Generalanwalt beim EuGH sieht in betrieblichen Kopftuchverboten in Kita und Drogerie keine unmittelbare Diskriminierung. Das BAG stellt seinen positiven Jahresbericht 2020 vor. BGH bestätigt Urteil im Brandstifter-Prozess gegen Neo-Nazi.
Thema des Tages
EuGH – Kopftuchverbot: Ein betriebliches Kopftuchverbot in Kitas oder in Unternehmen stelle "keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung von Arbeitnehmern" dar, argumentiert Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Athanasios Rantos in seinen nun veröffentlichten Schlussanträgen. Unternehmen dürften das Tragen auffälliger religiöser Zeichen im Betrieb verbieten, wenn die "hinreichend konkrete Gefahr eines wirtschaftlichen Nachteils" besteht. Das Tragen kleiner politischer, religiöser oder weltanschaulicher Zeichen stünde der Neutralität jedoch nicht entgegen. Eine Erzieherin einer Hamburger Kindertagesstätte war von ihrem Arbeitgeber abgemahnt worden, weil sie entgegen der Dienstanweisung mit einem Kopftuch zur Arbeit erschien. Dagegen klagte sie vor dem Arbeitsgericht Hamburg, welches die Frage dem EuGH vorlegte. Ein weiterer Fall wurde dem EuGH vom Bundesarbeitsgericht vorgelegt. Dieses hatte sich mit der Klage einer Drogerieangestellten zu befassen, die der Weisung des Arbeitgebers, zur Wahrung der Neutralität im Betrieb ihr Kopftuch abzulegen, nicht nachgekommen und deshalb nicht mehr beschäftigt worden war. Es berichtet die SZ.
Auf LTO befasst sich der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott eingehend mit den zwei Fällen und deren rechtlicher Bewertung, und stellt sich die Frage, welche grundlegende Bedeutung eine Entscheidung des EuGH für die Abwägung zwischen grundgesetzlich geschützter Religionsfreiheit und unionsrechtlich garantierter Unternehmerischer Betätigungsfreiheit haben wird. Einer solchen Beurteilung käme dann "weit über das Arbeitsrecht hinausgehende verfassungsrechtliche Bedeutung zu."
Rechtspolitik
Volksentscheide: Am heutigen Freitag beginnt das Unterschriften-Sammeln für das Berliner Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen". Die FAZ (Reinhard Müller) nimmt das zum Anlass für eine Bilanz der direkten Demokratie in Deutschland. 100 Volksbegehren und 24 Volksentscheide in sieben Bundesländern gab es in Deutschland bisher, wobei ein Fünftel der Volksbegehren in Bayern stattfand.
Frauenquoten/Mutterschutz in Vorständen: Der Bundestag hat sich nun zum ersten Mal mit den zwei Gesetzentwürfen von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) beschäftigt, die es Frauen erleichtern sollen, Zugang zu den Führungsetagen von Unternehmen zu bekommen. Nach Berichten der FAZ (Corinna Budras) soll zum einen eine Mindestbeteiligung von Frauen in börsennotierten Unternehmen vorgeschrieben werden. Ziel des zweiten Gesetzesvorhabens ist, Frauen auch über eine Auszeit aufgrund von Mutterschaft hinaus in Führungspositionen zu halten.
Corona – Rechte von Geimpften: Gegenüber deutschlandfunk.de (Alexander Ehlers) plädiert der Medizinrechtler Dirk-Oliver Heckmann für die Einführung eines Immunitätsausweises. Die staatlichen Eingriffe in die Grundrechte von Geimpften seien verfassungsrechtlich nicht mehr zulässig, wenn von den Geimpften inzwischen keine Gefahr mehr ausgehe.
Medienstaatsvertrag: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Frederik Ferreau stellt auf LTO die Änderungen vor, die der seit vergangenem November geltende Medienstaatsvertrag (MStV) mit sich gebracht hat und äußert verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der Rechtsgrundlage und ihrer Anwendung.
Justiz
BAG: In einer digitalen Pressekonferenz stellte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Ingrid Schmidt den Jahresbericht 2020 vor. Danach sind seit der Corona-Pandemie die Eingänge von neuen Verfahren zurückgegangen. So konnten viele noch anhängige Verfahren abgeschlossen werden, sodass derzeit so wenige Verfahren anhängig sind wie zuletzt 2014 und ein Verfahren am BAG derzeit im Schnitt sechs Monate und neun Tage braucht. Die FAZ (Marcus Jung) und LTO (Tanja Podolski) berichten, dass zudem ab Mitte 2021 vier von zehn Senaten ausschließlich mit der elektronischen Akte arbeiten werden, wobei die uneinheitlichen Systeme der Landgerichte hier einige Schwierigkeiten mit sich brächten.
