Der BGH muss entscheiden, ob das antisemitische Kirchenrelief von Wittenberg noch eine Beleidigung darstellt. Das LG Frankfurt/M. ließ die Anklage gegen Frankfurts OB zu. 2021 wurden mehr als 39.000 Fälle von Kinderpornografie bekannt.
Thema des Tages
BGH – "Judensau"-Relief: LTO (Christian Rath) und tageschau.de (Michael-Matthias Nordhardt/Jan Henrich) berichten über die Verhandlung des Bundesgerichtshofs zum antisemitischen Schmährelief ("Judensau") an der Wittenberger Stadtkirche. Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters bezeichnete das Relief als "in Stein gemeißelten Antisemitismus". Ob dieser heute immer noch eine Beleidigung darstellt, hänge davon ab, ob sich die evangelische Kirchengemeinde mit einer künstlerisch gestalteten Bodenplatte und einer Informationsstele ausreichend von dem Hohn- und Spottbild distanziert hat. Christian Rohnke, der Anwalt des jüdischen Klägers, verneinte dies. Er bezeichnete den Text auf der Bodenplatte als "wirres Geschwurbel, das niemand versteht". Außerdem relativiere der Informationstext auf der Stele den Antisemitismus. Dem entgegnete Brunhilde Ackermann, die Anwältin der Kirchengemeinde, man habe sich für das Bestehenlassen des Reliefs entschieden, um die "Erinnerungskultur" zu fördern. Ein Diskurs und eine Auseinandersetzung sei am eindrücklichsten möglich, wenn das Relief am historischen Ort bleibe. Schon die Vorinstanz, das OLG Naumburg, habe tatrichterlich festgestellt, dass sich die Kirchengemeinde mit Bodenplatte und Informationsstele "unmissverständlich" vom Antisemitismus distanziert habe. Das Urteil wird am 14. Juni verkündet. Die SZ (Ronen Steinke) schildert vor allem die bisherige Prozessgeschichte.
Ronen Steinke (SZ) betont in einem separaten Kommentar, es handele sich nicht um ein "Reinwaschen von Geschichte oder Übertünchen dunkler Flecken", wenn judenfeindliche Schmäh-Skulpturen entfernt werden. Vielmehr sei es ein nötiges "Abstandnehmen" von früherer Ergebenheit. Der Begriff der "Judensau" sei "Antisemitismus auf Porno-Niveau".
Ukraine-Krieg und Recht
Ukraine - russische Kriegsverbrechen: Rechtsprofessorin Stefanie Bock analysiert auf LTO nach dem ersten Kriegsverbrecherurteil in der Ukraine, wie fair die dortigen Kriegsverbrecher-Prozesse sind. Ihrer Meinung nach sei die Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen durch den Opferstaat eine "Herausforderung für die Unabhängigkeit und Neutralität der ukrainischen Justiz". Eine kritische Begleitung der Verfahren sei notwendig und es müsse gewährleistet werden, dass die Verfahren "fair, unparteiisch und ohne überzogene Härten" geführt werden.
Aufnahme gefährdeter Russ:innen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, dass gefährdete Oppositionelle, Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Mitarbeiter:innen von Menschenrechtsorganisationen, die in Russland als "ausländische unerwünschte Organisationen" eingestuft werden, nach einer Einzelfallprüfung künftig schneller, unbürokratischer und für einen längeren Zeitraum als 90 Tage eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland bekommen sollen. Artikel 22 des Aufenthaltsgesetzes biete eine Grundlage hierzu und ermöglich die Aufnahme "aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen" und "zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland". Die taz (Dinah Riese) berichtet.
Rechtspolitik
Sondervermögen Bundeswehr: Die CDU/CSU und die Ampel-Koalition haben sich auf einen Kompromiss über die Verwendung des geplanten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr geeinigt, sodass die Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung nun als sicher gilt. Noch in dieser Woche könne das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden, so Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Es berichten SZ (Nico Fried), FAZ (Markus Wehner), LTO und spiegel.de.
Reinhard Müller (FAZ) hält die geplante Verfassungsänderung für ein "Armutszeugnis". Es werde zwar eine weitere "peinliche Aufweichung der Schuldenbremse" verhindert, dennoch sei deutlich, dass die Bundeswehr "chronisch unterfinanziert" ist. Deutschland sei nicht in der Lage, seine Existenzsicherung aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren. Die Union müsse auf einen "effektiven" Einsatz des Sondervermögens hinwirken und die Lage "im Auge" behalten. Martin Greive (Hbl) findet, die Einrichtung des Sondervermögens müsse eine "einmalige Aktion" bleiben. Schließlich werde etwas als "Vermögen etikettiert", obwohl es zu "100 Prozent aus Schulden" bestehe. Auch Stefan Reinecke (taz) sieht das Vorhaben kritisch, kommt jedoch zu dem Schluss, dass eine Grundgesetzänderung "verfassungsästhetisch gesehen hässlich" sei, "politisch aber praktisch" und am wenigsten "Kollateralschäden" verursache.
