Justizministerkonferenz fordert Rechtsstaatspakt 2.0 und BGH-Vorabentscheidung. In der letzten Sitzungswoche will der Bundestag noch verschiedene Strafrechts-Verschärfungen beschließen. Die AfD verliert Parteispendenprozess am VG Berlin.
Thema des Tages
JuMiKo – Ergebnisse: Bei der diesjährigen Justizministerkonferenz haben sich die Länder gemeinsam für eine Neuauflage des Pakts für den Rechtsstaat ausgesprochen, wie aus einem Beschlusspapier hervorgeht. Neben der Personalverstärkung soll das vom Bund geforderte Geld auch in die Digitalisierung der Justiz fließen. Der digitale Wandel beinhaltet die Einführung der elektronischen Akte, eines Datenbankgrundbuches und elektronischen Registers sowie generell die Verbesserung der IT-Sicherheit. Das Bundesjustizministerium soll zudem verfassungsrechtlich konforme Möglichkeiten zur Vereinfachung der gerichtlichen Abläufe im Zusammenhang mit standardisierbaren Klagen prüfen. Zudem soll in zivilrechtlichen Massenverfahren, wie etwa dem Abgasskandal, z.B. ein Vorlageverfahren zum Bundesgerichtshof geprüft werden, um möglichst schnell höchstrichterliche Rechtsprechung herbeizuführen. Über die Ergebnisse der 92. JuMiKo berichten LTO (Annelie Kaufmann/Markus Sehl) und der ZPO-Blog (Benedikt Windau).
Rechtspolitik
Strafrecht: Die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU/CSU haben sich auf ein umfassendes Gesetzespaket zum Strafrecht geeinigt. Demnach sind neue Straftatbestände geplant für das Erstellen von sog. Feindeslisten, für die "verhetzende Beleidigung", für Online-Handelsplattformen für verbotene Güter (z.B. im Darknet) und für die Herstellung von Nacktaufnahmen an öffentlichen Orten, z.B. in der Sauna. Das Paket wird von bild.de (Nadja Aswad) vorgestellt und soll in der kommenden Woche, der letzten Sitzungswoche in dieser Legislaturperiode, von Bundestag und Bundesrat auf den Weg gebracht werden.
Wiederaufnahme: Rechtsprofessor Helmut Philipp Aust kritisiert im Staat und Recht-Teil der FAZ den Koalitionsentwurf für ein "Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit", der eine Wiederaufnahme im Strafprozess auch dann ermöglichen soll, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe für eine Verurteilung eines Freigesprochenen wegen Mordes nahelegen. Neben der grundgesetzlich festgelegten Abwägung der Rechtssicherheit mit der Herstellung materieller Gerechtigkeit in Art. 103 Abs. 3 GG ("ne bis in idem") zugunsten der Rechtssicherheit, seien auch moderne forensische Methoden nicht irrtumsfrei und auch die Durchbrechung des Rückwirkungsverbots bereite verfassungsrechtliche Bedenken.
Schwangerschaftsabbrüche: In einem Gastbeitrag für die FAZ spricht sich die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann gegen die Abschaffung des § 218 StGB aus. Der Paragraph sieht im Grundsatz eine Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches vor, gewährt bei Nachweis einer Beratung und unter bestimmten weiteren Bedingungen aber Straffreiheit. Nur diese Konstruktion werde der aus ihrer Sicht nicht aufzulösenden Spannung zwischen dem Recht des Kindes auf Leben und dem Recht der Frauen auf Selbstbestimmung gerecht und gebe so dem Leben beider größtmögliche Chancen.
Pressefeindlichkeit: Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) fordert laut FAZ die Einführung eines Straftatbestandes "Störung der Tätigkeit der Presse". Damit soll die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten besser geschützt werden. Als Beispiel für einen Anwendungsfall der Strafvorschrift nennt sie ein Kamerateam, das durch Trillerpfeifen oder das Hochhalten von Bannern gestört wird.
