Gerade noch im Gerichtssaal, jetzt schon im Auditorium
Was ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis? Die Theorie sagt, es gibt keinen. - Augenzwinkernd wird mit dieser Frage häufig auf den großen Theoriebezug des Jura-Studiums hingewiesen. Die dogmatische Lehre vermittle nur wenig praktisch verwertbare (Er-)Kenntnisse. Lehrveranstaltungen von Praktikern könnten Brücken bauen und das Bedürfnis einer praktischer ausgelegten Ausbildung erfüllen. Und tatsächlich: Ein Blick auf die Vorlesungsverzeichnisse deutscher Jurafakultäten beweist, dass zahlreiche Lehrveranstaltungen von Menschen aus der Praxis angeboten werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen gibt es Vorlesungen, die dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen dienen. Zum anderen gibt es den klassischen Lehrauftrag, also einen Lehrer ohne hochschulisches Beschäftigungsverhältnis auf Honorarbasis. "Durch Lehrbeauftragte wird kein ordentlicher Professor von seiner Lehrverpflichtung befreit", weiß Professor Dr. Barbara Remmert. Sie ist Dekanin der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen und war bereits Studiendekanin und Prodekanin. Daher ist sie mit den Abläufen zur Ernennung und der Zusammenarbeit mit Lehrbeauftragten bestens vertraut. Der Einsatz von solchen Dozenten ermöglicht ordentlichen Professoren, verstärkt die Veranstaltungen anzubieten, für die sie selbst am besten qualifiziert sind. Die zeitliche Inanspruchnahme der Lehrtätigkeit von Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Jacobs beläuft sich auf einen halben Tag pro Woche. Zeit, die er neben seiner Tätigkeit in der eigener Kanzlei aus der Motivation heraus aufwendet, erworbenes Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Jacobs kam 1981 durch eine Ausschreibung in "Die Zeit" zu seiner Professorenstelle, da er trotz seiner anwaltlichen Tätigkeit jedenfalls nebenbei eine Lehrtätigkeit ausüben wollte. Er war seit 1971 Partner bei verschiedenen Sozietäten und hatte 2001 die Kanzlei Prof. Jacobs Rechtsanwälte gegründet. Rainer Jacobs ist Mitherausgeber der Zeitschriftenreihe "Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR)".
Praxisbezug ist willkommener Nebeneffekt des Lehrauftrags
Als erheblichen Mehrwert sieht Barbara Remmert den Praxisbezug, den Lehrbeauftragte einbringen können - sei es die Falllösung aus anwaltlicher Sicht oder die Erörterung aktueller oder gar unveröffentlichter Entscheidungen. Die Steigerung des Praxisbezugs sei aber nicht der Grund, sondern ein willkommener Nebeneffekt der Erteilung eines klassischen Lehrauftrages. Dieser soll vielmehr das Lehrangebot abrunden und Fächer abdecken, in denen Professoren kein oder kein vollständiges Angebot erbringen könnten. Es kann etwa eine hohe Spezialisierung für besondere Vorlesungen erforderlich sein, für die aber kein Lehrstuhl zur Verfügung steht. Dieser Lehrauftrag hat also die selbe Funktion wie eine Veranstaltung durch einen ordentlichen Professor, nämlich das Angebot qualitativ hochwertiger akademischer Lehre. Barbara Remmert erklärt: "Die Erteilung eines Lehrauftrages schließt an ein Verfahren an, das auf Initiative eines ordentlichen Professors eingeleitet wird. Dieser schlägt eine bestimmte Person für eine bestimmte Veranstaltung vor. Die Nominierung eines Praktikers für eine Lehrveranstaltung hat hierbei zum Ziel, den Lehrbeauftragten langfristig an die Fakultät zu binden."Der steinige Weg zum Honorarprofessor
An Lehrbeauftragte werden hohe Anforderungen gestellt. Es wird streng darauf geachtet, dass sie kontinuierlich und an hochwertiger Stelle publizieren. Der Praktiker soll also - ähnlich dem ordentlichen Professor - Stoff lehren, über den er auch forscht. Für Veranstaltungen zur Erlangung von Schlüsselqualifikationen gelten andere Regeln. Es soll nicht der akademische Unterricht an Stelle eines ordentlichen Professors erteilt werden. Daher spielen besondere Qualifikationen, wie beispielsweise eine Mediationsausbildung, eine psychologische oder eine rhetorische Ausbildung eine wichtige Rolle. Verdiente Lehrbeauftragte können bei Bewährung in Lehre und kontinuierlicher hochkarätiger Publikationstätigkeit zum Honorarprofessor ernannt werden. Der Ernennung geht jedoch eine lange Erprobungsphase voraus. Insbesondere gibt es keinen Automatismus für die Weiterbeauftragung nach der erstmaligen Erteilung eines Lehrauftrages. Vielmehr wird zur Qualitätssicherung eine regelmäßige Evaluation des Lehrbeauftragten durch Professoren und Studenten vorgenommen, stellt Barbara Remmert klar.Für beide Seiten eine Win-Win-Situation
