Die Entlassung des Kölner Polizeipräsidenten verstieß gegen das beamtenrechtliche Lebenszeitprinzip. Der BGH muss über Höckes SA-Parole entscheiden. Ex-Soldat, der in Afghanistan begangene Kriegsverbrechen veröffentlichte, muss in Haft.
Thema des Tages
BVerfG zu NRW-Polizeipräsident:innen: Die landesgesetzliche Einstufung der 18 Polizeipräsident:innen großer NRW-Städte als politische Beamt:innen, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, verletzt die in Art. 33 GG geschützten Grundsätze des Berufsbeamtentums und ist daher nichtig. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht auf Normenkontrollvorlage des Oberverwaltungsgerichts Münster. Als politische Beamt:innen können nur Beamt:innen eingestuft werden, denen die "Staatsführung politisches Vertrauen" entgegenbringen muss. Diese Ausnahme ist eng auszulegen. Die 18 städtischen NRW-Polizeipräsident:innen erfüllen diese Voraussetzung notwendiger Regierungsnähe nicht, weil die Leitung der Polizeibehörden in den NRW-Landkreisen von den Landrät:innen wahrgenommen wird, die vom Volk gewählt sind und daher auch nicht zwingend der Landesregierung nahestehen. Die Polizeipräsident:innen müssen daher den vollen beamtenrechtlichen Schutz erhalten, zu dem auch eine Einstellung auf Lebenszeit gehört, was ihre Unabhängigkeit gewährleisten soll. Damit wird der ehemalige Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers Recht bekommen, der am OVG Münster gegen seine Versetzung in den Ruhestand geklagt hatte. Er war nach den massiven sexuellen Übergriffen der Silvesternacht 2015/16 unter Druck geraten und von der Landesregierung entlassen worden. Für die Wiedereinstellung ist er jetzt zwar zu alt, allerdings könnte er noch die entgangene Besoldung einklagen. Es berichten FAZ (Stephan Klenner), taz (Christian Rath), LTO (Charlotte Hoppen), spiegel.de und beck-aktuell.
Reinhard Müller (FAZ) meint, dass Beamt:innen "nicht per se Sündenböcke sind" und findet, dass das "Beamtenrecht nicht zur Erstarrung führen" darf, das Lebenszeitprinzip allerdings "seinen Wert – und seinen Preis hat".
Rechtspolitik
75 Jahre GG – Gedenktag: In der Bundestagsdebatte zu 75 Jahren Grundgesetz beantragte die CDU-Fraktion die Einführung eines Gundgesetz-Gedenktags am 23. Mai. Die CDU wollte damit unter anderem, "Patriotismus" aufwerten. Dem Antrag stimmte allerdings nur die AfD zu, wie LTO schreibt.
Kinderpornografie: Der Bundestag hat nach drei Jahren die Hochstufung von Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie zum Verbrechen rückgängig gemacht. Indem die Mindeststrafe wieder abgesenkt wurde, können Fälle wieder eingestellt werden, bei denen eine Strafverfolgung unnötig ist, etwa wenn Eltern andere Eltern auf kinderpornografische Darstellungen im Klassenchat hinweisen. zeit.de berichtet.
Digitalisierung der Justiz: In einer Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch teilten zwar alle Expert:innen das Ziel des diskutierten Gesetzentwurfs, die Justiz zu digitalisieren, äußerten aber unterschiedliche Bedenken. Insbesondere die geplante Möglichkeit, Strafanträge künftig elektronisch zu stellen, war umstritten. Befürworter:innen begrüßen, dass dadurch Hürden bei der Verfolgung digitaler Gewalt abgebaut werden können. beck-aktuell berichtet.
Digitalisierung: netzpolitik.org (Maximilian Henning) beschreibt, welche digitalen Rechtsvorhaben die kommende EU-Kommission anpacken sollte und wo die Mitgliedstaaten EU-Recht noch umsetzen müssen.
