CDU/CSU-Fraktions-Chef Merz taktiert bei Grundgesetzänderung zum Bundeswehr-Sondervermögen. Ex-AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann ist zurück auf ihrem Richterposten. BGH unterstreicht den Schutz des Vorkaufsrechts von Mieter:innen.
Thema des Tages
Sondervermögen Bundeswehr: CDU/CSU-Fraktions-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, dass nur soviele Unions-Abgeordnete an der Abstimmung über die Grundgesetzänderung zum Sondervermögen Bundeswehr teilnehmen werden, wie für die Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt werden. Die Grundgesetzänderung würde dann scheitern, wenn nicht alle Abgeordneten der Ampel-Koalition zustimmen. Robert Rossmann (SZ) kritisiert, dass Merz nicht bedacht habe, was seine Ankündigung in der Praxis bedeutet. "Wie will er die Unionsabgeordneten auswählen, die an der Abstimmung teilnehmen dürfen? Wie will Merz das mit dem freien Mandat vereinbaren?"
Ähnlich argumentiert Politikprofessor Michael Koß auf dem Verfassungsblog: "Was Amtsinhabern der Regierung immer zu Unrecht unterstellt wird, nämlich die Gewissensfreiheit der Abgeordneten machtpolitisch zu schleifen, just das will der Oppositionspolitiker Merz jetzt also ganz offiziell zum Unterpfand einer Zustimmung der Union zur Bildung eines Sondervermögens der Bundeswehr machen? Aus der Perspektive der Demokratie entpuppt sich dieses Ansinnen als bizarr, erst recht, wenn man berücksichtigt, dass die Union das Sondervermögen ja ganz überwiegend unterstützt."
Ukraine – Krieg und Recht
Europarat/Russland: Russland unterliegt noch bis zum 16. September 2022 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Das gab das Ministerkomitee des Europarats bekannt. Laut EMRK muss ein Austritt sechs Monate zuvor angekündigt werden. Der EGMR werde noch alle Beschwerden prüfen, die sich auf Vorgänge bis zum 16. September beziehen. Der Europarat hatte Russland aufgrund seines Angriffskriegs auf die Ukraine ausgeschlossen, zugleich hatte Russland vorige Woche seinen Austritt erklärt. LTO berichtet,
Ukraine-Sondertribunal/IstGH: Mehr als 1,4 Millionen Menschen weltweit unterzeichneten eine Petition zur Einrichtung eines internationalen Ukraine-Sondertribunals, die der französisch-britische Jurist Philippe Sands initiiert hatte, schreibt die taz (Dominic Johnson). Das Sondertribunal soll neben dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) eingerichtet werden. Vorbilder seien die Gerichtshöfe zur Aufarbeitung der Verbrechen in Ex-Jugoslawien und Ruanda. Der Beitrag geht auch auf die Ermittlungen zur Situation in der Ukraine ein, die der Chefankläger des IStGH am 2. März aufgenommen hat. Er ermittele damit zum ersten Mal in einem laufenden zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikt.
Rechtspolitik
Extremistische Schöff:innen: Nun berichtet auch die taz (Christian Rath) über einen Regelungsvorschlag des Bundesjustizministeriums, mit dem die Berufung extremistischer ehrenamtlicher Richter:innen verhindert werden soll. Danach soll als Schöff:in nicht berufen werden können, wer "keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Der Beitrag weist darauf hin, dass die Regelung nur deklaratorischen Charakter haben wird. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 2008 entschieden, dass für ehrenamtliche Richter:innen dieselben strengen Anforderungen an die Verfassungstreue gelten wie für hauptberufliche Richter:innen.
Wiederaufnahme: Justizminister Marco Buschmann (FDP) soll sich für eine Rückgängigmachung der im Vorjahr in § 362 Ziff. 5 Strafprozessordnung (StPO) eingeführten Möglichkeit einsetzen, Verfahren zu Lasten von rechtskräftig Freigesprochenen wiederaufzunehmen. Einen entsprechenden Beschlussvorschlag will das Land Hamburg im Juni bei der Justizminister:innenkonferenz (Jumiko) in München vorlegen. Allerdings hatte sich die Jumiko im Herbst 2020 noch ausdrücklich für die Schaffung einer derartigen Wiederaufnahmemöglichkeit eingesetzt, sodass dem Hamburger Antrag wenig Chancen eingeräumt werden. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
Justiz
AfD-Richterin Birgit Malsack-Winkemann: Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann arbeitet seit vergangenem Montag wieder an ihrem alten Arbeitsplatz beim Landgericht Berlin in der für Bausachen zuständigen Zivilkammer 19a. Sie machte damit von dem ihr nach dem Abgeordnetengesetz zustehenden Rückkehranspruch Gebrauch. Zuvor hatte die Berliner Senatsverwaltung für Justiz nach eigenen Angaben "intensiv geprüft, ob Gründe für ihre Versetzung oder Amtsenthebung vorliegen", allerdings den insoweit "bekannten Informationen" nichts Derartiges entnehmen können, schreibt LTO (Joachim Wagner). Malsack-Winkemann war wie ihr rechtsextremistischer AfD-Parteikollege Jens Maier bei der Bundestagswahl 2021 nicht wiedergewählt worden.
