FDP, Grüne und Linke ziehen gegen Wahlrechtsreform der großen Koalition vor das BVerfG. FDP fordert Gegenleistung für Zustimmung zu Kinder-Grundrechten. Im Alter von 91 verstarb Ernst Gottfried Mahrenholz.
Thema des Tages
BVerfG – Wahlrecht: Die Bundestagsfraktionen von FDP, Grünen und Linken haben beim Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag gegen die im Oktober beschlossene Wahlrechtsreform der großen Koalition eingereicht. Ziel der Reform war eine Verkleinerung des Bundestags. Dazu sollen bis zu drei Überhangmandate pro Landesliste nicht mehr durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien ausgeglichen werden. Dies nutze vor allem CDU und CSU und verletze damit die Chancengleichheit der Parteien. Außerdem verletze das Gesetz den Grundsatz der Normenklarheit und lasse damit dem Bundeswahlleiter bei der Anwendung zuviel Spielraum. Das eigentliche Ziel – eine Verkleinerung des Bundestags – werde verfehlt. Die Klage wurde von Rechtsprofessorin Sophie Schönberger verfasst. Mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung soll erreicht werden, dass das Gericht die neuen Regeln noch vor der Bundestagswahl im September außer Vollzug setzt. Es berichten FAZ (Johannes Leithäuser), taz (Sabine am Orde), LTO, spiegel.de und zeit.de.
Rechtspolitik
Kinderrechte ins Grundgesetz: Die FDP ist bereit, der von der Bundesregierung geplanten ausdrücklichen Erwähnung von Kinderrechten im Grundgesetz zuzustimmen und nannte jetzt ihre Bedingungen dafür. So soll das Kindeswohl "besonders" berücksichtigt werden (und nicht nur "angemessen"). Außerdem soll bei den Diskriminierungsverboten in Artikel 3 der Begriff "Rasse" ersetzt und das Merkmal "sexuelle Identität" aufgenommen werden. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO.
Corona – App: Im FAZ-Einspruch fordert Johannes Winkel, Landesvorsitzender der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen, eine bessere Nutzung der Corona-App. Bei einem positiven Test sollten die Kontakte der letzten 14 Tage, die durch die App gespeichert wurden, (freiwillig) an das zuständige Gesundheitsamt übermittelt werden. Die betroffenen Personen erhielten dann per Push-Nachricht einen automatisch generierten Bescheid des Gesundheitsamtes, der sie zu einem Corona-Schnelltest innerhalb der nächsten 24 Stunden verpflichtet. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stehe nicht über, sondern neben anderen Grundrechten.
Umsetzung EU-Urheberrecht: beck-community (Tobias Fülbeck) spricht mit Rechtsanwalt Mathias Schwarz u.a. über die Umsetzung der EU-Urheberrichtlinie in nationales Recht. Schwarz kritisiert die vom Justizministerium geplanten Freistellungen zum Nachteil von Kreativen, Urhebern und Produzenten, insbesondere die Bagatellgrenze bei Filmausschnitten. Wenn das Hochladen 20-sekündiger Film-Auszüge auf Youtube nicht verhindert werden kann, könne so das Ende des Films verraten und die Spannung zerstört werden.
DIHK: Kommenden Mittwoch wird der Gesetzentwurf zum Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ins Kabinett gelangen. Der DIHK soll, wie die FAZ (Julia Loehr) berichtet, in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft umgewandelt werden. Grund für die Änderung ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem letzten Jahr, das eine Kammer zum Austritt aus dem DIHK verpflichtet, sollte dieser sein Mandat fortgesetzt überschreiten. Durch die angestrebte Gesetzesänderung soll eine Zerschlagung des DIHK verhindert, wie auch seine Kommunikation nach außen geregelt werden.
Whistleblower: Die Umsetzung der EU-Richtlinie zu Whistleblowern in nationales Recht entfachte in der CDU/CSU eine Debatte über zu viel Bürokratie für Unternehmen, die deren Wettbewerbsfähigkeit gefährde. Es berichtet das Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer).
Justiz
Ernst Gottfried Mahrenholz: Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Die SZ (Helmut Kerscher) nennt ihn in ihrem Nachruf die "einst fortschrittliche Stimme des konservativ geprägten Zweiten Senats". Mahrenholz war von 1981 bis 1993 Verfassungsrichter und ab 1987 Vizepräsident des Gerichts.
