Das LG Braunschweig sprach Christian B. vom Vorwurf mehrerer Sexualstraftaten frei. Der GBA klagte die Linksextremistin Hanna S. wegen Überfällen in Budapest an. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm klagt gegen ihr eigenes Gremium.
Thema des Tages
LG Braunschweig zu Christian B.: Das Landgericht Braunschweig hat Christian B. von den Vorwürfen der Vergewaltigung in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen freigesprochen. Nach Ansicht des LG waren die belastenden Zeugenaussagen "fast wertlos", da sie von "massiver Fremd- und Autosuggestion" geprägt waren, nachdem die Staatsanwaltschaft B. als Verdächtigen im Fall des 2007 verschwundenen dreijährigen englischen Mädchens Maddie benannt hatte. Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Freispruch Revision angekündigt. Der Angeklagte bleibt zunächst weiterhin in Haft; noch bis September des nächsten Jahres verbüßt er eine wegen einer anderen Vergewaltigung ergangene Freiheitsstrafe. Ob B. darüber hinaus auch im Zusammenhang mit dem Fall Maddie noch angeklagt wird, bleibt unklar. Es berichten SZ (Benedikt Warmbrunn), FAZ (Kim Maurus), Welt (Per Hinrichs), beck-aktuell, LTO und spiegel.de (Julia Jüttner).
Annette Ramelsberger (SZ) zweifelt an der Unvoreingenommenheit des Gerichts. Wohl nicht ohne Grund habe die Staatsanwaltschaft auf die Verfahrensführung mit einem Befangenheitsantrag reagiert. Bereits die Verfahrenseröffnung sei lediglich auf Anordnung des Oberlandesgerichts erfolgt. Die Autorin erinnert an zahlreiche Indizien, die für eine Täterschaft B.s sprachen. Da nun auch keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, blieben nach einer Entlassung Bs. lediglich Auflagen, um "einen der gefährlichsten Psychopathen Deutschlands" davon abzuhalten, weitere Taten zu begehen. Reinhard Müller (FAZ) stellt in seinem Kommentar die Taktik der Staatsanwaltschaft in Frage, den Angeklagten zwar als Verdächtigen im Fall Maddie zu führen, die Anklage jedoch wegen anderer Fälle zu erheben.
Rechtspolitik
AfD-Verbot: Ein interfraktioneller Gruppenantrag Dutzender Bundestagsabgeordneter um Marco Wanderwitz (CDU) wird in dieser und der nächsten Woche in den Fraktionen des Bundestags vorgestellt. Er kann eingebracht werden, wenn ihn mindestens 37 Abgeordnete unterstützen. Eine Mehrheit bei einer Abstimmung im Bundestag dürfte unwahrscheinlich sein. LTO zählt zahlreiche skeptische Stimmen auf. Zudem werden die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu Parteiverboten rekapituliert.
NS-Raubkunst: Die am heutigen Mittwoch tagende Kultusministerkonferenz wird über eine Reform der Regeln für die Rückgabe von NS-Raubkunst beraten. Die vom früheren BVerfG-Präsidenten Hans-Jürgen Papier geleitete Beratende Kommission soll durch ein Schiedsgericht abgelöst werden, das von den Opferfamilien einseitig angerufen werden kann. Die SZ (Jörg Häntzschel) berichtet.
Ulrike Knöfel (spiegel.de) kritisiert, die neue Schiedsstelle bedeute vor allem "Bürokratisierung". Sie fordert ein staatliches Restitutionsgesetz.
Antidiskriminierung BaWü: Das in Baden-Württemberg geplante Landesgleichbehandlungsgesetz muss neu verhandelt werden. In der vergangenen Woche hatte der Staatskanzleichef Florian Stegmann (Grüne), der zugleich Koordinator der Landesregierung für Bürokratieabbau ist, seine grundsätzliche Ablehnung des bisherigen Entwurfs mitgeteilt. Er begründete dies mit den umfangreichen Dokumentationspflichten, die das Gesetz auslöse. Nun soll über eine abgespeckte Version des im Koalitionsvertrag vorgesehenen Gesetzes verhandelt werden, bei der zum Beispiel die Kommunen ausgenommen werden. Die FAZ (Rüdiger Soldt) berichtet.
Vorratsdatenspeicherung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Erik Tuchtfeld widerspricht im Verfassungsblog der Forderung nach einer Speicherpflicht für IP-Adressen. Zwar erlebe die Idee der Vorratsdatenspeicherung gegenwärtig ein überparteiliches Revival. Dies könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bisherige Vorhaben vielfach vor Gericht scheiterten. Zu einer effektiven Strafverfolgung trage die Maßnahme zudem nur ungenügend bei.
Commercial Courts: Die Rechtsprofessorin Giesela Rühl würdigt auf LTO das Ende Juli verabschiedete Justizstandort-Stärkungsgesetz als "Schritt in die richtige Richtung." Zwar verdienten einzelne Regelungen Kritik und hänge die erfolgreiche Umsetzung nicht zuletzt von der Bereitschaft der Bundesländer ab, die in ihrer Verantwortung stehenden Commercial Courts angemessen zu finanzieren. Immerhin bestehe nun aber die Möglichkeit, umfangreiche internationale Wirtschaftsstreitigkeiten am Gerichtsstandort Deutschland zu verhandeln.
