Anruf beim Vorarbeitgeber

Das Bewer­ber­di­lemma

von Dr. Oliver VollstädtLesedauer: 5 Minuten

Gute Arbeitszeugnisse gibt es viele, Personaler rufen daher gern den Vorarbeitgeber an. Das ist rechtlich fragwürdig, denn Bewerberdaten sind gut geschützt. Für eine Einstellung ist dies nicht immer förderlich, erklärt Oliver Vollstädt.

Die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen ist begrenzt. Vor diesem Hintergrund ist das Bedürfnis nach weiteren Informationen über Bewerber groß. Der Umfang der Informationsquellen und -methoden nimmt stetig zu. Das reicht vom Googeln von Bewerberdaten bis hin zu umfangreichen "Background-Checks", umfasst aber nach wie vor auch den "klassischen" Anruf beim Vorarbeitgeber.

Wurde der Anruf beim Vorarbeitgeber früher weitgehend für zulässig gehalten, sind im Zeitalter von Digitalisierung und Datenschutz Zweifel aufgekommen. Spätestens seit der Gesetzgeber im Jahre 2009 jede Form der Datenerhebung über Mitarbeiter und Bewerber dem Datenschutzrecht unterstellte, hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Die juristische Diskussion ist nicht mehr auf die Abwägung der wechselseitigen Interessen von zukünftigem Arbeitgeber und Bewerber begrenzt.

Seither sind vielmehr datenschutzrechtliche Begriffe wie "Einwilligung", "Erforderlichkeit" und "Vorrang der Direkterhebung von Daten" zu berücksichtigen. Das Ergebnis ist eine deutliche Verschiebung der Grenzen des rechtlich Zulässigen.

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Schwindender Wert von Arbeitszeugnissen

Das Arbeitszeugnis hat als Entscheidungskriterium für die Einstellung von Bewerbern weitgehend ausgedient.

Die Anzahl der guten und sehr guten Zeugnisse entspricht in keiner Weise der Gauß'schen Verteilungsformel. Im Gegenteil: Gute und sehr gute Zeugnisse sollen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes (LAG) Berlin-Brandenburg zwischenzeitlich über 80 Prozent der erteilten Arbeitszeugnisse ausmachen, weswegen grundsätzlich ein Anspruch auf ein gutes Zeugnis bestehe (Urt. v. 21.3.2013, Az. 18 Sa 2133/12). Auch wenn das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Schlussfolgerung nicht nachvollzogen hat (Urt. v. 18.11.2014, Az. 9 AZR 584/13), steht doch fest: Die Durchsicht der Arbeitszeugnisse kann nur noch als Negativausschluss für ungeeignete Bewerber dienen.

Die Hintergründe dieser Entwicklung sind vielfältig: Arbeitgeber scheuen die Kosten und Mühen eines Zeugnisrechtsstreits, die Anzahl sogenannter Gefälligkeitszeugnisse steigt. In Fällen einer streitigen Trennung sorgen die beteiligten Rechtsanwälte dafür, dass Kündigungsvorwürfe (begründet oder unbegründet) im Zeugnis keinerlei Erwähnung finden. Denn ist eine Einigung über die wirtschaftlichen Eckpunkte einer Trennung erreicht, scheitert diese kaum an dem Verlangen einer positiven Zeugnisformulierung.

Die Auskunft des Vorarbeitgebers als gängiges Mittel

Vor diesem Hintergrund suchen Personaler nach einer Ergänzung der Entscheidungsgrundlage im Bewerbungsprozess. Nach älteren Urteilen des BAG war denn der Vorarbeitgeber auch ohne Zustimmung und sogar gegen den Willen des Arbeitnehmers berechtigt, Auskünfte über die Person, die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers zu erteilen.

Im Grundsatz mussten die Auskünfte lediglich zutreffend im Sinne einer richtigen Zeugniserteilung sein. Sie durften nur an solche Personen erteilt werden, die ein berechtigtes Interesse hatten, das für potentielle neue Arbeitgeber indes anerkannt wurde (Urt. v. 18.12.1984, Az. 3 AZR 389/83).

Nach dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg durfte sich die Auskunft des Vorarbeitgebers sogar auf Umstände beziehen, die üblicherweise nicht in ein Zeugnis aufgenommen werden. Zulässig waren insbesondere ungünstige Bemerkungen über Leistung und Führung des Arbeitnehmers sowie über den Grund des Ausscheidens (Urt. v. 16.6.1984, Az. 2 Sa 144/83).

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2/2: Datenschutz und Bewerbungsprozess

Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind durch die Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) auf jede Form der Datenerhebung im Arbeitsverhältnis ins Wanken geraten.

Seit dem 1. September 2009 findet das BDSG nicht nur auf automatisierte Datenverarbeitung im Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Regelung des § 32 Abs. 2 BDSG sieht vielmehr dessen Anwendung für jeden Fall der Datenerhebung im (auch beginnenden) Arbeitsverhältnis vor. Jede Datenerhebung im Bewerbungsprozess ist somit darauf zu hinterfragen, ob sie zur Begründung des Beschäftigungsverhältnisses "erforderlich" ist (vgl. § 32 Abs. 1 BDSG). Dies begrenzt die zulässigen Fragen auf arbeitsplatz- und eignungsbezogene Gesichtspunkte – auch und gerade bei Nachfragen beim Vorarbeitgeber.