EuG – Eon und RWE: Mehrere regionale sowie kommunale Energieversorger wehren sich mit Nichtigkeitsklagen vor dem Gericht der Europäischen Union gegen die Neuaufteilung des Geschäftsfelder zwischen Eon und RWE, die von der EU-Kommission genehmigt worden war, so die FAZ (Marcus Jung). Sie beklagen, dass diese Aufteilung zwischen den beiden "Branchenriesen" wettbewerbsschädlich sei und damit auch den Verbraucher treffe. Dies sei bereits die zweite Welle an Klagen, diesmal besonders auf den Zuschlag der Wertschöpfungsstufen Vertrieb, Netz und innovatives Geschäft zugunsten von Eon gerichtet. Die SZ (Benedikt Müller-Arnold) berichtet, dass sich Eon sorglos gibt und die Freigaben der Europäischen Kommission als grundsolide einschätze. Die SZ verweist darauf, dass bisher viele Klagen gegen Fusionsgenehmigungen der EU gescheitert seien.
BVerfG – Mietendeckel: spiegel.de (Martin U. Müller) berichtet, dass vier Berliner Wohnungsbaugenossenschaften vor dem Bundesverfassungsgericht eine Sammel-Verfassungsbeschwerde gegen den Berliner Mietendeckel einreichten. Sie sehen in dem Gesetz des Landes Berlin zur Bekämpfung von Wohnungsmangel einen erheblichen Eingriff in ihre Grundrechte sowie in ihre bestehenden Verträge. Es gebe keinen sachlichen Grund für dieses Gesetz, denn die Mietbelastungsquote in Berlin sei bereits geringer als noch vor einigen Jahren.
BGH zu Postlaufzeiten: beck-aktuell (Hans-Jochem Mayer) analysiert das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Frage von Postlaufzeiten während der Corona-Pandemie vom 28. Januar. Fazit dieser Analyse ist, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass im Bundesgebiet werktags innerhalb der Briefkastenleerungszeiten aufgegebene Postsendungen am nächsten Werktag ausgeliefert werden.
BGH zur Haftung bei Insolvenz: beck-community (Ulrike Wollenweber) bespricht das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Haftung von Kommanditisten bei Insolvenz der Gesellschaft vom 15. Dezember. Der BGH habe das erste Mal festgestellt, dass für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten die Haftung der Kommanditisten nach §§ 171, 172 Abs. 4, 161 Abs. 2, 128 Handelsgesetzbuch (HGB) bestehe, die bis zur Insolvenzeröffnung begründet worden seien.
OLG Frankfurt/M. zum Mord an Walter Lübcke: Wie die FAZ meldet, legte Markus H., der vom Oberlandesgericht Frankfurt/M. nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt worden war, gegen das Urteil Revision ein.
LSG Nds-Bremen zu Schockschäden: Das Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen entschied laut LTO am 17. Dezember, dass auch Jahre nach einem Verbrechen Schockschäden anerkannt werden können. Die Klägerin stellte erst sechs Jahre nach dem Totschlag ihres Vaters durch ihren psychisch kranken Bruder einen Antrag auf Opferrente. Dieser wurde vom Versorgungsamt mit der Begründung abgelehnt, dass keine psychische Störung mit Tatbezug dokumentiert sei und sie sich nicht in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben habe. Das LSG begründete seine Entscheidung mit dem Opferentschädigungsrecht und damit, dass die psychischen Auswirkungen der Klägerin aufs Engste mit der Tat verbunden seien, so zeit.de.
LG Augsburg – Steuersparmodell "Goldfinger": Im Januar 2021 stellte das Landgericht Augsburg gem. § 153 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) nach jahrelangem Prozess das Verfahren gegen die angeklagten Rechtsanwälte und Steuerberater G. und H. wegen vermuteter Steuerhinterziehung ein. LTO (Annelie Kaufmann) gibt hierzu einen ausführlichen Hintergrundbericht, welcher auch die Fragen der Entschädigung für die Angeklagten sowie mögliche Straftaten der Staatsanwaltschaft behandelt.
LAG Berlin-BB – Pflege-Tarifvertrag: Der Arbeitgeberverband Pflege klagt mit Unterstützung der Evangelischen Heimstifung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg auf Nichtigkeitsfeststellung des Tarifvertrags der Gewerkschaft Verdi mit einem anderen Arbeitgeberverband. Diese hatten sich, wie die SZ (Benedikt Peters) berichtet, auf höhere Mindestlöhne für Beschäftigte in Seniorenheimen in einem Tarifvertrag geeinigt. Weil Verdi in der Altenpflege keine bedeutende Stellung einnehme, sei die Gewerkschaft für diese Branche tarifunfähig, referiert spiegel.de die Beschwerde des Antragsstellers.
VG Berlin zu Corona-Impfpriorität: Das Verwaltungsgericht Berlin wies die Eilanträge zweier an Krebs erkrankten Patienten auf eine vorgezogene Impfung ab. Die Antragsteller sähen sich aufgrund ihrer Erkrankung als besonders gefährdet an, das VG hingegen kann einen Anspruch auf vorgezogene Impfung nicht aus der Impfverordnung ableiten, so spiegel.de (Peter Maxwell). Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, denn hier habe die Exekutive in ihrer Schutzpflicht einen weiten Gestaltungsraum, den sie mit ihrer Entscheidung, Menschen über 80 Jahren und Bewohner von Pflegeheimen als erstes zu impfen, ausreichend genutzt habe.