BGH zu Mieter:innenvorkaufsrecht: Mieter, die bei der Umwandlung ihrer Wohnung in eine Eigentumswohnung von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, dürfen nicht schlechter gestellt werden als die Erstkäuferin auf dem freien Markt. Eine Vereinbarung zwischen Verkäuferin und einem Dritten, die besagt, dass der vorkaufsberechtigte Mieter einen höheren Preis zahlen muss, ist eine unzulässige Vereinbarung zulasten Dritter. Das entschied der Bundesgerichtshof in einem jetzt veröffentlichen Urteil und bestätigte damit Urteile des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts. Maßgeblich für den Preis, den die klagende Mieterin maximal zu zahlen hat, ist der Preis, den der Eigentümer mit dem sog. Erstkäufer vereinbarte. Im vorliegenden Fall war von der Mieterin der Kaufpreis für eine unvermietete Wohnung verlangt worden, statt der geringere Preis für die – tatsächlich – vermietete Wohnung, berichten FAZ und zeit.de.
OVG RhPf zu pensionierter Reichsbürgerin: Einer pensionierten Lehrerin, die sich öffentlich das Gedankengut von Reichsbürgern zu eigen machte, darf der Staat das Ruhegehalt aberkennen. So entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz und bestätigte damit die Entscheidung der landesweit zuständigen Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts (VG) Trier. Dieses hatte der ehemaligen Lehrerin das Ruhegehalt entzogen, da sie nach ihrer Pensionierung in von ihr veröffentlichten Büchern und Schreiben an Behörden von der Bundesrepublik Deutschland als "Scheinstaat" oder "Nichtstaat" schrieb und sich so, laut dem VG, aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt habe. Es berichtet LTO.
OLG München – Wirecard/EY: Das Oberlandesgericht München hat den für den 31. März angesetzten Verhandlungstermin im Verfahren gegen die Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst&Young (EY) aufgehoben, schreibt die FAZ. In der mündlichen Verhandlung wäre es um etwaige Ansprüche von Wirecard-Geschädigten gegen EY gegangen, die für das im Jahr 2020 insolvent gegangene Dax-Unternehmen Wirecard als Abschlussprüfer zuständig waren. Laut Gerichtssprecher solle aus prozessökonomischen Gründen erst abgewartet werden, ob das vom Landgericht (LG) München I im Fall Wirecard zugelassene Musterverfahren für Kapitalanleger zustande kommt. Am LG sind mittlerweile über 900 Klagen von Wirecard-Anleger:innen gegen EY eingegangen. Rechtsanwalt Marc Liebscher erklärt gegenüber der FAZ, das Musterverfahren sei für Anlegerinnen allerdings "keine gute Entwicklung", da nicht klar sei, wie lange dies dauere und ob die Schadenersatzansprüche gegen EY davon erfasst seien, sodass die Anleger am Ende trotzdem klagen müssen, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu verhindern.
BayObLG zu Meinungsfreiheit gegenüber Richter:innen: Die Bezeichnung eines Amtsrichters als "menschlichen Abschaum" stellt eine Formalbeleidigung dar und ist nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt. Eine Abwägung von Meinungsfreiheit und Ehrschutz sei in diesem Fall entbehrlich. Mit dieser Entscheidung bestätigte laut LTO das Bayrische Oberste Landesgericht ein Urteil des Amtsgerichts Weißenburg, das den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten ohne Bewährung verurteilt hatte.
VG Oldenburg zu Wolfsjagd: Die Wölfe aus den in freier Wildbahn lebenden Rudeln in zwei Landkreisen in Niedersachsen dürfen – vorerst – nicht geschossen werden. Damit gab das Verwaltungsgericht Oldenburg den Eilanträgen von zwei Naturschutzverbänden statt, wie die taz (Reimar Paul) schreibt. Die vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) im Januar erteilten Ausnahmegenehmigungen für den Abschuss von Wölfen aus den Rudeln erweise sich nach summarischer Prüfung als "voraussichtlich rechtswidrig", da weder eine Individualisierung des schadensverursachenden Wolfs noch eine klare Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Rudel vorgenommen wurden.
LG Darmstadt zu Tesla-Autopilot: Die Tesla Germany GmbH muss einem Teslakäufer den Kaufpreis für den erstandenen Tesla von knapp 67.000 Euro zurückzahlen, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs. Das entschied das Landgericht Darmstadt und gab damit dem klagenden Käufer Recht, so LTO. Dieser hatte den Tesla mit den zusätzlichen Optionen "Autopilot" und "Volles Potenzial für autonomes Fahren" - sog. FSD-Paket (full self driving capability) - gekauft und war, nachdem diese Funktionen nur unzureichend funktionierten, vom Kaufvertrag zurückgetreten. Bezüglich der Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung stützte sich das Gericht auf eine Aussage von Elon Musk, wonach die Lebensleistung eines Teslas bei 800.000 km liege und nicht wie von Teslas Anwält:innen angegeben, bei 250.000 bis 300.000 km.
