Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück
Die Grundlage der Studienergebnisse bildet ein Fragebogen, den Streng den Besuchern seiner Vorlesung, zumeist Erst- oder Zweitsemestern, im Zeitraum zwischen 1989 und 2012 zur anonymen Beantwortung vorlegte. Erfasst wurden darin unter anderem die subjektive Einschätzung zur Kriminalitätslage, die Haltung zu den unterschiedlichen Strafzwecken und die Vorstellung zum angemessenen Strafmaß von insgesamt 3.133 Studenten. Vor allem letztere hat sich über die Jahre drastisch verändert. Für den hypothetischen Fall eines Totschlags im Affekt im Rahmen einer Trennung wollten die Studenten 1989 durchschnittlich rund sechs Jahre Haft verhängen; 2012 war die Zahl auf 9,5 Jahre angestiegen, wobei mit den Jahren auch immer häufiger starke Ausschläge nach weit oben hinzukamen, bis hin zur Forderung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Überhaupt hat sich die Haltung der Studenten zu dieser Strafform stark gewandelt. In einer vorgelagerten Untersuchung aus 1977 – dem Jahr, in dem das Bundesverfassungsgericht die lebenslängliche Haftstrafe für unter Einschränkungen verfassungsgemäß erklärte – forderte noch jeder Dritte, dass sie vollends abgeschafft werden sollte, nur 6,7 Prozent hielten sie für eine im Einzelfall zu milde Strafe. 2012 hingegen sprach sich nur noch jeder fünfzigste Student für eine Abschaffung aus, demgegenüber sah fast jeder Dritte die lebenslange Freiheitsstrafe als zu milde an.
Todesstrafe: Zahl der Befürworter fast verdreifacht
Dass mit dieser Wertung nicht nur eine Kritik an der Handhabung durch die Gerichte und Justizvollzugsanstalten verbunden ist, welche die Täter in der Praxis selten tatsächlich ein Leben lang hinter Gittern lassen, sondern durchaus auch der grundsätzliche Wunsch nach einer Rückkehr zu archaischeren Strafformen, zeigen die Antworten auf eine weitere Frage. Im Jahr 1977 befürworteten lediglich 11,5 Prozent der Befragten eine Wiedereinführung der Todesstrafe; 2012 waren es mit 31,9 Prozent fast drei Mal so viele. Als deren würdige Delikte nannten sie den Sexual- und den grausamen Mord mit Abstand am häufigsten, wobei der Fragebogen Optionen wie Kriegsverbrechen oder auch Straftaten an Kindern nicht vorsah. Todesstrafe, Strafzweck, Kriminalität: ausgewählte Grafiken & Tabellen aus der Studie Zur Rettung eines Menschenlebens sahen in einer zwischen 2003 und 2010 durchgeführten Zusatzuntersuchung 22,1 Prozent der Befragten die Folter als zulässiges Mittel an; weitere 29,2 Prozent bejahten dies nur für die Abwehr schwerster Gefahren für die Allgemeinheit wie etwa dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen, 42 Prozent lehnten die Folter auch dann – und insoweit in Übereinstimmung mit Art. 104 Abs. I S. 2 Grundgesetz, Art 3 Europäische Menschenrechtskonvention – ab.Vergeltung und Sicherheit werden wichtiger, Resozialisierung unwichtiger
Die Antworten korrelieren mit den Präferenzen, welche die Studenten im Hinblick auf den Strafzweck äußerten. Wer den Aspekt "Sicherung der Allgemeinheit" hoch, den Aspekt "Resozialisierung" hingegen niedrig bewertete, verhängte im Schnitt auch längere Strafen. Für die Frage nach der Todesstrafe zeigte sich zudem eine Korrelation zur Strafzweckpräferenz "Vergeltung / Sühne", für die Frage nach der lebenslangen Freiheitsstrafe außerdem noch eine solche zur "Abschreckung des Täters", jeweils in die zu erwartende Richtung. Auch losgelöst von der Frage der Korrelation haben sich die Strafzweckpräferenzen merklich verschoben. Während der Resozialisierungsgedanke auf einer Skala von 0 (unwichtig) bis 3 (sehr wichtig) 1989 noch auf eine 2,63 kam, landete er 2012 bei etwa 2,2 Punkten; die Sicherung der Allgemeinheit kämpfte sich im gleichen Zeitraum von 2,16 auf 2,57 empor, und die Vergeltung / Sühne stieg von 1,03 auf 1,58 – womit sie allerdings immer noch mit großem Abstand den letzten Platz belegt.2/2: Kriminalität und ihre Wahrnehmung gesunken, Strafbedürfnis gestiegen
Interessanterweise steht dieser stark gestiegenen "Punitivität" – so der Fachbegriff für eine strafbejahende Haltung – kein nennenswerter Anstieg der subjektiven Kriminalitätswahrnehmung gegenüber. Im Gegenteil: Die durchschnittliche Besorgnis über die Kriminalitätslage im Land sank zwischen 1998 und 2012, auch das Gefühl einer subjektiven Bedrohung durch Gewaltdelikte nahm über die Jahre ab. Der Eindruck, durch drohende Straftaten in seiner persönlichen Entfaltungsfreiheit gelegentlich eingeschränkt zu sein, nahm leicht zu, der Eindruck häufiger Einschränkungen hingegen ab. In allen drei Bereichen zeigten die Studentinnen jeweils deutlich höhere Furchtwerte als ihre männlichen Kommilitonen. Die im Schnitt gesunkene Kriminalitätsfurcht ist übrigens noch aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Sie steht im Widerspruch zur Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes, die zumindest für das Auftreten von Gewaltdelikten zwischen 1989 und 2012 einen Anstieg um etwa 50 Prozent ausweist. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass Körperverletzungsdelikte tatsächlich gar nicht häufiger geworden sind, sondern lediglich häufiger zur Anzeige gebracht werden.Crime sells
Zur Erklärung der gestiegenen Punitivität trägt dies so oder so wenig bei. Der Autor der Studie, dessen Unbehagen über die eigenen Untersuchungsergebnisse förmlich zwischen den Zeilen hervordringt, zieht insoweit ein ernüchtertes Fazit. Obwohl die Kriminalität im Land insgesamt und auch das subjektive Bedrohungsgefühl gesunken seien, sei der Strafanspruch ausgerechnet bei jungen Juristen, die später einmal als Staatsanwälte, Strafrichter usw. arbeiten könnten, deutlich gestiegen. Als Begründung für dieses gewissermaßen frei schwebende, von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht entkoppelte Strafbedürfnis macht die Studie eine Reihe von möglichen Ursachen aus: So sei es etwa denkbar, dass in Folge des seit 1945 währenden Friedens und hohen Entwicklungsstandes die Bereitschaft, sich mit Schicksalsschlägen (in Form von Verbrechen) abzufinden, gesunken sei. Auch an eine Verunsicherung in Folge der insgesamt rasanten gesellschaftlichen Entwicklung und an die inzwischen zunehmend stärkere Betonung der Opferperspektive sei zu denken. Zentral dürfte aber vor allem die politisch-publizistische Instrumentalisierung von Verbrechen sein, die sich in einem Satz aus den Schlussbetrachtungen zusammenfassen lässt: "Kriminalität verkauft sich gut – für quotengesteuerte Medien und für durch Wählerstimmen motivierte Politiker." Die Untersuchung "Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel" von Prof. Dr. Franz Streng ist im Kriminalistik Verlag erschienen (ISBN-10: 378320027X, ISBN-13: 978-3783200270).Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2014 M10 14
Strafverfahren
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