Die EU-Kommission hat ihren Verordnungsvorschlag zur Chat-Kontrolle vorgestellt. Der Bundestag wird über den Entwurf der CDU/CSU zum forensischen Drogenentzug beraten. Im US-Senat scheiterte die Einführung eines Rechts auf Abtreibung.
Thema des Tages
Chat-Kontrolle: Mit einer EU-Verordnung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch will die EU-Kommission Internetanbieter verpflichten, Chats auf Darstellungen von Kindesmissbrauch und auf sogenanntes "Grooming" hin zu prüfen. Unter letzterem versteht man die sexuell motivierte Anbahnung von Kontakten zu Minderjährigen. Dabei sollen die Anbieter Chats nicht nur mit bereits gemeldetem Material abgleichen (das schon heute als sogenannter Hashwert in einer Datenbank gespeichert wird), sondern auch neue verdächtige Inhalte aufspüren. Beides funktioniert aber nicht bei verschlüsselter Kommunikation, sodass etwa die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von WhatsApp oder Signal umgangen werden müsste. Mit welcher Technologie gearbeitet werden soll, soll in Absprache mit der neuen EU-Agentur "Zentrum zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche" festgelegt werden. Bei der Vorstellung des Entwurfes sagte die zuständige Innenkommissarin Ylva Johansson, dass die Verordnung "technologieneutral" sein werde und die Technologie gewählt werden soll, die am wenigsten in die Privatsphäre der Nutzer:innen eindringt. Sowohl das Europaparlament als auch die Mitgliedstaaten im Rat müssen dem Entwurf noch zustimmen. Es berichten SZ (Jannis Brühl/Josef Kelnberger), FAZ (Thomas Gutschker), spiegel.de (Patrick Beuth/Max Hoppenstedt u.a.), LTO, focus.de und zeit.de.
In einem separaten Kommentar bezeichnet Jannis Brühl (SZ) das Vorhaben als ein System "staatlicher Schnüffelei", das die Unternehmen zwinge, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Chats zu korrumpieren und so den Schutz aller schwäche. Auch sei mit vielen falschen Treffern zu rechnen. Patrick Beuth (spiegel.de) kommentiert, dass der Entwurf voller Wunschdenken und Widersprüche sei. Er mutmaßt, dass mit dem Entwurf bewusst hoch gezielt worden sei, um einen Kompromiss nach den anstehenden Diskussionen noch als Erfolg verkaufen zu können. Markus Reuter (netzpolitik.org) kritisiert bei der Chatkontrolle vor allem eine Verharmlosung und Verschleierung der erforderlichen Technologie, die alltäglich in die Grundrechte unbescholtener Bürger:innen eingreife. Entweder müsse die Verschlüsselung geschwächt werden oder die Dateien müssten auf den Geräten mittels Client-Side-Scanning durchsucht werden. Daniel Deckers (FAZ) moniert, dass "sogenannte Netzaktivisten und angeblich um Bürgerrechte besorgte Politiker" bei der durchaus kontroversen Debatte "verbale Keulen" (wie etwa "Stasi 2.0") schwingen, ohne einen konstruktiven Beitrag zum Schutz des Rechts der Kinder auf körperliche Unversehrtheit zu leisten.
Ukraine-Krieg und Recht
Kriegsbeitritt und Völkerrecht: Ukrainische Soldat:innen trafen in Rheinland-Pfalz ein, wo sie an der Artillerieschule der Bundeswehr an der Panzerhaubitze 2000 ausgebildet werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte im Bundestag erneut, dass Deutschland dadurch nicht zur Kriegspartei werde, was von "namhaften Völkerrechtlern" bestätigt werde. Die Bundesregierung sei geschlossen in dieser Frage. Die FAZ (Helene Bubrowski) und Welt berichten.
Rechtspolitik
Maßregelvollzug/Drogenentzug: Der Bundestag wollte am gestrigen Mittwoch über einen Gesetzentwurf der CDU/CSU beraten, wonach die Unterbringung in Entziehungsanstalten im Rahmen des Maßregelvollzugs nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) restriktiver gehandhabt werden soll. LTO erläuterte den Gesetzentwurf in einem Vorbericht. Die Tatbestandvoraussetzung "Hang" (zum Drogenkonsum) erfasse aufgrund der weiten Auslegung der Rechtsprechung auch nicht behandlungsbedürftige Tätergruppen, sodass sich die Anzahl der Patient:innen seit 2002 mehr als verdoppelt habe und eine Überbelastung des Maßregelvollzugs bestehe. Hier will sich die Union auf Personen konzentrieren, die durch die Sucht schwer und dauerhaft beeinträchtigt werden. Auch § 67 StGB müsse geändert werden, der eine Strafaussetzung zur Bewährung zum Halbstrafenzeitpunkt möglich macht und so einen "sachwidrigen Anreiz" für Angeklagte schaffe. Besser sei der Zweidrittelzeitpunkt.
