Neue EuGH-Rechtsprechung kann laut EuGH eine geänderte Rechtslage darstellen. Jan Böhmermann muss die Nutzung seines Bildes für satirische Werbung dulden. Der US-Supreme Court verhandelte über den Ausschluss Donald Trumps von einer Vorwahl.
Thema des Tages
EuGH zu Asylfolgeantrag: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann eine geänderte Rechtslage darstellen, die zu einem Asylfolgeantrag berechtigt. Das entschied der EuGH auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Sigmaringen. In dem zugrundeliegenden Fall hatte ein syrischer Kriegsdienstverweigerer, der lediglich einen subsidiären Schutzstatus erhalten hatte, einen Asylfolgeantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt, nachdem der EuGH in einem anderen Verfahren 2020 klargestellt hatte, dass bei syrischen Kriegsdienstverweigerern eine klare Vermutung für die Flüchtlingseigenschaft – den stärkeren Schutzstatus – spricht. Das BAMF hielt diesen Asylfolgeantrag jedoch mangels geänderter Rechtslage für unzulässig; ähnlich argumentierte auch das Verwaltungsgericht München 2022, als es entschied, dass EuGH-Urteile die Rechtslage nicht ändernd gestalten, sondern nur klarstellen. Dem widersprach nun der EuGH. Wenn über einen Asylantrag unter Berücksichtigung der neuen EuGH-Rechtsprechung anders entschieden werden muss als zuvor, liege eine geänderte Rechtslage vor. Es berichten SZ, LTO (Max Kolter) und beck-aktuell.
Rechtspolitik
Terrorismus: Rechtsprofessor Tonio Walter legt im FAZ-Einspruch dar, warum seiner Meinung nach die von Justizminister Marco Buschmann geplante Verschärfung von § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) verfassungswidrig ist. Bereits jetzt sei § 89a StGB problematisch weit gefasst, sodass auch an sich harmlose Taten strafbar sein können, wenn die betreffende Person plant, später einmal mithilfe der erworbenen Fertigkeiten an einer terroristischen Straftat teilzunehmen. Die geplante Erweiterung der Tatmodalitäten um die "Einreise" könne auch nicht damit rechtfertigt werden, dass hier eine EU-Richtlinie umgesetzt wird, denn das deutsche Schuldprinzip gehöre zum Kerngehalt der Verfassungsidentität.
Lieferketten und Menschenrechte: Möglicherweise könnte die heutige Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie trotz der deutschen Enthaltung positiv ausfallen, so die taz (Eric Bonse). Die erforderliche qualifizierte Mehrheit ist erreicht, wenn mindestens 15 Mitgliedstaaten, die insgesamt mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen, für das Vorhaben stimmen; bei der heutigen Abstimmung könnte Italiens Regierung den Ausschlag geben.
Derweil will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) laut zeit.de, jetzt auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz lockern.
EU-Politik: EU-Politiker:innen sind anlässlich mehrerer kurzfristiger FDP-Blockaden über die "deutsche 'Last-Minute-Politik'" wütend, so spiegel.de (Markus Becker/Timo Lehmann), und betonen, dass diese den Ruf Deutschlands als zuverlässigen Partner schädigt. Auch Michael Bauchmüller und Jan Diesteldorf (SZ) kommen zu dem Schluss, dass "Deutschland durch die Abkehr von dem gefundenen Kompromiss seinen Einfluss und seine Glaubwürdigkeit in Europa aufs Spiel setzt." Sie weisen darauf hin, dass EU-Mehrheiten ohne deutsche Beteiligung sogar zu mehr Bürokratie führen können.
Fachkräfte: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) stellte Mittwoch einen vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf vor, wonach Menschen, die zwar keinen formalen Berufsabschluss haben, aber die erforderlichen Kompetenzen durch Berufserfahrung sammelten, einen Anspruch auf Feststellung und Zertifizierung ihrer Fähigkeiten haben sollen. Damit möchte die Bundesregierung gegen den Fachkräftemangel vorgehen und die "berufliche Handlungsfähigkeit" validieren, wie LTO schreibt.
