Psychologie

Die Angst vor dem Examen

von Sabine OlschnerLesedauer: 5 Minuten

Der Stoff für die juristischen Prüfungen ist umfangreich. Kein Wunder, dass sich viele Kandidaten nicht nur kurz vor dem Examenstermin, sondern schon in den Monaten der Vorbereitung unwohl fühlen. Doch negatives Kopfkino kann man lindern.

Von morgens bis abends am Schreibtisch sitzen und fürs Examen lernen. Dabei das Gefühl bekommen, den Stoff immer weniger zu verstehen. In der Nacht lange wach liegen und sich Sorgen machen. Essen, Freunde treffen, mal eine Pause machen - geht nicht, der Lernplan muss eingehalten werden. Irgendwann dann nur noch das Gefühl der Erschöpfung.

So geht es vielen Jurastudenten. Sie fürchten sich vor den Staatsexamen, für die es so viel Wissen parat zu haben gilt. Dazu kommt der Notendruck: Gute und sehr gut Ergebnisse zu erzielen, schaffen die wenigsten. Mit einem Vollbefriedigend zählt man zu den besten 15 Prozent und damit zu den Top-Absolventen, die auf dem Arbeitsmarkt heiß begehrt sind. Einfach nur bestehen? Vier gewinnt bei den Juristen nicht, das bekommt man schon im ersten Semester gesagt.

Entsprechend stark ist auch das Konkurrenzdenken unter den angehenden Juristen ausgeprägt: Im 13. Studierendensurvey der Hochschulforschung der Universität Konstanz wurden im Wintersemester 2015/16 Studenten aller Fächer an 322 deutschen Hochschulen unter anderem nach ihren Beziehungen zu ihren Kommilitonen befragt. 57 Prozent der Jurastudenten gaben dabei an, Konkurrenz sei ein charakteristisches Merkmal ihres Fachs. Das sind noch einmal zwölf Prozent mehr als der vorhergegangenen Auflage der Umfrage 2012/13. Selbst bei den Studenten der Wirtschaftswissenschaften und der Medizin empfinden nur rund ein Fünftel solch einen starken Konkurrenzdruck. Auch der kann Angst machen.

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Gründlich lernen macht selbstbewusst

Repetitor Peter Rellensmann weiß, dass es schwierig ist, sich vernünftig aufs Examen vorzubereiten: "Examenskandidaten tun sich häufig damit schwer, den roten Faden beim Lernen zu finden. Der Stoff muss ja auch noch innerhalb der zahlreichen Rechtsgebiete bis ins Detail aufgearbeitet werden. Studenten müssen im Grunde alles lernen, was - je nach Landesrecht -examensrelevant sein könnte – das ist in der Praxis natürlich nahezu unmöglich."

Sein Tipp, um Prüfungsangst zu überwinden: Lernen in Gruppen. Wer sich in Teams zusammenfindet, gemeinsam Bücher liest und Fälle löst, lerne und verstehe mehr als allein am häuslichen Schreibtisch, so Rellensmann. Sein zweiter Rat: "Examenskandidaten müssen aktiv Fragen stellen, egal ob im Repetitorium, im Klausurenkurs oder in der Vorlesung. Das tun die wenigsten. Doch nur wer bei Sachverhaltslösungen, die er nicht verstanden hat, nachfragt oder sich fehlendes Wissen anliest, hat die Chance, eine Antwort zu bekommen und den Fall wirklich zu verstehen."

Denn nur wer weiß, dass er ein bestimmtes Problem wirklich durchschaut und verstanden hat, könne das nötige Selbstbewusstsein entwickeln, um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und sich konzentriert dem nächsten Punkt auf dem Lernplan widmen, ist der Repetitor überzeugt. Er plädiert deshalb fürs "langsame Lernen", wie er es nennt: Statt möglichst zügig ganze Bücher zu den einzelnen Rechtsgebieten durchzuarbeiten, sei es besser, sich langsam, dafür aber gründlich anhand von Fällen einem juristischen Problem zu nähern.

Pause machen – auch von anderen Juristen

Reinhard Mack, Leiter der Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studierendenwerks Bodensee, hat noch einen anderen Tipp parat: Pausen machen. Denn das vergäßen die meisten beim Lernen. "Wer vier bis fünf Stunden netto lernen will, sollte dafür acht Stunden einplanen", laute eine gesunde Rechnung für effektiv geplante Lernzeit. Guter Schlaf und regelmäßig Sport könnten dabei helfen, den Kopf wieder vom ganzen Lernstress frei zu bekommen.

