In Paris begann der Prozess gegen acht Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord. Innenministerin Faeser will Bundesrat bei Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten ausschalten. GenStA Frankfurt/M. stellte Geldwäsche-Verfahren gegen Millionen-Auflage ein.
Thema des Tages
Frankreich – Mord an Lehrer: Vor einem Pariser Schwurgericht startete der Strafprozess gegen acht Angeklagte, denen vorgeworfen wird, das islamistische Attentat auf den französischen Geschichtslehrer Samuel Paty, der im Oktober 2020 von einem radikalisierten 18-Jährigen geköpft wurde, unterstützt zu haben. Zwei der Angeklagten hatten online gegen Paty gehetzt, weil er im Unterricht anhand des Beispiels der Mohammad-Karikaturen der Satirezeitung Charlie Hebdo die Grenzen der Meinungsfreiheit diskutierte. Zwei andere Angeklagte waren dabei, als der Attentäter das Messer kaufte; vier weitere standen mit dem Attentäter während seiner Radikalisierung in Kontakt und sollen ihn angestachelt haben. Den Angeklagten drohen wegen Beihilfe zum Mord und Bildung einer kriminellen Vereinigung bis zu 30 Jahre Haft. Das Verfahren soll sieben Wochen dauern. Es berichten SZ (Oliver Meiler), FAZ (Michaela Wiegel), taz (Rudolf Balmer), spiegel.de und zeit.de (Annika Joeres).
Rechtspolitik
Sichere Herkunftsstaaten: Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will, dass eine neue Liste sicherer Herkunftsstaaten angelegt wird, die die Bundesregierung künftig per Rechtsverordnung allein bestimmt. Die bisherige Liste sicherer Herkunftsstaaten, die per Gesetz mit Zustimmung des Bundesrats zustande kam, soll nur noch für Asylsuchende gelten, die Asyl nach Artikel 16a GG erhalten, also für fast niemand. Dieser Plan ist in Faesers Gesetzentwurf für ein GEAS-Anpassungsgesetz enthalten. Mit diesem Manöver will Faeser den Widerstand der Grünen gegen die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten umgehen. Die Welt (Ricarda Breyton) berichtet.
Strafvollzug: In einem offenen Brief an den bayerischen Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich (CSU) fordert die Initiative bayerischer Strafverteidiger:innen die Möglichkeit der anonymen Beschwerde für Gefangene, eine Überprüfung der Disziplinar- und Schutzmaßnahmen für Gefangene und Mindeststandards für Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen. Sie kritisieren nicht nur die Misshandlung der Insassen der Justizvollzugsanstalt Gablingen, sondern auch den Umgang des Justizministeriums mit den Vorwürfen, von denen es bereits seit einem Jahr Kenntnis hatte. Sie bemängeln, dass Strafgefangene keine eigene Lobby haben und so ihre Rechte aus Angst vor negativen Konsequenzen selten geltend machen. Dadurch "schützt sich das System selbst", die de facto unbegrenzte Macht der Justizvollzugsbeamt:innen bleibe folgenlos. Sie SZ, LTO, spiegel.de berichten.
Antisemitismus: Nun berichtet auch LTO (Christian Rath) über den Entwurf einer Resolution des Bundestags gegen Antisemitismus, auf den sich die Ampel-Fraktionen und die CDU/CSU geeinigt haben. Dreh- und Angelpunkt für den repressiven Ansatz der Resolution sei die weite Definition von Antisemitismus. Diese folge der von der Bundesregierung erweiterten IHRA-Definition, die explizit auch israelbezogenen Antisemitismus erfasst. Im Resolutionsentwurf werde die Kritik der Rechtsprechung an der BDS-Resolution des Bundestags von 2019 weitgehend ignoriert. Das Bundesverwaltungsgericht hatte der Meinungsfreiheit gegenüber Raumverboten für BDS-Initiativen in öffentlichen Gebäuden Vorrang gewährt. Über die Resolution werde der Bundestag am Donnerstag beraten und abstimmen.