Justiz
LG Dresden zu Böhmermann vs. Imker: Der Satiriker Jan Böhmermann verlor vor dem Landgericht Dresden gegen einen Imker, der Böhmermanns Bild zu Werbezwecken für seinen Honig verwendete, nachdem Böhmermann zuvor den Imker des "Beewashings" bezichtigt hatte. Böhmermann hatte seinen Unterlassungsantrag mit einer Verletzung seines Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere der Bild- und Namensrechte, begründet. Der Imker habe Böhmermanns Reputation ausgenutzt, um so Werbung für seinen Honig zu machen. Das LG widersprach dem nun und gab dem Imker recht, der betonte, dass es sich bei der Werbeaktion "um einen Versuch der Rehabilitation" durch Gegensatire handle. Rechtlich ausschlaggebend ist, dass der satirische Charakter der Werbeaktion, in der Böhmermann u.a. als "führender Bienen- und Käferexperte" betitelt wurde, erkennbar ist. Böhmermanns Anwalt kündigte bereits Berufung an. Es berichten SZ (Cornelius Pollmer), FAZ, Welt, LTO (Max Kolter), spiegel.de und bild.de (Thomas Fischer).
BGH zu Befangenheit: Da die Befangenheitsvorschriften nicht nur den Angeklagten, sondern auch der Neutralität des Gerichts dienen, darf auch die Staatsanwaltschaft als "Wächterin des Gesetzes" Richter:innen und Schöff:innen wegen Befangenheit ablehnen, so der Bundesgerichtshof. In dem zugrundeliegenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft eine Schöffin als befangen abgelehnt, nachdem diese mitteilte, dass sie den Angeklagten, der mit dem Auto seiner damaligen Partnerin Marihuana nach Deutschland schmuggelte, kennt, weil es sich bei besagter Partnerin um ihre Nichte handelte, so beck-aktuell.
OLG Düsseldorf zu Bestell-Button: Das Oberlandesgericht Düsseldorf entschied zulasten des Meta-Konzerns, dass die Gestaltung der bei Instagram und Facebook verwendeten Bestell-Buttons für eine werbefreie Version der sozialen Netzwerke gegen Verbraucherschutzvorschriften verstoßen. Das OLG gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale NRW statt. Gemäß § 312j Abs. 3 BGB müssen Unternehmen den Bestell-Button mit einer eindeutigen Formulierung wie "zahlungspflichtig bestellen" versehen. Diese Anforderung erfüllte Metas Button mit der Aufschrift "Abonnieren" bzw. "Weiter zur Zahlung" nicht; bei ersterem ist nicht klar, dass der Vertrag kostenpflichtig ist, bei letzterem nicht, dass es bereits durch Klicken des Buttons zum Vertragsschluss kommt. Es berichten LTO, spiegel.de und zeit.de.
OVG Sachsen – Corona/2G: Die ungeimpfte Schlagersängerin Julia Neigel strebt im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen die Feststellung an, dass eine im Herbst 2021 geltende 2G-Regelung für den Kulturbetrieb u.a. wegen Verstoßes gegen die Kunst- und Berufsfreiheit unwirksam gewesen sei. Zunächst ging es um die Zulässigkeit der Klage. Der Anwalt des Freistaats Sachsens wandte ein, dass der Normenkontrollantrag zu spät eingereicht wurde, weil die alte Coronaschutzverordnung bereits durch eine neue ersetzt wurde, so spiegel.de (Wiebke Ramm) und bild.de (Johannes Proft).
LAG Nds zu VW-Betriebsratsvergütung: Erstmals hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die Gehalts-Kürzung für einen VW-Betriebsrat für rechtswidrig erklärt. Der Betriebsrat konnte belegen, dass er nicht überhöht bezahlt wurde - weil ihm eine dieser Bezahlung entsprechende Stelle bereits angeboten worden war. beck-aktuell berichtet.
AGH Bayern zu Fachanwaltstitel/Fortbildung: Die Rechtsanwaltskammer (RAK) München widerrief zu Recht die Erlaubnis für einen 81-jährigen Anwalt, den Fachanwaltstitel für Steuerrecht zu tragen, weil dieser nicht die erforderliche Mindestzahl an Fortbildungen absolviert hatte. Laut Anwaltsgerichtshof Bayern war es dem Anwalt zumutbar, "das technische Knowhow zu schaffen", um an Online-Fortbildungen teilzunehmen. LTO berichtet, dass sich das Ermessen der RAK hier sogar aufgrund des Vertrauens der Mandantschaft in die regelmäßige Fortbildung der Fachanwält:innen auf Null reduziert.
VG Berlin zu Baumschutz: Im Streit um die Errichtung einer Unterkunft für Geflüchtete zwischen der Wohnungsbaugesellschaft Gesobau und dem Berliner Bezirksamt Pankow entschied das Verwaltungsgericht Berlin nun zum zweiten Mal, dass ein durch das Bezirksamt ausgesprochenes Baumfällverbot, das den Baubeginn der Unterkunft verhindert, offensichtlich rechtswidrig ist. Beim ersten Verbot, das auf Naturschutz-Aspekte gestützt wurde, verkannte das Bezirksamt, dass es einen Ermessensspielraum hat. Auch das zweite Fällverbot, bei dem mit dem Schutz von gefährdeten Tierarten argumentiert wurde, sei offensichtlich rechtswidrig, weil es keinen Verdacht auf entsprechende Gefahren gebe. LTO berichtet.
LG Bonn - Cum-Ex/Duet Group: Das Landgericht Bonn hat das Cum-Ex-Strafverfahren gegen Alain Schibl vorläufig eingestellt. Er muss aber noch die mit Cum-Ex-Manipulationen erzielten Gewinne in Höhe von 2,2 Millionen Euro zurückzahlen. Der in London lebende Schweizer hat für die Duet-Group als Fondsmanager gearbeitet. Seine Tatbeteiligung an den Cum-Ex-Manipulationen habe sich als "deutlich geringer" herausgestellt als bei anderen Akteuren der Duet-Group. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung).
GenStA München – Hasskriminalität im Stadion: Die Münchener Generalstaatsanwaltschaft und der Bayerische Fußball-Verband (BFV) haben eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen, durch die erhebliche Vorfälle von Hasskriminalität im Stadion strafrechtlich einfacher verfolgt werden können. Der BFV kann zukünftig Fälle auch ohne Anzeige durch ein Opfer an die GenStA München weiterleiten, die weitreichendere Ermittlungsbefugnisse als der BFV hat, so LTO und bild.de (Karl Keim).
Völkerstrafrecht: Gestern ging eine Datenbank online, in der Urteile deutscher Gerichte zum Völkerstrafrecht zu finden sind. Das Projekt, unter Leitung des Nürnberger Rechtsprofessors Christoph Safferling, wird vom Bundesjustizministerium gefördert, um die Präzedenzwirkung deutscher völkerstrafrechtlicher Gerichtsverfahren zu stärken, so LTO und beck-aktuell.
Recht in der Welt
USA – Trump/Wahlausschluss: Am US-Supreme Court begann die Anhörung zur Frage, ob der US-Bundesstaat Colorado Ex-Präsident Donald Trump wegen seiner Beteiligung an dem Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 von den republikanischen Vorwahlen ausschließen durfte. Der Supreme Court von Colorado hatte den Ausschluss unter Berufung auf den 14. Zusatzartikel der US-Verfassung angeordnet. Richter:innen des US-Supreme Courts äußerten Sorge darüber, dass Gerichte einzelner Staaten durch ein solches Vorgehen zu sehr in den Bundeswahlkampf eingreifen könnten. Es berichten SZ (Fabian Fellmann), zeit.de und bild.de (Marie Sophie Krone). In einem separaten Beitrag gibt zeit.de (David Rech) im Frage-Antwort-Format einen Überblick über die Rechtslage und mögliche Folgen einer US-Supreme Court-Entscheidung.
USA - Biden/Dokumente: Der vom US-Justizminister eingesetzte Sonderermittler sieht keine Notwendigkeit zur Strafverfolgung gegen US-Präsident Joe Biden. Dieser habe zwar Verschlusssachen aus seiner Amtszeit als Vizepräsident unter Barack Obama privat aufbewahrt. Seine Schuld sei jedoch nicht zweifelsfrei. Bei Biden handele es sich um einen "älteren Mann mit schlechtem Gedächtnis". zeit.de berichtet.
