. Rückschauend war ich offenbar zu früh mit dem Thema, als ich mich vor rund zwölf Jahren selbstständig gemacht habe. Heute sehe ich Unternehmen mit einem ernsthaften Willen, Diversity zu bearbeiten. Meine Botschaften kommen an.  

Was sind Deine Botschaften? 

Die Menschen in Ihrer Vielfältigkeit wahrzunehmen und ihre jeweiligen Qualitäten, die auch in dieser Vielfalt liegen, zu schätzen und fördern.  

In Unternehmen und Kanzleien arbeiten Menschen, die etwas besonders gut können. Sie wurden eingestellt, weil die Arbeitgebenden davon ausgingen, dass diese Personen zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Diese Beschäftigten bilden automatisch eine gewisse Diversität (in ihrer Person und ihrem Verhalten) ab, die den Führungsetagen oft nicht bewusst ist. Das können Führungskräfte ändern, indem sie die Mitarbeitenden in ihrer Vielfältigkeit wertschätzen und so sicherstellen, dass sie das Unternehmen nicht wieder verlassen.  

"Frauen sind ein großes Thema" 

Was bedeutet denn Diversität? Als Du anfingst, ging es vor allem um die stärkere Abbildung von Frauen und Müttern in der Arbeitswelt. Was sind heute die dringlichsten Themen für Arbeitgebende? 

Frauen sind noch immer ein großes Thema – und man kann sich zu Recht fragen, warum eine Gruppe, die die Hälfte der Bevölkerung darstellt, überhaupt eine marginalisierte Gruppe bedeutet. Fakt ist aber, wir haben in Deutschland noch immer keine Gleichstellung, das sieht man sofort beim Gehalt und in der Besetzung der Führungsebenen, auch bei Kanzleien.  

Zudem werden die anderen betroffenen Gruppen sichtbarer. Grundsätzlich geht es bei dem Thema Diversität um die Dimensionen von Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung und soziale Herkunft. Das sind keine deutschen Erfindungen, sondern diese Themen finden sich weltweit, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung.  

Die Idee von Diversität in Unternehmen ist, dass diese Vielfalt abgebildet und die Mitarbeitenden mit ihren Qualitäten, anderen Erfahrungen und Sichtweisen wahrgenommen werden – eine solche Wertschätzung ist pure Wertschöpfung für die Arbeitgebenden und das nicht nur, weil so die Fluktuation sinkt. Sondern weil Unterschiedlichkeit eine Bereicherung ist und nur damit auch die Gesellschaft mit den Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens angesprochen werden kann. Daher richte ich am Anfang meiner Beratung den Blick nach innen ins Unternehmen und frage: Wie divers seid ihr bereits?  

Die Vielfalt muss dann allerdings auch gelebt werden. Und das passiert nicht mit der Bereitstellung von Behindertentoiletten und barrierefreien Zugängen, einem Gebetsraum oder der Anstellung einer Schwarzen Person, die dann auch noch auf der Homepage abgebildet wird. Es überzeugt vor allem die potenziellen Bewerber:innen nicht, wenn die Vielfalt von den Unternehmen zwar wahrgenommen, aber dann nur recht wahllos irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden.  

Sondern?  

Es geht um die Wahrnehmung und Wertschöpfung aus unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen – dann wird es ernsthaft vielfältig in Unternehmen. 

Sich die Vielfalt bewusst zu machen, ist nur der erste Schritt.  Sich selbst zu verdeutlichen, wer ich selbst mit welchem Hintergrund bin: Als studierte weiße deutsche Frau bin ich unglaublich privilegiert. Ich weiß, was es bedeutet, Frau und Mutter zu sein, aber nicht, wie es ist, in Deutschland homosexuell, behindert oder Schwarz zu sein.  

Indem ich einmal die Perspektive wechsele, kann ich im nächsten Schritt lernen, die anderen mit ihren Qualitäten und Erfahrungshorizonten zu sehen und besser zu verstehen.  

"Für Arbeitgebende reicht es nicht mehr, lauter Mini-Me's einzustellen" 

Steckt man die Menschen damit nicht in die nächsten Schubladen? 

Natürlich hat jede Person eine Herkunft oder eine sexuelle Orientierung – alle erfüllen irgendwelche Merkmale, die beim Thema Diversität eine Rolle spielen. Die Frage ist aber, von welchen Themen sind wir betroffen und werden vielleicht sogar nicht nur nicht wahrgenommen, sondern diskriminiert? 

Wenn ich als Anna in ein Unternehmen komme, bringe ich die verschiedenen Diversity-Dimensionen in meiner Person – wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung usw. – automatisch mit. Ich werde aber nicht nur deswegen eingestellt, sondern wegen meiner Qualifikation, etwa wegen besonderer Fachkenntnis, Führungs-, Kommunikations- oder Problemlösungsstärke. Und die gilt es im Blick zu behalten. Und mich nicht z.B. als leistungsschwach oder unflexibel abzustempeln, weil ich auch Mutter bin. 

Was versprechen sich die Unternehmen und Kanzleien davon, sich das Thema auf die Fahnen zu schreiben? 

Die Initiative kam zunächst bei vielen Unternehmen und Kanzleien mehr von außen als von innen. Seit einigen Jahren müssen sie insbesondere bei internationalen Pitches ihre Diversität darlegen.  