Damit jedoch nicht genug: Zu den Grundsätzen des Datenschutzrechtes gehört auch der Vorrang der Direkterhebung der Daten (§ 4 Abs. 2 BDSG). Nach diesem Grundsatz sind personenbezogene Daten grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung ist eine Datenerhebung nach § 4 Abs. 2 BDSG nur sehr eingeschränkt zulässig. Der Vorrang der Direkterhebung steht den Bemühungen des Arbeitgebers um zusätzliche Erkenntnisquellen natürlich im Wege. Dies gilt für Recherchen im Internet in gleicher Weise wie für den Anruf beim Vorarbeitgeber. In beiden Fällen erfolgt die Datenerhebung gerade nicht "direkt" bei der betroffenen Person, also beim Bewerber.

Der Weg zu zusätzlichen Informationen über den Bewerber scheint damit nur über dessen Einwilligung zu führen. In diese Richtung geht auch ein Urteil des Arbeitsgerichtes (ArbG) Stuttgart, das die Auskunft des Vorarbeitgebers gegen den Willen des Bewerbers für unzulässig gehalten hat. Für zusätzliche Auskünfte über Verhalten und Leistung des Bewerbers jenseits eines erteilten Zeugnisses sei kein Bedürfnis erkennbar, zumal es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehle (Urt. v. 1.2.2001, Az. 28 Ca 8988/00).

Keine überzeugenden rechtlichen Lösungen

In der arbeitsrechtlichen Literatur besteht ersichtlich Unbehagen über dieses Ergebnis. Vor diesem Hintergrund wird nach argumentativen Notlösungen gesucht.

So wird vereinzelt vertreten, dass in der Vorlage von Zeugnissen und den Angaben im Lebenslauf bereits eine Einwilligung des Bewerbers zur Einholung ergänzender Informationen beim Vorarbeitgeber gesehen werden könne. Dies ist jedoch nicht zuletzt mit Blick auf die formellen Anforderungen an eine Einwilligung in § 4a BDSG eine gewagte These.

Gleiches gilt für den Ansatz, der Geschäftszweck des potentiellen neuen Arbeitsgebers erfordere eine Einholung von Informationen bei dem Vorarbeitgeber, sodass eine Ausnahme vom Direkterhebungsgebot vorliege (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2a BDSG). Wer sein Auskunftsbegehren oder seine Auskunft auf diese Grundlage stellen will, bewegt sich also in einer rechtlichen Grauzone.

Weitreichender Datenschutz könnte zum Nachteil werden

Die Spielregeln im Bewerbungsprozess haben sich gewandelt. Dem Arbeitgeber stehen vermeintlich viel mehr Informationsquellen über potentielle Bewerber zur Verfügung als in der Vergangenheit. Das Datenschutzrecht hat jedoch die Zulässigkeit der Nutzung jeglicher Informationsquellen stark begrenzt. Nicht zuletzt die telefonische Auskunft des Vorarbeitgebers ist allenfalls noch in engen Grenzen zulässig. Inwieweit indes eine verweigerte Auskunft des Vorarbeitgebers über den Bewerber dem Bewerbungsprozess dienlich ist, mag mit Recht bezweifelt werden.

In der Praxis werden diese Begrenzungen nicht durchgehend berücksichtigt. Es ist auch zweifelhaft, ob mittelfristig eine deutliche Verhaltensänderung erfolgen wird. Zwar kann der Bewerber Auskunft vom potentiellen neuen Arbeitgeber über die eingeholten Auskünfte verlangen und Schadensersatz gegenüber dem Vorarbeitgeber geltend machen. Er wird den Nachweis eines telefonischen Kontaktes zwischen Vorarbeitgeber und potentiellem neuem Arbeitgeber jedoch nur schwer führen können. Bislang sind auch keine erfolgreichen Schadensersatzprozesse wegen Auskünften von Vorarbeitgebern bekannt geworden. 

Es wird sich zeigen, inwieweit Arbeitgeber dazu übergehen, die Einwilligung zum Anruf beim Vorarbeitgeber im Bewerbungsprozess vorsorglich einzuholen. Der Bewerber wird diese Einwilligung kaum verweigern können, wenn er den Bewerbungsprozess weiter erfolgreich betreiben will. Inwieweit eine solche Einwilligung freiwillig ist und damit den Anforderungen des § 4a BDSG entspricht, ist eine weitere spannende Frage, die sich ab 2018 unter Geltung der Datenschutzgrundverordnung in verschärfter Form stellen wird.

Der Autor Dr. Oliver Vollstädt ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei Kliemt & Vollstädt, eine der führenden auf Arbeitsrecht spezialisierten Kanzleien in Deutschland. Er ist im Düsseldorfer Büro der Kanzlei tätig. Neben der Betreuung von Restrukturierungen liegt sein Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich des Datenschutzrechts und der neuen Medien am Arbeitsplatz.

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