Demokratieförderung: faz.net (Helene Bubrowski) bringt ein Interview mit der FDP-Abgeordneten Linda Teuteberg zum geplanten Demokratiefördergesetz. Das Gesetz soll dem Bund ermöglichen "zivilgesellschaftliche Projekte mit überregionaler Bedeutung", etwa zur Unterstützung von Opfern politischer Gewalt oder zur Beratung von Aussteigern aus extremistischen Gruppen, "längerfristig" zu fördern. Teuteberg hält es nicht für eine staatliche Aufgabe des Bundes, NGOs "flächendeckend und dauerhaft mit Steuergeld" zu unterstützen, denn NGOs seien "ihrerseits nicht demokratisch legitimiert" und betrieben "ihre Art des Lobbyismus".
Justiz
LG Frankfurt/M. — OB Peter Feldmann: Das Landgericht Frankfurt/M. hat die Anklage gegen den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) wegen Vorteilsannahme zugelassen und damit das Hauptverfahren eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, von der AWO im Wahlkampf 2018 unterstützt worden zu sein und dieser im Gegenzug zugesagt zu haben, er werde "bei seiner Amtsführung künftig die Interessen der AWO Frankfurt wohlwollend berücksichtigen." Zudem soll seine Ehefrau zu deutlich überhöhten Konditionen bei der AWO angestellt worden sein. Einen Rücktritt hatte Feldmann vor wenigen Tagen trotz großer Kritik abgelehnt. faz.net (Anna-Sophia Lang/Bernhard Biener), spiegel.de (Florian Pütz) und focus.de berichten,
Nach Ansicht von Carsten Knop (FAZ) könnte der Prozess eine ziemliche "Show" werden, die jedoch auf dem Rücken des Rufs der Stadt Frankfurt ausgetragen werde. Feldmann glaube, er könne den Prozess und seine Amtsgeschäfte "gleichermaßen meistern". Diese Einschätzung habe er im politischen Frankfurt jedoch "exklusiv".
BGH zu Einsturz des Kölner Stadtarchivs/Richterausschluss: Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Köln gegen einen ehemaligen Oberbauleiter der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) aufgehoben. Er war 2018 im Zusammenhang mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 wegen zweifacher fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Dem jetzt veröffentlichten BGH-Urteil zufolge waren die Kölner Richter jedoch nach der mündlichen Urteilsverkündung in einem anderen Strafverfahren vor dem Landgericht Köln als Zeugen zu dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs angehört worden und ab diesem Zeitpunkt von der Ausübung des Richteramtes in der vorliegenden Sache ausgeschlossen. Sie hätten daher auch kein schriftliches Urteil mehr anfertigen dürfen. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.
ArbG Siegburg zu falscher Krankschreibung: Das Arbeitsgericht Siegburg hat entschieden, dass der Arbeitgeber einem Auszubildenden fristlos kündigen darf, wenn er sich zu Unrecht krankschreiben lässt, um eine Prüfung zu schwänzen. Dies stelle eine Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Geklagt hatte ein Auszubildender, der sich am Prüfungstag krank meldete, daraufhin jedoch bei seinem Ausbildungsbetrieb, einem Fitnessstudio, ein intensives Krafttraining absolvierte. Er sei "spontan" genesen und habe auch gearbeitet, argumentierte der Azubi. Dies hielten der Arbeitgeber und auch das Gericht für wenig glaubhaft, schreibt LTO.
AG Sigmaringen zu Demonstration vor Politikerhaus: Das Amtsgericht Sigmaringen hat einen 52-Jährigen wegen einer unangemeldeten Corona-Demonstration vor dem Privathaus von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro verurteilt. Der Mann sei Leiter der Versammlung gewesen, bei der rund 60 Menschen versucht hatten, zu Kretschmanns Privathaus vorzudringen, so das Gericht. Es berichtet LTO.
Recht in der Welt
USA – Waffen: Das Massaker in der Grundschule von Uvalde (Texas) entfachte erneut die Diskussion um ein schärferes und wirksames Waffenrecht in den Vereinigten Staaten. Zufällig wird der US-Supreme Court in der nächsten Woche ein Gesetz aus New York überprüfen, das das freie Waffentragen an neuralgischen Punkten einer Bewilligungspflicht unterstellt. Es spricht jedoch viel dafür, dass die konservative Mehrheit der Richter:innen dies als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf Waffenbesitz ansehen wird, so die SZ (Fabian Fellmann).