Gesichtsverhüllungsverbot Hamburg: Am Mittwoch fügte die Hamburgische Bürgerschaft in das Landesschulgesetz ein Verbot von Kopfbedeckungen ein, die das Gesicht vollständig verschleiern. In Hamburg sind etwa zehn Fälle von Mädchen bekannt, die mit Gesichtsverhüllung in die Schule kamen. Ähnliche Verbote gibt es bereits in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. spiegel.de und beck-aktuell berichten.
Justiz
LG Halle zu Björn Höcke: Der AfD-Politiker Björn Höcke legte am Mittwoch Revision gegen das gegen ihn ergangene Urteil des Landgerichts Halle von Dienstag ein. Er war wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a StGB verurteilt worden, weil er die verbotene SA-Parole "Alles für Deutschland" benutzt hatte. Der Bundesgerichtshof wird keine Tatsachenfeststellungen, sondern nur mögliche Rechtsfehler überprüfen. Es berichten FAZ, LTO und bild.de (Uwe Freitag).
BVerfG zu Wahlwerbung: Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) scheiterte am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht mit einem Eilantrag gegen den rbb, der einen MLPD-Wahlwerbespot nur ohne Einblendung eines kommerziell vertriebenen Buches ausstrahlen wollte. Zwar dürfe der Begriff der Wahlwerbung nicht zu eng ausgelegt werden, so das BVerfG, hier sei es aber um die Frage gegangen, ob der Werbespot "ausschließlich" Wahlwerbung beinhalte – was das BVerfG laut LTO verneinte.
BVerfG – Grundrecht auf Verteidigung: Nach Informationen der Welt (Thorsten Jungholt) plant eine Gruppe von Rechtsanwält:innen, im Herbst eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzulegen, weil sie finden, dass der Staat den in Artikel 87a GG verankerten Gewährleistungsauftrag, Deutschland gegen einen Angriff zu schützen, missachtet. Da Gewährleistungsaufträge normalerweise nicht durch eine Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden können, ist unklar, ob das Vorhaben die Hürde der Zulässigkeit überwinden kann.
BGH zu Mordmerkmalen: Wenn ein Täter durch denselben Handlungsantrieb zwei Mordmerkmale verwirklicht, dann tritt das allgemeinere hinter dem spezielleren Mordmerkmal zurück, wie der Bundesgerichtshof im März klarstellte. In dem zugrundeliegenden Fall hatte ein Jugendlicher einen Mann erstochen, weil er an die Schlüssel seines Sportwagens kommen wollte, mit dem er einem Mädchen imponieren wollte. Das Gericht kann hier nur die Ermöglichungsabsicht als spezielleres Mordmerkmal berücksichtigen, nicht etwaige niedrige Beweggründe, die lediglich allgemeiner Natur sind. beck-aktuell berichtet.
OVG Berlin-BB zu Klimaschutzprogramm: Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzprogramm nachbessern, weil es aktuell nicht ausreicht, um die im Klimaschutzgesetz festgelegten verbindlichen Klimaziele zu erreichen. Damit gab das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erneut zwei Klagen der Deutschen Umwelthilfe statt, Die Bundesregierung kann gegen das Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht einlegen, die eine aufschiebende Wirkung hätte. Bei der Entscheidung hat das OVG die Novelliereung des Klimaschutzgesetzes Ende April noch nicht berücksichtigt, weil sie noch nicht in Kraft ist. taz.de (Nick Reimer), spiegel.de, zeit.de und focus.de berichten
OVG Berlin-BB zu Protestcamp gegen Tesla: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte den Mitte März ergangenen Eilrechtsschutz gegen polizeiliche Auflagen, die zur Räumung des Protestcamps der Initiative "Tesla stoppen" nahe des Teslawerks in Grünwalde geführt hätten. Auch in zweiter Instanz habe die Polizei die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt, so beck-aktuell und zeit.de.
OLG Frankfurt/M. – Umsturzpläne/Reuß: Für den am 21. Mai am Oberlandesgericht Frankfurt/M. beginnenden Strafprozess gegen neun Angeklagte im Zusammenhang mit der "Reichsbürger"-Gruppierung um Prinz Reuß wurde am Frankfurter Stadtrand extra eine neue Halle gebaut. LTO und bild.de (Michaela Steuer) beschreiben die Dimensionen des "Mammutprozesses", in dem die Anklage 617 Seiten umfasst und etwa 260 Zeug:innen geladen sind. Auch der Rädelsführer Prinz Reuß muss sich in dem bis Mai 2025 angesetzten Prozess verantworten.