Ausstattung von Ex-Kanzler:innen: Anlässlich der Empörung über Gerhard Schröders russland-freundliche Haltung kritisiert Rechtsanwalt Sebastian Roßner auf LTO die bedingungslose Ausstattung von Bundeskanzler:innen a.D. mit Mitarbeitenden, die bei Schröder zu Kosten von rund 400.000 Euro im Jahr führe. Es sei ein "Unding", dass diese Ausgaben alleine auf eine Ermächtigung im Bundeshaushalt gestützt werden, während eine Regelung im materiellen Recht fehle. Aktuelle Gesetzentwürfe von Grünen und AfD sehen vor, die Amtsausstattung auf fünf oder vier Jahre zu befristen. Nach Roßner sollte die Ausstattung zudem ganz entfallen, wenn, wie im Fall Schröder, gegen die Interessen der Bundesrepublik gehandelt werde.
§ 219a StGB: Am Freitag soll im Bundestag in einer ersten Lesung über die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen nach § 219a Strafgesetzbuch beraten werden. Die Unionsfraktion hat angekündigt, einen Antrag für den Erhalt der Strafnorm einzureichen. spiegel.de berichtet.
Suizidhilfe: Auf beck-community bewertet Rechtsprofessor Henning Ernst Müller den am 7. März von einer 85-köpfigen Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) veröffentlichten Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Suizidhilfe. Der Entwurf genüge den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen für ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben allenfalls formal. Der Entwurf sieht einen neuen § 217 Strafgesetzbuch vor, allerdings soll eine Strafbarkeit der Suizidhilfe unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. eine zweifache psychiatrische Begutachtung des Sterbewilligen) entfallen. Alleine die Terminknappheit in psychiatrischen Praxen würde das Recht auf selbstbestimmtes Sterben mittelbar-faktisch beeinträchtigen.
Cannabis: Der Haushaltsausschuss im Deutschen Bundestag übt Druck auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus, damit dieser den Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis tatsächlich dieses Jahr vorlegt. Sollte ihm dies nicht gelingen, sollen die Gelder des Ministeriums für Öffentlichkeitsarbeit gesperrt werden. Das hat der Haushaltsausschuss bei der Beratung des Haushalts 2022 beschlossen. spiegel.de (Milena Hassenkamp) berichtet.
Justiz
KG Berlin zu Vergabe und Testzentren: Das Kammergericht Berlin hat als erste gerichtliche Instanz die Vergabe eines Auftrags für den Betrieb landeseigener Corona-Testzentren für rechtswidrig erklärt und damit die Entscheidung der Vergabekammer (einer Behörde) bestätigt. Berlin hatte nur von einem einzigen Betreiberunternehmen ein Angebot eingeholt und zudem rechtswidrig Konkurrenten wegen vermeintlich fehlender Referenzen abgesagt. LTO berichtet.
LG Dortmund – eingeschlafener Schöffe: Am Landgericht Dortmund ist am Dienstag ein Mordprozess unterbrochen worden, weil die Verteidigung gegen einen der beiden Schöffen einen Befangenheitsantrag gestellt hat. Der Schöffe ist während der Verhandlung wohl mehrmals eingenickt und die Verteidigung hatte die Sorge, dass er sich nicht ausreichend mit der Sache befasst. LTO berichtet.
StA Stuttgart – Innenminister Strobl: Wie die taz (Benno Stieber) berichtet, argumentierte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) vor dem Landtag, er habe mit der Weitergabe eines Anwaltsschreiben aus einem Disziplinarverfahren an einen Journalisten Transparenz schaffen wollen. Dagegen spreche jedoch, dass Strobl nach der Veröffentlichung des Briefs so getan habe, als suche das Ministerium selbst nach dem Leck.
Recht in der Welt
USA – Abtreibungen: Das Vorhaben der Demokraten, ein Recht auf Abtreibung als Bundesgesetz einzuführen, ist mit 49 zu 51 Stimmen im US-Senat gescheitert, womit die erforderliche Mehrheit von 60 Stimmen erwartungsgemäß verpasst wurde. Hintergrund des Vorhabens war die drohende Aufhebung des "Roe v. Wade"-Urteils, das 1973 ein USA-weites Grundrecht auf Abtreibungen festgeschrieben hatte, durch den US-Supreme Court. focus.de berichtet.
Wie die FAZ (Patrick Bahners) berichtet, versucht der Vorsitzende des US-Supreme Courts, John Roberts, in letzter Minute noch eine Kolleg:in aus der Mehrheitsfront gegen das Grundrecht auf Abtreibung herauszubrechen. Er strebe folgenden Kompromiss an: Das seit 1973 höchstrichterlich verbriefte Grundrecht auf Abtreibung soll bestehen bleiben, aber eingeschränkt werden – konkretisiert durch die Fristenregelung des Gesetzes aus Mississippi, das Abtreibungen von der fünfzehnten Schwangerschaftswoche an verbietet. Roberts sei durch die Aussicht alarmiert, dass das Publikum in der durch Trump veränderten Zusammensetzung des Gerichts den entscheidenden Grund für die bevorstehende Wende sehen würde.
