Das BVerfG verneint einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein existenzsicherndes Bafög. Justizminister Buschmann legt Reformpaket zur Strafprozessordnung vor. Staatsanwalt soll Drogenbande über Ermittlungen informiert haben.
Thema des Tages
BVerfG zu Bafög-Höhe: Studierende haben keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Bafög in einem Umfang, der ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherstellt. Der Anspruch auf ein "menschenwürdiges Existenzminimum" greife bei Studierenden nicht, weil diese ihr Existenzminimum auch durch Arbeit erwirtschaften können. Dass sie dann nicht studieren können, verletze nicht ihre Menschenwürde. Auch das verfassungsrechtliche "Recht auf Teilhabe am staatlichen Studienangebot" garantiere nur ein rechtmäßiges Auswahlverfahren, nicht aber die materielle Absicherung des Studiums. Auch aus dem Sozialstaatsgebot ergebe sich kein ausbildungsbezogenes Existenzminimum. Vielmehr müsse der Bundestag bei begrenzten Mitteln Prioritäten setzen und selbst entscheiden, für welche Sozialleistungen er wieviel Geld ausgibt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2021 einen "verfassungsrechtlichen Anspruch auf Ausbildungsförderung" angenommen, die Bafög-Grundpauschale für verfassungswidrig befunden und die entsprechende Regelung des Bafög-Gesetzes dem BVerfG vorgelegt. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), spiegel.de (Dietmar Hipp), tagesschau.de (Max Bauer) und LTO.
Wolfgang Janisch (SZ) bedauert, dass das BVerfG keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Bafög anerkannte, da in Deutschland "die Pfade des sozialen und beruflichen Aufstiegs unwegsam geworden" seien. Eine Verankerung im Grundgesetz hätte nicht nur Symbolik dargestellt, sondern "ein starkes Argument gegen Sparmaßnahmen, die zulasten finanziell schwacher Studierender gehen."
Rechtspolitik
StPO: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat einen 55-seitigen Gesetzentwurf zur "moderneren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben. Dabei soll die Pflichtverteidigung auf die erste polizeiliche Vernehmung ausgeweitet werden. Die Partner:innen von eheähnlichen Gemeinschaften sollen ein Zeugnisverweigerungsrecht erhalten. Strafprozesse sollen bis zu zwei Monaten unterbrochen werden können, wenn alle Beteiligten zustimmen. Es berichtet RND (Christian Rath).
Lieferketten und Menschenrechte: Statt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) "wegzubolzen", sollte der Gesetzgeber die EU-Lieferkettenrichtlinie möglichst bürokratiearm umsetzen, fordert der wissenschaftliche Referent Bastian Brunk auf LTO. Wichtig sei dafür ein risikobasierter Ansatz, wonach zunächst nur Zulieferer überprüft werden sollten, bei denen ein hohes Risiko für Menschenrechtsverletzungen besteht. Die "verbreitete Praxis, sämtlichen Zulieferern den gleichen generischen und häufig sehr umfangreichen Fragebogen zuzusenden", stelle dagegen keine sinnvolle Risikoanalyse dar.
Welche Pflichten Unternehmen nach dem LkSG haben, erklärt die SZ (Elisabeth Dostert) am Beispiel eines Unternehmens.
Schwangerschaftsabbruch: Heribert Prantl (SZ) erinnert daran, dass sich die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag auf eine Kommission zur Reform des Abtreibungsrechts geeinigt hatten. Nach den Forderungen der Kommission im April 2024 rühre sich die Regierung aber nicht mehr. Dabei sei es denkbar, dass eine Entkriminalisierung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Die "Rechtspflicht, ein Kind auszutragen" sei dort zu einer Zeit formuliert worden, als die zwei Senate noch jeweils mit sieben Männern und einer Frau besetzt waren.
Organspende: In der FAZ sprechen sich der Richter Rainer Beckmann und der Arzt Jürgen in der Schmitten gegen die Widerspruchslösung aus, da diese die Menschen überfordere. Die Glaubwürdigkeit des Hirntods als Todeszeitpunkt stellen sie in Abrede, indem sie von einem Fall berichten, in dem eine hirntote Frau nach fast fünf Monaten Schwangerschaft ein Kind gebar. Eine hinreichende Aufklärung müsse stärker auf die "Bedeutung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls für die Feststellung des Todes" eingehen.