VG Frankfurt/M. zu Corona-Impfpriorität: Das Verwaltungsgericht Frankfurt/M. hat am Freitag die Stadt Frankfurt dazu verpflichtet, zu überprüfen, ob ein schwerbehinderter, junger Mann sofort geimpft werden muss. Dieser ist laut FAZ (Marie Lisa Kehler) vor das VG gezogen, weil trotz der Möglichkeit der "Einzelfallentscheidung" sein Krankheitsbild nicht in die Corona-Impfverordnung aufgenommen worden ist. Bisher gab es für den Kläger aber keinen klaren Ansprechpartner. Inzwischen konnte die Stadt Frankfurt ihm einen Impftermin für kommenden Mittwoch anbieten.
VG Köln – AfD und Verfassungsschutz: Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz beschäftigt sich auf dem Verfassungsblog vor dem Hintergrund des vor dem Verwaltungsgericht Köln anhängigen Eilantrags der AfD mit den materiellen Rechtsfragen einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.
ArbG Hamburg – Kündigung einer Pflegerin: Diesen Montag begannen die Auseinandersetzungen zwischen dem Hamburger Klinikkonzern Asklepios und einer Pflegerin vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Die Pflegerin und Betriebsrätin habe sich im Dezember öffentlich kritisch über die dramatischen Zustände auf der Intensivstation einer Klinik von Asklepios geäußert, woraufhin ihr fristlos gekündigt wurde, so die taz (André Zuschlag). Noch lässt Asklepios offen, ob man die Kündigung zurücknehmen werde. Die Anwältin des Konzerns wolle zunächst "möglicherweise entstandende Missverständnisse" ausräumen. Vereinbart wurde vor dem ArbG laut zeit.de ein klärendes Gespräch zwischen den Parteien. Sollte dies zu keiner Lösung führen, werde das ArbG am 20. Mai in einer mündlichen Verhandlung eine Entscheidung treffen.
Recht in der Welt
Russland – Gesetz gegen Protest: Diesen Montag trat in Russland das Informationsgesetz in Kraft, welches Betreiber sozialer Netzwerke verpflichtet, Aufrufe zu nicht genehmigten Demonstrationen zu suchen und zu blockieren, so spiegel.de. Die taz (Barbara Oertel) führt weiterhin aus, dass bei Nichtbefolgung den Betreibern Strafen in Höhe von umgerechnet 8.700 – 44.400 Euro drohen.
Russland – Nawalny: An diesem Dienstag soll ein Moskauer Gericht entscheiden, ob eine aus dem Jahr 2014 wegen Unterschlagung bestehende Bewährungsstrafe in eine dreieinhalbjährige Haftstrafe umgewandelt werden soll. Nawalny habe laut russischer Staatsanwaltschaft gegen Bewährungsauflagen verstoßen und wurde deswegen bereits am 17. Januar festgenommen und zu 30 Tagen Haft verurteilt, so spiegel.de (Christian Esch, Christina Hebel). Nawalny betont, dass er seine Bewährungsauflagen nicht verletzt habe. Er habe der Gefängnisbehörde FSIN mitgeteilt, dass er sich wegen medizinischer Behandlung in Berlin aufgehalten habe.
USA – Impeachment: Wie focus.de berichtet, stellte Ex-Präsident Trump am Montag, kurz vor Beginn des Amtsenthebungsverfahrens in der zweiten Februarwoche, seine neuen Anwälte vor. Sein voriges Team wollte nicht die unbewiesenen Vorwürfe eines Wahlbetrugs in den Mittelpunkt stellen.
Uganda – Präsidentschaftswahl: Der Oppositionsführer Bobi Wine zieht vor das ugandische Verfassungsgericht. Er möchte gerichtlich feststellen lassen, dass die Präsidentschaftswahl von Unregelmäßigkeiten, Einschüchterungsversuchen und Wahlmanipulation beeinflusst worden ist und der Sieg von Amtsinhaber Museveni ungültig sei, so zeit.de. Dies sei nicht das erste Mal, dass ein Oppositionsführer gegen eine Wahl gerichtlich vorgegangen sei, bislang blieben diese Verfahren allerdings immer erfolglos.
Sonstiges
Gamestop: Rechtsanwalt Kilian Wegner stellt auf LTO die sogenannte "David-gegen-Goliath-Geschichte" in der Börse dar und überlegt, wie dieses Vorgehen von organsierten "Internetgemeinden" gegen Hedgefonds vor deutschem Recht zu beurteilen wären.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ela
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 2. Februar 2021: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44156 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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