Vor 75 Jahren wurde das Grundgesetz verkündet. Ex-Richter Jens Maier (AfD) durfte im Verfassungsschutzbericht genannt werden. ArbG München lehnte Kündigung einer Chefredakteurin wegen üblicher Lügen der Yellow Press ab.
Thema des Tages
75 Jahre Grundgesetz: Auf focus.de wünscht Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, dem Grundgesetz zum Geburtstag, "dass wir eine Vitalisierung der Demokratie erleben." Ex-BVerfG-Präsident Hans-Jürgen Papier schreibt bei focus.de, dass das Jubiläum Anlass sein sollte, die "Wertschätzung von Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen auf der einen Seite, aber auch der Verantwortlichkeit eines jeden Einzelnen für den Staat und seine freiheitliche Verfassung" wiederzugewinnen.
Detlef Esslinger (SZ) beschäftigt sich mit der ausbleibenden Feierstimmung anlässlich des Jubiläums. Viele Deutsche würden ihr Grundgesetz aber im Alltag feiern, indem sie für die Demokratie einträten. Reinhard Müller (FAZ) findet, das BVerfG habe "Unschätzbares geleistet" beim Hochhalten von Freiheitsrechen und "im unerschütterlichen Festhalten an der staatlichen Einheit und Freiheit Deutschlands".
75 Jahre Grundgesetz – Volksabstimmung: Die FAZ (Friederike Haupt/Stephan Klenner u.a.) stellt fest, dass der Vorschlag von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), eine bundesweite Volksabstimmung über das Grundgesetz durchzuführen, rechtlich eher nicht auf Art. 146 gestützt werden kann, weil Ramelow nicht auf eine Ablösung, sondern auf eine Bestätigung des GG ziele.
75 Jahre Grundgesetz – Verfassungswandel: Die taz (Christian Rath) analysiert am Beispiel von elf wichtigen Politikfeldern, z.B. Datenschutz, Haushalt oder Militär, wie sich der Inhalt des Grundgesetzes durch Verfassungsänderungen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in 75 Jahren gewandelt hat. LTO (Tanja Podolski) thematisiert die Lebendigkeit des GG mit einem Rückblick auf die LTO-Beiträge zum 70. Geburtstag: Einige der Beiträge seien noch immer aktuell. Andere Themen wie die Klimaschutzverpflichtung aus Art. 20a GG sowie die Resilienz des BVerfG seien dagegen heute viel stärker in der Debatte vertreten.
Rechtsprofessor Christian Calliess erörtert auf LTO die Frage, ob Deutschland ein neues Klimagrundrecht brauche. Rechtsprofessor Josef Franz Lindner beschäftigt sich auf anwaltsblatt.de mit dem Begriff des Grundrechtestaats. Ebenfalls auf anwaltsblatt.de zeichnet Rechtsanwältin Roya Sangi den Prozess der Europäisierung der Grundrechte nach.
75 Jahre Grundgesetz – Entstehungsgeschichte: Die FAZ (Peter Sturm) stellt die Biografien von fünf Mitgliedern des Parlamentarischen Rates vor. Im Geschichtsressort der Zeit schreibt Michael Mayer über die Entstehungsgeschichte des Asyl-Grundrechts und kommt zu dem Schluss, dass dieses vor allem im GG aufgenommen wurde, um deutschen Verfolgten aus der sowjetischen Besatzungszone Schutz zu gewähren. Die Welt (Sven Felix Kellerhoff) interviewt Harald Biermann, den Präsidenten der Stiftung "Haus der Geschichte" in Bonn.
75 Jahre Grundgesetz – Angriffe auf Demokratien: In der Beilage "Demokratie & Verfassung" beleuchtet die FAZ in mehreren Texten, wie andere Demokratien mit aktuellen Angriffen auf ihre Verfassung umgehen. Die Frage, wie man Verfassung und Demokratie schütze, sei nicht auf Deutschland beschränkt, schreiben Alexander Haneke und Reinhard Müller im Editorial. Laurent Fabius, Präsident des französischen Verfassungsrats, warnt, dass die Aushöhlung der Demokratien immer damit beginne, "dass die Rolle der Richter infrage gestellt wird". Zudem interviewt Stephan Löwenstein den österreichischen Verfassungsgerichtspräsidenten Christoph Grabenwarter zum Schutz der Demokratie. In weiteren Beiträgen geht es um aktuelle Verfassungsthemen in Italien, Großbritannien, Ungarn, Israel, USA, Südafrika und Indien.
Grundrechte-Report: Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) stellte den neuen Grundrechte-Report vor, der sich als alternativer Verfassungsschutzbericht versteht. Baum betonte die hohe Bedeutung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die gerade auch für kontroverse Meinungen gälten. SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), LTO und beck-aktuell berichten.