Der nächste Rat des Psychologen: Sich nicht nur mit anderen Juristen umgeben, insbesondere in der Freizeit. "Wenn sich Jurastudenten während der Examensvorbereitung treffen, geht es meist schnell darum, ob man diesen oder jenes denn schon gelernt habe und wie weit der Einzelne mit der Vorbereitung ist", sagt Mack. "Durch solche Gespräche machen sich die Studenten oft gegenseitig verrückt und zudem die begrenzte Freizeit kaputt, die ihnen neben dem Lernen noch bleibt."

Es könne also nicht schaden, auch mal einen Abend ohne Juristengespräche zu verbringen, so sein Vorschlag. Besonders schwierig sei das für diejenigen, die Juristen im engen Familienkreis haben: "Wenn die Eltern beispielsweise auch Juristen sind, haben sie an ihren Nachwuchs oft besondere Erwartungen, was den Druck natürlich extrem erhöht", warnt Mack.

Das OLG, Dein Freund

Um den Studenten die Furcht zu nehmen, hat man sich in Köln Folgendes überlegt: Das dortige Oberlandesgericht (OLG) lässt Jurastudenten vorab einen Blick in die Prüfungsräume werfen. "Das nimmt den Studierenden meist viel ihrer Angst, weil sie schon mal die Umgebung kennen, in der sie sich während der Prüfungen aufhalten werden", sagt OLG-Richter Dr. Martin Kessen. Zudem wird den Studenten bei dieser Gelegenheit erklärt, wie das Prüfungsverfahren abläuft: Wie werden Klausuren erstellt und bewertet? Wie werden die Anmeldebögen ausgefüllt? Wohin kommen meine persönlichen Dinge wie Handy oder Jacken während der Klausur?

"Der Saal für dieses Angebot, das wir den Kandidaten machen, fasst rund 100 Leute und ist immer gut gebucht", sagt der Richter. Sein wichtigster Tipp, von dem er glaubt, dass ihn viel zu wenige umsetzen: Jurastudenten können sich in vielen Bundesländern schon ab dem ersten Semester als stille Zuhörer mit in die mündliche Prüfung setzen. "Viele machen das, wenn überhaupt, erst sehr spät im Studium", so Kessen. "Dabei kann es enorm hilfreich gegen die eigene Angst sein, wenn man schon früh weiß, wie solch eine Prüfung in der Praxis abläuft und was im Examen gefordert wird."

Angst ist ok – es darf nur nicht zu viel werden

Psychologe Mack betont, dass Prüfungsangst an sich ist erst einmal nichts Schlimmes ist. Sie aktiviere den Prüfling genauso wie das Lampenfieber den Schauspieler. Es dürfe eben nur nicht zu viel werden. Zu wenig sei hingegen auch nicht gerade förderlich für ein gutes Examen, meint Mack: "Wer mit der Annahme in die Prüfung geht, er wisse eh alles und es werde schon gut gehen, hat oft zu wenig Energie in die Vorbereitung gesteckt und wird wahrscheinlich schlechter abschneiden", so seine Erfahrung. Denn letztlich bleibe ein juristisches Examen immer noch eine beachtliche Herausforderung.

"Schwierig wird es dann, wenn die Angst beginnt, den Kandidaten zu lähmen, und wenn dessen Gedanken und Gefühle nur noch um das Examen kreisen." In Gesprächen mit Betroffenen versucht er herauszufinden, ob Jura überhaupt das richtige Fach für sie ist und ob sie das Studium wirklich durchziehen wollen. Auch ihre Ziele klopft er ab: Muss es wirklich ein Prädikatsexamen sein? Oder reicht nicht vielleicht auch ein solides Befriedigend für den angestrebten Wunschberuf?

"Viele sind schon allein dadurch erleichtert, dass sie in den Gesprächen merken, dass sie nicht die Einzigen sind, die Angst vor dem Examen haben", sagt der Berater. Dann gelte es, den Grund dafür herauszufinden. "Prüfungsangst ist wie ein Fieber: Wenn die Temperatur in bedenkliche Höhen steigt, muss man klären, welche 'Krankheit' dahintersteckt. Erst dann könne man Gegenmaßnahmen einleiten."

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