Prüferseufzer Teil IV – Klausuren im Strafrecht

Vom Wissen und Wollen

von Dr. Marc ReißLesedauer: 6 Minuten

Kfz-Kennzeichen erhält man neuerdings beim Bauamt und eine Sache ist eine Sache – von erstaunlichen Erkenntnissen wie diesen aus dem strafrechtlichen Teil des Examens berichtet Marc Reiß. Sein Tipp: Mehr Basis-, weniger Spezialwissen.

Beschäftigten sich die letzten Prüferseufzer noch mit Unnötigem und Ärgerlichem in Hausarbeiten, geht es jetzt wieder um Klausuren, und zwar im Strafrecht. Glaubt man den Äußerungen von Kollegen und Prüflingen, erfreut sich das Fach großer Beliebtheit – leider auch immer wieder als Lernlücke bei der Examensvorbereitung.

Entgegen ihrer Selbsteinschätzung fehlt vielen Kandidatinnen und Kandidaten oft nicht das materiell-rechtliche Wissen, vielmehr scheitern sie an den arbeitstechnischen Grundlagen einer strafrechtlichen Fallbearbeitung. Das soll nachfolgend an einigen Original-Beispielen aus dem letzten Examenstermin erläutert werden.

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Wenn der Autopilot übernimmt

"A und B wussten und wollten die Nummernschilder verfälschen und gebrauchen."

Dass Nummernschildverfälschen und Wissen grammatikalisch nicht zusammenpassen, liegt auf der Hand. Taucht ein solcher Fehler im Gutachten einmal auf, schmunzelt man und hakt ihn als der Aufregung oder Flüchtigkeit geschuldet ab. Notenrelevant ist es dagegen, wenn derartige Formulierungen Symptome einer grundsätzlichen Bearbeitungsmentalität sind, bei der die Klausurbearbeitung im Autopiloten-Modus erfolgt, nämlich ohne das Geschriebene näher reflektiert zu haben. So werden Obersätze schnell zur Banalitätsbekundungen ("Der Tatbestand müsste erfüllt sein.") oder gleich zu Endlosschleifen:

"A, B und C könnten sich gemäß §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 2, 25 Abs. 2* des bandenmäßigen Raubes zu Lasten des O strafbar gemacht haben, indem sie als Bande einen Raub begangen haben."

"Wie auch sonst?", möchte man bemerken. Tipp: Ein sinnvoller Obersatz benennt präzise die strafrechtsrelevante natürliche Handlung und die zu prüfende Norm. Wer hingegen Handlungen mit dogmatischen Begriffen beschreibt, greift das Ergebnis der Prüfung gegebenenfalls vorweg. Auch Substantive spezifizieren nur sehr unzulänglich Handlungen ("A kann sich wegen des Schocks des K gem. § 223 strafbar gemacht haben."). Vor allem ist es für die Bestimmung der Konkurrenzen aber erforderlich, eindeutig herauszuarbeiten, an welche Handlung eine oder mehrere Strafnormen anknüpfen und durch welche unterschiedlichen Handlungen ein und dieselbe Norm möglicherweise mehrfach verletzt wurde.

Apropos Konkurrenzen: Deren Klausurrelevanz scheint einigen Bearbeitern nicht bewusst zu sein. Wie sonst ließe sich erklären, dass in vielen Klausuren die gleiche Handlung in mehreren Tatkomplexen geprüft, aber gleichzeitig Tatmehrheit zwischen den geprüften Delikten angenommen wird? Oft wird auch zuerst § 249 geprüft und bejaht, nur um dann für die gleiche Handlung noch einmal §§ 242 und 240 gesondert, also ohne Verweis nach oben, zu prüfen - mit dem wenig überraschenden Ergebnis, dass auch sie vorliegen. Letztere treten im Wege der Spezialität zurück.