BGH zu rechtsextremistischem Anschlag/Maik Schneider: Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts Potsdam gegen den Rechtsextremisten Maik Schneider weitgehend bestätigt. Lediglich bei der Bildung der Gesamtstrafe habe das LG Fehler gemacht und muss diese neu festsetzen. Der ehemalige NPD-Kommunalpolitiker Schneider hatte im August 2015 mit einem Komplizen eine Sporthalle in Nauen in Brand gesetzt, die für die vorübergehende Unterbringung von 150 Flüchtlingen dienen sollte. Wegen weiterer Straftaten wurde Schneider laut BerlZ und FAZ vom LG zuletzt zu zwei Haftstrafen von einem Jahr und vier Monaten und sieben Jahren und neun Monaten verurteilt.
BVerfG – AfD als Verdachtsfall: Die AfD möchte gegen zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln, die das Oberverwaltungsgericht Münster jeweils betätigte, vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, so die SZ. Das Kölner Gericht hatte einen Antrag der AfD abgelehnt, wodurch diese eine Zwischenlösung im Streit um die Einstufung als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erreichen wollte. Außerdem lehnte das VG es ab, eine Zwischenregelung zu erlassen, wonach dem BfV die Bekanntgabe der aktuellen Mitgliederzahl des aufgelösten rechtsextremen "Flügel" verboten wäre.
BGH – Altersdiskriminierung: Dürfen Veranstalter ihr Publikum altersmäßig sortieren oder ist das eine verbotene Altersdiskriminierung? Das muss der Bundesgerichtshof in einem Fall aus München entscheiden. Dem Kläger war 2017 vom Veranstalter der Zutritt zu einem elektronischen Musik-Festival wegen seines zu hohen Alters von 44 Jahren verwehrt worden. Da laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für alle Diskriminierungen die gleichen Maßstäbe gelten, ist das Urteil für das Anti-Diskriminierungsrecht von allgemeiner Bedeutung, erläutern die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und spiegel.de. Das Urteil wird am 5. Mai verkündet. Der Senat tendiert wohl dazu, die Praxis des Veranstalters zu billigen, ist sich aber über die dogmatische Begründung noch nicht klar.
OVG Sachsen-Anhalt zu weißem Löwen: Ein privater Halter muss seinen weißen Löwen sofort abgeben. Damit wies das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt die Beschwerde des Halters ab, der seinen Löwen Mojo in einem Gehege von lediglich 80 Quadratmetern hielt. Artgerecht seien laut Gericht aber 200 Quadratmeter und der Schutz des Tierwohls sei hier höher zu bewerten als die Eigentumsinteressen des Tierhalters, melden spiegel.de und LTO.
KG Berlin – Spion für Russland: Wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit hat die Bundesanwaltschaft vor dem Kammergericht Berlin Anklage gegen einen 55-jährigen Deutschen erhoben. Der Mitarbeiter eines Unternehmens, das im Bundestag elektronische Geräte überprüft, soll laut SZ und LTO dem russischen Geheimdienst Grundrisse des Bundestags weitergegeben haben. Nach Informationen der FAZ (Helene Bubrowski) soll der Angeklagte in der DDR führender Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen sein.
LG Gera zu rechtsextremistischem "Jungsturm": Die rechtsextreme und gewalttätige Gruppierung "Jungsturm" aus dem Umfeld des Fußballclubs Rot-Weiß Erfurt ist eine kriminelle Vereinigung. Das stellte das Landgericht Gera nun fest und verurteilte zudem drei der vier Angeklagten wegen ihrer Mitgliedschaft beim "Jungsturm" sowie schwerer Körperverletzung und Landfriedensbruch zu Haftstrafen von über zwei Jahren. Der vierte Angeklagte erhielt eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Die vier 21- bis 29-Jährigen hatten sich zu Schlägereien mit anderen Hooligan-Gruppen getroffen und eher links eingestellte Fans des FC Carl Zeiss Jena überfallen, berichtet sz.de.
VG Bremen zu Informationsfreiheit/Cum-Ex: Die Landesfinanzbehörden müssen der Öffentlichkeit keine Einsicht in die Akten zum Umgang mit den Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften gewähren. Dies leite sich, so das Verwaltungsgericht Bremen, aus § 21a des Finanzverwaltungsgesetztes (FVG) ab. Um den größten Steuerbetrug der deutschen Geschichte aufzuklären, hatte Martin Modlinger von der Stiftung Erneuerbare Freiheit auf Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze von Bund und Ländern Akteneinsicht beantragt, welche jeweils abgelehnt wurde, da ansonsten die Vertrauenswürdigkeit der Behörden nachhaltig Schaden nehmen würde. netzpolitik.org (Arne Semsrott) schreibt über den Fall und wie durch die Änderungen des FVG das Recht auf Informationsfreiheit ausgehebelt werde.
