Acht Rechtsextremisten wurden wegen einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Das OVG NRW hat immer noch keine Präsident:in, aber eine neue Leitung. Das AG Aschersleben fordert den BGH wegen der “nicht geringen Menge” Cannabis heraus.
Thema des Tages
GBA – Sächsische Separatisten: Im Rahmen einer vom Generalbundesanwalt veranlassten Razzia sind in Sachsen acht Beschuldigte wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung festgenommen worden. Als Gruppe "Sächsischer Separatisten" sollen sich die Beschuldigten mit paramilitärischen Übungen auf einen Tag X vorbereitet haben, an dem im Freistaat ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen errichtet werden sollte. Mindestens drei der Beschuldigten sind im AfD-Landesverband Sachsen bzw. dessen Nachwuchsorganisation Junge Alternative tätig, einer als Schatzmeister des sächsischen JA-Landesverbands. Es berichten SZ (Sebastian Erb/Philipp Saul), LTO und zeit.de (Christian Fuchs u.a.).
Reinhard Müller (FAZ) erinnert im Leitartikel daran, dass man die freiheitliche Ordnung "nicht mögen" muss. Freiheit ende aber "dort, wo mit Gewalt gegen andere und andere Anschauungen vorgegangen wird." Für Konrad Litschko (taz) ist die AfD-Nähe der Festgenommen bezeichnend. Diese seien gerade "keine Mitläufer, sondern Funktionäre" einer Partei, die in Sachsen nur hauchdünn die einfache Mehrheit verpasst hatte. Auch Ronen Steinke (SZ) meint, dass in der AfD "nicht nur Randfiguren auf Gewalt" setzen. Diese Erkenntnis solle Anlass für ein Verbotsverfahren bieten.
Rechtspolitik
Asyl/GEAS: Rechtsprofessor Kay Hailbronner plädiert im FAZ-Einspruch für ein völlig neues EU-Asylsystem mit humanitären Aufnahmeprogrammen unter Einschränkung individueller Rechtsansprüche. Hierzu müssten die EU-Staaten durch Auslegungsvereinbarungen und Staatenpraxis den von den europäischen Gerichten ausgeweiteten Inhalt von Genfer Flüchtlingskonvention und Europäischer Menschenrechtskonvention wieder auf ihren Kern zurückführen. Nicht ausreichend sei die Durchführung von EU-Asylverfahren in Drittstaaten wie Albanien, weil die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in den Herkunftsstaat dort auch nicht besser gelingen werde. Nicht ausreichend sei auch die Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen, weil dies gegen EuGH-Rechtsprechung verstoße und die Nachbarstaaten verärgere.
Grundstückskaufverträge: Das Bundesjustizministerium will die Digitalisierung auch bei Grundstückskaufverträgen vorantreiben. Ein nun zur Stellungnahme an Länder und Verbände versandter Gesetzentwurf sieht vor, dass der Austausch von Dokumenten zwischen Notariaten, Gerichten und Behörden ab spätestens 2027 komplett digital ablaufen soll, so LTO. Die persönliche Anwesenheitspflicht bei der notariellen Beurkundung soll dagegen beibehalten werden.
Sozial- und Arbeitsgerichte SH: Am heutigen Mittwoch werden sich Innen- und Rechtsausschuss sowie der Petitionsausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags mit der geplanten Gerichtsstrukturreform befassen und Verbände anhören. Kern der von Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) im vergangenen Monat vorgestellten Sparpläne ist die Zusammenlegung sämtlicher Arbeits- und Sozialgerichte des Landes an einem noch nicht bestimmten Standort. Die Änderung des Landesjustizgesetzes soll 2025 erfolgen. Der Umzug in das neue zentrale Gebäude ist für 2027 geplant. Von der Decken beziffert die Einsparsumme im Bereich der Arbeits- und Sozialgerichte mit rund 63 Millionen Euro bis 2040. Insgesamt sollen 47 Stellen eingespart werden. Kritiker:innen gehen dagegen von Mehrkosten in Höhe von bis zu 39 Millionen Euro aus. LTO (Tanja Podolski) berichtet.
Wohnungsbau: Das Bundeskabinett will am heutigen Mittwoch einen Gesetzentwurf zur Änderung des Baugesetzbuches beschließen. Die Einführung von Typ E-Häusern soll bei Neubauten die Abweichung von nicht-sicherheitsrelevanten DIN-Normen ermöglichen, ohne dass dies als Baumangel bewertet wird. Die FAZ (Julia Löhr) beschreibt das Zustandekommen des Entwurfs als seltenes Beispiel guter Zusammenarbeit zwischen Justiz- und Bauministerium.
