Kanzler Scholz kündigte vereinsrechtliche Verbote für Hamas und Samidoun an. NRW-Justizminister Limbach will Cum-Ex-Staatsanwältin Brorhilker nun sogar stärken. Die Revision des Cum-Ex-Steueranwalts Berger scheiterte.
Thema des Tages
Hamas-Unterstützung: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte gestern an, dass das Bundesinnenministerium (BMI) ein Betätigungsverbot für die Hamas und ein Vereinsverbot für das Unterstützernetzwerk Samidoun aussprechen wird. Damit werde Deutschland als "starker Rechtsstaat" das "scharfe Schwert" des Vereinsrechts ziehen. Dem BMI zufolge werden die Verbote "sehr intensiv vorbereitet" und "schnellstmöglich" vollzogen. Der konkrete Umfang richtet sich nach der Verbotsverfügung des BMI. Denkbar ist, dass künftig die Teilnahme an Hamas-Veranstaltungen, Spenden an die Hamas und das Verteilen von Propagandamaterial der Hamas strafbar sind. Da ein Vereinsverbot der Hamas in Deutschland mangels fester Vereinsstrukturen nicht möglich ist, soll nun (wie schon beim IS) ein Betätigungsverbot ausgesprochen werden. In Deutschland gibt es laut Verfassungsschutz etwa 450 Hamas-Unterstützer:innen. Es berichten SZ (Markus Basler u.a.), taz (Konrad Litschko), tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Max Bauer), zdf.de (Samuel Kirsch), bild.de (Elias Sedlmayr/Nadja Aswad) und LTO.
Obwohl bereits jetzt aufgrund der Listung der Hamas auf der EU-Terrorliste viele Unterstützungsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind, sieht Christoph Koopmann (SZ) in dem Betätigungsverbot dennoch einen "wichtigen symbolischen Akt". Zudem kann es den "Behörden mehr Rechtssicherheit geben, wenn offensichtliche Pro-Hamas-Demos angemeldet werden."
Billigung des Hamas-Terrors: Die Berliner Polizei teilte auf Anfrage von LTO (Max Kolter) mit, dass sie wegen des Jubels von 65 Personen über den Hamas-Terror keinen Anfangsverdacht für die Billigung von Straftaten gemäß § 140 StGB sieht, sondern nur noch wegen Landfriedensbruch, § 125 StGB, und wegen des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamt:innen, §§ 113, 114 StGB, ermittelt.
Rechtspolitik
Strafbefehlsverfahren: Rechtsprofessor Karsten Gaede spricht sich auf LTO dafür aus, bei einer möglichen (von der Justizministerkonferenz geforderten) Ausweitung des Strafbefehlsverfahren die diversen Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft zu beachten. Zwar sei das Strafbefehlsverfahren praktisch, um die Verfahrensmassen zu bewältigen, allerdings dürfe man nicht "kommunikationsschwächere Mitmenschen gewissermaßen 'über die Klinge springen lassen'". Eine Lösung, die auch dem in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankertem Recht auf mündliche Verhandlung Rechnung trägt, sieht Gaede in der Umstellung von einem Widerspruchs- auf ein Zustimmungserfordernis.
Asyl/Arbeitspflicht: Nun widmet sich auch die FAZ (Dietrich Creutzburg) dem Vorschlag Niedersachsens, eine Arbeitspflicht für Asylsuchende einzuführen. Eine Pflicht sei zwar unter Berücksichtigung des Verbots der Zwangsarbeit schwer umsetzbar, allerdings können Asylsuchende bereits jetzt zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen werden.
Scharfe Kritik an der diskutierten Arbeitspflicht für Asylsuchende übt hingegen Caspar Shaller (taz): "Um von ihrem eigenen Versagen abzulenken, lassen Politiker Menschen Zwangsarbeit leisten."