Corona – Homeoffice: Mit dem Auslaufen der sogenannten Bundesnotbremse läuft Ende Juni die vor zwei Monaten verschärfte Pflicht zur Arbeit im Homeoffice aus. Das stellt CDU-Kanzleramtsminister Braun in Aussicht, während der Koalitionspartner SPD mit einer Verlängerung liebäugelt. Die taz berichtet.
Lieferketten und Menschenrechte: In der Zeit führen Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren, und Gunther Kegel, CEO eines Sensorikherstellers, ein Streitgespräch über die neue gesetzliche Regulierung von Lieferketten. Isa begrüßt das kürzlich beschlossene Gesetz, vermisst aber die zivilrechtliche Entschädigungspflicht für von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen. Für Kegel ist es vor allem ein politisches Ablenkungsmanöver, das Bürokratie erzeuge.
Lambrecht im Interview: Die Zeit (Jeannette Otto/Johanna Schoener) hat mit Bundesjustiz- und Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) über gescheiterte Gesetzesvorhaben, aber auch über die weiteren familienrechtlichen Pläne der SPD gesprochen. So sei die Einführung von Verantwortungsgemeinschaften nach französischem Modell geplant, bei dem Menschen auch außerhalb der Ehe in eine rechtliche Verantwortung füreinander eintreten würden.
Landesverfassung BB/Antisemitismus: In Brandenburg soll die Landesverfassung geändert und u.a. der Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel festgeschrieben sowie die Bestimmungen zu Besetzung des Landtagspräsidium so geändert werden, dass nicht mehr auf jeden Fall die größte Oppositionspartei den Posten eines Vizepräsidenten erhält. Im Landtag in Potsdam ist seit 2019 die AfD größte Oppositionspartei und zugleich die einzige Partei, die sich gegen den Antrag stellt. Weitere Einzelheiten der geplanten Änderung an der Landesverfassung beschreibt die FAZ (Markus Wehner). Eine namentliche Abstimmung soll im November erfolgen.
Richterwahl in SH: In Schleswig-Holstein steht eine Änderung des Landesrichtergesetzes an. Die Abgeordneten des Landtags wollen mit der Reform ihren Einfluss bei "Anstellung" und Beförderung von Richterinnen und Richtern erhöhen. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) degradiere den schleswig-holsteinischen Richterwahlausschuss, der zu zwei Dritteln aus Abgeordneten besteht, zu einem "demokratischen Feigenblatt". Kritik kommt von richterlichen und anwaltlichen Berufsverbänden, so auch aus dem Sprecherrat der Neuen Richtervereinigung Schleswig-Holstein. Die Richterin Christine Nordmann und der Richter Malte Engeler erläutern auf dem Verfassungsblog, weshalb sie das Prinzip der Bestenauslese in Gefahr sehen.
Justiz
VG Berlin – Parteispenden an Alice Weidel: Die AfD muss ca. 396.000 Euro an die Verwaltung des Deutschen Bundestags bezahlen. Eine dagegen gerichtete Klage lehnte das Verwaltungsgericht nun ab. Anders als von der Partei behauptet, habe es sich nämlich bei den Einzahlungen in Höhe von rund 132.000 € aus der Schweiz nicht um direkte Parteispenden an Alice Weidel gehandelt. Direktspenden seien nur Spenden, die direkt und ohne Umweg einem Parteimitglied für eigene politische Zwecke zugewandt werden. Der Umweg über die Parteikasse – wie hier geschehen – sei ausgeschlossen. SZ (Markus Balser), LTO und taz (Julian Jestadt) berichten.
BVerfG zu Synagogensteuer: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Beschwerde gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Streit um die Zwangsmitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main nicht zur Entscheidung angenommen. Das jüdische Ehepaar war 2002 aus Frankreich zugezogen und wurde wegen einer Angabe beim Einwohnermeldeamt automatisch Mitglied der örtlichen Gemeinde, deren Ausrichtung das Paar als zu orthodox ablehnt. Wie LTO berichtet, habe das Paar nicht substantiiert dargelegt, inwiefern die mit der Gemeindemitgliedschaft verbundene Pflicht zur Zahlung einer Synagogensteuer sie in ihren Grundrechten verletzt habe.