Entwaldung: In der nächsten Woche wird das EU-Parlament voraussichtlich beschließen, dass die EU-Entwaldungsverordnung erst ein Jahr später als ursprünglich geplant, mithin ab 2026, gelten soll. Die Verschiebung sollten Unternehmen, aber auch betroffene Behörden dafür nutzen, sich mit dem umfangreichen Regelungsgehalt vertraut zu machen, mahnen Rechtsanwalt Daniel Weiß und Rechtsanwältin Felicitas Sussmann auf LTO. Als unmittelbar geltendes Recht untersagt die Verordnung die Nutzung einzeln angeführter Rohstoffe, die auf kürzlich entwaldeten Flächen angebaut wurden.
Produkthaftung: Nach Einigung im Europäischen Rat steht die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie vor dem Inkrafttreten. Rechtsanwalt Thomas Klindt begrüßt im Recht und Steuern-Teil der FAZ den angezeigten Übergang ins digitale Zeitalter, kritisiert jedoch die von einer gewissen Plausibilität des Sachvortrags der Geschädigten abhängigen Pflichten zur Offenlegung von Beweismitteln.
Justiz
OVG NRW – Präsidentenposten am OVG NRW: Das Oberverwaltungsgericht Münster wird am 25. November und am 5. Dezember in nicht-öffentlichen Sitzungen - wie vom Bundesverfassungsgericht angeordnet - die Auswahl der vom Landesjustizministerium bevorzugten Kandidatin für den Präsidentenposten am OVG NRW prüfen. Dies berichtet LTO (Tanja Podolski) und teilt gleichzeitig mit, dass die Leitung des OVG nunmehr von der Vorsitzenden OVG-Richterin Kathrin Junkerkalefeld übernommen wird. Der Leitungswechsel war notwendig geworden, nachdem der bisherige Vizepräsident Sebastian Beimesche in der vergangenen Woche in den Ruhestand getreten war. Der Präsidentenposten am OVG ist seit über drei Jahren offen.
AG Aschersleben zu Cannabis/nicht geringe Menge: In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil von Ende September hat sich das Amtsgericht Aschersleben in offenen Widerspruch zu der vom Bundesgerichtshof vertretenen Linie bei der "nicht geringen Menge" von Cannabis gesetzt. Der BGH hatte im April ausgeführt, dass mehr als 7,5 g reines THC auch weiterhin nicht als geringe Menge anzusehen seien. Dem vermochte das AG nun nicht zu folgen und verwies zur Begründung auf die Erforderlichkeit einer neuen Risikobewertung. Auf dieser Grundlage sei erst ab 37,5 g THC von einer nicht geringen Menge auszugehen. LTO (Hasso Suliak) berichtet.
BVerfG zu BKA-Gesetz: Der SWR-RadioReportRecht (Alena Lagmöller) befasst sich vertieft mit dem Anfang Oktober ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz. Die praktischen Auswirkungen der – nunmehr eingeschränkten – innerpolizeilichen Datenweitergabe werden am Beispiel einer Fußballfanaktivistin illustriert.
BVerfG zu RA-Kosten im Bußgeldverfahren: Ende September hob das Bundesverfassungsgericht eine amtsgerichtliche Entscheidung auf, nach der ein vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsübertretung freigesprochener Autofahrer die Kosten seiner anwaltlichen Vertretung hätte selbst tragen müssen. Dass die Entscheidung ohne jede Begründung erging, verstoße gegen das Willkürverbot. beck-aktuell berichtet.
BGH zu Online-Drogenshop Candylove: Der im vergangenen Jahr wegen gewerbsmäßigem Handel mit Betäubungsmitteln zu viereinhalb Jahren Haft verurteilte Maximilian Schmidt kommt vorerst frei. bild.de (Thilo Scholtyseck) berichtet, dass die Verurteilung nun durch den Bundesgerichtshof teilweise aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen wurde. Unter dem Namen "Shiny Flakes" hatte Schmidt den Online-Shop Candylove betrieben und die Vorlage für eine Netflix-Serie geliefert.
BGH zu anwaltlicher Haftung: Rechtsanwalt Rafael Meixner stellt auf beck-aktuell eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Umfang anwaltlicher Beratungspflicht bei höchstrichterlich ungeklärten Rechtsfragen vor. Der BGH habe eine Haftungspflicht nur in solchen Fällen angenommen, in denen das Beratungsergebnis im Lichte vorhandener Rechtsvorschriften schlechthin unvertretbar ist. Diese sollte "Anwälte aber nicht" dazu verleiten, "auf eine intensive Recherche" zur Rechtslage zu verzichten.
OLG Frankfurt/M. - Umsturzpläne/Reuß: Am Oberlandesgericht Frankfurt/M. stellte sich die frühere Richterin Birgit Malsack-Winkemann nach ihrer umfassenden Einlassung den Nachfragen des Gerichts. Sie führte hierbei aus, sich über die Pläne einer internationalen "Allianz", die Deutschland befreien sollte, durch Telegram-Kanäle informiert zu haben. Die taz (Joachim F. Tornau) berichtet.