Inzwischen sind der Fachkräftemangel und der "War for Talents" weitere Treiber. Die Arbeitgebenden merken, dass es nicht mehr reicht, lauter Mini-Me`s einzustellen, also Personen, die sind wie man selbst.  

Wenn neue Mitarbeitende gefunden wurden, gilt es, diese zu halten. Dafür braucht es eine gute und vielfältige Unternehmenskultur, in der die Beschäftigten sich wohl fühlen und gerne arbeiten. Dann reichen nicht mehr die schon genannte Website oder die gelungene Stellenanzeige – das gelebte Miteinander und die Wertschätzung müssen passen.  

Inzwischen kommt der Druck auch aus der Gesellschaft, den Wandel herbeizuführen. Dieser gewisse gesellschaftlichen Zwang zeigt etwas sehr Positives: Die Menschen in unserer Gesellschaft sind vielfältig, also muss das auch für die Wirtschaft und die Unternehmen gelten. 

"Aushalten erfordert Größe" 

Wie authentisch kann denn ein Unternehmen mit dem Thema Diversität sein, wenn es sich einem gesellschaftlichen Druck beugen muss? 

Bis die Unternehmen tatsächlich intern die Vielfalt leben, wie sie es oft nach außen tragen, wird es noch einige Zeit dauern. Der Wandel erfordert ein wenig Geduld. Der Prozess bedeutet Veränderung, davor haben Menschen oft Angst – er lässt sich aber nicht aufhalten.  

Derzeit täten die Unternehmen gut daran, sich glaubwürdig darzustellen. Wer Diversität noch nicht lebt, muss es aushalten, von Bewerber:innen nach Aspekten gefragt zu werden, auf die es vielleicht noch keine Antworten gibt. Wer es nicht nur sagt, sondern auch meint, hat beim Wettbewerb um gute Mitarbeitende sicher bessere Chancen als die, die nur ein Foto auf der Website haben, das Diversität abbilden soll. Das auszuhalten, bedarf aber einer gewissen Größe.  

In Deinem LinkedIn Profil nennst Du inzwischen die Themen #gendern, #diversity und #unconsciousbias. Was bedeuten diese Begriffe für Unternehmen? 

Der Begriff "unconscious Bias" beschreibt unbewusste Denkmuster, die wir alle in uns haben und die tief verankert sind. Sie werden gespeist durch Erziehung, Erfahrung und Einfluss von anderen. Die Denkmuster laufen automatisch in uns ab, z.B. wenn wir auf neue Menschen treffen. Dahinter steckt noch immer der Aspekt der Abwehr einer möglichen Gefahr.  

Neue Menschen stecken wir sofort unbewusst in unsere Denk-Schubladen, und da beginnt ggf. schon eine – unbewusste – Diskriminierung. Als Recruiting- oder HR-Person ist das der Moment, in dem ich vermutlich ein Talent nicht sehe und die Chance auf talentierte neue Mitarbeitende verpasse. Wir können trainieren, die eigenen Denkmuster zu überwinden und dadurch mehr Menschen eine Chance geben. Die Arbeit an den unbewussten Denkmustern ist ein sehr geeignetes Tool, um Diversity besser zu verstehen und leben zu können. 

Wie schafft man es, die eigenen Denkmuster zu hinterfragen? 

Jedes Unternehmen hat Prozesse, in denen feste Denkmuster potenziell negative Effekte haben können. Klassische Fälle sind die Bewerber:innen-Auswahl – aber auch Meetingkulturen.  

Ich kann mir überlegen, wie ich einen Bias-freien Prozess entwickeln kann – bei Bewerbungen im ersten Schritt etwa auf das Foto zu verzichten, vielleicht sogar auch auf die Altersangabe, das Geschlecht und den Namen. Das lässt sich über IT-Tools oder verschiedene Stationen des Auswahlprozesses, z.B. zuerst ein Telefoninterview zu führen, bewerkstelligen. Der Fokus sollte auf der Qualifikation der Person für die zu besetzende Stelle liegen und nicht darauf, wie die Person z.B. aussieht.   

In Hinblick auf eine diverse Meetingkultur wäre es z.B. wichtig darauf zu achten, wie die Redeanteile sind. Eine Studie der George Washington University belegt, dass ein Mann eine Frau um 33 Prozent häufiger unterbricht, als wenn er mit einem Mann spricht. Zudem sind die Redeanteile von Männern in gemischten Teams länger und häufiger. Viele Frauen berichten, dass ihre gerade vorgebrachten Ideen von Männern wiederholt und erst dann wahr und ernst genommen werden. Das passiert leider noch aufgrund der – oft unbewusst – sehr männlichen dominierten Strukturen, die in Unternehmen herrschen. Sich darüber bewusst zu werden, ist der erste Schritt zu einer Veränderung.   

Es gibt es also noch viel zu tun.  

Vielen Dank für das Gespräch.  

Anna Engers ist Volljuristin. Als Kommunikationsberaterin arbeitete sie einige Jahrein einer PR-Agentur und einer internationalen Großkanzlei. Ende 2011 machte Engers sich als Diversity Coach selbständig und unterstützt seitdem viele (Groß-) Kanzleien und Unternehmen mit Keynotes, Workshops und Training zum Thema Vielfalt. 

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Thema:

Diversität

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