USA – Versteigerung eines Filmkleids : Die Auktion des Kleides, das Judy Garland 1939 im Film "Der Zauberer von Oz" trug, wurde vom Bundesbezirksgericht Manhatten ausgesetzt, nachdem Zweifel an den Eigentumsverhältnissen aufkamen. Im Raum steht die Frage, ob das Kleid dem Priester Gilbert Hartke als Privatperson oder als Leiter des Filminstituts der Catholic University of America geschenkt wurde. Eine Nichte Hartkes erhob als Erbin Anspruch auf das Kleid, denn es gebe keinen Nachweis, dass ihr Onkel es der Universität überlassen habe. Die Universität verwies dagegen auf einen Eid Hartkes, keine privaten Geschenke anzunehmen, sie will das Kleid zugunsten des Filminstituts versteigern. Der Wert des Kleides wird auf mindestens 800 000 Dollar geschätzt. Die FAZ (Christiane Heil) berichtet.
USA – Elon Musk: LTO gibt einen Überblick über Verfahren der Börsenaufsicht und Aktionärs-Klagen im Zusammenhangt mit Elon Musks Vorhaben, den Kurznachrichtendienst Twitter zu übernehmen.
Großbritannien – Boris Becker: Die SZ und spiegel.de (Florian Pütz) melden, dass Boris Becker auf eine Berufung verzichtet. Er akzeptiert damit das Urteil des Southwark Crown Courts, das ihn wegen Insolvenzstraftaten zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilte.
Spanien – Sexualstrafrecht: Meredith Haaf (SZ) befürwortet die in Spanien beschlossene Reform des Sexualstrafrechts, nach der eine Sexualstraftat bereits vorliegt, wenn die andere Person nicht ausdrücklich zustimmt ("Nur Ja heißt Ja"). Es handele sich um ein "lebenswichtiges politisches Zeichen" in einer Zeit, in der jeder Fortschritt in Sachen Gleichberechtigung "fragil" sei. Europe müsse sich die Reform zum "Vorbild" nehmen.
Sonstiges
Kriminalstatistik – Kinderpornografie: Laut einer Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik, die das Bundeskriminalamt vorstellte, wurden den Behörden im Jahr 2021 mehr als 39.000 Fällen von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendpornografie). Dies entspricht einem Anstieg um 108,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da die Täter häufig aus dem Umfeld des Kindes kommen, sei das Dunkelfeld jedoch riesig. Verzehnfacht hat sich seit 2018 die Zahl der minderjährigen Tatverdächtigen. Die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, betonte, wie wichtig die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen sei. Diese müssten lernen, dass der Umgang mit Missbrauchsdarstellungen strafbar sein kann. Sie fordert zudem die Errichtung eines Forschungszentrums zur kontinuierlichen und langfristigen Erhebung von Analysedaten zum Dunkelfeld. SZ, FAZ (Helene Bubrowski), LTO und spiegel.de berichten.
Überlastung des Maßregelvollzugs: Laut LTO werden in Baden-Württemberg immer mehr Straftäter mit Suchtproblemen, bei denen Gerichte den Maßregelvollzug angeordnet haben, aufgrund fehlender Therapieplätze frei gelassen. Matthias Michel, ärztlicher Direktor im Maßregelvollzug des Zentrums für Psychiatrie in Weinsberg, macht eine "wachsweiche" Formulierung des § 64 StGB für die Überbelastung im Maßregelvollzug verantwortlich. Gerichte hätten die Schwelle für Einweisungen immer weiter herabgesetzt, sodass viele Menschen den Kliniken zugewiesen werden, die eigentlich in den Strafvollzug gehören, so Michel.
Rechtsgeschichte - Verjährung von NS-Taten: Die SZ veröffentlicht einen aus dem Jahr 1965 stammenden bisher nicht publizierten Brief der Philosophin Hannah Arendt, in dem sie sich mit der Frage befasst, ob die Schuld von NS-Verbrechern verjähren kann.
Das Letzte zum Schluss
Reuige Marmeladendiebe: Die Polizei in Nottuln bei Münster teilte mit, dass drei junge Männer in ein Verkaufshäuschen für Erdbeeren eingebrochen sind, um Sekt und Marmelade zu stehlen. Kurze Zeit später packte sie jedoch das schlechte Gewissen und sie brachten die Beute samt Entschuldigungsbrief zurück, der folgende Botschaft (und Rechtschreibfehler) enthielt: "Es tut us Leid. Wir sind hier aus Dummheit Eingebrochen. Wir bereuen es jetzt am endefekt und entschuldigen uns viel mals. Wir haben alles wieder zurückgetan. Sorry!". Dies berichtet spiegel.de.
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LTO/ok
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Die juristische Presseschau vom 31. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48597 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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