BGH zu Namensänderung bei Transsexuellen: Transsexuelle haben keinen Anspruch darauf, ihre neuen Vornamen in eine Eheurkunde schreiben zu lassen, wenn sie bei der Heirat noch anders hießen. Das entschied der Bundesgerichtshof laut LTO und verneinte eine Rückwirkung einer Namensänderung nach dem Transsexuellengesetz. Offen ließ das Gericht jedoch die Möglichkeit, in der Eheurkunde auf eine Nennung von Vornamen zu verzichten.
OVG NRW zu Nennung von Unternehmen bei DSGVO-Verstößen: Mangels Ermächtigungsgrundlage darf die Bundesnetzagentur in Pressemitteilungen über erlassene Bußgeldbescheide nach der Datenschutzgrundverordnung nicht den Namen des betroffenen Unternehmens nennen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem Eilverfahren, das Rechtsanwalt Dennis Hillemann für LTO erläutert. Der mit einer Nennung verbundene öffentliche "Pranger" stelle ohne entsprechende Ermächtigungsgrundlage keinen Ersatz behördlicher Maßnahmen dar und verletze den betroffenen Call-Center-Betreiber in seiner Berufsfreiheit.
OLG Düsseldorf zu IS-Rückkehrerin Sarah O.: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die heute 23-jährige Sarah O. wegen der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sechseinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt. Im Jahr 2013 hatte sich die damals 15-jährige Gymnasiastin als eines der ersten Mädchen dem IS angeschlossen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann hielt die Deutsch-Algerierin laut Urteil insgesamt sieben jesidische Frauen und Mädchen als Sklavinnen. 2018 wurde sie bei ihrer Rückkehr nach Deutschland festgenommen.
LG München I zur Marke "Schweizer Taschenmesser": Ein chinesischer Hersteller von Taschenmessern darf seine Produkte nicht mit der Schweizer Flagge oder der Angabe "Switzerland" versehen, entschied das Landgericht München I laut LTO. Der Hinweis "Made in China" auf der Verpackung reiche nicht aus, um eine Rufausbeutung geographischer Herkunftsangaben zu verneinen.
LG München I – Graumarktkönig Malte H.: Am Landgericht München I hat ein Prozess gegen Malte H. wegen Betruges im Zusammenhang mit Kapitalanlagen in 7.000 Fällen begonnen, bei dem die Staatsanwaltschaft den möglichen Schaden auf 170 Millionen Euro schätzt. Das Hbl (Lars-Marten Nage) berichtet, wie H. sowie dessen Geschäftspartner Christian K. die Anleger:innen über Kapitalverwendung, Renditechancen und Risiken täuschte.
Rechtsschutzversicherer im Diesel-Skandal: Laut dem Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, Jörg Asmussen, ist der Diesel-Skandal "das bislang teuerste Schadenereignis in der Rechtsschutzversicherung überhaupt". Rund 354.000 Mal wurde eine Rechtsschutzversicherung in dem Zusammenhang bis Ende Mai in Anspruch genommen. Dies hat die deutschen Rechtsschutzversicherer inzwischen mehr als eine Milliarde Euro für Anwälte, Gerichte und Gutachter gekostet, wie LTO meldet.
Recht in der Welt
Slowakei – Mord an Jan Kuciak: In der Slowakei hat das Oberste Gericht im Verfahren um den Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak den wegen Mangels an Beweisen erfolgten Freispruch für den angeklagten Unternehmer Marián Kočner aufgehoben. Beweismittel seien, so das Oberste Gericht laut FAZ (Niklas Zimmermann), nicht hinreichend gewürdigt und teilweise entgegen gesetzlicher Vorschriften bewertet worden.
