Grundsatzentscheidung des BGH

Ver­mieter darf mit ver­jährtem Anspruch auf­rechnen

von Kevin JapalakLesedauer: 4 Minuten

Wenn Mieter ihre Kaution vom Vermieter zurückverlangen, erklären Vermieter häufig die Aufrechnung mit Gegenansprüchen. Der BGH hat nun entschieden, dass dies selbst dann noch möglich ist, wenn die Ansprüche des Vermieters verjährt sind.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Mittwoch ein überaus praxis- und examensrelevantes Urteil gefällt: Ein Vermieter darf auch dann, wenn seine Schadensersatzansprüche gegen den Mieter eigentlich bereits verjährt sind, die Aufrechnung mit diesen verjährten Ansprüchen erklären, sodass seine eigene Verpflichtung zur Rückzahlung der Kaution entsprechend gemindert wird (Urt. v. 10.07.2024, Az. VIII ZR 184/23).

Der Sachverhalt ist – im Gegensatz zu den juristischen Details – schnell erzählt: Nach Beendigung des Wohnungsmietvertrags und Rückgabe der Wohnung am 8. November 2019 forderte die Mieterin vom Vermieter die Rückzahlung der von ihr geleisteten Barkaution in Höhe von rund 780 Euro. Der Vermieter rechnete jedoch mit Schreiben vom 20. Mai 2020 – also eindeutig nach Ablauf der Verjährungsfrist von sechs Monaten, vgl. § 548 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – über die Kaution ab und erklärte dabei die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung der Mietsache.

Die Mieterin klagte letztlich auf Rückzahlung der Kaution und berief sich hinsichtlich der Aufrechnung des Vermieters auf Verjährung. Die Verjährung bewirkt, dass die Mieterin berechtigt ist, die Leistung – hier: Schadensersatz – zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Dem Schadensersatzanspruch, mit dem der Vermieter aufrechnete, stand daher eine Einrede der Mieterin entgegen.

Dass der BGH dem Vermieter dennoch Recht gibt, liegt an § 215 BGB. Dort heißt es: "Die Verjährung schließt die Aufrechnung […] nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet […] werden konnte."

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Relikt aus dem Grundsatz "ipso iure compensatur"

§ 215 BGB ist ein Relikt des aus dem römischen Recht stammenden Grundsatzes "ipso iure compensatur", also der Aufrechnung kraft Gesetzes. Wenn Schuldner und Gläubiger Ansprüche gegeneinander hatten, erloschen diese nach römischem Recht unmittelbar kraft Gesetzes. Nach dem heute geltenden § 388 Satz 1 BGB ist die Aufrechnung hingegen ein sogenanntes Gestaltungsrecht, das heißt, der Gläubiger muss zusätzlich die Aufrechnung erklären. Das soll Rechtssicherheit schaffen.

Dennoch gibt es weiterhin einige Wirknormen, die dem überkommenen Grundsatz "ipso iure compensatur" entsprechen. Eine wichtige davon ist § 215 BGB, dem der Fall zugrunde liegt, dass sich die wechselseitigen Ansprüche zu irgendeinem Zeitpunkt einmal unverjährt gegenüberstanden. Nach römischem Recht – und übrigens auch nach einigen ausländischen Rechtsordnungen – wären diese beiden Ansprüche kraft Gesetzes automatisch erloschen. Nach § 215 BGB soll diese Rechtslage – bis auf den Automatismus – weiterhin gelten, auch wenn die Aufrechnung erst nach Verjährung erklärt wird (Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 22. Aufl. 2021, § 24 Rn. 1).

Somit stand der Wirksamkeit der Aufrechnung nicht entgegen, dass der Vermieter sie erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erklärte.

BGH: Gleichartigkeit der Ansprüche nicht zwingend

Eine weitere Komplikation des Falls lag allerdings darin, dass die Aufrechnung stets voraussetzt, dass die wechselseitigen Ansprüche gleichartig sind (in der Regel: "Geld gegen Geld"). Der Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters ist jedoch auf Geldzahlung gerichtet, während der Schadensersatzanspruch des Vermieters zunächst einmal auf Beseitigung der Schäden gerichtet ist (Grundsatz der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB).

Der Vermieter hat allerdings nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Falle einer Sachbeschädigung eine sogenannte Ersetzungsbefugnis: Er kann also statt der Naturalrestitution den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen, sodass dann – aber eben erst dann – eine Geldleistungspflicht besteht und die Ansprüche somit gleichartig sind.

Aus diesem Grund lehnten die Vorinstanzen eine wirksame Aufrechnung ab. Der Vermieter hätte nach Auffassung des Landgerichts (LG) Nürnberg-Fürth (Urt. v. 25.07.2023, Az. 7 S 3897/22) die Ersetzungsbefugnis innerhalb der Verjährungsfrist ausüben müssen, damit rechtzeitig eine Geldleistungspflicht und damit eine Gleichartigkeit der wechselseitigen Ansprüche besteht.

Der BGH hob die Entscheidung der Vorinstanz jedoch auf. Die Begründung: Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis, um rechtzeitig die Gleichartigkeit der Ansprüche herzustellen, sei ein "lediglich formaler Schritt", der bei interessengerechter Auslegung der Kautionsabrede nicht vorausgesetzt werde. Der Mieter habe regelmäßig kein Interesse daran, dass die Ausübung der Ersetzungsbefugnis noch in unverjährter Zeit erfolgt, so der BGH.

Kritik an der Rechtslage

Der Deutsche Mieterbund hat die Entscheidung noch am Mittwoch scharf kritisiert: Das Urteil des BGH verkenne das Interesse der Mieter an schneller Rechtssicherheit über ihr Kautionsguthaben, erklärte Präsident Lukas Siebenkotten. Mieter müssten befürchten, dass sie ihr einstiger Vermieter auch mehr als ein halbes Jahr nach ihrem Auszug mit Forderungen nach Schadensersatz konfrontiert.

Diese Befürchtung ist allerdings keine neue Konsequenz des Urteils, sondern dem § 215 BGB immanent. Die Norm wird in der Rechtswissenschaft durchaus kritisiert, weil sie die Zwecke der Verjährung, insbesondere Rechtsfrieden und -sicherheit, konterkariere (Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB § 215 Rn. 2). Der richtige Adressat der Mieterbund-Kritik wäre insofern eher der Bundestag als der BGH.

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