Rechtspolitik
Künstliche Intelligenz: Über die Zustimmung des EU-Rats zur Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (ai act) berichtet nun auch LTO.
Justiz
VG Dresden zu Jens Maier: Das Verwaltungsgericht Dresden entschied, dass die Erwähnung des AfD-Politikers und ehemaligen Richters Jens Maier in den sächsischen Landesverfassungsschutzberichten 2020 und 2021 rechtmäßig war. Maier hatte gegen das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Klage erhoben, da er in beiden Berichten im Kapitel Rechtsextremismus genannt wird. Auch die Klage des sächsischen Landtagsabgeordneten Roland Ulbrich (AfD) gegen die Beobachtung seiner Person durch das LfV wies das VG Dresden ab. LTO berichtet.
ArbG München zu Fake-Interview: Nachdem die Chefredakteurin des Boulevardmagazins "die aktuelle" im April 2023 auf dem Titelbild ein Interview mit Michael Schumacher vorgetäuscht hatte, das zu hohen Schmerzensgeldzahlungen der Funke-Mediengruppe an Schumacher führte, darf ihr nicht vom Verlag gekündigt werden. Dies entschied das Arbeitsgericht München, wie die FAZ (Jochen Zenthöfer) berichtet. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Chefredakteurin angesichts der vielen in der Vergangenheit veröffentlichten Lügengeschichten durch das Magazin nicht habe wissen können, dass die Schumacher-Meldung dem Verlag zu weit ging.
BVerfG zu Reichelt vs. Schulze: In einem Gastbeitrag auf beck-aktuell kritisiert Rechtsprofessor Christoph Degenhart das Vorgehen der Bundesregierung gegen Julian Reichelts Taliban-Post und nennt es bemerkenswert, "dass es einer Entscheidung des BVerfG bedurfte". Wer die Meinungsfreiheit zum Schutz des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats beschränke, werde "dessen Resilienz nicht stärken – im Gegenteil."
BVerwG zu unfriedlichen Protesten: Nun beschäftigt sich auf dem Verfassungsblog auch der akademische Rat Benjamin Rusteberg mit der BVerwG-Entscheidung, wonach für unfriedliche Versammlungen nicht die Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes gelte.
BGH zu Zeugeneigenschaft: Bei der Anstiftung zu einer falschen uneidlichen Aussage nach § 153 StGB führt § 28 StGB zu keiner Strafmilderung. Wie der Bundesgerichtshof im Februar entschied, stellt das Tatbestandsmerkmal "Zeuge" kein täter-, sondern ein tatbezogenes Merkmal dar, berichten LTO-Karriere (Charlotte Hoppen) und beck-aktuell.
BGH zu Funkzellenabfrage: Nun berichten auch LTO (Charlotte Hoppen) und netzpolitik.org (Tomas Rudl) über die Entscheidung des BGH, wonach Daten aus rechtswidriger Funkzellenabfrage im Prozess nicht verwertbar sind.
LG Dortmund – tödlicher Polizeieinsatz gegen Mouhamed Dramé: Im Strafverfahren gegen den Polizeikommissar Fabian S. sagte dieser erstmals vor dem Dortmunder Landgericht aus. Er gab an, in Notwehr gehandelt zu haben, als er im August 2022 in Dortmund während eines Einsatzes den 16-jährigen Geflüchteten Lamine Dramé tötete. Dieser sei mit dem Messer in Richtung der Polizisten gelaufen, nachdem er von den Polizeibeamten mit Pfefferspray attackiert wurde. SZ (Christian Wernicke), taz (Andreas Wyputta) und spiegel.de (Tobias Großekemper) berichten.
LG Bonn – Cum-Ex/Olearius: Wie die FAZ (Marcus Jung/Hanno Mußler) berichtet, ist die für diesen Mittwoch angesetzte Verhandlung im Strafverfahren gegen Bankier Christian Olearius aufgehoben worden, weil der 82-jährige Angeklagte unter gesundheitlichen Einschränkungen leide. Der Prozess wird frühestens Mitte Juni fortgesetzt. Seitdem am 12. März der Hauptbelastungszeuge, Rechtsanwalt Kai-Uwe S., ausgesagt hatte, pausiert das Verfahren.
LG Hof zu Peggy Knobloch/Schmerzensgeld: Die Mutter des getöteten Mädchens Peggy Knobloch scheiterte mit einer Klage auf Schmerzensgeld gegen einen früheren Verdächtigen vor dem Landgericht Hof. Sie forderte das Schmerzensgeld für die von dem Verdächtigen verursachte jahrelange Ungewissheit über das Schicksal ihrer Tochter. FAZ (Karin Truscheit) und beck-aktuell berichten.
VG Potsdam zu Schengen-Einreiseverbot: Nun berichtet auch die FAZ (Marlene Grunert/Mona Jaeger) über die Eil-Entscheidung des VG Potsdam, das das Einreiseverbot gegen den palästinensisch-britischen Arzt Ghassan Abu-Sittah aufhob.