Migration: Nun stellt auch die taz (Christian Rath) den Gesetzentwurf der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zur "Rückführungsverbesserung" vor. Die vorgeschlagenen Maßnahmen dürften nach Prognose von Faeser lediglich zu 600 zusätzlichen Abschiebungen im Jahr führen. Die erleichterte Ausweisung von Mitgliedern krimineller Organisationen werde sogar zu mehr Ausreisepflichtigen führen, die nicht abgeschoben werden können. Die Maßnahmen zur Entlastung der Ausländerbehörden seien dagegen effizient. Indem die Aufenthaltsgestattung sechs Monate statt drei Monate gilt, entfallen 170.000 Amtsbesuche.
Während Constanze von Bullion (SZ) die von Faeser vorgestellten Pläne zur Lockerung von Arbeitsverboten begrüßt – "in Krankenhäusern kann auch ohne große Deutschkenntnisse geputzt werden" – ist sie eher skeptisch, dass die vorgeschlagenen Abschiebeverschärfungen tatsächlich Wirkung entfalten werden: "Wer so tut, als werde jetzt alles anders, führt das Land an der Nase herum." Sie fordert, dass die Politik deutlicher kommunizieren muss, dass "der Durst vieler AfD-Wähler nach Abschottung" nicht zu stillen ist.
Chatkontrolle: Im Ringen um die Chatkontrolle, die in der geplanten "EU-Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" vorgesehen ist, hat die spanische Ratspräsidentschaft nun einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Dieser sieht laut taz (Jana Ballweber) und netzpolitik.org (Markus Reuter/Chris Köver) vor, dass zunächst nur nach bekanntem Bildmaterial gesucht werden soll, bis neue Technologien, die auch unbekannte Missbrauchsdarstellungen erkennen, zuverlässig genug arbeiten. Kommenden Donnerstag könnte dieser Vorschlag möglicherweise bereits im EU-Ministerrat in die Abstimmung gehen.
KI: Dem Hbl (Martin Kölling/Carsten Volkery) liegt ein Entwurf der G7-Staaten für unverbindliche KI-Leitprinzipien vor. Diese sehen unter anderem vor, dass Unternehmen in Forschung zur Risikominimierung investieren und KI-generierte Inhalte kennzeichnen müssen, um so mögliche Desinformation zu begrenzen.
Justiz
Cum-Ex-Verfahren bei der StA Köln: NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) gibt die Aufspaltung der für Cum-Ex-Verfahren zuständigen Hauptabteilung der Kölner Staatsanwaltschaft endgültig auf. Stattdessen will er eine personelle Aufstockung vornehmen. Künftig sollen die vier Unterabteilungen je eine koordinierende Gruppenleitung bekommen; vier weitere Staatsanwält:innen sollen die Ermittlungen von Hauptabteilungsleiterin Anne Brorhilker unterstützen. Außerdem wird zur Verbesserung der Ermittlungszusammenarbeit ein ressortübergreifendes Gesprächsformat zwischen den Ministerien der Justiz, des Inneren und der Finanzen eingeführt. Es berichten SZ (Christian Wernicke), Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier), LTO (Hasso Suliak) und bild.de (Peter Poensgen).
BGH zu Cum-Ex/Hanno Berger: Der Bundesgerichtshof hat die von Cum-Ex-Steueranwalt Hanno Berger eingelegte Revision gegen seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch das Landgericht Bonn abgelehnt. Die Schweizer Auslieferungsbewilligung umfasse die Taten, wegen derer Berger verurteilt wurde, sodass kein Verfolgungsverbot vorlag. Das LG Bonn hatte Berger zu einer Haftstrafe von acht Jahren und zur Zahlung von etwa 13,6 Millionen Euro verurteilt. Die Revision gegen ein weiteres durch das LG Wiesbaden ausgesprochenes Strafurteil ist noch anhängig. Sollten die Karlsruher Richter:innen dieses ebenso für rechtsfehlerfrei erachten, muss Berger eine Gesamtstrafe von maximal 15 Jahren antreten. FAZ (Marcus Jung), Hbl (Volker Votsmeier), LTO und spiegel.de berichten.
