CDU-Länder legen Rechtsgutachten zu Lauterbachs Krankenhausreform vor. Der BGH verbietet Gebühren für das bloße Reservieren von Immobilien. Am LG Stuttgart beginnt ein Prozess wegen sexueller Nötigung gegen Polizeiinspekteur Renner.
Thema des Tages
Krankenhäuser: Die Pläne einer von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzten Regierungskommission zur geplanten Krankenhausreform verstoßen gegen das Grundgesetz. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten von Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger im Auftrag der unions-regierten Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. "Das Grundgesetz sieht weder für das Krankenhauswesen im Allgemeinen noch für die Krankenhausplanung im Besonderen eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes vor", heißt es in dem Gutachten. Der Gutachter empfiehlt, der Bund solle sich auf eine Neurelegung der Vergütung von Klinikleistungen beschränken und weitergehende Reformen den Ländern überlassen. Selbst eine Formulierung von Rahmenvorgaben durch den Bund sei mit verfassungsrechtlichen Risiken behaftet. Minister Lauterbach will bis zum Sommer einen Gesetzentwurf zur Krankenhausreform vorlegen. Es berichten FAZ (Kim Björn Becker), taz (Manuela Heim) und zeit.de.
Rechtspolitik
StGB: Die Doktorandin Katharina Raisch macht auf LTO Vorschläge, welche Vorschriften in der von Justizminister Marco Buschmann (FDP) geplanten Entrümpelung des Strafrechts gestrichen werden könnten. Buschmann hatte bisher nur die Verletzung amtlicher Bekanntmachungen (§ 134) und den Missbrauch von Scheckkarten (§ 266b) genannt. Ähnlich "tote" Delikte seien auch die Störung einer Bestattungsfeier (§ 167a), die Gefährdung einer Entziehungskur (§ 323b) oder die Hehlerei (§ 259). In Betracht kämen auch "Bagatelldelikte" wie Exhibitionismus (§ 183), Erschleichen von Leistungen (§ 265a) und Containern (in § 242). Streichbar seien zudem "Moral-Tatbestände" wie das Verbot der Doppelehe (§ 172), der Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173) und die Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a). Zur Streichung wird schließlich die Beschimpfung von Bekenntnissen (§ 166) vorgeschlagen.
Klimaschutz: Rechtsreferendar Tjorben Studt äußert auf dem JuWissBlog verfassungsrechtliche Bedenken gegen die von der Ampel-Koalition geplante Aufgabe von sektorspezifischen Zielen im Klimaschutzgesetz. Sie könnte gegen das Staatsziel Umweltschutz gem. Art. 20a GG verstoßen, wenn ihm ein Rückschrittsverbot entnommen werden kann. Außerdem verstoße die Aufweichung möglicherweise gegen den Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021, der die "differenzierte" Festlegung von Emissionsmengen forderte.
Verbraucherschutz-Verbandsklagen: Rechtsanwalt Peter Hense kritisiert auf beck-aktuell den Regierungsentwurf für ein Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG), d.h. die Einführung der so genannten Abhilfeklage. Die geplante Regelung atme einen bürokratischen Geist, die nicht zu einem liberalen Justizminister passe. Denkbar sei, dass sich deutsche Verbraucher:innen künftig lieber Verbandsklagen in anderen EU-Mitgliedsstaaten anschließen, deren Gesetzgeber die EU-Richtlinie verbraucherfreundlicher umsetzen.
Kartellrecht: Auf LTO vergleichen Shazana Rohr und Michaela Westrup, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Anwältin, den Anfang April im Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf zur 11. GWB-Novelle mit dem vorhergehenden Referentenentwurf. Sie begrüßen, dass in § 32f GWB, der kartellrechtliche Eingriffe in zulässig gewachsene disfunktionale Markte erlaubt, nun engere Tatbestandsvoraussetzungen eingefügt wurden. Allerdings sollen Maßnahmen nach wie vor nicht nur gegen Verursacher-Unternehmen getroffen werden können.
Antisemitismus: Auf dem Verfassungsblog geben Ulrike Lembke und Christoph Schuch, Rechtsprofessorin und wissenschaftlicher Mitarbeiter, einen Überblick über neue Antisemitismusklauseln in den Landesverfassungen von Hamburg, Bremen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Die Klauseln seien meist als Staatsziele ausgestaltet, es gebe aber noch keine Entscheidungen von Landesverfassungsgerichten. Die Staatsziele verlören an Wirkung, wenn sie teilweise zugleich die Bürger:innen in die Pflicht nehmen. Die Klauseln müssten so ausgelegt werden, dass sie nicht nur NS-artigen Antisemitismus erfassen.
Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Die geplante große Koalition im Land Berlin plant ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, um den erfolgreichen Volksentscheid zur Sozialisierung von Wohnungsunternehmen umzusetzen. Das neue Gesetz soll allerdings sofort dem Landes- oder Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Rechtsanwalt David Werdermann kritisiert dies in einem Gastbeitrag für die BerlZ. Die geplante verfassungsgerichtliche Klärung weise viele politische und rechtliche Probleme auf, so dass wohl nur ein Verzögerungsmanöver vorliege.
BVerfG-Richterwahl: Die SZ (Wolfgang Janisch) gibt einen Überblick über die jüngst gewählten neuen Verfassungsrichter:innen Heinrich Amadeus Wolff, Thomas Offenloch, Rhona Fetzer, Martin Eifert und Miriam Meßling sowie die zuletzt ausgeschiedenen Richter:innen Peter M. Huber und Gabriele Britz. In diesem Jahr müssen noch Nachfolger:innen für Peter M. Müller und Sibylle Kessal-Wulff gewählt werden.
Justiz
BGH zu Maklergebühren: Immobilienmakler können nicht verlangen, dass ihre Kund:innen eine Reservierungsgebühr zahlen müssen, falls der Kauf nicht zustande kommt. Dies gelte auch dann, wenn es vorher schriftlich vereinbart wurde, weil es die Kund:innen unangemessen benachteilige, entschied der BGH. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung) und LTO.
LG Stuttgart – Polizeiinspekteur Renner: An diesem Freitag beginnt am Landgericht Stuttgart der Prozess gegen den früheren Polizeiinspekteur von Baden-Württemberg, Andreas Renner. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die sexuelle Nötigung einer Kriminalhauptkommissarin vor. Er habe sich ihr unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses genähert. Die Welt (Ibrahim Naber) berichtet vorab.
IGH - Klimaschutz: Nun informiert auch LTO über das Ende März von der UN-Generalversammlung angeforderte Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zum Klimaschutz.
EuGH/Deutschland – Naturschutzgebiete: Deutschland hat seine Pflichten nach der EU-Habitat-Richtlinie verletzt, weil es in 88 der 4606 Naturschutzgebieten keine Erhaltungsziele festlegte. Zu dieser Einschätzung kam Generalanwältin Tamara Capeta in einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland. LTO berichtet.
EuGH – Geschlecht und Asyl: Im Fall einer zwangsverheirateten kurdischen Türkin, die vor Gewalt und Drohungen ihres Ehemannes, ihrer eigenen Familie und der Familie ihres inzwischen geschiedenen Mannes nach Bulgarien floh und bei ihrer Rückkehr in die Türkei um ihr Leben fürchtet, hält Generalanwalt Jean Richard de la Tour prinzipiell die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für möglich. Als Frau gehöre die Kurdin einer "sozialen Gruppe" an, die in manchen Gemeinschaften tradiert mit Gewalt rechnen müsse. In Deutschland wird die Gefahr von Zwangsehen oder Verfolgung durch die Familie bereits als geschlechtsspezifische Verfolgung anerkannt. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
OLG Frankfurt/M. zu Google-Autocomplete: Es besteht kein Unterlassungsanspruch dagegen, dass Google den Namen einer Person durch die Autocomplete-Funktion mit dem Begriff "bankrott" verbindet. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. laut LTO. Der angezeigten Kombination sei keine eigenständige Behauptung zu entnehmen. Sie sei lediglich Anlass für weitere Recherchen.
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Während der Plädoyers der Verteidigung hat das Oberlandesgericht die Beweisaufnahme erneut eröffnet. Nachdem die Verteidigung Aussagen des Kronzeugen Johannes D. anzweifelte, sollen nun die Richter eines Strafverfahrens am Landgericht Meiningen als Zeug:innen geladen werden und darüber aussagen, welche Aussagen der in jenem Verfahren angeklagte Kronzeuge dort gemacht hatte. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.
LG München I – "Badewannenmord": Ende April beginnt am Landgericht München I eine neue Hauptverhandlung wegen des sogenannten "Badewannenmords" im Jahr 2008. spiegel.de (Julia Jüttner/Gudrun Altrogge) schildert ausführlich die Geschichte des Hausmeisters Manfred Genditzki, der zunächste wegen Mordes verurteilt wurde, nach 13 Jahren hinter Gitter aber nach einem erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag frei kam und nun einen neuen Prozess erhält.