An den falschen Stellen Zeit sparen

Eine zweite, stark unterschätze Fehlerquelle in Examensklausuren zeigt sich im Schritt nach dem Obersatz, viele Bearbeiter liefern handwerklich schlechte Subsumtionen ab. Schon bei den Definitionen nimmt das Unheil seinen Lauf, wenn dort etwa verschiedene dogmatische Begriffe aufeinandertreffen, die nichts miteinander zu tun haben:

"Gewahrsam ist die mit Tatherrschaft begründete eigentümerähnliche Anmaßung."

Hier ein Beleg zeitsparender Fallbearbeitungstechnik im Feststellungstil:

"A bewirkt eine konkludente Irrtumserregung aus dem sachgedanklichen Mitbewusstsein des O."

Weniger gekonnt ist es, dem Opfer sachgedankliches Mitbewusstsein anzudichten, das man gewöhnlich nur auf Täterseite beim Vorsatz findet.

Eine andere Klausurbearbeitung zeigte zwar Kenntnisse des Sachverhalts der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur automatischen Kennzeichenüberwachung (Urt. v. 11.03.2008, Az. 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07), verstand aber dafür Tatbestandsmerkmale eher als unverbindliche Anregung: Für das Fahren mit einem gefälschten Kfz-Kennzeichen sei ein Computerbetrug zu bejahen, weil in einen Datenverarbeitungsvorgang der Polizei eingegriffen werde, nämlich die polizeiliche Überwachung aller Kfz-Kennzeichen auf der Autobahn. Big Brother lässt grüßen. Oder anders ausgedrückt: Das ist nicht mehr im engeren Sinne lebensnah.

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2/2: Eine Sache ist eine Sache

Wenig Begeisterung entlockt es dem Korrektor auch, wenn Bearbeiter die Tatbestandsalternativen zu einem wirren Knäuel von Definitionsschnipseln vermengen:

"B hat durch Bedrohung mit der Pistole und mit Anwendung unmittelbaren Zwangs O ein empfindliches Übel in Aussicht gestellt."

Wiederholungen gilt es zu vermeiden, denn die Zeit in Examensklausuren ist knapp:

"Dazu müsste eine Sache vorliegen. Dies sind alle körperlichen Gegenstände. Bei dem Inhalt handelt es sich um Sachen. Somit liegen Sachen vor."

Bei diesem mäßig tauglichen Subsumtionsversuch fehlt ein eindeutiger, konkreter Bezug zum Sachverhalt. Der Satz könnte in jedem Gutachten stehen, bei dem der Täter den Inhalt eines Objekts entwendet hat, egal ob es sich nun um Geld, Fernseher oder Plüschtiere handelt und die Beute sich in einem Lkw, Stahlschrank oder einer Plastiktüte befand. Aber es geht auch noch pauschaler: Oft wird direkt nach der Definition festgestellt, dass ein Tatbestandsmerkmal vorliege – was nach einer unnötig detaillierten Definition außerdem noch von schwacher Schwerpunktsetzung zeugt.

Nicht nur O fürchtet die ungeladene Pistole

Selbst wenn die Definition einigermaßen passabel gelingt, ist damit die Prüfungsleistung noch lange nicht erbracht. Viele Bearbeiter scheinen überzeugt, mit einer Definition, einem Zitat aus dem Sachverhalt und einer nachgelieferten Begründung sei alles Notwendige gesagt:

"Waffen sind zunächst die sogenannten geborenen Waffen, die bestimmungsgemäß dazu eingesetzt werden, durch chemisch-mechanische Wirkung erhebliche Verletzungen beim Opfer herbeizuführen. Im vorliegenden Fall hat B eine ungeladene Pistole dabei. Diese ist als Waffe i.S.d. § 250 Abs. 1 Nr. 1a zu qualifizieren. Entscheidend ist hierbei allein, dass das Opfer die Waffe in Augenschein nehmen kann und einen Eindruck von der scheinbaren Gefährlichkeit erhält. Dies war hier der Fall."

