Studentische Delegationen

Diplomat für ein paar Wochen

Anna K. BernzenLesedauer: 5 Minuten
Ein Job bei einer internationalen Organisation ist für viele Jura-Absolventen ein Traum. Das zeigen Arbeitgeber-Rankings, das beweist der harte Kampf um die Praktikumsplätze. Schon während des Studiums an Sitzungen der UN teilnehmen und an deren Projekten mitarbeiten - das können Teilnehmer an Delegationen der European Law Students' Association. Anna Bernzen sprach mit Ehemaligen.

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Das verspiegelte Hochhaus, in dem sich das Hauptquartier der United Nations (UN) in New York City befindet, am 1. März 2010: Draußen flattern die bunten Fahnen der Mitgliedsstaaten im Wind, der vom nahe gelegenen East River aus frostig in Richtung Manhattan bläst. In dem Gebäudekomplex nehmen weniger bunt gekleidete Vertreter dieser Staaten neben den Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen (Non Governmental Organizations, NGOs) im Plenarsaal Platz. Hier wird heute die 54. Sitzung des Komitees zum Status von Frauen in der Welt des Economic and Social Council (ECOSOC) eröffnet. An einer Wand des holzgetäfelten Saals sitzt Tatjana Serbina. Aufmerksam hört sie Meryl Streep zu, als die Schauspielerin am International Women's Day ans Rednerpult tritt. Tatjana hat sich im Morning-Briefing in den Räumen der deutschen Ständigen Vertretung auf die Sitzungen vorbereiten lassen, nimmt nachmittags an einem Treffen der "Lawyers without Borders" teil und brieft abends, nachdem sie Kostüm und Pumps abgestreift hat, noch die übrigen Teilnehmer ihrer Delegation zum Thema "Frauen und Medien".

Beraterstatus bei den Vereinten Nationen, schon als Studentin

Doch Tatjana ist keine Parlamentarierin, nicht im Auswärtigen Amt angestellt und hat auch nicht jahrelange Erfahrung im Vorstand einer NGO vorzuweisen. Sie ist zum Zeitpunkt der Sitzung in New York 21 Jahre alt und studiert im dritten Semester in Heidelberg Jura. Dass sie so kurz nach Studienbeginn bereits aktiv an einem Treffen der weltweit größten internationalen Organisation teilnehmen konnte, liegt an einer Vereinbarung der European Law Students' Association (ELSA) mit ECOSOC. 1995 wurde diese vom Rat und der europäischen Vereinigung für Jurastudenten und jungen Juristen, der Tatjana angehört, unterzeichnet. Danach hat ELSA einen speziellen Beraterstatus und darf Delegationen zu den Sitzungen aller Komitees entsenden. Das Abkommen ist Teil einer langen Reihe von Vereinbarungen zwischen der Juristenorganisation und diversen internationalen Einrichtungen: 1994 unterzeichneten Vertreter von ELSA die erste ihrer Art mit der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Es folgten Abkommen mit weiteren UN-Organisationen, Institutionen der Europä-ischen Union, dem Europarat, dem Roten Kreuz und anderen Einrichtungen auf internationaler und europäischer Ebene. Inhalt der Vereinbarungen: Studentische Delegationen von ELSA sind auf den Sitzungen der Institutionen dabei, arbeiten aktiv an deren Projekten mit und tauschen sich mit anderen NGOs zu den bearbeiteten Themen aus.

