Frauen und Migranten im Nachteil, Freischüssler vorn
Wo das Bedürfnis nach verlässlichen Prognosen größer ist als die Fähigkeit, sie zu erstellen, werden Vermutungen und Einzelfallerfahrungen gern in den Rang gesicherter Erkenntnis erhoben. Musterbeispiel dafür sind die juristischen Staatsexamina: Hochgradig bedeutsam für den Einzelnen und zugleich mit zahlreichen Unwägbarkeiten behaftet bieten sie den idealen Nährboden für akademische Sagen- und Legendenbildung. Eine kürzlich in der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft erschienene Studie liefert nun erstmalig ein wissenschaftliches Fundament für die Diskussion um Geschlechterdiskriminierung, Standortvorteile und die ideale Examensvorbereitung. Ausgewertet haben die Verfasser sämtliche am Oberlandesgericht Hamm von September 2007 bis Dezember 2010 abgelegten Ersten Staatsexamina, außerdem 71.405 an der Uni Münster geschriebene Probeklausuren und schließlich einen dritten – weniger interessanten – Datensatz mit 2.119 weiteren Übungsklausuren.
Frauen im Abitur stärker, im Examen schwächer
Das politisch wohl brisanteste Ergebnis der Untersuchung: Frauen und Kandidaten mit Migrationshintergrund* schneiden spürbar schlechter ab als männliche Kandidaten mit deutschen Wurzeln. Das ist besonders erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Frauen zunächst mit den besseren Voraussetzungen ins Studium gehen: In der untersuchten Stichprobe lag ihre Durchschnittsnote im Abitur bei 2,05, die der Männer bei 2,22. Im Examen hingegen brachten es die Männer durchschnittlich auf 0,3 Punkte mehr als die Frauen. Wenn man gezielt Männer und Frauen vergleicht, bei denen die Faktoren Abiturnote, Alter, Studienort, Prüfungszeitpunkt und Abschichten (zeitlich getrenntes Schreiben der Klausuren in den einzelnen Fachgebieten) identisch sind, wächst der Unterschied sogar auf stolze 0,7 Punkte. Das lässt sich auch nicht mit dem Einwand beiseite wischen, das Abitur sei ohnehin nicht aussagekräftig. Denn das ist es durchaus: "Die Abiturnote korreliert erwiesenermaßen mit dem IQ der Schüler, und sie korreliert ebenfalls stark mit dem Examensergebnis – bei Männern und bei Frauen, bei letzteren nur eben auf niedrigerem Niveau", sagt Dr. Emanuel Towfigh, der die Studie zusammen mit den Professoren Traxler und Glöckner durchgeführt hat. Der Leistungsunterschied wird nicht erst im Examen offenbar, sondern schon in der Vorbereitung. Zwar profitieren laut der Studie beide Geschlechter von regelmäßigen Übungsklausuren, die durchschnittliche Verbesserung von Klausur zu Klausur fällt bei den Männern aber höher aus als bei den Frauen.Wettbewerbsbetontes Umfeld vorteilhaft für Männer?
Sind Männer also einfach die besseren Juristen? "Diese Deutung ist auf Grundlage der Untersuchung zwar möglich, ich würde sie aber nicht vornehmen", meint Towfigh. "Jedenfalls ist dieser Effekt nicht spezifisch für die deutsche Juristenausbildung. Eine in Amerika durchgeführte Untersuchung unter Jura- und BWL-Studenten lieferte genau denselben Befund: Frauen sind zu Beginn des Studiums stärker, schneiden am Ende aber schlechter ab." Eine zumindest aus dem Bauch heraus plausible Deutung dieser Ergebnisse ist das unterschiedliche Auftreten in der mündlichen Prüfung: Männer geben sich hier gern selbstbewusster und forscher, was positive Auswirkungen auf ihre Bewertung haben könnte. Allerdings geht das schlechtere Abschneiden der Frauen zu etwa zwei Dritteln gar nicht auf die mündliche Prüfung, sondern auf die Klausuren zurück. Diese werden anonym geschrieben, sodass ein Rückschluss auf das Geschlecht des Verfassers allenfalls anhand der Handschrift möglich wäre – und da gilt die weibliche eigentlich als positives Distinktionsmerkmal. Eine weitere Erklärung stellt auf die unterschiedliche Wettbewerbsaffinität ab. "Männer fühlen sich – so weit die relativ gesicherte Erkenntnis – in wettbewerbsbetonten Tätigkeitsfeldern wohler", sagt Towfigh. Der ausgeprägte Konkurrenzkampf im Examen könnte ihnen also in die Karten spielen: Während Frauen das Klima eher als Belastung und Störfaktor empfinden, könnte es Männer zu größeren Lernleistungen anspornen.Schlechtere Noten von Migranten: Diskriminierung oder sprachliche Defizite?