Kulturförderung/Verfassungsschutz: Im FAZ-Einspruch fordern Felor Badenberg (CDU) und Markus Ogorek, Berliner Justizsenatorin und Rechtsprofessor, dass Erkenntnisse des Verfassungsschutzes bei der staatlichen Förderung von Kultur- und Bildungsprojekten berücksichtigt werden sollen. Ähnlich der widerleglichen Vermutung im Steuerrecht, dass im Verfassungsschutzbericht genannte Organisationen nicht gemeinnützig sein können, könnte der Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem der Demokratie" auch bei der Förderung mit Steuergeldern einen entscheidenden Beitrag leisten.
Hacking: Das von Marco Buschmann (FDP) geführte Bundesjustizministerium hat seinen Gesetzentwurf, wonach das Hacking zum Aufspüren von IT-Sicherheitslücken nicht mehr strafbar sein soll, nun zur Stellungnahme an Länder und Verbände verschickt. Dem Entwurf zufolge soll der Strafnorm des § 202a StGB eine Negativdefinition eingefügt werden, dass das Ausspähen von Daten dann nicht unbefugt ist, wenn es in der Absicht erfolgt, eine Sicherheitslücke festzustellen, diese der verantwortlichen Stelle mitgeteilt werden soll und die Handlung geeignet ist, die Sicherheitslücke festzustellen. Buschmann findet, dass Menschen, die "IT-Sicherheitslücken schließen möchten, Anerkennung verdient haben – nicht Post vom Staatsanwalt". Es berichten Hbl (Eren Basar), LTO und spiegel.de.
Leistungen für Asylsuchende: Rechtsprofessor Constantin Hruschka legt auf dem Verfassungsblog dar, weshalb die im sogenannten Sicherheitspaket beschlossene Kürzung von Asylbewerberleistungen für Dublin-Flüchtlinge "evident unionsrechtswidrig" ist. Der Europäische Gerichtshof hatte in der Vergangenheit bereits festgestellt, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Leistungserbringung "erst mit der tatsächlichen Überstellung" ende. Deshalb seien "deutsche Behörden und Gerichte europarechtlich verpflichtet, die Regelung unangewendet zu lassen."
Cybersicherheit: Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestags kritisierten Expert:innen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-NIS-2-Richtlinie, mit der ein EU-weites Cybersicherheitsniveau erreicht werden soll. Kritik erntete insbesondere, dass die Sicherheitsvorgaben nicht für alle Bundesbehörden gleichermaßen gelten sollen. beck-aktuell und netzpolitik.org (Constanze Kurz) berichten.
StPO: Laut beck-aktuell begrüßt der Deutsche Anwaltverein (DAV) die Ausweitung der Pflichtverteidigung sowie die Erweiterung der gerichtlichen Hinweispflichten im Gesetzentwurf des Justizministeriums zur Reform der Strafprozessordnung. Kritisch sieht der DAV dagegen die Ausweitung der Fristen und Tatbestände für die Unterbrechung der Hauptverhandlung.
Kontrolle der Nachrichtendienste: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Höning unterbreitet auf dem Verfassungsblog Vorschläge zur effizienteren Gestaltung der Kontrolle von Nachrichtendiensten. Derzeit sei die externe Kontrolle noch sehr zersplittert. "Statt neuer Kontrollstrukturen zu schaffen", sollten bestehende Möglichkeiten evaluiert werden. Mangels nennenswertem praktischem Anwendungsbereich sollte außerdem die Möglichkeit der Wohnraumüberwachung gestrichen werden.
Gesetzgebung: Das Bundesjustizministerium hat die vierte Auflage des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit veröffentlicht. Die Verwendung sogenannter Genderzeichen wie Doppelpunkt, Unterstreichen oder Sternchen ist bei der Gesetzgebung nach wie vor nicht vorgesehen. beck-aktuell berichtet.