Dabei sein, wenn Abkommen entstehen und Recht angewandt wird

"Die Teilnehmer an einer Delegation sind integriert in die Arbeit von hochrangigen Institutionen und unmittelbar dabei, wenn neue Abkommen entstehen, Recht angewandt wird oder grundlegende juristische Probleme diskutiert werden", sagt Janine Lanfermann. Sie ist bei ELSA-Deutschland für die Kooperation mit den Institutionen verantwortlich. Dass dieses Angebot viele Studenten anzieht, zeigen die aktuellen Bewerberzahlen: Im letzten Jahr sandten europaweit über hundert Mitglieder Lebenslauf und Motivationsschreiben für 14 Delegationen ein. Tatjana Serbina motivierte ihre eigene Biografie dazu, sich zu bewerben – sie emigrierte mit neun Jahren aus der Ukraine –, aber auch ihr Berufswunsch: "Ich interessiere mich für die Arbeit auf internationaler Ebene. Im Rahmen der Delegation wollte ich sehen, wie wir Juristen unsere Fähigkeiten anwenden können, um die Welt voranzubringen." Die Wahl der Sitzung kam ihr bei der späteren Teilnahme an den katalanischen Model United Nations während ihres Auslandssemesters in Spanien zugute: Bei diesen Planspielen stellte sie eine malawische Delegierte dar, die sich mit Frauenrechten befasste. "Auch die beste Völkerrecht-Vorlesung kann den Lerneffekt einer Delegation nicht erzielen."

Anschaulicher als eine Völkerrechts-Vorlesung, und mindestens so lehrreich

Wenn Claas Seestädt von seinen Erfahrungen als Delegationsteilnehmer berichtet, gerät er dabei ebenso ins Schwärmen wie Tatjana Serbina. Im Juli 2009 besuchte er zum ersten Mal eine Konferenz der World Intellectual Property Organization (WIPO) in Genf, drei weitere Sitzungen verschiedener Komitees ließ er seitdem bereits folgen. Das Recht des geistigen Eigentums ist der Studienschwerpunkt des gebürtigen Lübeckers an der Universität Genf. "Die Initialzündung für diese Schwerpunktwahl war dabei meine Teilnahme an einer Konferenz der WIPO, auf der es um Public Policy Themen wie Medizin und Ernährung ging", sagt Claas. Heute ist er akademischer Koordinator für ELSA-Delegationen, die sich auf eine Teilnahme an einer WIPO-Sitzung vorbereiten. Jede internationale Organisation, zu der die Studentenvereinigung Delegationen entsendet, hat einen solchen Koordinator. Er hilft den Studenten, sich im Vorfeld in die Thematik des Treffens einzuarbeiten. Eine fundierte fachliche Vorbereitung ist nötig, denn: "Die Teilnehmer sollen sich vor Ort mit anderen NGOs austauschen. Wo ELSA Beraterstatus hat, bringen sie ihre Meinung auch aktiv mit ein und sind so zum Beispiel dabei, wenn internationale Abkommen geschlossen werden", sagt Janine.

Zum Abendempfang im 13. Stock des WIPO-Gebäudes geladen

Für Claas bedeutete das konkret: An den Plenumssitzungen der Organisation teilzunehmen, in denen alle Mitgliedsstaaten zusammentreffen, sich mit den NGOs in so genannten Lunch Sessions bei Sandwiches und einer Fachpräsentation auszutauschen, aber auch zu einem festlichen Abendempfang in der 13. Etage des WIPO-Gebäudes mit Blick über Genf eingeladen zu werden. "Es ist unglaublich spannend, mit den Spielern auf dem internationalen Parkett zusammenzusitzen. Man lernt, dass wichtige Kompromisse oft gar nicht im Plenum, sondern beim Abendessen geschlossen werden", berichtet Claas. Wer einmal mit einer Delegation unterwegs war, den lässt dieses Erlebnis offenkundig nicht mehr los. Claas Seestädt und Tatjana Serbina etwa sind "Wiederholungstäter": Im März nimmt Tatjana an ihrer zweiten Delegation der United Nations Commission on International Trade Law, der UNCITRAL in New York teil. Dort wird es um "Arbitration und Conciliation" gehen. Und wahrscheinlich wird sie auch von dort neben Fotos und Amerika-Souvenirs wieder eine Menge spannende Erfahrungen mit nach Deutschland bringen. Denn: "So pathetisch es klingt: Wir Delegierten sind an unserer Aufgabe unglaublich gewachsen."

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