Asyl-Leistungen: Weil die Leistungen für Asylbewerber:innen im kommenden Jahr nach den Festsetzungen des Bundessozialministeriums erstmals sinken werden, hat Pro Asyl Klagen angekündigt. Die neuen Sätze seien "vermutlich verfassungswidrig", da sich die Ungleichheit zwischen Bürgergeld und den Sätzen des Asylbewerberleistungsgesetzes vergrößere. Die AsylbLG-Sätze werden zwischen 13 und 19 Euro unter denen des Vorjahres liegen, da die Inflation stärker als erwartet zurückgegangen ist. Anders als beim Bürgergeld gibt es beim AsylbLG keinen Bestandsschutz. Die FAZ (Mona Jaeger/Jonas Wagner) berichtet.
Biologische Daten: Auf der Weltnaturkonferenz in Cali, Kolumbien, wird über einen Ausgleichsmechanismus verhandelt, mit dem Vorteile aus der Nutzung von digitalen biologischen Informationen gerecht verteilt werden sollen. Biodiversitätsreiche Länder sollen von den Unternehmen unterstützt werden, die die genetischen Codes verwenden. Die genaue Ausgestaltung des Fonds ist allerdings sehr umstritten, berichtet die FAZ (Katja Gelinsky).
Justiz
StA Hannover – korrupter Staatsanwalt: Ein Staatsanwalt aus Hannover soll eine niedersächsische Kokainbande vor Ermittlungen gewarnt haben, für die er selber zuständig war. Er wurde am Dienstag festgenommen. Vorgeworfen werden ihm Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall sowie Geheimnisverrat und Strafvereitelung. Der 39-Jährige war für die Ermittlungen zuständig, die 2021 unter anderem zum Fund von 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen führten. Der mutmaßliche Anführer der Drogenbande konnte jedoch rechtzeitig in die Vereinigten Arabischen Emirate flüchten. In den Chats der Bande war von einem "korrupten" Staatsanwalt die Rede. Der nun festgenommene Staatsanwalt nahm bis zum Zeitpunkt der Verurteilung mehrerer Bandenmitglieder vor dem LG Hannover im März 2024 regelmäßig an den Verhandlungen im Gerichtssaal teil. Schon damals lief gegen ihn ein Ermittlungsverfahren. FAZ (Reinhard Bingener), spiegel.de, zeit.de, bild.de (Mirko Voltmer) und LTO (Markus Sehl) berichten.
BVerwG zu Entschädigung für überlanges Verfahren: Weil sein Verfahren vor dem Truppendienstgericht 41 Monate länger dauerte, als das Bundesverwaltungsgericht für nötig veranschlagte, erhielt ein Schiffsführer der Marine eine Entschädigung in Höhe von 4.100 Euro. Die Entschädigung übersteigt die Disziplinarbuße von 2.500 Euro, die im Ausgangsverfahren streitgegenständlich war. beck-aktuell berichtet.
OLG Dresden zu NSU-Unterstützerin Susann E.: Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Susann E. wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Es lägen keine hinreichenden Indizien dafür vor, dass die Freundin der NSU-Terroristin Beate Zschäpe zum Zeitpunkt ihrer Unterstützungshandlungen von den Morden der Terrorzelle wusste. Da sie jedoch Kenntnis von den Raubüberfällen gehabt haben soll, muss sie sich vor dem Landgericht Zwickau wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung verantworten. Der Mann von Susann E., André E., wurde im Münchner NSU-Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Es berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO.
OLG Frankfurt/M. zu Operation eines Hundes: Das OLG Frankfurt am Main entschied, dass ein Tierarzt zu Recht das rechte Hinterbein eines Hundes operierte – obwohl der Hundehalter zuvor ein Hinken am linken Bein bemerkte und den Arzt mit der Operation des linken Beins beauftragte. Der Tierarzt muss die Kosten nicht erstatten, weil er durch seine Untersuchung neue Erkenntnisse gewonnen hatte. Der Hundehalter habe als Laie nicht erkennen können, welche Ursache das Hinken genau hatte. beck-aktuell berichtet.