USA – Bayer/Hardeman: Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar, die die amerikanische Regierung vor dem Supreme Court vertritt, hat dem Gericht geraten, das Rechtsmittel des Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer gegen ein Urteil zugunsten des Klägers Edwin Hardeman nicht anzunehmen. Hardeman wurden 2019 von einem Gericht rund 25 Millionen Dollar Schadensersatz wegen einer Krebserkrankung zugesprochen, die auf einen glyphosathaltigen Unkrautvernichter des von Bayer übernommenen US-Herstellers Monsanto zurückzuführen sei. Aufgrund der Signalwirkung des Verfahrens sieht sich Bayer milliardenschweren Rechtsrisiken ausgesetzt. Es berichten FAZ (Jonas Jansen), Hbl (Bert Fröndhoff), SZ, spiegel.de und LTO.
EuG – Berlusconi/Mediolanum: Nach einer Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union durfte die Europäische Zentralbank (EZB) dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi den Erwerb einer qualifizierten Beteiligung an der italienischen Banca Mediolanum untersagen. Berlusconi erfülle aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs nicht die für Inhaber von qualifizierten Beteiligungen geltende Anforderung an den Leumund. Anlass des Verfahrens ist, dass Berlusconi über die von ihm gegründete Gesellschaft Fininvest Anteile an der Finanzholding Mediolanum hielt und diese später mit der Banca Mediolanum fusionierte, wodurch Fininvest eine qualifizierte Beteiligung an einem Finanzinstitut zugefallen wäre. Auf Vorschlag der italienischen Zentralbank erließ die EZB einen Beschluss, mit dem sie die Genehmigung des Erwerbs einer solchen Beteiligung versagte. LTO berichtet.
Österreich – Grenzkontrollen: Nachdem der Europäische Gerichtshof im April entschieden hatte, dass Staaten Binnengrenzkontrollen nur im Fall "einer neuen ernsthaften Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder seiner inneren Sicherheit" um maximal sechs Monate verlängern dürfen, gab Österreich nun bekannt, die Kontrollen an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien noch mindestens ein halbes Jahr andauern zu lassen. Zuvor hatte bereits die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die seit 2015 währenden Kontrollen zwischen Deutschland und Österreich bis November verlängert. Die EU-Kommission hatte im Dezember angekündigt, die Kontroll-Regeln reformieren zu wollen. Hierbei will Österreich erreichen, dass an den EU-Binnengrenzen "im Bedarfsfall" temporäre Kontrollen möglich bleiben. LTO berichtet.
Kenia – Building Bridges Initiative: Stefanie Rothenberger von der Konrad-Adenauer-Stiftung berichtet im FAZ-Einspruch über das Urteil des Obersten Gerichts Kenias zur umstrittenen "Building Bridges Initiative" des Staatspräsidenten Uhuru Kenyatta. Die Initiative sah über 70 Vorschläge für eine umfassende und teils tiefgreifende Änderung der Verfassung vor. Dass das Gericht die Initiative nun beendet hat, stärke die Unabhängigkeit der Justiz und könne eine Signalwirkung für die ganze Region haben.
Sonstiges
Prioritäten im Kanzleialltag: Auf LTO-Karriere gibt Anja Schäfer, Juristin und Business-Coach, vier Tipps, wie Anwält:innen Aufgaben besser priorisieren können, um mehr Zeit für ihre persönlichen Ziele zu haben. So solle man zum Beispiel häufiger "Nein" sagen oder Aufträge anderer erst einmal liegen lassen, bis sie erneut an einen herangetragen werden.
Attentäter von Hanau: Die SZ (Martin Bernstein/Annette Ramelsberger) berichtet über unzureichende Ermittlungen gegen Tobias R. im Vorfeld des Attentats von Hanau. Eine Sexarbeiterin, die ihn in einem Ferienhaus besuchte, hatte von dort aus aufgrund seines Auftretens, seiner sexuellen Wünsche und wegen herumliegender Waffen die Polizei alarmiert. Die Polizei ermittelte jedoch lediglich wegen Drogenbesitzes und die Frau wurde im Nachhinein wegen illegaler Prostitution angezeigt.
Das Letzte zum Schluss
Wer anderen eine Grube gräbt: Im US-Bundesstaat South Carolina hat ein 60-Jähriger offenbar seine 65-jährige Freundin getötet und die Leiche in einer selbst ausgehobenen Grube im Garten vergraben. Beim Zuschaufeln hat er laut Obduktionsbericht einen Herzinfarkt erlitten und brach bei den letzten Schaufelhüben tödlich zusammen. spiegel.de berichtet.
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LTO/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 12. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48418 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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