MdB Canan Bayram: Die Rechtspolitikerin der Grünen Canan Bayram will wegen einer Entfremdung zwischen ihr und der Partei bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. Die Bundestagsfraktion der Grünen nehme "weniger Menschenrechte als populistische Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit", so die gegenwärtig als Fraktionsobfrau im Rechtsausschuss tätige Bayram. Der Deutsche Anwaltverein würdigte den Einsatz der Rechtsanwältin für Bürger- und Freiheitsrechte. Es berichtet u.a. LTO (Hasso Suliak).
Justiz
GBA – militante Antifa/Hanna S.: Der Generalbundesanwalt hat beim Oberlandesgericht München Anklage gegen die Linksextremistin Hanna S. erhoben. Die Angeschuldigte soll Anfang 2023 als Teil einer festen Gruppe an Überfällen auf Rechtsextremisten in Budapest teilgenommen haben. Neben dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung lautet die Anklage auch auf versuchten Mord. Dies berichtet u.a. die FAZ (Timo Frasch). Der von LTO (Tanja Podolski) befragte Verteidiger von S. bezeichnet dies als eine bewusste “Eskalation des Verfahrens”. In einem Haftprüfungstermin der in Untersuchungshaft befindlichen S. habe der Bundesgerichtshof den Mordvorwurf mangels Tötungsvorsatz verworfen und nur den Verdacht der gefährlichen Körperverletzung angenommen. Eine Auslieferung nach Ungarn, wie sie im Fall Maja T. im Frühsommer erfolgte, sei weiterhin denkbar. Die von Maja T. erhobene Verfassungsbeschwerde sei noch anhängig, ein Strafprozess in Ungarn dagegen noch nicht terminiert.
VG Wiesbaden – Wirtschaftsweisen-Kodex: Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm hat beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eine Klage gegen den Verhaltenskodex der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen erhoben, schreibt die FAZ (Patrick Welter). Das Gremium, dessen Mitglied Grimm ist, hatte in einem bislang nicht öffentlichen Kodex Regeln zum Umgang mit möglichen Interessenkonflikten aufgestellt. Dies verstoße nach Ansicht der Klägerin gegen den gesetzlichen Auftrag des Sachverständigenrats. Der Rat hatte Grimm mit Mehrheit im Februar aufgefordert, entweder ihre Mitgliedschaft im Gremium oder ihr Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy niederzulegen.
EuGH zu FIFA-Transferregeln/Diarra: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ schreiben die Rechtsprofessoren Gregor Thüsing und Alexander Scheuch über das letztwöchige Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das die FIFA-Transferregeln beanstandete, weil die Sanktionen für vertragsbrüchige Spieler und ihre neuen Vereine unverhältnismäßig seien. Erneut habe das Gericht verdeutlicht, dass Wettbewerbsbeschränkungen "unter dem Deckmantel sportpolitischer Zielsetzungen" nicht akzeptiert würden. Zusätzlich bemerkenswert sei, dass der weitgehend erfolgreiche Klägeranwalt Jean-Louis Dupont bereits das Bosman-Urteil von 1995 erstritten hatte.
BVerfG – Letzte Generation/Pressetelefon: Rechtsprofessor Thorsten Koch erhofft sich im Verfassungsblog von der Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Landgerichts München I, das Ende Juli die Rechtmäßigkeit gerichtlicher Anordnungen zur Überwachung eines "Pressetelefons" der Letzten Generation für rechtmäßig erklärt hatte, die Klärung mehrerer grundsätzlicher Fragen. Zwar sei es grundsätzlich möglich, dem öffentlichen Belang einer effektiven Strafverfolgung Vorrang gegenüber kollidierenden Rechtspositionen Dritter einzuräumen. Das LG habe jedoch die Pressefreiheit der Abgehörten gleich in mehrfacher Hinsicht ungenügend berücksichtigt. Auch sei die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Abhörmaßnahme "nicht wesentlich" über ihren Ausgangspunkt gelangt.
OLG Frankfurt/M. - Umsturzpläne/Reuß: Im Strafverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Reuß am Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat die Verteidigung eines Angeklagten angeregt, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu vernehmen. Die Verteidigung des Hauptangeklagten Reuß habe bereits Ex-US-Präsident Barack Obama als Zeugen benannt. Die in der Verhandlung verlesenen Dokumente aus dem Haus des Prinzen Reuß lassen dessen ideologische Verortung als Reichsbürger wahrscheinlich erscheinen. beck-aktuell berichtet.
OLG Hamm zu Werbung für Hyaluron-Behandlungen: Mit nun veröffentlichter Entscheidung von Ende August untersagte das Oberlandesgericht Hamm einem Anbieter von Hyaluron-Behandlungen eine Werbung mit Vorher-Nachher-Bildern. Das Einspritzen von "Fillern" sei ein operatives plastisch-chirurgisches Verfahren, die Werbung hierfür sei daher generell verboten. Es dürfe auch kein Anreiz geschaffen werden für derartige mit gesundheitlichen Risiken verbundenen kosmetischen Eingriffe. beck-aktuell berichtet.