KG Berlin – Spion im BND: Wie LTO berichtet, wird das Verfahren gegen den BND-Mitarbeiter Carsten L. und den Geschäftsmann Arthur E. vor dem Kammergericht Berlin deutlich länger dauern, als anfangs geplant. Die neu angesetzten 75 Fortsetzungstermine reichen bis in den Januar 2026. Die beiden Beschuldigten sollen 2022 geheime Informationen des BND zum Ukrainekrieg an Russland übermittelt haben.
BayObLG – Wirecard-Anleger:innen: Im Kapitalanleger-Musterverfahren zu Ansprüchen der Wirecard-Aktionär:innen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY wird am 22. November die Verhandlung vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht beginnen. Wie die FAZ (Mark Fehr) berichtet, wird die Verhandlung in der eigens angemieteten Wappenhalle am Messegelände stattfinden. Zunächst wird zu klären sein, ob das Bilanztestat von EY Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann. Anwälte der Klägerseite warnen davor, dass EY durch eine Umstrukturierung des Unternehmens bis zum Ende des Verfahrens die Haftungsmasse reduzieren könnte.
LG Leipzig zu Fahrradverkauf durch Polizistin: bild.de (Torsten Pauly) schreibt über die Verurteilung einer inzwischen suspendierten Polizistin zu einer Geldstrafe von 380 Tagessätzen, weil sie beschlagnahmte Fahrräder verkaufte – meist an andere Beamt:innen. Das Leipziger Landgericht sprach sie wegen Bestechlichkeit und Untreue sowie Verwahrungsbruch im Amt in mehr als 70 Fällen schuldig.
AG Karlsruhe zu Fanprojekt-Mitarbeitern: Die SZ (Sebastian Fischer) spricht anlässlich der Verurteilung von drei Sozialarbeitern des Karlsruher Fanprojektes wegen versuchter Strafvereitelung mit Michael Gabriel, dem Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte. Die drei Mitarbeiter hätten ihre Aussage verweigert, um ihr "Vertrauensverhältnis zur Zielgruppe als unverzichtbare Arbeitsgrundlage" zu schützen. "Es ging ihnen ganz bestimmt nicht darum, Täter zu schützen oder Ermittlungen zu behindern".
StA Augsburg – JVA Gablingen: Das Bayerische Justizministerium hatte seit einem Jahr Kenntnis von den Misshandlungsvorwürfen gegen Bedienstete der JVA Gablingen. Das berichtet zeit.de. Wie die SZ (Florian Fuchs) im Bayern-Ressort berichtet, stand die JVA zudem im Fokus der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Seit die Vorwürfe am Wochenende öffentlich wurden, meldeten sich weitere Häftlinge, die von speziellen Isolierzellen im Keller, aber auch Schlägen und Tritten durch Bedienstete berichteten. zeit.de (Helena Ott) lässt die Anwältin der Häftlinge, Alexandra Gutmeyr, ausführlich über das Ausmaß der Vorwürfe zu Wort kommen.
Verfolgung von DDR-Verbrechen: Der Historiker Christian Booß analysiert in der FAZ, warum es nach dem Mauerfall zwar 75.000 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten der DDR-Diktatur gab, aber nur rund ein Prozent der Verfahren mit einer Verurteilung endete. Neben mangelnden personellen Ressourcen und rechtlichen Aspekten wie dem Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" sei den Verfahren eigen gewesen, dass meist Westjuristen ermittelten und diese sich nicht dem Vorwurf einer "Siegerjustiz" aussetzen wollten.
Recht in der Welt
EuGH/Italien – sichere Herkunftsstaaten: Ein Gericht in Bologna hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Einstufung von Bangladesch und 18 anderen Staaten als "sichere Herkunftsländer" mit dem EU-Recht vereinbar ist. Überprüft wird dabei ein Erlass der italienischen Regierung, der erst vor einer Woche beschlossen wurde. Er soll das Urteil eines Gerichts in Rom aushebeln, das unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH festgestellt hatte, dass Bangladesch und Ägypten nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können, weil dort nicht im ganzen Land für alle Bevölkerungsgruppen Sicherheit bestehe. Zwölf Asylbewerber mussten daraufhin gegen den Willen der Regierung aus den albanischen Lagern nach Italien gebracht werden. Einer der Männer klagt nun vor dem Gericht in Bolgona gegen seine drohende Abschiebung. Es berichten FAZ (Matthias Rüb), focus.de und LTO.