BVerfG zu Dauer der Haftprüfung: Wegen überlanger Dauer des Haftprüfungsverfahrens hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. einen in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und in seinen Freiheitsgrundrechten nach Art. 2 Abs. 2 GG verletzt, so das Bundesverfassungsgericht. Gemäß §§ 121, 122 Strafprozessordnung (StPO) muss nach sechs Monaten die erste Haftprüfung erfolgen, nach weiteren drei Monaten die nächste. Das OLG Frankfurt nahm die erste Haftprüfung unter Verweis auf Krankheits- und Urlaubsausfälle fast ein halbes Jahr zu spät vor. Zwar ruhte die Nachprüfungsfrist der §§ 121, 122 StPO formell, weil die Staatsanwaltschaft die Akten bereits fristgemäß an das OLG Frankfurt überstellt hatte. Allerdings sei die unterbliebene Bearbeitung durch die OLG-Richter:innen eine faktische Verwehrung der gesetzlich vorgeschriebenen Haftprüfung. LTO berichtet.
BGH zu actio pro socio: Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass ein:e Gesellschafter:in auch im Fall einer Zwei-Personen-GmbH im Wege der actio pro socio eine Ausschlussklage gegen die andere Gesellschafter:in erheben kann. Dies folgt aus den Grundsätzen der actio pro socio sowie aus Praktikabilitätserwägungen. beck-aktuell berichtet.
OLG München zu Klimaschutz/BMW: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) scheiterte auch vor dem Oberlandesgericht München mit ihren Bemühungen, ein Verkaufsverbot für BMW-Verbrennungsmotoren ab 2030 gerichtlich zu erzwingen. Das OLG München entschied unter Verweis auf die Gewaltenteilung, dass derartige Fragen parlamentarisch geklärt werden müssen. Der Anwalt der DUH kündigte laut FAZ an, beim BGH Revision einzulegen.
LG Frankfurt/M. zu Till Lindemann/SZ: Nun schreiben auch die taz (Anne Fromm) und spiegel.de (Lisa Duhm/Juliane Löffler) über die presserechtliche Niederlage des Rammstein-Sängers Till Lindemann vor dem Landgericht Frankfurt/M gegen die Berichterstattung der Süddeutsche Zeitung über das Casting-System der Band. Lindemanns Anwalt kündigte an, in Berufung zu gehen.
LG Berlin – Stasi-Mord: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat gegen einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter vor dem Landgericht Berlin Anklage wegen heimtückischen Mordes erhoben. Der heute 79-Jährige soll 1974 einen 38-jährigen Polen, der mit einer Bombenattrappe seine Ausreise nach West-Berlin erzwingen wollte, aus einem Versteck heraus mit einem Rückenschuss getötet haben. sueddeutsche.de, spiegel.de (Felix Bohr/Sven Röbel), zeit.de und bild.de (Michael Behrend u.a.) berichten.
GBA – Extremismusverfahren: In den ersten acht Monaten diesen Jahres hat die Bundesanwaltschaft im Bereich Islamismus 284 Ermittlungsverfahren gegen 308 Beschuldigte eingeleitet, im Bereich Rechtsextremismus elf Verfahren gegen 28 Beschuldigte und gar keine Verfahren im Bereich Linksextremismus. Der Großteil der Verfahren im Bereich Islamismus betrifft IS-Rückkehrer:innen. Die Welt (Frederik Schindler) berichtet.
GBA Peter Frank: Das Hbl (Heike Anger) portraitiert anlässlich des gerade eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Hamas-Angehörige den Generalbundesanwalt Peter Frank und stellt weitere Verfahren der Bundesanwaltschaft vor.
Recht in der Welt
Australien – Aborigines/Mitsprache: Am Samstag stimmen die Australier:innen in einem Referendum darüber ab, ob die australischen Ureinwohner (Aborigines/Aboriginals) ein besonderes Mitspracherecht im Parlament erhalten. Vorgesehen ist, dass in der australischen Verfassung ein ständiger Beirat verankert wird, der Parlament und Regierung bei Themen, die die Aborigines betreffen, beraten kann. Es zeichnet sich eine Mehrheit gegen den Plan ab. SZ (Thomas Hahn) und FAZ (Till Fähnders) berichten.