Resilienz des VerfGH Berlin: Die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus schlägt einen Ersatzwahlmechanismus vor, wenn eine Wahl von neuen Richter:innen des Landesverfassungsgerichts mit Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zustande kommt. Dann soll der Verfassungsgerichtshof selbst Kandidat:innen vorschlagen dürfen. Gelingt deren Wahl auch nicht, soll eine "Verfassungssynode" tätig werden, die mit einfacher Mehrheit neue Richter:innen ans Verfassungsgericht wählen könnte. Dem Gremium würde demnach der Regierende Bürgermeister, Justizsenator, Präsidenten verschiedener Gerichte und Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes angehören. Die taz-berlin (Hanno Fleckenstein) berichtet über eine Diskussion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Justiz
GenStA Frankfurt/M. zu Alischer Usmanow/Geldwäsche: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. stellte ein Geldwäscheverfahren gegen den russischen Oligarchen Alischer Usmanow gegen Zahlung einer Geldauflage in Millionenhöhe nach § 153a StPO ein. Zuvor hatte das Landgericht Frankfurt mehrere Razzien mangels Anfangsverdacht für rechtswidrig erklärt. Es berichten SZ (Jörg Schmitt/Meike Schreiber), Welt (Lennart Pfahler), spiegel.de und bild.de (Oliver Grothmann).
EuGH zu Lebensmittelkennzeichnung: Auf LTO stellt nun auch die Anwältin Annalena Kempter zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs von Anfang Oktober zur Kennzeichnung von Fleischersatz- und von Bioprodukten vor. Zum einen entschied der EuGH, dass ein Mitgliedstaat, der noch kein gesetzliches Verbot erlassen hat, die Verwendung von für Fleischprodukte typischen Bezeichnungen für pflanzenbasierte Produkte nicht allgemein verbieten kann. Zum anderen stellte der EuGH klar, dass ein aus einem Drittstaat eingeführtes Produkt nur dann das EU-Logo für ökologische Produktion verwenden darf, wenn es die Logo-Voraussetzungen erfüllt.
OLG Dresden – NSU-Unterstützerin Susann E.: Nach Informationen von spiegel.de und bild.de (Thomas Fischer) hat die Bundesanwaltschaft sofortige Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden eingelegt, die Anklage gegen Susann E., die engste Freundin der NSU-Terroristin Beate Zschäpe, nur wegen der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung, nicht aber wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zuzulassen. Die Angeklagte Susann E. soll die NSU-Terrorist:innen unter anderem dadurch unterstützt haben, dass sie Zschäpe ihre Krankenkassenkarte für Arztbesuche zur Verfügung gestellt hat.
OLG Zweibrücken zu Beleidigung von Politiker:innen: Bei der Strafbarkeit der Beleidigung von Personen des politischen Lebens gem. § 188 StGB ist allein der Inhalt der Aussage entscheidend, nicht aber die mögliche Reichweite der Verbreitung. Dies entschied das Oberlandesgericht Zweibrücken und wies das Verfahren, in dem ein Mann mit nur 417 Facebook-Freunden auf dieser Plattform die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als "dumme Schlampe" bezeichnete, zurück an das Landgericht Kaiserslautern. Das LG Kaiserslautern hatte das Verfahren – anders als das erstinstanzliche Amtsgericht Kaiserslautern – eingestellt, weil es der Auffassung war, bei der Politikerbeleidigung komme es auch auf die Reichweite des Äußernden an, so LTO.
LSG Bayern zu Fitnesstrainer: Kurstrainer in einem Fitnessstudio sind in der Regel keine Selbstständigen, sondern werden als abhängige Arbeitnehmer:innen eingestuft, weil sie normalerweise kein unternehmerisches Risiko tragen und in die Arbeitsorganisation des Fitnessstudios eingegliedert sind. Damit wies das Bayerische Landessozialgericht die Beschwerde einer Fitnessstudiobetreiberin zurück, wie Rechtsanwältin Lisa-Lorraine Christ im Expertenforum Arbeitsrecht die Entscheidung aus dem August 2023 wiedergibt.
OLG Celle – AfD-Wahlliste: Im Berufungsverfahren des niedersächsischen AfD-Vorsitzenden Ansgar Schledde gegen den ehemaligen AfD-Politiker Christopher Emden, der Schledde vorwarf, für die Platzierung auf aussichtsreichen Listenplätzen bei der niedersächsischen Landtagswahl 2022 insgesamt knapp 14.000 Euro entgegengenommen zu haben, erließ das Oberlandesgericht Celle nun ein Versäumnisurteil gegen Emden. Wie bild.de (Daniel Puskepeleitis) schreibt, muss Emden solche Äußerungen bis auf weiteres unterlassen. Es läuft aber noch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hannover.