LG Stuttgart – Heckler & Koch-Dividende: Andreas Heeschen, der ehemalige Großaktionär, des Waffenherstellers Heckler & Koch, verlangt für seinen noch zehn-prozentigen Aktienanteil eine Dividende von 4 Prozent. Beim Landgericht Stuttgart klagt er gegen einen Beschluss der Heckler & Koch-Hauptversammlung, in dem mit Rücksicht auf Investoren- und Banken-Verhandlungen auf die Ausschüttung einer Dividende verzichtet wurde. Am. 4. Juli soll das Urteil verkündet werden. Die FAZ (Oliver Schmale) berichtet.
VG Potsdam – Hohenzollern: Das Verwaltungsgericht Potsdam hat das Verfahren der Hohenzollern auf Entschädigung für enteignete Schlösser und Inventar in Millionenhöhe eingestellt. Hohenzollern-Oberhaupt Georg Friedrich Prinz von Preußen hatte Anfang März mitgeteilt, dass er zwei entsprechende Klagen gegen das Finanzministerium Brandenburg zurückgezogen habe. LTO berichtet.
AG Berlin-Tiergarten – MAD-Kunstaktion: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat den Aktionskünstler Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit wegen Amtsanmaßung und Fälschung beweiserheblicher Daten angeklagt. Das Zentrum hatte eine dem MAD zugeschriebene Sammlung von Waffen, die der Bundeswehr abhanden kamen, gestartet und wollte dabei auf die Gefahren durch Rechtsextremisten bei der Bundeswehr hinweisen. Es berichten netzpolitik.org (Markus Reuter) und LTO.
StA Berlin – Attila Hildmann: Die Türkei hat mitgeteilt, dass der Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann doch auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt und deshalb nicht ausgeliefert wird. In Deutschland wird gegen Hildmann u.a. wegen Volksverhetzung ermittelt. spiegel.de berichtet.
StA Halle – Björn Höcke: Die Staatsanwaltschaft Halle hat eine erweiterte Aufhebung der Immunität des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke beantragt, über die der Thüringer Landtag an diesem Freitag laut spiegel.de entscheiden wird. Anlass ist eine Rede Höckes, die er mit der SA-Losung "Alles für Deutschland" beendete.
DFB-Bundesgericht – Mario Vuskovic: Das DFB-Bundesgericht hat das Berufungsverfahren gegen den wegen Dopings verurteilten Fußballprofi Mario Vuskovic (HSV) ausgesetzt, bis der Sportgerichtshof CAS über Vuskovics dortiges paralleles Rechtsmittel entschieden hat. spiegel.de berichtet.
Recht in der Welt
USA – Supreme Court/Rechtsvergleichung: Rechtsprofessor Russel A. Miller macht im FAZ-Einspruch (in englischer Sprache) darauf aufmerksam, dass die konservativen Richter:innen am US-Supreme Court ihre frühere Ablehnung von Rechtsvergleichung bei der Verfassungsauslegung aufgegeben hätten. Im Dobbs-Verfahren, bei dem das einst vom Gerichtshof postulierte Recht auf Abtreibung aufgegeben wurde, hätten sie selbst auf diese Methode zurückgegriffen.
EGMR/Schweiz – Klimaseniorinnen: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Petra Sussner thematisiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache) die intersektionalen Uneindeutigkeiten der Klägerinnen. Einerseits nutzten sie ihre besondere Verletzlichkeit als ältere Frauen für eine Klage gegen das Schweizer Klimaschutzgesetz. Aus postkolonialer Sicht seien Schweizer Rentnerinnen jedoch nicht besonders verletzlich. Außerdem reproduziere die Klage binäre Perspektiven und schließe trans-, inter- und nicht-binäre Verletzlichkeiten gegenüber dem Klimawandel aus.
Sonstiges
Klimaproteste und Notstand: Ronen Steinke (SZ) behauptet im Feuilleton, die Bundesregierung verstoße gegen das Pariser Abkommen zum Klimaschutz und erwägt, ob deshalb den Aktivist:innen der Letzten Generation "nicht ein Recht zusteht, selbst einzuschreiten". Derzeit gelte aber noch: wenn jemand zu 'zivilem Ungehorsam' greife, gehöre dazu, "dass man seine Strafe annimmt." Mit zunehmender Dringlichkeit des Klimaschutzes könne sich dies aber ändern.
Anwält:innen: LTO gibt einen Überblick über die aktuelle Mitgliederstatistik der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Danach stieg zwar die Zahl der Mitglieder auf 169.388. Gleichzeitig sank aber wegen der neuen Berufsausübungsgesellschaften die Zahl der Einzelzulassungen.
Bahnstreik: Weil die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG am heutigen Freitagvormittag den Bahnverkehr bestreikt, unterrichtet tagesschau.de (Michael-Matthias Nordhardt/Christoph Kehlbach) über die Rechte von Bahnkund:innen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 21. April 2023: . In: Legal Tribune Online, 21.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51599 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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