USA – deutsche Schulpflichtflüchtlinge: Nach Informationen der FAZ (Christiane Heil) wurde die Duldung der fundamental-christlichen Familie Romeike vorerst um ein Jahr verlängert, sodass sie noch nicht abgeschoben werden. Zuvor war ihr Asylantrag gescheitert, weil das Verbot des Heimunterrichts keine religiöse oder politische Verfolgung darstelle.
Italien - Domenico Lucano: Ein Berufungsgericht in Reggio Calabria hat Domenico Lucano, den ehemaligen Bürgermeister der kalabrischen Gemeinde Riace, nur noch zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe wegen Urkundenfälschung verurteilt. Die 13-jährige Freiheitsstrafe aus erster Instanz hatte keinen Bestand. Lucano war durch seine offensive Aufnahme von Flüchtlingen europaweit bekannt geworden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm Veruntreuung öffentlicher Mittel vorgeworfen. FAZ (Matthias Rüb) und taz (Michael Braun) berichten.
Juristische Ausbildung
VG Berlin zu Abschlussanerkennung/Brexit: Eine Deutsche, die in Großbritannien einen LLM-Abschluss erwarb, wurde zu Recht nicht zum Referendariat in Deutschland zugelassen, weil sie ihren Zulassungsantrag erst nach Vollzug des Brexit gestellt hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie sich nicht mehr auf die in § 112a des Deutschen Richtergesetzes festgelegte Gleichwertigkeit von Abschlüssen aus anderen EU-Staaten berufen. Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Antragstellung, nicht der Zeitpunkt des Abschlusses. Weiterhin, so LTO-Karriere, verneinte das VG Berlin eine Verletzung der Berufsfreiheit und des Vertrauensschutzes.
Sonstiges
Humanitäres Völkerrecht: In ihrem "Aktuellen Lexikon" stellt die SZ (Ronen Steinke) die Grundlagen des humanitären Völkerrechts vor, das sich mit den Regeln der Kriegsführung befasst. Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle, wichtigste Grundlage des humanitären Völkerrechts zum Schutz von Zivilist:innen, schreiben beispielsweise vor, dass Bewohner:innen vor Angriffen vorzuwarnen sind und Waffen nicht in Wohnhäusern versteckt werden dürfen.
Im Interview mit der taz (Susanne Knaul) betont der Militärsoziologe Yagil Levy, dass das "Völkerrecht Zivilisten auch dann schützt, wenn sie als menschliche Schutzschilder missbraucht werden."
Auch Nikolas Busse (FAZ) stellt fest, dass "Demokratien stärker und sicherer sind, wenn sie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handeln, und genau das unterscheidet sie von Terroristen."
DSA/X : Nach Informationen von zeit.de hat die EU-Kommission auf Grundlage des Digital Services Act (DSA) ein formelles Verfahren gegen X/Twitter eröffnet. Zuvor hatte EU-Kommissar Thierry Breton den X-Eigner Elon Musk aufgefordert, gegen Falschinformationen und Hetze zum Hamas-Terror vorzugehen.
Ein Durchsetzungsdefizit der im DSA festgelegten Pflichten sieht Michael Hanfeld (FAZ) darin, dass sich die Behauptung der Plattform, man habe bereits zehntausende Beiträge gelöscht, nicht überprüfen lässt.
Das Letzte zum Schluss
Jurist vs. Knöllchen: Ein Hamburger Zivilrechtler übt sich derzeit im Verwaltungsrecht: Weil er nicht einsehen will, dass sein Antrag auf Sondergenehmigung in dem Anwohner-Parkgebiet, in dem seine Kanzlei liegt, abgelehnt wurde, er aber auch nicht jeden Tag einen Parkschein ziehen möchte, kassierte der Jurist bislang – willentlich – 279 Bußgeldbescheide. Gegen diese legte er Widerspruch ein und plant mittlerweile sogar, vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen, wie bild.de schreibt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 13. Oktober 2023: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52909 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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