BayObLG – Wirecard-Anleger:innen: Wie die FAZ (Mark Fehr) weiß, hat der Rechtsanwalt Marc Liebscher überraschend das Mandat im Wirecard-Kapitalanleger-Musterverfahren niedergelegt. Liebscher kritisiert das Musterverfahren als "disfunktional", weil es sich lediglich um eine Feststellungsklage handelt und Schadensersatzansprüche in einem weiteren Verfahren geltend gemacht werden müssen. Er kritisiert zudem, dass der Justiz digitale Werkzeuge fehlen, um die Masse an Daten und Schriftsätzen im Wirecard-Musterverfahren zu ordnen.
LG Erfurt zu Dieselskandal/Rechte der Natur: Nun besprechen auch Rechtsprofessor Jan-Erik Schirmer und die Akademischen Mitarbeitenden Luca Luipold und Jonathan Eziashi auf LTO ausführlich das kürzlich ergangene Urteil des Landgerichts Erfurt, das erneut Rechte der Natur schutzverstärkend anerkannte. Sie monieren, dass das Gericht "viele Antworten", etwa zum Konzept der Schutzverstärkung, "schuldig bleibt" und finden, dass es "deutlich zu schnell geht". "Wäre die Natur selbst Rechtssubjekt, würde sich die Kausalkette" in zivilrechtlichen Schadensersatzverfahren gegen große Emittenten wie RWE "erheblich verkürzen" – zum Preis der "Filterfunktion" der Kausalität.
Recht in der Welt
Niederlande – Menschenhändler Walid Negash: spiegel.de (Lucia Heisterkamp/Paul J. Hildebrandt) beschreibt ausführlich den seit Januar 2023 laufenden Strafprozess im niederländischen Zwolle gegen den eritreischen Menschenhändler Walid Negash, der sich der Entführung, sexualisierten Gewalt und Folter von Flüchtlingen in Libyen verantworten muss. Negash erpresste Millionen Dollar Lösegeld von Menschen, denen er Schlepperdienste anbot, und sperrte sie in Lagerhallen mitten in der libyschen Wüste ein. Mittlerweile ermittelt auch der Internationale Strafgerichtshof wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen.
Sonstiges
EMRK: Anlässlich des 74. Geburtstags der Europäischen Menschenrechtskonvention zeichnet beck-aktuell (Denise Dahmen) die Geschichte der Konvention und aktuelle Herausforderungen nach. Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anfänglich ein "zahnloser Tiger" war, traf er mittlerweile viele wegweisende Entscheidungen. Die Europäische Union hingegen ist der EMRK noch nicht beigetreten – ein entsprechendes Verfahren läuft derzeit noch.
Google/Werbung für Stalking-Apps: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) legt gemeinsam mit der Organisation "Ein Team gegen digitale Gewalt" bei der EU-Kommission und der Bundesnetzagentur Beschwerde gegen Google ein, weil das Unternehmen nicht genug gegen die Werbung von Stalking-Apps unternimmt. Mit solchen Apps, die heimlich auf das Handy einer anderen Person geladen werden können, kann u.a. der Standort und der Nachrichtenverkehr abgefangen werden. Die Apps stellen daher ein "wesentliches Instrument zur Ausübung von Gewalt gegen Frauen" dar, so GFF-Juristin Simone Ruf. Es berichten spiegel.de und zeit.de (Meike Laaff).
Digital Justice Summit: Im Vorfeld des Ende November in Berlin stattfindenden Digital Justice Summit appelliert die Bundesjustiz- und -wirtschaftsministerin a.D. Brigitte Zypries auf beck-aktuell, dass "beteiligte Akteure sich vernetzen und Fachwissen und Erfahrungen austauschen". Bei der Veranstaltung geht es dieses Jahr im Schwerpunkt um Künstliche Intelligenz und Virtual Reality Anwendungen im Gerichtssaal.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 5. November 2024: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55783 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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