Vor dem OLG Braunschweig geht der KapMuG-Prozess gegen VW in die entscheidende Phase. Russland hält ukrainische IGH-Klage für unzulässig. Die Ukraine will gegen die Importstopps von Polen, Ungarn und der Slowakei klagen.
Thema des Tages
OLG Braunschweig – KapMuG-Verfahren VW: Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig beginnt nun die Beweisaufnahme im Kapitalmusterklageverfahren zwischen der Fondsgesellschaft Deka und der Volkswagen AG (VW). Das Gericht will prominente (ehemalige) Führungskräfte des Autoherstellers wie Martin Winterkorn, Matthias Müller und Herbert Diess als Zeugen vernehmen, um herauszufinden, wann das VW-Management von den Abgasmanipulationen erfahren hat und ob die Kapitalmärkte rechtzeitig informiert wurden. Die Deka führt den Prozess als Musterklägerin und wird von der Kanzlei Tilp vertreten. Insgesamt haben 1958 Aktionäre Schadensersatz in Höhe von 4,4 Mrd. Euro geltend gemacht. Das OLG hat Termine bis Ende 2024 angesetzt. Die FAZ (Christian Müssgens/Marcus Jung) berichtet.
Rechtspolitik
Abgeordnetenbestechung: Die Bundesregierung berät momentan über die Verschärfung der Abgeordnetenbestechung. Ronen Steinke (SZ) kritisiert vor diesem Hintergrund am Beispiel von u.a. MdB Philipp Amthor (CDU) und den Maskendeals von anderen Abgeordneten die weitreichenden Möglichkeiten, die das deutsche Recht Mandatsträger:innen zur Annahme von Vermögensvorteilen noch immer lässt, wenn es nicht um die Wahrnehmung des Mandats im engeren Sinne geht. Dann genüge es, dass die Nebeneinkünfte offengelegt werden. "Eine Demokratie, die das zulässt, schläft", so der Autor.
Diskriminierung: Die FAZ (Stefan Locke) berichtet über eine Studie im Auftrag der sächsischen Justizministerin Katja Meier (Grüne) zu Diskriminierungserfahrungen. Zwar fühlte sich jede:r zweite Befragte in den letzten zwei Jahren diskriminiert. Dabei ging es aber selten um die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) genannten Diskriminierungsmerkmale wie Religion und Ethnie, sondern vor allem um den sozial-ökonomischen Status und die Körperform. Gefordert wird daher ein Landesdiskriminierungsgesetz, das auch Schutz bei derartigen Diskriminierungen bietet.
Gesetze in eigener Sache/Wahlrecht: Rechtsprofessor Fabian Michl diskutiert auf dem Verfassungsblog die Bedeutung und die Kritik an der "Entscheidung in eigener Sache" in Bezug auf die Wahlgesetzgebung. Der Autor argumentiert, dass diese Entscheidungen nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden sollten, wenn sie die Gleichheit der Wahl oder die Chancengleichheit der Parteien beeinträchtigen.
NS-Raubkunst: Auf dem ZPO-Blog berichtet nun auch Rechtsanwalt Peter Bert über einen Vorschlag der "Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz" über die Einführung eines gesetzlichen obligatorischen Schiedsverfahrens. Hiergegen gebe es verfassungsrechtliche Bedenken, weil die Fälle damit der ordentlichen Justiz entzogen werden.
Justiz
LG Bonn – Cum-Ex/Christian Olearius: Am ersten Verhandlungstag im Cum-Ex-Verfahren gegen Bankier Christian Olearius wurde nur die Anklage verlesen. Die Berichte von SZ (Nils Wischmeyer), FAZ (Marcus Jung) und LTO (Stefan Schmidbauer) erläutern erneut das Verfahren und seine Hintergründe.
LG Hamburg zu Till Lindemann/ORF: Rammstein-Sänger Till Lindemann ist vor dem Landgericht Hamburg auch gegen den Österreichischen Rundfunk (ORF) erfolgreich. Das Gericht erließ eine einstweilige Verfügung gegen die Rundfunkanstalt und entschied, dass ein Artikel auf orf.at nicht den Verdacht erwecken darf, dass Lindemann während der "Stadium Tour" der Band Gewalt gegenüber einer Frau ausgeübt hat. Wie LTO berichtet, sah das Gericht die Voraussetzungen der zulässigen Verdachtsberichterstattung als nicht erfüllt an.
VG Berlin zu Zweckentfremdung: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass für Wohnraum, der bewusst dem Verfall preisgegeben wird, das Zweckentfremdungsverbot weiterhin gilt. Laut LTO lehnte es das Gericht ab, einer Bauentwicklungsgesellschaft, die ein Gebäude über 18 Jahre hinweg leerstehen ließ, ein Negativattest zuzubilligen, dass der Wohnraum nicht mehr schützenswert sei.
LG München I zu Sehbehinderung im Prozess: Eine Sehbehinderte hat Anspruch auf die Zustellung eines gerichtlichen Schreibens als Audiodatei. Dies entschied das Landgericht München I im Fall einer Mieterin mit einer Augenkrankheit, die Schreiben ihres Prozessgegners als Audio beantragt hatte. beck-aktuell berichtet.
Personalmangel in der Justiz: LTO schildert, mit welchen Maßnahmen sich die Bundesländern auf die abzusehende Pensionierungswelle in der Justiz, insbesondere in Ostdeutschland, vorbereiten.
Recht in der Welt
IGH – Ukraine vs. Russland: Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat mit der Verhandlung über die Klage der Ukraine begonnen, dass Russland ihr fälschlicherweise einen Völkermord an Russen im Donbass vorwerfe und auf diese falsche Anschuldigung seine Intervention gestützt habe. Am ersten Verhandlungstag hatte Russland Gelegenheit seine "preliminary objections" gegen die Zulässigkeit der Klage zu erläutern: Die Ukraine missbrauche die Völkermord-Konvention, weil es ihr eigentlich um die Festellung gehe, dass Russland gegen das Gewaltverbot verstoßen habe, wofür der IGH in diesem Fall aber nicht zuständig ist, weil sich weder die Ukraine noch Russland der IGH-Rechtsprechung unterworfen haben. Die Ukraine habe keine konkrete Verpflichtung aus der Völkermordkonvention genannt, gegen die Russland verstoßen habe. Die Ukraine wird am heutigen Dienstag das Wort zur Entgegnung erhalten. Die taz (Christian Rath) und LTO (Franziska Kring) berichten.
WTO/Ukraine – Importstopp für Getreideexporte: Nachdem Polen, Ungarn und die Slowakei Importstopps für Getreideexporte aus der Ukraine verhängt haben, droht die Ukraine nun mit Klagen vor der Welthandelsorganisation (WTO). Der stellvertretende Wirtschaftsminister der Ukraine, Taras Kachka, sagte: "Es ist wichtig zu beweisen, dass diese Handlungen rechtlich falsch sind". Die Importstopps der drei Länder waren eine Reaktion auf die Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen ukrainischen Getreides durch die EU-Kommission. FAZ, SZ und das HBl (Daniel Imwinkelried) berichten.
Österreich – FlexCo: Das HBl (Alexander Pradka) berichtet über eine geplante neue Rechtsform im österreichischen Gesellschaftsrecht. Bei der Flexiblen Kapitalgesellschaft (FlexCo) soll es sich um eine Hybridform aus Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaft handeln, die sich insbesondere gut für Start-ups eignen soll. Vorteile sollen u.A. eine flexible Gestaltung bei Kapitalmaßnahmen und die erleichterte Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg bieten.
Sonstiges
Ausweisung und Abschiebung nach Eritrea: Nachdem oppositionelle Eritreer ein Seminar von diktatur-nahen Eritreern in Stuttgart angriffen, forderten deutsche Politiker schnellere "Abschiebungen" von Gewalttätern. Die FAZ (Helene Bubrowski u.a.) versucht deshalb, die rechtlichen Voraussetzungen für Ausweisungen zu erklären. Die Bedingungen seien durch die Politik mehrfach geändert worden. Die Hürden seien bei anerkannten Flüchtlingen nach wie vor hoch. spiegel.de berichtet, dass Abschiebungen von ausreisepflichtigen Eritreern kaum möglich seien, weil Eritrea nicht kooperiere.
Gewalt gegen Frauen: Im Interview mit der FAZ (Franziska Pröll) spricht Rechtsanwältin Christina Clemm über von ihren Partnern misshandelte Frauen, die gerichtliche Verfolgung der Taten, auf geschlechtsbezogene Gewalt spezialisierte Gerichte und Prävention. In der juristischen Ausbildung finde eine Auseinandersetzung mit dieser Art der Gewalt kaum statt und es brauche eine Veränderung des Männlichkeitsbildes in der Gesellschaft.
Sanktionen gegen Russland/persönliche Gegenstände: Viktor Jerofejew (FAZ) kritisiert im Feuilleton die Empfehlung des EU-Ministerrats, alle persönlichen Gegenstände von einreisenden Russ:innen zu beschlagnahmen, damit sie nicht verkauft und der Erlös für Kriegsfinanzierung genutzt werden kann. Die EU solle nicht alle Russ:innen in einen Topf werfen.
Wirtschaftsjuristen: Jurastudent Johannes Geigis gibt auf LTO-Karriere einen Überblick über die Karrierechancen als Wirtschaftsjurist. So seien Wirtschaftsjuristen in Kanzleien, Unternehmen und auch im öffentlichen Dienst gefragt.
Das Letzte zum Schluss
Falscher Kevin: In Österreich musste ein Deutscher fälschlicherweise 59 Tage in Untersuchungshaft verbleiben, da er den gleichen Vornamen wie der gesuchte Mittäter eines Raubes hat: Kevin. Außerdem war seine SIM-Karte am Tatort eingeloggt und er lebte ebenso in Ungarn. Allerdings hatte ein bereits inhaftierter Komplizen ausgesagt, dass der richtige Kevin 65 Kilo wog und dunkelhäutig ist, während der Inhaftierte weiß ist und 100 Kg auf die Waage brachte. Der Irrtum wurde erst im Gerichtssaal aufgeklärt, wie welt.de berichtet. Der falsche Kevin ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß und wird für die fälschliche Inhaftierung mit rund 6.000 Euro entschädigt.
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LTO/lkh/chr
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Die juristische Presseschau vom 19. September 2023: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52731 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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