StA Frankfurt/M. – rechtsextreme Polizei-Chatgruppen: Gegen vier Männer, darunter zwei ehemalige Polizeioberkommissare, hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Anklage erhoben, insbesondere wegen Volksverhetzung, dem Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen, Verstößen gegen das Waffengesetz und Verrat von Dienstgeheimnissen. Sie sollen 2018 in rechtsextremen Chatgruppen unter anderem fremdenfeindliche Aufnahmen versandt und in ihren Wohnungen Sprengmittel und Waffen gelagert haben, so die FAZ (Julian Staib) und spiegel.de. Die Ermittlungen wegen rechtsradikaler Chatgruppen bei der Polizei begannen im Sommer 2018, nachdem die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz ein Drohfax mit Informationen erhalten hatte, die nicht öffentlich verfügbar sind.
Recht in der Welt
EuGH – Ungarn/Flüchtlingshilfe: Das "Stop-Soros-Gesetz" der rechtsnationalen ungarischen Regierung steht nicht in Einklang mit EU-Recht. Zu diesem Schluss kommt ein Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs in seinem Gutachten. Das Gesetz kriminalisiert Menschen, die Flüchtlingen helfen und verbietet ihnen den Zutritt in eine Acht-Kilometer-Zone entlang der ungarischen EU-Außengrenzen. Die EU-Kommission hat Ungarn wegen seiner rigiden asylrechtlichen Regeln bereits mehrfach vor dem EuGH verklagt, so zeit.de und die SZ.
China – Entschädigung für Hausarbeit: Ein Mann muss seiner Ex-Frau eine Entschädigung von umgerechnet circa 6360 Euro für die von ihr geleistete Hausarbeit zahlen, melden die Welt und faz.net. Damit fällt das Gericht in Peking seine Entscheidung auf Grundlage eines kürzlich in China in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Rechte der Frau.
Frankreich – Pestizide im Wein: Die Französin Valerie Murat muss wegen Verleumdung 125.003 Euro Entschädigung an den Weinbauernverband von Bordeaux bezahlen. Das entschied ein Gericht in erster Instanz. Murat hatte eine Analyse zu Pestizid-Rückständen in 22 verschiedenen Weinen aus dem Anbaugebiet Bordeaux veröffentlicht und vor deren Konsum gewarnt, so die SZ. Die gemessenen Spuren der Pflanzenschutzmittel sind allerdings im legalen Rahmen, weshalb der Weinbauernverband Murat auf Unterlassung der Verbreitung und Schadensersatz verklagte.
Australien – Mediengesetz: Das australische Parlament hat das umstrittene Mediengesetz verabschiedet, das Digitalkonzerne wie Facebook und Google dazu verpflichtet, traditionelle Medien, deren Inhalte sie verwenden, an ihren eigenen Werbeeinnahmen zu beteiligen, schreiben die Welt, zeit.de, die SZ und taz. Facebook hatte zuvor einige Tage lang journalistische Nachrichteninhalte auf seinen australischen Seiten geblockt, weil es mit dem Gesetzentwurf nicht einverstanden war.
Sonstiges
NSU 2.0: In einer gemeinsamen Presseerklärung erklären der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) sowie das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen ihre Solidarität mit der Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Sie und ihre Familie erhalten seit zweieinhalb Jahren Todesdrohnungen und Beleidigungen von unbekannten Täterinnen und Tätern, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet sind. Die Organisationen fordern laut LTO deshalb eine umfassende Aufklärung des Verfahrenskomplexes NSU 2.0 und den Schutz von Frau Başay-Yıldız und der anderen Betroffenen.
Corona – Föderalismus: Auf dem Verfassungsblog geht der Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium Hartmut Kühne der Frage nach, inwiefern sich der deutsche Föderalismus in der Corona-Krise bewährt hat und resümiert, der Föderalismus sei zu stark von "Kooperation und der Mitwirkung der Länder bei den Aufgaben des Bundes geprägt."
C.H.Beck/Rassismus: C.H.Beck-Verlagschef Hans-Dieter Beck hat sich nach den Rassismus-Vorwürfen gegen den Verlag nun mit einem Rundbrief an die Redaktionen gewandt. Der Autor Rüdiger Zuck hatte in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) einen Beitrag mit rassistischen Bezeichnungen veröffentlicht, der für Empörung sorgte. Wie der juristische Publizist Hendrik Wieduwilt auf LTO publik macht, geht es in Becks Schreiben nun aber gar nicht um Rassismus, sondern nur "um allfällige Unzulänglichkeiten in Jurazeitschriften", wie Wieduwilt sie betitelt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ali
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 26. Februar 2021: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44368 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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