VG Potsdam zu Schengen-Einreiseverbot: Nun berichtet auch taz.de (Christian Rath) über die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Potsdam gegen das von der Bundespolizei verhängte Schengen-Einreiseverbot für den britisch-palästinensische Arzt Ghassan Abu Sittah. Es liege kein Verdacht einer "schweren Straftat" vor.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun/von Erffa: Nun berichten auch faz.net und LTO, dass der mitangeklagte Ex-Wirecard-Buchhalter Stephan von Erffa im Juli erstmals im Strafprozess vor dem Landgericht München I aussagen will. Nach Feststellung seiner Schuldfähigkeit soll zunächst am 5. Juni ein Rechtsgespräch seiner Verteidigung mit dem Gericht stattfinden.
LG Berlin I zu Suizidhilfe für psychisch Kranke: Rechtsreferendar Tjorben Studt kritisiert auf dem JuWissBlog das Urteil des Landgerichts Berlin I von Anfang April, mit dem ein Arzt zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilt wurde, weil er einer depressiven Frau beim Suizid geholfen hatte. Das Gericht hätte sich nicht über das medizinische Gutachten hinwegsetzen dürfen, dass die Frau freiverantwortlich handelte. Der Autor lehnt eine Unterscheidung zwischen medizinischer und juristischer Freiverantwortlichkeit ab.
VG Köln – EU-EntwaldungsVO: Der Hamburger Kakaohändler Albrecht & Dill hat beim Verwaltungsgericht Köln eine Klage gegen die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) eingereicht, wie das HBl (Katrin Terpitz/Olga Scheer) exklusiv berichtet. Der Kakaohändler wehrt sich dabei mittelbar gegen die Anforderung der EU-Entwaldungs-Verordnung, die Ende des Jahres in Kraft tritt. Rohstoffhändler müssen dann durch Photos beweisen, dass ihre Rohstoffe nicht von Flächen stammen, auf denen nach 2020 Wald geschädigt wurde. Die Anforderungen seien unerfüllbar und unverhältnismäßig.
AG Berlin-Mitte zu Frage nach Herkunft: Das Amtsgericht Berlin-Mitte verurteilte das Land Berlin im April wegen Verstoßes gegen das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 750 Euro, weil ein Polizist den Kläger Syed N. bei einer Verkehrskontrolle nach seiner "wirklichen Herkunft" gefragt hatte, nachdem dieser "Bochum" als seinen Geburtsort angab. Die Nachfrage sei von rassistischen Zuschreibungen geprägt. Während der Polizist dem Kläger gegenüber zudem "unfreundlich, rabiat und aggressiv" auftrat und ein Bußgeld wegen angeblichen Telefonierens beim Fahrradfahren verhängte, ließ er zugleich einen blonden Falschparker "freundlich und zuvorkommend" ohne Strafzettel weiterfahren. Damit wurde das Land vier Jahre nach Inkrafttreten des LADG erstmals wegen der Diskriminierung durch einen Polizisten verurteilt. LTO (Maryam Kamil Abdulsalam) gibt die nun vorliegende Urteilsbegründung wieder.
GenStA München – Petr Bystron: Die Generalstaatsanwaltschaft München hat am gestrigen Donnerstag das Bundestagsbüro des AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron sowie weitere Immobilien in Deutschland und auf Mallorca durchsuchen lassen, nachdem der Bundestag kurz zuvor Bystrons Immunität aufgehoben hatte. Gegen Bystron wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche eingeleitet, weil er im Zusammenhang mit seinen mehrfachen Auftritten im Kreml-freundlichen Medium "Voice of Europe" finanzielle Zuwendungen von Russland erhalten haben soll. Es berichten SZ (Christoph Koopmann u.a.), FAZ (Friederike Haupt), taz (Gareth Joswig), spiegel.de (Ann-Katrin Müller u.a.) und bild.de (Michael Deutschmann/Andreas Bachner).