VG Berlin zu Auskunftsanspruch/Corona-Expertenrat: Das Bundeskanzleramt muss einem Frankfurter Arzt, der vor dem VG Berlin geklagt hatte, Einblick in geschwärzte Passagen der Protokolle des Corona-Expertenrates geben. Der Informationsanspruch betrifft Informationen zur Wirksamkeit bestimmter Impfstoffe und Medikamente, nicht aber solche über die deutsche Perspektive auf die chinesische Corona-Politik. Die FAZ (Stefan Klenner), berichtet.
Ursula Haverbeck: Die wegen Volksverhetzung zu einem Jahr Gefängnis verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck ist der Ladung zum Haftantritt erneut nicht nachgekommen, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm). Sie gab an, aufgrund einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustands "haft- und reiseunfähig" zu sein. Das Justizvollzugskrankenhaus werde die Angaben nun bewerten. Die Staatsanwaltschaft Berlin verlängerte die Frist bis zum 15. Juni. Haverbeck hatte sich gegen die erste Ladung von Oktober 2022 erfolglos juristisch gewehrt. Im Februar 2024 hatte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sie für hafttauglich erklärt. Im Juni wird der Berufungsprozess zu einem weiteren Verfahren wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht Hamburg beginnen.
Cannabis-Amnestie: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) berichtet der Kölner Oberstaatsanwalt Tim Engel von einer Überlastung der Strafjustiz infolge der Amnestieregelung im neuen Cannabisgesetz. Die Prüfung der Amnestievoraussetzungen sei "alles andere als trivial" und erfolge weitestgehend händisch. Allein in NRW seien schon über 9000 Fälle identifiziert.
Recht in der Welt
IStGH – Krieg in Gaza: Die Bundesregierung schloss eine Verhaftung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nicht aus, falls der von Chefankläger Karim Khan beantragte Haftbefehl von der Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs bestätigt wird, berichtet spiegel.de.
Rechtsprofessor Stefan Talmon geht im Interview mit spiegel.de (Francesco Collini) insbesondere auf Fragen der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshof ein. Die Zeit (Eva Ricarda Lautsch/Heinrich Wefing) interviewt Rechtsprofessor Kai Ambos u.a. zum Dilemma der Bundesregierung, das mit einem Haftbefehl einherginge. Zu einer möglichen Verhaftung Netanjahus befragt bild.de (Julian Loevenich) den Rechtsprofessor Daniel-Erasmus Khan.
Die Entscheidung des Chefankläger des IStGH stelle die Bundesregierung zwar vor ein Dilemma, schreibt Anna Sauerbrey (Zeit) im Leitartikel. Doch sei der IStGH "eine der letzten Institutionen, die internationales Recht stärken können" und halte zudem das Prinzip persönlicher Verantwortung hoch, das "im Nahostkonflikt immer wieder vergessen" werde.
Palästina - Anerkennung: Spanien, Irland und Norwegen haben angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen. Bislang wird Palästina von 143 der 193 UN-Mitgliedsstaaten als Staat anerkannt, darunter sind bereits acht EU-Staaten. LTO berichtet. Im Interview mit tagesschau.de beantwortet Rechtsprofessor Pierre Thielbörger Fragen zur völkerrechtlichen Bedeutung dieses Schritts.
Sonstiges
DSGVO-Bußgelder: Wegen mehr als 2000 Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung mussten Unternehmen in den vergangenen sechs Jahren EU-weit insgesamt 4,5 Milliarden Bußgelder zahlen, berichtet die FAZ (Katja Gelinsky). 186 der Verstöße begingen deutsche Unternehmen, die damit den dritten Platz der Statistik belegen.
AfD-Spitzenkandidatur: Maximilian Krahs Kandidatur bei der Europawahl ist rechtlich quasi unumkehrbar, berichtet beck-aktuell. Nachdem die Partei eine Wahlliste zum Ablauf der Einreichungsfrist eingereicht habe, sei eine Änderung gem. § 12 Abs. 1 EuWG grundsätzlich ausgeschlossen. Rechtlich möglich bleibe aber ein Verzicht auf das Mandat nach der Wahl. Rechtliche Fragen zu Krahs Kandidatur beantwortet auch tagesschau.de (Noah Kappus).
Das Letzte zum Schluss
Taco-Subsumtion: Selten war der Tanz auf der Wortlautgrenze kulinarisch so gehaltvoll: Wie die SZ (Peter Burghardt) schreibt, musste ein Richter aus Indiana kürzlich entscheiden, ob ein Taco unter den Begriff des Sandwiches fällt. Er kam zu dem Urteil: "Tacos und Burritos sind Sandwiches nach mexikanischer Art."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pna/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.
Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 23.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54599 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag