Es gibt einen neuen Vorschlag zum Schutz Israels vor Vernichtungsaufrufen. Heute entscheidet das BVerfG über den Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung. Der US-Supreme Court soll die erstmalige Hinrichtung per Stickstoff stoppen.
Thema des Tages
Existenzrecht Israels: Bei einer Anhörung im Bundestag über den Gesetzentwurf der CDU/CSU, die Leugnung des Existenzrechts und den Aufruf zur Beseitigung des Staates Israel als neue Variante der Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe zu stellen, lehnte die Mehrheit der Sachverständigen den Gesetzentwurf mit Blick auf die Meinungsfreiheit ab oder sah ihn problematisch. Inzwischen regten aber der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck und Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven eine neue Strafvorschrift an, die in einem neuen § 103 StGB den Aufruf zur Vernichtung eines Staates, zu dem Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, unter Strafe stellt. Damit solle eine allgemeine, mit der Meinungsfreiheit konforme Formulierung gewählt werden. Das Bundesjustizministerium möchte jedocherst abwarten, ob in der Gerichtsbarkeit tatsächlich Strafbarkeitslücken auftreten. Andere Strafrechtsprofessor:innen reagierten zurückhaltend auf den Vorschlag, während der Präsident des Zentralrats der Juden Schuster eine Verschärfung des deutschen Strafrechts gegen Antisemitismus forderte. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
Rechtspolitik
Organspenden: Rechtsanwalt Gerhard Strate setzt sich auf beck-aktuell mit einer Initiative des Bundesrates, die für eine Widerspruchslösung bei der Organspende plädiert, kritisch auseinander. Die Initiative untergrabe die Autorität von staatlichen Institutionen: "Wenn ein mit großer Sorgfalt erarbeitetes, in freier Abstimmung vom Bundestag beschlossenes Gesetz noch vor seiner Umsetzung durch eine Bundesratsinitiative wieder infrage gestellt wird, dann ist es an der Zeit, endlich einmal innezuhalten."
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Die FAZ (Michael Hanfeld) interviewt die Vorsitzenden des Zukunftsrates Julia Jäkel und Peter M. Huber über die empfohlene Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, insbesondere der ARD, über die Einrichtung neuer Organe wie einer kollegialen Geschäftsleitung und die Gründung einer gemeinsamen Digitalplattform. Es müsse eine Kontrolle der Erfüllung des verfassungsrechtlich geregelten Auftrags geben.
Im Interview mit der taz (Christian Rath) spricht Ex-Verfassungsrichter Peter M. Huber über die Finanzsanktionen, die ARD, ZDF und Deutschlandradio drohen sollen, wenn sie ihren Auftrag nicht einhalten. Die finanziellen Abschläge sollen mehr als symbolisch sein. Modelle, wie die Einhaltung des Auftrags kontrolliert werden kann, müsse die Medienwissenschaft noch entwickeln.
Justiz
BVerfG – NPD-Finanzierung: An diesem Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Klage der NPD/Heimat gegen den Entzug der Parteienfinanzierung nach Artikel 21 GG. Die SZ (Wolfgang Janisch) schildert das Verfahren und erläutert, ob das Vorgehen gegen die NPD als "Blaupause" für einen Ausschluss der AfD von der Parteienfinanzierung dienen könnte. Die Hürden, nämlich der Nachweis einer verfassungsfeindlichen Zielrichtung, seien nicht niedriger als bei einem Verbotsverfahren. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Verfahren liege in der Potenzialität, die beim Ausschluss von der Finanzierung nicht erforderlich ist. Ob es bei diesen Grundsätzen bleibe, werde das neue Urteil des BVerfG zeigen.
BVerfG – Pestizidzulassung: Nun berichtet auch beck-aktuell über eine Verfassungsbeschwerde von vier Bundesbehörden unter Federführung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), mit der erreicht werden soll, dass der Europäische Gerichtshof in Fällen von Pestizidzulassungen anzurufen ist. Dies hatten das VG Braunschweig und das OVG Niedersachen bisher verweigert. Die Behörden haben Bedenken, dass in anderen EU-Staaten die Prüfung von Pestiziden weniger streng erfolgt und die Anerkennung von Zulassungen aus anderen Staaten dazu führt, dass deutsche Schutzstandards umgangen werden. Konkret geht es um das Pestizid "Gold 450 EC", für das eine Zulassung in Polen erteilt wurde, obwohl es in Deutschland nicht zugelassen ist.
BVerfG zu Polemik vor Gericht: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Anwältin gegen zivilrechtliche Unterlassungsurteile wegen Verletzung der Subsidiarität für unzulässig erklärt, dann aber doch die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen von AG und LG Dresden beanstandet, da sie nicht mit der ständigen Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit in Einklang stünden. Die Anwältin hatte einen anderen Anwalt als "fetten Anwalt" und "Rumpelstilzchen" bezeichnet, woraufhin dieser erfolgreich Unterlassungsurteile erwirkt hatte. Das BVerfG bemängelte, dass die Fachgerichte den Kontext der Äußerungen nicht erörtert und keine Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Anwalts und dem Recht auf Meinungsfreiheit der Frau vorgenommen hätten. Im "Kampf um das Recht" sei es erlaubt, "auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen". LTO berichtet.
BVerwG zu Bundeswehr-Beurteilungen: Für Beurteilungen bei der Bundeswehr fehlt derzeit eine gesetzliche Grundlage. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht und gab der Wehrbeschwerde eines Bundeswehr-Offiziers statt, der mit seiner dienstlichen Beurteilung nicht einverstanden war. Die Beurteilung erfolgte mithilfe eines neuen Systems und bewertete ihn knapp unterhalb der Spitzengruppe. Das Gericht erklärte die Beurteilung für inhaltlich rechtswidrig. Das Soldatengesetz enthalte keine dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage für das Beurteilungswesen. Die bisherigen Regeln zur dienstlichen Beurteilung, etwa in der Soldatenlaufbahnverordnung, gelten für eine Übergangszeit fort. beck-aktuell berichtet.
KG Berlin zu Warnungen auf Tabakwaren: Warnhinweise auf Tabakerzeugnisses dürfen nicht durch Produktkarten oder sonstige Gegenstände verdeckt werden. Dies hat das Kammergericht entschieden, wie beck-aktuell berichtet. Der Zweck, die Verbraucher vom Kauf abzuhalten, werde durch ein Verdecken der Hinweise auf den Verpackungen verfehlt.
LG Lüneburg – Radlader-Unglück: Vor dem Landgericht Lüneburg wird ein Landwirt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Der Vorwurf bezieht sich auf einen tragischen Unfall bei einem Vater-Kind-Zeltlager in Toppenstedt, bei dem zwei Menschen starben und elf verletzt wurden. Die Anklage lautet, dass die Gitterbox des Radladers, den der Angeklagte fuhr, nicht ausreichend gesichert war, was zu dem Unfall führte. Der Angeklagte bestreitet dies. Die FAZ (Kim Maurus) berichtet.
LG Düsseldorf zu Löwentraut vs. Galerie: Der Künstler Leon Löwentraut hat wirksam seine Vertragsbindungen zu einer Düsseldorfer Galerie gekündigt. Das Landgericht Düsseldorf erklärte den vereinbarten Kündigungsausschluss für unwirksam, da er Löwentrauts Kunstfreiheit erheblich einschränke. Die Galerie muss bestimmte Kunstwerke an den Künstler herausgeben, ihn über alle Verkäufe informieren und ihm rund 285.000 Euro zahlen. beck-aktuell berichtet.
LG Chemnitz zu rechtsextremer Gewalt: Das Chemnitzer Landgericht hat das Verfahren gegen drei Männer, die an Angriffen auf linke Demonstrant:innen während rechter Ausschreitungen im September 2018 in Chemnitz beteiligt waren, gegen Zahlung von jeweils 1.000 Euro an soziale Einrichtungen eingestellt. Die Opfer kritisierten die Entscheidung, die Nebenklage nannte sie einen Skandal. Das Gericht äußerte sich nicht zu den Gründen der Einstellung. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, wie die taz (David Muschenich) berichtet.
SG Heilbronn zu Arbeitsunfall unter Alkohol: Rechtsprofessor Arnd Diringer bespricht im Expertenforum Arbeitsrecht eine Entscheidung des Sozialgerichts Heilbronn aus dem Jahr 2014, nach der ein Unfall eines Betriebsrats bei einer Betriebsrätekonferenz in Bad Kissingen als Arbeitsunfall zu werten war. Der Kläger hatte sich bei einem Blutalkoholgehalt von 1,99 Promille nach einem Sturz im Treppenhaus des Tagungshotels schwer verletzt. Das Gericht entschied, dass der Unfall als versicherte Tätigkeit anzusehen sei, da er sich auf einer dienstlich veranlassten Tagung befand und der Alkoholkonsum allein nicht ausreiche, um den Versicherungsschutz zu entziehen.
AG Köln zu Straßennutzung: Das Amtsgericht Köln hat das Verbot eines privaten Straßeneigentümers bestätigt, dass ein Ehepaar aus Köln die Straße vor seiner Haustür weder betreten noch befahren darf. Das Gericht betonte, dass das Paar kein Notwegerecht geltend machte, obwohl es darauf hingewiesen worden war. LTO (Xenia Piperidou) berichtet.
Recht in der Welt
USA – Hinrichtung per Stickstoff: Die Anwälte eines verurteilten Mörders aus Alabama haben eine Woche vor der geplanten Hinrichtung per Stickstoffinhalation den US-Supreme Court angerufen. Sie argumentieren, dass die Hinrichtungsmethode in den USA noch nie angewandt wurden und zu viele Fragen ungeklärt sind, um die Exekution zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchzuführen. Menschenrechtsorganisationen und UN-Expert:innen warnen vor einem möglicherweise grausamen Tod, der Folter ähneln könnte, da es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gebe, dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht. Die Anwälte berufen sich auf den achten Zusatzartikel der US-Verfassung, der "grausame und ungewöhnliche Strafen" verbietet. spiegel.de berichtet.
ICSID/Spanien – Eon-Schiedsklage: Das Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) hat nach Bericht der FAZ (Marcus Jung) dem Energiekonzern Eon Schadenersatz gegen Spanien zugesprochen, weil dort die Einspeisevergütung für erneuerbaren Strom rückwirkend gekürzt worden war. Eon hatte 2015 geklagt. Die Höhe des Schadensersatzes wurde nicht bekannt gegeben. Die Klage von Eon ist Teil einer Serie von Investoren-Klagen gegen Spanien aufgrund staatlicher Subventionsrücknahmen für erneuerbare Energien.
Italien – römischer Gruß: Die FAZ (Matthias Rüb) berichtet über ein Urteil des italienischen Kassationsgerichts, nach dem das Zeigen des aus Zeiten von Mussolini stammenden "Römischen Grußes" noch keine Straftat darstellt, solange dies nur bei Gedenkfeiern geschehe und keine "konkrete Gefahr" der erneuten Gründung einer faschistischen Partei bestehe. Konkret ging es um einen Vorfall in Mailand im April 2016, bei dem rund tausend Rechtsextremist:innen an einer Gedenkveranstaltung teilgenommen hatten.
Tschechien – Sparpolitik: In der Tschechischen Republik wird das Verfassungsgericht am Mittwoch über den strengen Sparkurs der Regierung urteilen. Die ANO-Partei, angeführt vom ehemaligen Premierminister Andrej Babiš, hatte das Gericht angerufen, um den Sparkurs zu stoppen. Eine Schuldenbremse, wie sie das Grundgesetz vorsieht, existiert in Tschechien nicht. Die FAZ (Andreas Mihm) berichtet.
Sonstiges
Anti-Antisemitismus als Fördervoraussetzung: Der Kultursenator von Berlin, Joe Chialo (CDU), hat aufgrund juristischer Bedenken die neue Antidiskriminierungsklausel bei Fördermitteln wieder zurückgenommen. Die Klausel hätte Empfänger öffentlicher Fördergelder verpflichtet, sich unter anderem gegen Antisemitismus zu bekennen. Die Kulturverwaltung hatte die Klausel Anfang Januar eingeführt, aufgrund rechtlicher Unsicherheiten aber nun wieder aufgehoben. Zuvor waren Forderungen an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) nach einer ähnlichen Klausel für die Kulturförderung auf Bundesebene laut geworden. Chialo betonte, dass das Ziel einer "diskriminierungsfreien Kultur" weiterhin bestehe und die Klausel nur deklaratorischen Charakter habe. Kritiker hatten die Klausel als Einschränkung der Kunstfreiheit und juristisch unscharf betrachtet, so SZ (Sonja Zekri), FAZ und LTO.
Grundrechtsverwirkung von Björn Höcke: Der Tagesspiegel bringt skeptische Statements der Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Jelena von Achenbach sowie des rechtspolitischen Korrespondenten Jost Müller-Neuhof zu einer möglichen Verwirkung der Grundrechte von AfD-Politiker Björn Höcke gem. Art. 18 GG. Brosius-Gersdorf meint, nur bei guter Erfolgsaussicht sollte ein entsprechendes Verfahren gegen Höcke beantragt werden. Jelena von Achenbach bezweifelt einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht: "Gerade als Grundrechtsgericht dürfte das Bundesverfassungsgericht mit einer Verkürzung des individuellen Grundrechtsstatus äußerst zurückhaltend sein." Müller-Neuhof betont die Eigenschaft Höckes als gewählter Volksvertreter und bezweifelt die praktische Relevanz von Art. 18 GG als "ein Stück Totholz der Verfassung."
Rechtsprofessor Christian von Coelln beschreibt im Verfassungsblog die Dogmatik von Art. 18 GG. So blieben Landesgrundrechte und Rechte nach der EMRK bestehen. Das BVerfG könne den Umfang der Grundrechtsverwirkung festlegen und damit Landesrecht brechen. Die Aberkennung des Wahlrechts beruhe auf Art. 38 GG. Bedenken hat der Autor, dass eine Grundrechtsverwirkung bei Parteipolitiker:innen das Parteienprivileg aushöhle.
Anwält:innen in Teilzeit: Franziska Kring interviewt auf LTO-Karriere ein Anwalts-Ehepaar über Teilzeitmodelle und Vereinbarkeit von Arbeit und Familie in einer Großkanzlei.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lkh/chr
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Die juristische Presseschau vom 23. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53694 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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