Roland Preuß (SZ) findet, dass die Ermittler:innen richtigerweise dem schweren Bestechungsverdacht nachgehen, auch wenn öffentlich keine Belege vorliegen.
Überlastete Staatsanwaltschaft: spiegel.de (Finn Starken) beschreibt die starke Überlastung der Staatsanwaltschaften, die auch zur Einstellung von Verfahren führt. Während Ermittlungen teilweise aufwendiger werden, fehle es an Personal und anderen Ressourcen – Schilderungen, die "für den Rechtsstaat Alarmsignale sein müssten."
Beruf als Staatsanwältin: Im Gespräch mit spiegel.de (Markus Sutera) erzählt die Düsseldorfer Staatsanwältin Meike Werner von ihrer Arbeit. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung müsse man "nicht nur Topnoten mitbringen, sondern stressresistent, entscheidungsfreudig und teamfähig sein". Sie hebt außerdem hervor, dass sie bislang "noch keinen Beschuldigten für einen wirklich schlechten, bösen Menschen" hielt.
Recht in der Welt
Australien – Whistleblower/Kriegsverbrechen: Ein Gericht in Canberra verurteilte den ehemaligen Elitesoldaten und Whistleblower David McBride wegen Geheimnisverrats zu einer Haftstrafe von mehr als fünfeinhalb Jahren. McBride hatte 2014 und 2015 einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender geheime Militärdokumente übergeben, die Kriegsverbrechen australischer Soldat:innen in Afghanistan dokumentierten, darunter mindestens 39 mutmaßliche Tötungen von Zivilist:innen und Kindern. Menschenrechtler:innen kritisierten, dass der Whistleblower, nicht aber die mutmaßlichen Kriegsverbrecher verurteilt wurden. Die taz (Sven Hansen) berichtet.
Großbritannien – Asyl in Ruanda: Heribert Prantl (SZ) kritisiert die hinter dem britischen Modell, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben, stehende "Festungspolitik", die Ängste der Bürger:innen "sedieren soll, sie aber umso mehr weckt". Der "neokoloniale Kuhhandel mit Flüchtlingen in angeblich sichere Drittstaaten" bestärke "die Menschen in dem antipfingstlichen Gefühl, dass der oder die Fremde eine Bedrohung ist".
Sonstiges
Zuwendungsrecht/Antidiskriminierungsklauseln: Verschiedene Rechtsprofessor:innen, darunter Kai Ambos, Nora Markard, Cengiz Barskanmaz und Ralf Michaels, äußern auf dem Verfassungsblog in einer Stellungnahme verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben des Berliner Senats, Antidiskriminierungsklauseln ins Zuwendungsrecht aufzunehmen, nachdem er mit seiner Antisemitismusklausel gescheitert war. Sie erinnern zunächst daran, dass auch die Leistungsverwaltung verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt. Grundsätzlich können staatliche Förderungen nicht an politische Einstellungen geknüpft werden. Eine "Formulierung politischer Vorgaben würde einen gefährlichen Präzedenzfall für mögliche autoritär-populistische Regierungen setzen." Sie schlagen vor, dass der Staat, wenn es "tatsächlich um Antisemitismus- und Rassismusbekämpfung" geht, gemeinsam mit den Betroffenen unverbindliche Verhaltensregeln aufstellen sollte.
djb – JuMi-Netzwerk: Der Deutsche Juristinnenbund (djb) gründete das Netzwerk "Juristinnen mit Migrationsgeschichte" (JuMi). beck-aktuell meldet, dass dadurch die intersektionalen Diskriminierungserfahrungen sichtbarer gemacht werden sollen und letztlich Vielfalt und Gleichberechtigung gefördert werden soll.
Grundgesetz: Ronen Steinke (SZ) bespricht das Jugendbuch "Jeder hat das Recht", in dem das Grundgesetz erläutert wird. Der erste Teil des Buches sei langweilig wie ein Gemeinschaftskunde-Lehrbuch. Herausragend sei aber ein Interview mit Ex-Verfassungsrichterin Susanne Baer. Auch die Erläuterung einzelner Rechte werde immer lebendiger.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 17. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 17.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54567 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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