Nicht neu, aber noch bequemer
Nicht jedem Jurastudenten ist klar, was er mit dem Fach später einmal machen will. Bernhard Schulz, derzeit im fünften Trimester an der Hamburger Bucerius Law School, kann schon heute eine Antwort geben: "Juristische Kenntnisse sind für Legal-Tech-Startups unerlässlich." Der 21-Jährige arbeitet bereits seit einigen Jahren als Freiberufler, unter anderem als Projektmanager und Entwickler für eine Berliner Agentur oder als Berater für ein russisches Softwareunternehmen, das ihr Produkt in die deutschen Märkte einführen möchte. Seit Anfang 2016 ist er als Gründer von compensation2go.de Chef im eigenen Unternehmen. Im Januar entwickelte er Webseite und System, im Februar ging er mit dem Angebot an den Markt. Ziel ist es, enttäuschten Fluggästen die Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche nach Art. 7 der Fluggastrechte-Verordnung (VO EG Nr. 261/2004) abzunehmen. Zwischen 250 und 600 Euro stehen den Betroffenen bei Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätungen zu – vielen ist das zu wenig, um das Risiko der Anwalts- und Prozesskosten auf sich zu nehmen. Denn bis man sie vor Gericht zerrt, reagieren die meisten Fluggesellschaften nicht. Neu ist die Idee nicht, der Platzhirsch auf diesem Feld ist die 2010 gegründete Plattform flightright.de. Geschädigte Airline-Kunden überlassen Flightright die Durchsetzung ihrer Ansprüche, und geben im Erfolgsfall ein Viertel der erstrittenen Entschädigung als Provision ab. Schulz' Angebot behält mehr von dem Geld ein, je nach Anspruchshöhe 33 bis rund 44 Prozent. Dafür bietet sein Modell einen besonderen Bequemlichkeitsfaktor, indem es den Kunden seinen Anspruch komplett abtreten lässt und die Entschädigungssumme abzüglich des Anteils von compensation2go sofort auszahlt – unabhängig davon, ob die Durchsetzung gegenüber der Airline später gelingt. Sein Angebot sei "ein Convenience-Produkt", das gut ankomme, sagt Schulz. Genaue Zahlen will er nicht nennen, doch nach eigenen Angaben hat compensation2go in den ersten sechs Wochen nach Aufnahme der Tätigkeit eine dreistellige Zahl von Ansprüchen bearbeitet.
In 97 von 100 Fällen erfolgreich
Schulz' Kunden machen auf der Webseite Angaben zum Flug und füllen eine Abtretungserklärung aus. Das System prüft die Angaben grob auf Erfolgsaussicht, indem es sie beispielsweise mit Wetterdaten und Presseartikeln abgleicht, denn: "Bei Unwetter oder Streik geht die Rechtsprechung von einem 'außergewöhnlichen Umstand' aus. In solchen Fällen besteht kein Anspruch auf Entschädigung nach der Fluggastrechte-Verordnung", erklärt der Jurastudent. Entsprechende Anfragen würden daher abgelehnt. Passiert die Eingabe die automatische Prüfung, landet sie zur händischen Bearbeitung auf dem Schreibtisch, wo etwa eingescannte Flugtickets oder Buchungsbestätigungen untersucht werden. Dann erhält der Kunde ein Angebot. Nimmt er an, bekommt er den Betrag ausgezahlt und hat mit dem Rest des Prozesses nichts mehr zu tun. Die entsprechende Airline wird anschließend in Verzug gesetzt und bei ausbleibender Reaktion nach einigen Wochen wiederum automatisch gemahnt. "Meistens passiert auch nach diesem Schritt nichts, bis hierhin ignorieren die Airlines berechtigte Forderungen in der Regel. In diesen Fällen geht die gesamte Akte an eine spezialisierte Kanzlei in Berlin, die die außergerichtliche und gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche für uns übernimmt", so Schulz. Die Prozesskosten dafür müsse sein Unternehmen vorfinanzieren. Mit dem Geld, das für den Aufkauf der Entschädigungsansprüche benötigt wird, kommt damit eine ordentliche Summe zusammen. Geldgeber seien wegen der derzeit günstigen Zinsen vergleichsweise einfach zu finden, sagt Schulz. Sein Hauptargument ist aber das überschaubare Risiko: "Es ist sehr genau nachvollziehbar, wie hoch die Ausfallquote und der daraus resultierende Transaktionsgewinn ist. In 97 von 100 Fällen setzen wir die Ansprüche erfolgreich durch, das lockt selbst eher konservative Geldgeber". Nur in ganz unberechenbaren Einzelfällen klappe es nicht. Zum Beispiel, als sich eine Biene in die Tiefen eines Cockpit-Messgeräts verirrte und damit den Start verhinderte.Vereinbarkeit von Studium und Unternehmertum
Während Geld also vorhanden ist, mangelt es eher an der Zeit. Es gebe schon potentielle Investoren, die von ihm verlangten, das Studieren einzustellen und sich ganztags dem Job als Geschäftsführer zu widmen, sagt Schulz. Doch sei es "keineswegs so, dass sich Jurastudium und Unternehmensgründung gegenseitig ausschließen. Vielmehr ergänzen sich die beiden Tätigkeiten: Das Studium vermittelt hilfreiches Grundwissen, die Anforderungen der Praxis geben hingegen Anlass, sich mit speziellen Rechtsgebieten zu beschäftigen." Für die Zukunft von compensation2go hat er schon weitere Pläne: "Im Moment läuft es gut, allerdings ist der deutsche Markt für solche Angebote sehr angespannt. Deshalb würde ich den Service gerne auf andere Länder ausweiten." Neben dem Studium unternehmerisch tätig zu werden, sei eigentlich gar nicht so schwierig, meint Schulz – die meisten täten es bloß einfach nicht. "Ich kenne viele Kommilitonen und junge Leute, die gute Ideen und tolle Konzepte haben, sie packen die Dinge nur nicht an. Was man in vier Wochen in die Wege leiten kann, eignet sich für ein Start-Up-Experiment."Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2016 M03 17
Jurastudium
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