LG Hamburg zu ZDF/Vosgerau: Mit einem nun veröffentlichtem Beschluss hat das Landgericht Hamburg vor zwei Wochen dem ZDF per einstweiliger Verfügung untersagt, Äußerungen zum Inhalt des Potsdamer Remigrations-Treffens weiter zu verbreiten. Auf Antrag des Rechtsanwalts Ulrich Vosgerau – Teilnehmer des Treffens - befand das LG, dass die Darstellung, in Potsdam sei die "Deportation" bzw. "Ausweisung" deutscher Staatsangehöriger diskutiert worden, eine unwahre Tatsachenbehauptung sei. LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet.
LG Erfurt zu Dieselskandal/Rechte der Natur: Rechtsprofessor Christoph Degenhart setzt auf dem Verfassungsblog die Diskussion über die Mitte Oktober erneut vom Landgericht Erfurt erwähnten Rechte der Natur fort. Man dürfe die "praktisch nicht ganz irrelevante Frage" nicht ausblenden, "wer denn stellvertretend bzw. in Prozessstandschaft für die jeweilige ökologische Person diese Rechte geltend machen soll." Die Erfurter Entscheidung biete hierzu keine nachvollziehbare Lösungen und offenbare so ein "vom Leitbild des gesetzlichen Richters" weit entferntes "richterliches Sendungsbewusstsein."
LG Traunstein zu Schleuserunfall: U.a. wegen Einschleusens mit Todesfolge hat das Landgericht Traunstein einen Schleuser zu 15 Jahren Haft verurteilt, der im vergangenen Jahr auf der Flucht vor der Polizei einen Unfall auf der Autobahn verursacht hatte. Bei dem Unfall mit einem erheblich überladenen Kleintransporter starben sieben Menschen. Die Staatsanwaltschaft hatte erfolglos eine Verurteilung wegen Mordes gefordert. LTO berichtet.
LG Oldenburg – Steinhoff-Manager: Ein früherer Spitzenmanager des inzwischen liquidierten Möbelkonzerns Steinhoff muss sich am Landgericht Oldenburg wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen verantworten. Die Vorwürfe betreffen Steuererklärungen des Unternehmens und dürften dessen wirtschaftlichen Niedergang in strafrechtlicher Hinsicht abschließen, so die FAZ (Marcus Jung).
AG Hannover - Utz Classen: Am Amtsgericht Hannover sind gegenwärtig 174 Verfahren mit einem Gesamtstreitwert von mehr als 1,3 Millionen Euro gegen den Unternehmer Utz Classen und dessen Unternehmen Syntellix anhängig, hat die SZ (Nils Heck u.a.) recherchiert. Der mittlerweile in Südostasien lebende Classen torpediere die Verfahren über Forderungen gegen ihn und seine Firma durch Abwesenheit und Dienstaufsichtsbeschwerden. 2020 habe er noch - gemeinsam mit dem Präsidenten des örtlichen Landgerichts - eine Streitschrift veröffentlicht, in der beide den wegen Überlastung zusammenbrechendenden Rechtsstaat beschworen, nun überlaste er selbst die Justiz.
StA Gera – Stephan Brandner: Nach Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität hat die Staatsanwaltschaft Gera Ermittlungen gegen den AfD-Rechtspolitiker Stephan Brandner aufgenommen. Wegen der mehrfachen Bezeichnung einer Journalistin als "Faschistin" werden Beleidigung bzw. Anstiftung hierzu geprüft, berichtet LTO.
Recht in der Welt
USA – Präsidentschaftswahl 2000: Die Welt (Martin Klemrath) erinnert an den Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. Erst eine denkbar knappe Supreme Court-Entscheidung ordnete Wochen nach der Wahl die Einstellung der Nachzählung im wahlentscheidenden Bundesstaat Florida an, da nur so die Wahlleute noch fristgemäß bestimmt werden konnten. Hierdurch verblieb es beim hauchdünnen Vorsprung von George W. Bush.
Sonstiges
Döner-Obergrenze: Eine Bürgerinitiative und die örtliche CDU will in Heilbronn eine Obergrenze für Dönerläden in der Innenstadt etablieren. Ein dieses Ansinnen vorgeblich unterstützendes Gutachten hält die Initiative unter Verschluss. Rechtsanwalt Patrick Heinemann legt auf LTO dar, dass eine zahlenmäßige Beschränkung bestimmter Gewerbebetriebe sowohl gewerbe- als auch bauplanungsrechtlich erheblichen Schwierigkeiten begegnen würde.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 6. November 2024: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55795 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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