Für das um etwa 0,5 bis 0,7 Punkte schlechtere Abschneiden der Kandidaten mit Migrationshintergrund lässt sich diese Erklärung aber kaum bemühen. Hier mögen einerseits sprachliche Defizite eine Rolle spielen. Andererseits ist auch eine (unbewusste) Diskriminierung durch die Prüfer nicht auszuschließen, die sich dann aber vor allem gegen Kandidaten mit arabischen Wurzeln richten würde. Denn diese sind als einzige Migrantengruppe in den Klausuren mit ihren deutschen Kommilitonen beinahe gleichauf, in der mündlichen Prüfung hingegen signifikant – nämlich um 1,25 Punkte – schlechter. Kandidaten mit Wurzeln in der ehemaligen UdSSR schneiden zwar ebenfalls schlechter ab als Deutsche – dies aber bereits in den Klausuren, in denen ihre Herkunft wegen der Anonymität kaum offenbar werden kann. * Die Verfasser der Studie schließen mittels zweier wissenschaftlicher Analyseverfahren von den Namen der Verfasser auf ihren Migrationshintergrund. Dieser Rückschluss muss nicht in jedem Einzelfall zutreffend sein.2/2: Den Notensprung verfehlt man deutlich, oder gar nicht
Der Vorwurf einer möglichen Diskriminierung von Frauen oder Ausländern wirft sicher kein vorteilhaftes Licht auf die Prüfer. An anderer Stelle verhalten sich diese jedoch durchaus großzügig. So besteht die deutliche Tendenz, Wackelkandidaten auf die nächsthöhere Bewertungsstufe zu heben: Die Verteilungskurve schlägt jeweils bei den Punktzahlen 4,0, 6,5, 9,0 und 11,5 nach oben aus, wohingegen die 0,5 Punktstufen davor sehr viel dünner besetzt sind. Das kann man freilich auch als unfair empfinden, denn der Unterschied zwischen einem Kandidaten, dessen Leistung tatsächlich einer 9,2 entspricht und einem, der von einer 8,7 durch "gütige" Prüfer auf eine 9,2 gehoben wird, verwischt dadurch. Während eine Performance knapp an der Grenze zum Notensprung also spürbare Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann, spielt der Monat, in dem die Klausur geschrieben wird, kaum eine Rolle. Signifikante Unterschiede in den Punktzahlen gab es hier nicht, einzige Ausnahme: Mai und November. Zu diesen Terminen fielen die Klausurergebnisse höher aus, was sich wohl am ehesten damit erklären lässt, dass in diesen Monaten die Freischuss-Kandidaten ins Examen gehen, denen man einen höheren Einsatz und eine höhere Lerndisziplin unterstellen kann.Examensklausuren: Bremen macht es den Kandidaten leicht, Sachsen schwer
Einen potentiell erheblichen Einfluss auf das Ergebnis hat auch das Bundesland, aus dem die Klausuren stammen. Diese werden häufig von einem Justizprüfungsamt ersonnen und über verschiedene "Tauschringe" an diverse andere Länder verteilt, wo die Klausuren dann zeitgleich geschrieben werden, um den Aufwand für alle zu senken. Dabei zeigten sich zwischen den Klausuren aus Berlin, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland kaum Unterschiede; Klausuren aus Sachsen fielen im Schnitt um 0,28 Punkte schlechter aus, die aus Thüringen hingegen um 0,51 und die aus Bremen sogar um 0,67 Punkte besser. Aus welchem Land die eigenen Aufgaben stammen werden, entzieht sich jedoch der Kontrolle der Prüflinge. Wer auf ein gutes Ergebnis aus ist, der sollte eher an anderen Stellschrauben drehen. Das fängt schon bei der Wahl der Uni an: Die untersuchten Examensklausuren stammten von Studenten der Universitäten Münster, Bochum und Bielefeld, wobei die Bielefelder geringfügig besser abschnitten als die Bochumer, die Münsteraner deutlich besser als beide. Zudem schnitten Kandidaten, die von der Möglichkeit des Abschichtens Gebrauch machten, im Schnitt um 0,46 Punkte besser ab als jene, die darauf verzichteten. Hier gilt jedoch, ebenso wie bei den übrigen Ergebnissen der Studie, dass Korrelation nicht automatisch Kausalität bedeutet: Ob das Abschichten ein Vorteil in sich ist oder ob ambitioniertere und bessere Studenten nur häufiger dazu neigen, ihre Klausuren abzuschichten, lässt sich den Zahlen nicht entnehmen.Übung macht den Meister: 33 Klausuren bringen einen Punkt
Äußerst plausibel wirkt indes ein Kausalzusammenhang zwischen der Anzahl geschriebener Übungsklausuren und der darin durchschnittlich erzielten Punktzahl. Der Fortschritt stellt sich jedoch nur schleppend ein: Jede geschriebene Klausur bedeutet eine Steigerung um ca. 0,5 Prozent gegenüber der vorherigen. Wer mit sechs Punkten anfängt, muss also etwa 33 Übungsklausuren schreiben, um auf durchschnittlich sieben Punkte zu kommen. Dabei verläuft die Lernkurve bis ungefähr zur 25. Übungsklausur für alle Studenten ähnlich. Danach hingegen verzeichnet das schwächste Drittel nur noch minimale Steigerungen, während es für das mittlere und obere Drittel weiter bergauf geht. Allen gemein ist außerdem ein deutliches, vorübergehendes Einbrechen der Noten in den Übungsklausuren nach acht Wochen. Die Forscher erklären sich dies mit einem Motivationstief, zumal der Effekt sich in Woche 15 und 25 wiederholt. Bei allem Fleiß sollte man also auch mal eine Pause machen – und es mit dem Lernen nicht übertreiben.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2014 M04 16
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