Auf Alltagstauglichkeit getestet
"Mitversichert sind die minderjährigen und die unverheirateten, nicht in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden, volljährigen Kinder, letztere jedoch längstens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erstmalig eine auf Dauer angelegte berufliche Tätigkeit ausüben und hierfür ein leistungsbezogenes Entgelt erhalten. Dies gilt auch für Stief-, Adoptiv-, oder Pflegekinder."
Was für den Juristen selbstverständlich klingt, ist für den Normalbürger in der Regel erst einmal ein Satz mit sieben Siegeln. Solange Juristen miteinander kommunizieren, ist das alles kein Problem. Schwierig wird es dann, wenn juristische Formulierungen den Bürger betreffen – dieser aber keine Ahnung hat, um was es eigentlich geht.
Verständlichkeit kein "nettes Extra"
Die Fachsprache der Justiz ist oft sehr vielschichtig, kompliziert, umständlich und formalistisch. Sie ist für rechtsunkundige Bürger oft schwer oder teils gar nicht verständlich. Das sagt nicht ein rechtsunkundiger Bürger, sondern die Niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz – und fügt hinzu: "Eine verständliche Sprache ist kein nettes 'Extra'. Sie ist die Voraussetzung für den Zugang zum Recht". Sie lud daher verschiedene Experten zu einer Diskussionsrunde "Verständliche Sprache in der Justiz" ein. Ihr Ziel: "Wir brauchen eine verständliche, alltagstaugliche Sprache, damit die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern gelingt".In Niedersachsen tut sich einiges, seitdem die Justizministerin vor drei Jahren das Projekt "Verständliche Sprache" ins Leben gerufen hat. So wird derzeit zum Beispiel für die über 15.000 Arbeitsplätze in der Niedersächsischen Justiz eine IT-gestützte Lösung erarbeitet, die dabei helfen soll, Texte verständlicher zu formulieren. Dr. Anikar Haseloff ist Geschäftsführer der H&H Communication Lab GmbH, die die Software dafür entwickelt. "Unser Programm Textlab erkennt komplexe Wörter und Begriffe und macht Vorschläge, wie man es besser machen kann", erklärt Haseloff. Überflüssiges wird gestrichen, Kompliziertes durch Einfaches ersetzt oder erläutert. Die Vorschläge können die Juristen des Justizministeriums selbst auf Rechtssicherheit prüfen
Kulturwandel für Juristen
"Manche Begriffe sind alternativlos, weil sie rechtlich bedeutsam sind", weiß der H&H-Geschäftsführer. "Aber viele andere können durchaus ersetzt werden." Seine Beobachtung: Die juristische Sprache sei – auch im Vergleich zur Sprache in Unternehmen – sehr speziell. "Juristen lernen in ihrer Ausbildung die neue Sprache schnell, tun sich aber oft schwer damit, wieder umzudenken. Das ist so etwas wie ein Kulturwandel für sie."Der eingangs erwähnte Satz klingt nach der Prüfung durch Textlab so: "Mitversichert sind minderjährige Kinder, Stief-, Adoptiv- oder Pflegekinder, unverheiratete* volljährige Kinder, Stief-, Adoptiv- oder Pflegekinder. Die Kinder dürfen nicht in einer eigenen eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Die Mitversicherung von volljährigen Kindern endet, wenn diese zum ersten Mal eine dauerhafte berufliche Tätigkeit ausüben und ein Einkommen erhalten". Besser zu verstehen, oder?
2/2: Kommunikationsfähigkeit als Schlüsselqualifikation
Eigentlich sollten Juristen durch ihr Studium wissen, wie sie sich auch für den nicht rechtskundigen Normalbürger verständlich ausdrücken. Die Kommunikationsfähigkeit ist eine Schlüsselqualifikation im Sinne des § 5a Absatz 3 Satz 1 des Deutschen Richtergesetzes, wie Rainer Petzold, Präsident des Landesjustizprüfungsamts Niedersachsen, erklärt.Bei der Bewertung der Prüfungsleistungen im Zweiten Staatsexamen kann daher auch berücksichtigt werden, ob und inwieweit Prüflinge über die erforderliche Kommunikationsfähigkeit verfügen. "Studierende sollten deshalb entsprechende universitäre Angebote nutzen. Daneben gibt es einschlägige Fachliteratur, die hilfreich sein kann", rät Petzold. "Ich weiß, dass die Herausbildung und die Verwendung eines verständlichen Sprachstils Übung und Disziplin erfordert. Dieser Herausforderung muss sich jeder Jurist während des gesamten Berufslebens stellen."
Von der verständlichen zur leichten Sprache
Verständliche Sprache, die auch rechtsunkundige Bürger verstehen, ist das eine. Noch einen Schritt weiter geht die "Leichte Sprache". Diese zielt auf eine besonders gute Verständlichkeit ab und richtet sich an Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen über eine geringe Kompetenz in der deutschen Sprache verfügen. Auch diese Personen haben immer wieder Kontakt zu rechtlichen Texten. Damit sie diese auch verstehen, befasst sich ein Team aus Sprachwissenschaftlern und Studierenden der Universität Hildesheim mit dem Thema "Leichte Sprache in der Justiz". Projektleiterin ist Professor Christiane Maaß, Gründerin der Forschungsstelle Leichte Sprache.Um juristische Texte in Leichte Sprache zu übersetzen, brauche man Experten, da die Anpassungen weit über die verständliche Sprache hinausgehen, sagt die Professorin. Juristen, die sich für das Thema Leichte Sprache interessieren, empfiehlt sie Weiterbildungen oder Arbeitsbücher. Außerdem bietet ihr Institut Schulungen für Behörden und Ministerien an, um die Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren. Eine Softwarelösung wie für die verständliche Sprache ist für die Leichte Sprache nicht möglich. "Ein Text in Leichter Sprache kann einen juristischen Text auch nicht ersetzen", betont Christiane Maaß. "Er ist nicht vor Gericht verwendbar."
Leichtigkeit und juristische Genauigkeit
"Es geht darum, Kompromisse zu finden, denn bei Texten in Leichter Sprache wird es immer Unschärfen geben", ergänzt Stefan Hesse, Direktor des Amtsgerichts Hildesheim. Die Richter und Rechtspfleger des Amtsgerichts sind Teil des niedersächsischen Pilotprojekts Leichte Sprache.Bislang wurde eine Informationsschrift zur Vorsorgevollmacht und eine Broschüre zum Thema Erben und Vererben in Leichte Sprache übersetzt. "Durch das Projekt haben wir alle schon viel dazugelernt – auch wenn anfangs einige skeptisch waren." Man müsse halt in jedem Fall neu entscheiden, bei welchen Texten Leichte Sprache sinnvoll ist, so Hesse. Schließlich soll niemand eine falsche Entscheidung treffen, nur weil der Sachverhalt zu vereinfacht dargestellt wurde.
Sein Fazit nach der Beschäftigung mit verständlicher Sprache: "Wir laufen Gefahr, dass sich in unsere Texte zu viel Fachsprache einschleicht. Diese ist gut und sinnvoll, um sich in Fachkreisen schnell und punktgenau zu verständigen. Aber im direkten Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern müssen wir einfachere sprachliche Wege finden, um bei aller juristisch notwendigen Genauigkeit verstanden zu werden". *hier war zunächst die Rede von verheirateten Kindern, korr. am 07.04.2017, 12.25 Uhr.
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2017 M04 5
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