Unklar ist dabei, wie eine ungeladene Pistole bestimmungsgemäß eingesetzt werden und durch chemisch-mechanische Wirkung erhebliche Verletzungen beim Opfer entfalten kann – sei es auch noch so verängstigt. Immerhin bleiben dem Leser Einzelheiten zu den Geburtsvorgängen von Waffen erspart. Das tröstet jedoch nicht darüber hinweg, dass dies erstens im Urteilsstil (Ergebnis mit nachgeschobener Begründung) und zweitens am Problem vorbei geschrieben ist.

Fälle wie dieser entstehen in erster Linie nicht wegen eines Mangels an materiell-rechtlichem Wissen, sondern durch das Unvermögen, eine Definition auf einen Sachverhalt anzuwenden. An die Stelle der echten Subsumtion tritt ein Nachahmen, quasi eine Subsumtionsmimikry. Richtig wäre eine schulmäßige Subsumtion gewesen, bei der es aber nicht um das Waffengesetz geht, sondern entsprechend der Definition um die objektive Gefährlichkeit des Tatobjekts.

Stattdessen gaben nicht wenige Bearbeiter Stellungnahmen zur verwaltungsrechtlichen Einordnung der Pistole oder bejahten deren Waffeneigenschaft mit den unterschiedlichsten Begründungen – teils widersprüchlich (eine objektive Gefährlichkeit der Schusswaffe ergebe sich aus der Angst des Opfers), teils aus der Luft gegriffen (die Pistole erlaube eine größere Beeinflussung des Opfers) und teils auch "pseudodogmatisch" (weil der Täter sich durch Verwendung einer ungeladenen Pistole aktiv gegen die Rechtsordnung stelle, sei er nicht schützenswert).

Wenn Urkunden nur zum Herumzeigen da sind

Dieses nachahmende Schreiben ist überraschenderweise vermehrt zu beobachten, wenn es um strafrechtliche Grundlagennormen und -tatbestandsmerkmale geht. So werden subjektive Merkmale als objektive geprüft ("zur Täuschung im Rechtsverkehr" bei § 267) und der "Gewahrsam" oft nicht definitionsgemäß bestimmt, sondern mehr oder weniger freestyle-mäßig deklariert ("Als Eigentümer konnte Es Gewahrsam nur gelockert werden.").

Eine andere Bearbeitung kam nach umfassenden Ausführungen zur zivilrechtlichen Besitzlage zu der Feststellung, diese sei für den Gewahrsam irrelevant, Gewahrsam habe daher der Beraubte. Auch die Prüfung einer zusammengesetzten Urkunde brachte die Bearbeiter zu teils verblüffenden Ausführungen:

"Aussteller des KFZ-Kennzeichens ist das Straßenbauamt."

"Eine Urkunde ist ein amtliches Dokument, das dazu gedacht ist, es bei gegebenem Anlass offenkundig vorzulegen."

"Nach einer Ansicht handelt es sich bei einem Nummernschild um eine zusammengesetzte Urkunde. Sie sei mit dem PKW nahezu untrennbar im Sinne einer Urkunde verbunden."

"Eine Urkunde stellt erst durch die Kombination von Nummernschild und PKW eine Urkunde dar."

"Ein Kennzeichen lässt den Wohnort des Fahrzeughalters erkennen, sowie die ihm amtlich zugewiesene Zuweisungsnummer."

All diese Beispiele zeigen vor allem eins: für die meisten Bewertungsabzüge ist nicht fehlendes Sonderwissen ursächlich, sondern fehlerhafte Arbeitstechnik und mangelndes strafrechtliches Grundlagenwissen. Darüber könnte man betrübt sein, tatsächlich birgt es aber einen Hoffnungsschimmer: Arbeitstechnik ist keine Frage des auswendiggelernten Wissens, sondern gezielten Übens – und das muss man nur wollen.

*Alle §§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des StGB.

Der Autor Dr. Marc Reiß ist Akademischer Rat a. Z. an der Goethe-Universität Frankfurt und koordiniert dort das hausinterne Repetitorienangebot.

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