Slowakei – Korruption: Das slowakische Parlament hat, trotz oppositioneller Proteste, eine Reform des Wirtschaftsstrafrechts beschlossen, mit der unter anderem niedrigere Strafen für Korruption festgelegt und eine Spezialstaatsanwaltschaft, die für organisierte Kriminalität und politische Verbrechen zuständig war, abgeschafft wird, wie FAZ (Niklas Zimmermann) und spiegel.de schreiben.
Alexander Haneke (FAZ) merkt an, dass der slowakische Ministerpräsident Robert Fico "den offenen Kampf gegen die Justiz angekündigt hatte und trotzdem (oder gar deshalb?) gewählt wurde." Die EU verfüge zwar über einige Werkzeuge gegen den Abbau der Rechtsstaatlichkeit, allerdings sind diese "zweischneidig", weil es "Populisten wie Orbán oft genug gelungen ist, vom Kampf gegen die vermeintliche Fremdherrschaft aus Brüssel zu profitieren."
EU/Ungarn – Souveränitätsgesetz: Nun berichten auch taz (Florian Bayer) und beck-aktuell über das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Ungarn wegen des sogenannten Souveränitätsschutzgesetzes, das die Finanzierung von Vereinen und Organisationen aus dem Ausland verbietet.
Sonstiges
Notwehr bei Partnerschaftsgewalt: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jonas Koschmieder setzt sich auf LTO mit der BGH-Rechtsprechung und der herrschenden Lehre zum eingeschränkten Notwehrrecht im Rahmen von Partnerschaftsgewalt auseinander. Bei intakten Beziehungen erfordere danach die Gebotenheit der Notwehrhandlung gegen erstmalige Angriffe in Form leichter Körperverletzungen unter Umständen, dass die Körperverletzung geduldet wird. Problematisch ist für Koschmieder jedoch, dass der Begriff der "leichten Körperverletzung" juristisch nicht definiert ist, was dazu führt, dass einige Autor:innen diese erst bei Lebensgefahr und gefährlicher Körperverletzung negieren. Dadurch kommt es, so Koschmieder, zu einer "Normalisierung leichter Körperverletzungen in der Partnerschaft".
Strafvollzug und Menschenwürde: Der Richter Lorenz Bode erläutert auf dem JuWiss-Blog anlässlich einer im November 2023 ergangenen Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts zur menschenunwürdigen Unterbringung eines Strafgefangenen generelle Defizite. Er fordert, dass im "besonders grundrechtsintensiven Bereich" des Strafvollzugs alle Bundesländer Strafvollzugsbeauftragte einsetzen sollten, die die menschenwürdige Unterbringung der Gefangenen überprüfen.
Grundrechtsverwirkung / AfD-Verbot: Im letzten Teil seiner dreiteiligen Serie zur wehrhaften Demokratie erläutert Rechtsprofessor Mathias Hong auf dem Verfassungsblog, warum sich seiner Ansicht nach das Antragsermessen der Amtsträger:innen hinsichtlich Parteiverbots- und Grundrechtsverwirkungsanträge wegen der Verfassungstreuepflicht auf Null reduzieren kann. "Je klarer die Voraussetzungen einer Verwirkung oder eines Verbots erfüllt sind, desto geringer ist das Ermessen." Er betont, dass die materiellen Rechtsfolgen der Verwirkung und des Verbots bereits aus der Verfassung folgen, dem Bundesverfassungsgericht komme hier lediglich eine Feststellungskompetenz zu.
Waffen für die Ukraine: Heribert Prantl (SZ) mahnt, dass die geplante Lieferung der Marschflugkörper "Taurus" an die Ukraine möglicherweise - sollte die Waffe auf russischem Gebiet eingesetzt werden und die Lieferung damit über Nothilfe hinausgehen - "das Friedensgebot des Grundgesetzes zerstört." Prantl betont die Relevanz der Unterscheidung zwischen "Krieg oder Verteidigung".
Das Letzte zum Schluss
(Un)saubere Schmuggelware: Dem Kölner Zoll ist ganz besondere Schmuggelware in die Hände gekommen: unechtes Marken-Waschmittel, dessen Originalwert etwa 110.000 Euro beträgt. Neben Markenaccessoires wie Handtaschen und Uhren beschlagnahmt der Zoll immer wieder gefälschte Alltagsprodukte bekannter Marken, so ein Zollsprecher laut spiegel.de.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53842 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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