Die zeit.de (Ulrich Ladurner) stellt die Frage, wie robust der Rechtsstaat unter Giorgia Meloni ist. Sie bringe derzeit "das Volk" gegen die Justiz in Stellung und sei mit diesem Vorgehen in Italien sehr populär.
Polen – Asyl: Die Welt (Bartosz T. Wieliński) interviewt Polens Ministerpräsidenten Donald Tusk über seinen Plan, keine Asylanträge von Menschen mehr anzunehmen, "die die polnische Grenze illegal überqueren und dabei von belarussischen und russischen Stellen unterstützt werden". Es handele sich bei den Grenzübertritten um eine organisierte und groß angelegte russisch-belarussische Operation. Zur Begründung seiner Entscheidung verweist er explizit auch auf die deutsche Ankündigung, das Dublin-Verfahren zu beschleunigen und Flüchtlinge, die über die polnische Grenze in den Schengenraum gelangen, effizienter nach Polen zurückzuschicken.
Frankreich – Vergewaltigungen von Gisèle Pelicot: Die SZ (Oliver Meiler) widmet dem Prozess um die Vergewaltigungen von Gisèle Pelicot erneut eine Seite Drei-Reportage. Der Prozess habe erst dadurch so viel Aufmerksamkeit erhalten, dass er nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werde. Allerdings bleibe die französische Politik "sonderbar still, bisher meldeten sich nur die Üblichen zu Wort." Für eine breite, gesellschaftliche Bewusstseinsänderung sei das nicht genug.
Großbritannien – Morde von Southport: Drei Monate nachdem der 17-jährige Axel Rudakubana in Southport drei Mädchen in einem Taylor-Swift-Tanzkurs erstochen hat, wird der Täter nun auch dafür angeklagt, eine Informationsschrift von Al-Qaida besessen zu haben. Von rechter Seite wurde früh von einem islamistischen Terroranschlag gesprochen, obwohl es sich bei dem Täter um einen ruandischstämmigen Christen handelte. Die britische Regierung wusste schon nach wenigen Tagen von dem islamistischen Interesse des Täters, hielt dies jedoch zurück. Dominic Johnson (taz) sieht darin ein "kommunikatives Desaster".
Irland – Alterskontrolle auf Video-Plattformen: Neue Regeln der irischen Medienaufsicht für Video-Dienste sehen strengere Alterskontrollen vor. Dienste, die Pornografie oder "grobe" Gewalt darstellen, müssen künftig strengere Alterskontrollen als bloße Abfragen vorsehen. Möglich ist etwa eine Kontrolle durch Ausweise oder Dokumente. Viele Tech-Konzerne haben ihren europäischen Sitz in Irland. netzpolitik.org (Sebastian Meineck) berichtet.
USA – Jaywalking in New York: Das "Jaywalking", also das Überqueren von Straßen abseits von Zebrastreifen und Ampeln, ist in New York künftig straffrei. Die Autolobby hatte sich vor etwa 100 Jahren für Strafen eingesetzt. Dass sie nun abgeschafft werden, wird auch mit der Diskriminierung afroamerikanischer oder hispanischstämmiger Bewohner bei der Kontrolle begründet. Neun von zehn Strafzetteln wegen widerrechtlichen Überquerens gingen im vergangenen Jahr an Personen dieser Bevölkerungsgruppen. Die FAZ (Christiane Heil) berichtet.
Sonstiges
Restitution von Grosz-Gemälden: Zwei Gemälde von George Grosz können in der Bremer Kunsthalle verbleiben und müssen nicht restituiert werden. Dies empfahl die Beratende Kommission für NS-Raubgut. Sie erkannte, anders als die Erben des Künstlers, keine Hinweise "auf einen NS-verfolgungsbedingten Verlust". Der Künstler und KPD-Mitstreiter wurde von Nationalsozialisten verfolgt, seine Werke galten als "entartete Kunst". Es berichten taz (Klaus Hillenbrand) und LTO (Joschka Buchholz).
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LTO/pna/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 31. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55754 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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