OVG Berlin-BB zu Ehegattennachzug: Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg widerspricht eine Eheschließung per Videokonferenz der Form des § 1311 BGB. Damit seien die Voraussetzungen eines Ehegattennachzugs nicht erfüllt. Das deutsche Recht sei anwendbar, weil der heiratswillige Mann aus Deutschland an der Video-Trauung teilnahm. Über das Ende August verkündete Urteil schreibt beck-aktuell.
LG München II zu Jens Lehmann: Nach Ablauf der Rechtsmittelfristen ist die Verurteilung des früheren Fußballnationaltorwarts Jens Lehmann nunmehr rechtskräftig. Das Landgericht München II hatte Lehmann Ende September wegen Sachbeschädigung und versuchten Betrugs zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt. LTO berichtet.
AGH NRW zu Wiedereinsetzung: Wer erst 75 Minuten vor dem Verhandlungsbeginn in einem 75 Kilometer entfernten Gericht an einem Freitagmittag losfährt, den Anwaltsausweis nicht dabei hat, sich im Gerichtsgebäude verläuft und deshalb die eigene Berufungsverhandlung verpasst, kann nicht erfolgreich eine Wiedereinsetzung beantragen. Dies entschied laut beck-aktuell der Anwaltsgerichtshof NRW zu Lasten einer Anwältin.
Antisemitische Straftaten: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, forderte "schärfere und härtere Urteile" bei Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. Bewährungsstrafen schreckten niemanden ab, so Schuster nach beck-aktuell auf einer Veranstaltung in Berlin.
EuGH: Koen Lenaerts wurde von seinen Kolleg:innen als Präsident des Europäischen Gerichtshofs wiedergewählt. Der deutsche EuGH-Richter Thomas von Danwitz wurde zum Vizepräsidenten gewählt. beck-aktuell berichtet.
Justiz: Das deutsche Justizwesen muss effizienter werden, schlussfolgert ein dem Hbl (Heike Anger/Martin Greive) vorab vorliegender Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft. So leiste sich Deutschland fast genauso viele "Berufsrichter" wie die USA, unterlasse jedoch eine Spezialisierung und verschleppe die Digitalisierung. Zudem fehle es auf Richterbänken oftmals an Verständnis über komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge. Als Beispiel für die schleppende Bearbeitung von Fällen führt der Beitrag Asylverfahren an.
Recht in der Welt
USA – McDonalds: Der Fast-Food-Konzern McDonalds hat an einem New Yorker Bundesgericht eine noch unbezifferte Schadensersatzforderung gegen vier seiner größten Fleischlieferanten erhoben. Die beklagten Firmen hätten sich seit 2015 kartellrechtswidrig über Preise abgesprochen, so FAZ (Winand von Petersdorff) und Hbl (Lukas Bay) über die Klage.
USA – Google Play Store: Über die seitens eines US-Bundesrichters in San Francisco an Google erteilte Anordnung, den App Store Google Play und das Betriebssystem Android für Smartphones weiter als bislang auch für die Konkurrenz zu öffnen, berichten nun auch SZ (Jannis Brühl u.a.) und netzpolitik.org (Tomas Rudl) vertieft.
Sonstiges
Vertraulichkeit von Regierungstreffen: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kritisiert die Weigerung der Bundesregierung, mitzuteilen, wer vor rund einem Monat an einem vertraulichen Abendessen von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit Israelkritiker:innen teilgenommen hat. Das Bundesverwaltungsgericht habe vor einigen Jahren ein Gebot der Transparenz für solche Treffen statuiert.
Ziviler Ungehorsam: Nun interviewt auch beck-aktuell (Manuel Leidinger) die wissenschaftliche Mitarbeiterin Samira Akbarian über ihr demnächst erscheinendes Buch "Recht brechen – Eine Theorie des zivilen Ungehorsams" Sie erklärt dabei ihr Anliegen, zivilen Ungehorsam für Demokratie und Rechtsstaat nutzbar zu machen.
In einer Besprechung würdigt die FAZ (Joseph Hanimann) das Buch als "einen juristisch präzis argumentierenden Theorieentwurf", bei dem Akbarian "auch klare Positionierungen nicht scheut." Ob sich der von ihr verwendete Maßstab der Freiheit und Gleichheit tatsächlich eigne, "guten vom schlechten Rechtsbruch" zu trennen, bleibe aber offen.
Das Letzte zum Schluss
Verkrümelt: Rasen ist kein Witz und daher appellierte die Dortmunder Polizei an das schlechte Gewissen eines jüngst auf der A 45 geblitzten Verkehrsteilnehmenden, künftig doch bitte den "Masken-Spaß" zu lassen. Anlass ist ein nun von FAZ (Lena Spilger) und bild.de (Andreas Wegener) beschriebenes und abgebildetes Blitzerfoto, auf dem anstelle einer fahrenden Person das hinter einem Lenkrad befindliche Krümelmonster zu sehen ist.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Mediums.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 9. Oktober 2024: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55588 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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