"Wir prüfen zu viel – und dann auch noch das Falsche"
LTO: Frau Professorin Hoven, die vorerst letzte große Diskussion um die Reform der Juristenausbildung hat sich vor wenigen Jahren im Sande verlaufen. Pflichtstoff im Examen reduzieren, das Schwerpunktbereichsstudium entwerten – das waren die Hauptvorschläge, die auf den damaligen Justizministerkonferenzen diskutiert wurden. Woran krankt das juristische Staatsexamen Ihrer Meinung nach am meisten?
Prof. Dr. Elisa Hoven: Wir prüfen zu viel - und dann auch noch das Falsche.
In seiner aktuellen Form belohnt das Examen das Auswendiglernen. Studenten fokussieren sich – und das kann man ihnen aus klausurtaktischer Perspektive auch nicht verübeln – auf Definitionen, Streitstände und höchstrichterliche Urteile. Da geht es viel zu wenig um umfassendes Verständnis.
Auch die Umstände, unter denen wir prüfen, sind falsch. Die Kandidaten haben einen Stift, Papier und fünf Stunden Zeit – und sollen dann einen Fall lösen, mit dem sich der Bundesgerichtshof wochenlang beschäftigt. Gerade das erste Examen muss deshalb realistischer und praxisnäher werden, zum Beispiel, indem man Kommentare erlaubt.
Die Klausuren des staatlichen Teils sollten sich entsprechend auf die essenziellen Kernbereiche der Grundlagenfächer konzentrieren, in den Studienarbeiten der universitären Schwerpunktbereichsprüfung darf es dann gern ins Detail gehen.
Mit welcher Maßnahme könnten wir denn als erstes beginnen, um möglichst kurzfristig eine Verbesserung zu erreichen?
Kurzfristig lässt sich da wenig machen. Aktuell kann nur jeder Prüfer und jeder Examensklausurensteller in sich gehen und überlegen, ob es zum Beispiel in der Klausur wirklich noch einen Abstecher ins Nebenrechtsgebiet XY braucht.
Für groß angelegte Veränderungen braucht es indes massiven Druck. Den zu generieren ist nicht leicht. Man muss die richtigen Akteure ansprechen und viele Interessen unter einen Hut bekommen.
"Reformdebatten flauen ab, jahrelang geschieht wieder nichts"
Richten Sie deshalb an der Uni Leipzig die Veranstaltung "Staatsexamen der Zukunft" aus?
Unter anderem. Im Editorial der NJW hat die Kollegin Prof. Dr. Katrin Gierhake kürzlich für eine aufgeklärte Juristenausbildung plädiert. Das war ein gelungener Aufruf und daran müssen wir anknüpfen. Denn eine wirkliche Reform des juristischen Staatsexamens wird nicht kommen, wenn es so weitergeht wie bisher. Zusammen mit unserem Dekan Prof. Dr. Tim Drygala und meinem Lehrstuhlteam haben wir uns dann entschlossen, zu einer intensiven Diskussion uns nach Leipzig einzuladen.
Und dort passiert dann was?
Wir wollen verschiedene konkrete Ansätze für eine mögliche Reform der Juristenausbildung vorstellen und diskutieren. Eingeladen sind alle Interessierten. Bereits zugesagt haben zum Beispiel der Präsident des Deutschen Hochschulbundes, die Präsidentin des sächsischen Landesjustizprüfungsamtes, viele Kollegen, die sich mit der Reform der Juristenausbildung beschäftigen, der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften und weitere Vereine und Initiativen zum juristischen Staatsexamen.
Wir müssen uns mobilisieren, wenn wir etwas erreichen wollen, insbesondere auch die Studenten, auf die der Staat und seine Justiz später angewiesen sind. Nur: Die bisher größten Debatten flauten schnell ab, dann geschah wieder jahrelang nichts. Dabei darf so eine wichtige Diskussion nicht einfach immer wieder vorbei sein, ohne dass etwas passiert.
Das klingt ja richtig nach Umwälzung. Was würden Sie denn langfristig am Staatsexamen ändern, wenn Sie könnten?