Professor Dr. Harald Dörig hat diesen langen Weg hinter sich. Seit 1983 ist er als Richter tätig. Seitdem geht er auch verschiedenen Lehrtätigkeiten nach. Im Jahr 2000 wurde er zum Richter am Bundesverwaltungsgericht und zum Honorarprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena ernannt. Schon immer habe er es als gewinnbringend empfunden, Theorie und Praxis miteinander zu verzahnen. Um diesen Austausch zu gewährleisten besucht er ständig die Treffen der Dozenten im Öffentlichen Recht der Fakultät und führt regelmäßig Seminare mit einer ordentlichen Professorin durch. Harald Dörig sieht einen Vorteil für seine Richtertätigkeit darin, dass er seine konkreten praktischen Fragestellungen in einen größeren systematischen Zusammenhang einbetten muss, wenn er sie mit Studenten diskutiert. Von deren unbefangener Herangehensweise an die aktuellen Rechtsfragen profitiert er. Als Vorteil für seine anwaltliche Tätigkeit sieht Rainer Jacobs, dass er sich im Rahmen der Lehrtätigkeit verständlich ausdrücken und komplexe Vorgänge so strukturieren muss, dass sie zumindest "einfach" verstanden werden. Außerdem hält ihn die Lehrtätigkeit frisch und auf dem Laufenden.Methodische Schulung für den späteren Beruf
Für die Studenten bieten Lehrveranstaltungen von Praktikern als Ergänzung zu den Vorlesungen ordentlicher Professoren weitere Vorteile. Rainer Jacobs sieht den größten Gewinn für Studenten in der Vermittlung, wie erlernte Kenntnisse in der realen Welt umgesetzt werden können. Dies bereitet die Studenten auf die spätere Anforderungen vor. So können die Lehrbeauftragten Kontakte in die Praxis herstellen, etwa durch den Besuch von Einrichtungen oder die Vermittlung von Praktika, weiß Barbara Remmert. Zudem fühlen sich die Studierenden durch den Unterricht von Personen mit großen Namen und Ämtern oder aus großen Kanzleien bereichert. Außerdem, so Harald Dörig, zeigen die Studenten Interesse daran, wie Urteile in der Praxis entstehen. Sie profitieren von der Erläuterung der Prozessgeschichte und der Erklärung der wichtigen Grundsatzverfahren. Anschließend lesen sie die Entscheidung nach oder besuchen eine seiner Verhandlungen. Die Studenten erfahren, welche Fragestellungen von besonderer praktischer Bedeutung sind. Harald Dörig will aber auch Sensibilität im Umgang mit Sekundärquellen vermitteln. Die Ermutigung zum Blick in das Original-Gesetzblatt, die Bundestagsdrucksache oder in ein Urteil in englischer Sprache schult daher auch methodisch.Die Kehrseiten sind zu vernachlässigen
Als möglichen Nachteil einer Lehrtätigkeit durch Praktiker sieht Barbara Remmert, dass Lehrbeauftragte anfangs mit dem zu erwartenden Niveau, den Vorkenntnissen, Prüfungsstrukturen und organisatorischen Abläufen weniger vertraut sein könnten. Dies legt sich aber in der Regel schnell. Harald Dörig sieht Nachteile, wenn Lehrbeauftragte nur unreflektiert Urteile wiedergeben, ohne sie zu hinterfragen und in einen systematischen Zusammenhang einzuordnen. Wenn Praktiker sich zu wenig um die theoretischen Grundlagen ihres Faches bemühen, besteht nach Ansicht von Rainer Jacobs die Gefahr, dass den Studenten die Verbindung von Theorie und Praxis nicht vermittelt werden könnte. Die Lehrbeauftragten sind jedoch meist sehr engagierte Lehrkräfte, lobt Barbara Remmert. Daher dürfte ein solch unreflektierter Unterricht die Ausnahme sein. So sieht auch die Dekanin die Lehrer aus der Praxis als große Bereicherung für das universitäre Angebot. Allerdings weist sie auf die Verpflichtung der Fakultäten hin, Lehraufträge nicht ohne Not zu vergeben und diszipliniert die strengen Kriterien bei der Vergabe einzuhalten, um den hohen Qualitätsanforderungen an die Lehre gerecht zu werden. Auch wenn die Dozenten aus dem Berufsalltag einen gewissen zusätzlichen Aufwand verursachen, der von den betreuenden Lehrstühlen mitzutragen ist, kann dies verschmerzt werden. Die zahlreichen von Praktikern angebotenen Veranstaltungen zeigen, dass die Studierenden Interesse an Einblicken in die Praxis haben. Ebenso haben die Fakultäten erkannt, dass durch Praktiker als Profs ein breiteres Lehrangebot möglich ist. Also leisten die Lehrbeauftragten einen wichtigen Beitrag dazu, dass Theorie und Praxis sich doch nicht so fremd sind, wie eingangs befürchtet. Mehr auf LTO.de: Dr. vs. LL.M.: Titelkampf mit einem klaren Unentschieden EBS Law School: Rund-um-sorglos-Studium für den Führungsnachwuchs Claus Roxin: Ein Grenzgänger zwischen Strafrecht und LiteraturAuf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2011 M08 30
Jurastudium
Verwandte Themen:- Jurastudium
- Rechtsanwälte
- Universitäten und Hochschulen
- Studium
Teilen