Spanien – Kannibale von Ventas: Das Provinzgericht von Madrid hat Alberto S. G. zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren und fünf Monaten verurteilt, weil er Anfang 2019 seine Mutter getötet, zerstückelt und die Leiche zum Teil gegessen hatte. Der "Kannibale von Ventas" wurde wegen Mordes und Leichenschändung verurteilt, wie die FAZ berichtet.
IStGH: Der britische Jurist Karim Khan ist neuer Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Er legte jetzt seinen Amtseid ab und trat die Nachfolge der Gambierin Fatou Bensouda an. Khan war von den Mitgliedstaaten des Gerichtshofs am 12. Februar gewählt worden, meldet die SZ.
Juristische Ausbildung
Jura-Studium während Corona: Der Journalist und Jurastudent Frank Miener berichtet auf dem Verfassungsblog vom Umgang der Fernuni Hagen mit der Pandemie. Trotz der grundsätzlichen Ausrichtung auf fernmündliche Lehre bemängelt er insbesondere den fehlenden Online-Zugang zu Kommentar-Klassikern bei gleichzeitig geschlossenen Bibliotheken. Er plädiert aber auch für die Beibehaltung praxisnaher Formaten wie etwa Open-Book-Klausuren.
E-Examen in Sachsen: Sachsen hat laut LTO-Karriere ein elektronisches Staatsexamen für Jurist:innen eingeführt und das nach eigenen Angaben erfolgreich. Rund 90 Prozent der Rechtsreferendar:innen hätten in den vergangenen Tagen ihr Zweites Juristisches Staatsexamen am Laptop geschrieben, teilte das Justizministerium am Mittwoch mit. Von 157 Referendar:innen nahmen demnach 140 an dem Pilotprojekt teil.
Sonstiges
Hohenzollern-Klage-Wiki: Ausführliche Berichte über das Hohenzollern-Klage-Wiki des deutschen Historikerverbandes sind nun auch in SZ (Jörg Häntzschel), taz (Julia Hubernagel) und FAZ (Patrick Bahners) zu lesen. Das Wiki berichtet z.B. über Klagen, die ein beabsichtigtes Hohenzollern-Museum betreffen, Klagen zum Archivzugang der Familie auf Burg Hechingen sowie die kritische Darstellung historischer Ereignisse der ehemaligen Kaiserfamilie. Betroffenen wird angeboten, sich bei dem Verband zu melden.
Im Feuilleton der SZ erklären darüber hinaus die Geschichtsprofessoren Peter Brandt und Lothar Machtan die Auseinandersetzung der Politik mit den Hohenzollern während der Weimarer Republik und den in dem Zusammenhang beschlossenen Ausgleichsgesetzen.
Stasi-Unterlagen: Die SZ (Jens Schneider) widmet ihr "Thema des Tages" der Schließung der Behörde für Stasi-Unterlagen und skizziert die Entstehung sowie den politischen Umgang mit den Unterlagen und den gewonnenen Erkenntnissen. Auch bild.de liefert mit einem Beitrag des Historikers Hubertus Knabe eine zusammenfassende Darstellung der Arbeit der Behörde.
Strafverteidiger Thomas Fischer: Die Welt (Per Hinrichs) porträtiert den ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer, der nunmehr als Strafverteidiger arbeitet. "Deutschlands Rechts-Erklärer Nummer eins", der zuvor lange Zeit-Kolumnen schrieb und zudem Autor mehrerer Bücher ist, habe sich wieder einmal neu erfunden und lasse sich nach wie vor schwer in Schubladen einsortieren.
Geschlecht als Fluchtgrund: Die wissenschaftliche Hilfskraft Louisa Hadadi zeichnet für den JuWissBlog die Entwicklung frauenspezifischer Verfolgungsgründe im internationalen und nationalen Flüchtlingsrecht nach.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jpw
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
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Die juristische Presseschau vom 17. Juni 2021: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45232 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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