StA Köln – CumEx: Am Dienstag durchsuchten Ermittlerinnen und Steuerfahnder die Büroräume der deutschen Niederlassung der US-Investmentbank Merrill Lynch und einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Außerdem seien laut Staatsanwaltschaft Privatwohnungen von drei ehemaligen Bankangestellten als Beschuldigten durchsucht worden. Hintergrund sind die Verwicklungen der Bankinstitute in Cum-Ex-Aktiengeschäfte und verwandte Steuerhinterziehungsmodelle, wie die FAZ (Marcus Jung), Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) und LTO berichten.
Klimaschutz vor Gericht: Ein Jahr nach dem Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts spricht Professorin Sabine Schlacke im Interview mit der FAZ (Katja Gelinsky) über dessen Umsetzung und wie es nun auf politischer und juristischer Ebene weitergehen kann und muss. Sie bilanziert, der Karlsruher Klimabeschluss habe eine starke Signalwirkung für andere Gerichte, aber auch für die Wirtschaft gehabt, wie "wichtig und wesentlich Klimaschutz" sei. Spannend sei derzeit auch, inwieweit der in seiner Rechtsprechung recht innovative Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die anhängigen Klimaklagen entscheiden und sich dabei vom Klimabeschluss des BVerfG inspirieren lassen wird.
Recht in der Welt
Niederlande – Shell in Nigeria: Mangels ausreichender Beweise hat ein Zivilgericht in Den Haag die Klage von vier Frauen aus Nigeria abgewiesen und den Ölkonzern Shell vom Vorwurf der Zeugenbestechung freigesprochen. Shell habe entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen daher auch nicht den Tod von neun Umweltaktivisten in Nigeria im Jahr 1995 mitverschuldet. Diese hatten 1990 gegen die Umweltverseuchung des Nigerdeltas durch Shells Öl-Pipelines protestiert und waren dann von einem international umstrittenen Sondertribunal des nigerianischen Militärs des Mordes an lokalen Führern angeklagt und zum Tode verurteilt worden. Die Klägerinnen warfen Shell nun vor, Zeugen durch Bestechungsgelder zu Falschaussagen gegen ihre Männer bewegt und so zu deren Verurteilung beigetragen zu haben, wie LTO berichtet.
Südafrika – Amazon-Zentrale: Das höchste Gericht Südafrikas hat den Bau der Afrika-Zentrale von Amazon, derzeit eines der größten Bauprojekte des Landes, gestoppt. Geklagt hatte laut SZ (Bernd Dörries) eine Gruppe von Khoisan, die den Investoren vorwerfen auf einem Stück Land bauen zu wollen, das für sie als Ureinwohnern der Region heilig ist. Amazon drohte bereits, das gigantische Infrastrukturprojekt bei einem negativen Urteil zurückzuziehen, wogegen die Oberste Richterin argumentierte, Arbeitsplätze und infrastrukturelle Vorteile könnten "niemals die grundlegenden Rechte der Völker der First Nations außer Kraft setzen".
Großbritannien – Regierungskommunikation: Wie netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) schreibt, muss sich die britische Regierung diese Woche in zwei Gerichtsverfahren für ihre Kommunikations- und Informationspraxis rechtfertigen. Premierminister Boris Johnson und sein Team hatten wichtige interne Absprachen zum Umgang mit der Corona-Pandemie, zu Problemen mit Covid-19-Tests und zur Beschaffung von Beatmungsgeräten über private Mail- und Messenger-Accounts und Geräte geführt und dabei die Funktion automatisch verschwindender Nachrichten genutzt. Damit entziehe sich die Regierung der demokratischen Kontrolle und verhindere die Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungen durch künftige Generationen, argumentieren die klagenden Nichtregierungsorganisationen.
Juristische Ausbildung
Jurastudium nach Corona: In einem Beitrag auf LTO-Karriere schildern Gregor Bachmann und Magnus Habighorst, Professor und wissenschaftlicher Mitarbeiter, die Ergebnisse einer Befragung von Jurastudierenden zur Studiumszeit unter Corona-Bedingungen. Daraus ergibt sich unter anderem, dass das Format der Online-Vorlesung sehr beliebt ist, aber auch gute Präsenzveranstaltungen weiterhin gefragt sind. Daraus ziehen sie den Schluss, dass eine Universität heute beides leisten müsse, einen "sicheren und gut ausgestatteten Lehr- und Lernort zur Verfügung" stellen und auch digitale Angebote bereitstellen.
Sonstiges
Amoktat und Corona: Ein Mann aus Brandenburg brachte seine gesamte Familie um, weil er während der Corona-Pandemie in einer Welt aus Angst und Wut versank. Als dann herauskam, dass er seiner Frau einen gefälschten Impfnachweis besorgt hatte, schrieb er einen Abschiedsbrief und erschoss sich, seine Frau und drei Töchter. Die Zeit (Benedikt Herber uA) geht in ihrer Rubrik "Verbrechen" den Hintergründen des Falls nach.
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LTO/ali
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Die juristische Presseschau vom 24. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 24.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47929 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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