Zum Beispiel sollte das "Abschichten", sofern wir es beibehalten wollen, in allen Bundesländern ermöglicht werden und nicht – wie jetzt – nur in einigen wenigen. Denn das ist wenig fair: Angesichts der Fülle des Pflichtstoffs im Examen ist die Möglichkeit des Abschichtens ein nicht unerheblicher Vorteil.
Außerdem bin ich für Open-Book-Klausuren, also mit entsprechender Fachliteratur. Ein Jurist muss wissen, wo er welchen Streitstand oder einschlägige Rechtsprechung findet. Auch das ist eine Fähigkeit, die man im Examen abprüfen sollte. Wer sich mit dem Handwerkszeug nicht auskennt, dem wird es in wenigen Stunden Klausurzeit auch nichts nützen. Zumindest sollte man, wie im zweiten Examen, einen Kommentar zulassen.
Letztlich ist auch das E-Examen die Zukunft, das wird irgendwann kommen. Es ist natürlich sehr aufwendig und lässt sich nicht so einfach umsetzen. Das wird das Examen meines Erachtens aber auch noch einmal deutlich praxisnäher machen.
"Einige denken: 'Warum sollten die nach mir es leichter haben'"?
Die Probleme sind bekannt, Lösungsvorschläge gibt es viele. Nur: Im Wesentlichen ist die Juristenausbildung immer noch seit Jahrzehnten dieselbe. Warum tut sich Ihrer Meinung nach so wenig?
Es sind einfach viele Personen mit ganz verschiedenen Meinungen involviert. Und gerade unter Juristen ist die Tendenz, an dem festzuhalten, was man kennt, einfach groß. Nicht wenige werden sich auch denken: "Ich musste da auch durch, warum sollten es die nach mir leichter haben?"
Bitte nicht falsch verstehen: Unsere Juristenausbildung ist im Ergebnis nicht schlecht, sie ist weltweit anerkannt, deutsche Juristen sind bei Arbeitgebern gern gesehen. Aber der psychologische Druck auf die Prüflinge ist unglaublich hoch. So kommt keine Freude am Studium auf, wenn Studenten von Anfang an aufs Examen hinarbeiten anstatt auch einmal die Dinge zu machen, die besonders viel Spaß machen, zum Beispiel ein Auslandssemester. Und welcher Student belegt schon freiwillig ein zusätzliches Seminar, weil er das Thema spannend findet? So sehen viele Studenten gar nicht, dass die Rechtswissenschaften unheimlich interessant sein können, nein: Der Fokus liegt vom ersten Semester an auf der Examensoptimierung.
Deshalb bin ich übrigens auch ganz klar gegen die Abwertung des Schwerpunktbereichs. Da können sich Studenten endlich mal entsprechend ihrer Neigung mit dem Recht befassen. Ihnen die Zeit dafür zu streichen und dieser Leistung noch weniger Bedeutung beizumessen, halte ich für den falschen Weg.
Für juristische Verhältnisse einmal geradezu radikal gedacht: Glauben Sie, dass sich die Juristenausbildung vom Staatsexamen verabschieden und stattdessen wie die meisten Fachrichtungen auf das Bachelor-Master-System umsteigen sollte?
Nein. Der Umstieg aufs Bachelor-Master-System wäre für das Jurastudium eine Abwertung. Auf den Vorteil eines so aufgefächerten, zusammenhängenden Studiums in der Breite und Tiefe dürfen wir nicht leichtfertig verzichten. Juristen erfüllen zudem häufig öffentliche Funktionen, da ist eine besondere Qualitätsgarantie durch das Staatsexamen eine gute Sache.
Frau Professorin Hoven, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Elisa Hoven ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medienstrafrecht an der Universität Leipzig. Zur Veranstaltung "Staatsexamen der Zukunft" am 16. Juli 2019 sind ab 16 Uhr alle Interessierten im Audimax der Universität Leipzig eingeladen.
Die Fragen stellte Marcel Schneider.
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2019 M06 28
Jurastudium
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