Wie kann das Bundesverfassungsgericht vor Ausschaltung oder Blockade geschützt werden? Das LG Frankfurt/M. verurteilte Ulf Johannemann zu dreieinhalb Jahren Haft. Das albanische Verfassungsgericht hat das Asylabkommen mit Italien gebilligt.
Thema des Tages
Resilienz des BVerfG: Im politischen Meinungsbild zeichnet sich eine grundsätzliche Unterstützung der Idee ab, wesentliche Organisationsprinzipien des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festzuschreiben. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) habe diesbezüglich eine sorgfältige Diskussion angeregt, schreiben SZ (Constanze von Bullion/Wolfgang Janisch) und LTO. Statements des Deutschen Anwaltvereins und des Deutschen Richterbunds ließen ebenfalls grundsätzliches Wohlwollen erkennen. tagesschau.de (Frank Bräutigam/Michael Nordhardt) stellt die maßgeblichen rechtlichen Probleme in dar. Die FAZ (Stephan Klenner) geht in ihrem Bericht auch auf Erfahrungen in solchen Bundesländern ein, in denen von der AfD Benannte in Landesverfassungsgerichten mitarbeiten. Diesen Aspekt greift auch die Welt (Benjamin Stibi) auf. Der taz (Christian Rath) liegt ein Papier einer Gruppe um die früheren Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts Gabriele Britz und Michael Eichberger vor, in dem drei Modelle einer Grundgesetzänderung diskutiert werden.
Nach Jost Müller-Neuhof (Tsp) lassen sich gute Gründe dafür anführen, das "funktionierende System" Bundesverfassungsgericht stärker als bislang zu verankern. Die dagegen sprechenden Gründe wegen der von der AfD ausgehenden Gefahr weitgehend kommentarlos vom Tisch zu wischen, sei dagegen "leichtfertig." Christian Rath (taz) erinnert daran, das die Diskussion älter und den Entwicklungen in Ungarn und Polen geschuldet ist. Ähnlich argumentiert Wolfgang Janisch (SZ). In den USA lasse sich "besichtigen, wie der Oberste Gerichtshof an Vertrauen einbüßt, weil er mit Vertretern politischer Extrempositionen besetzt wird." Dies gelte es ebenso zu vermeiden, wie die bislang für eine entsprechend motivierte Minderheit bestehende Möglichkeit, durch die Verhinderung von Neubesetzungen "das Gericht partiell zu lähmen." Auch Reinhard Müller (FAZ) hält das Nachdenken über die Notwendigkeit einer Ergänzung des Grundgesetzes für richtig. Letztlich komme es aber auf "einen Verfassungsschutz durch die Bürger" an, die Wahlen nicht lediglich als Möglichkeit ansehen dürften, Denkzettel zu verpassen.
Rechtspolitik
Künstliche Intelligenz: Die Bundesregierung hat sich nun darauf verständigt, bei der für den nächsten Freitag geplanten Abstimmung der neuen EU-Verordnung über den Einsatz künstlicher Intelligenz (AI-Act) zuzustimmen. Zuletzt hatte das FDP-geführte Digital- und Verkehrsministerium Bedenken wegen innovationshemmender Bestimmungen angemeldet. Diese sind nun offenbar ausgeräumt, berichten LTO, Hbl (Josefine Fokuhl u.a.) und zeit.de (Jakob von Lindern).
V-Leute: In einer Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaften ist der im Dezember vom Justizministerium vorgelegte Referentenentwurf für eine gesetzliche Regelung des Einsatzes von V-Leuten, verdeckten Ermittlern und Lockspitzeln umfassend kritisiert worden. Durch den Entwurf würde der Einsatz solcher Ermittlungspersonen faktisch abgeschafft, die vorgesehenen Voraussetzungen seien ausnahmslos unpraktikabel, so LTO. Über die Ermittlungsgeneralklausel der Strafprozessordnung hinaus bestehe kein Regelungsbedürfnis.
Justiz
LG Frankfurt/M. zu Cum-Ex/Ulf Johannemann: Der frühere Partner der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, Ulf Johannemann, ist vom Landgericht Frankfurt/M. wegen Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. In Rechtsgutachten hatte Johannemann der Maple Bank die angebliche Zulässigkeit von Cum-Ex-Steuertricksereien bestätigt. Der Angeklagte hatte sich geständig eingelassen, nachdem ihm die Kammer im Verlauf des Verfahrens eine "hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit" mitgeteilt hatte. Es berichten LTO, Hbl (Rene Bender u.a.) und SZ (Gianna Niewel/Meike Schreiber).
EuGH zu Speicherung biometrischer Daten: Auf Vorlage des Obersten Verwaltungsgerichts Bulgariens stellte der Europäische Gerichtshof in einem von beck-aktuell berichteten Urteil klar, dass die behördliche Speicherung biometrischer oder genetischer Daten bis zum Tod der betroffenen Person nur unter besonderen Umständen gerechtfertigt und angemessen ist. Ob diese Umstände – noch - vorliegen, müsse regelmäßig geprüft werden.
EuGH zu minderjährigem Flüchtling: Ein als Flüchtling anerkannter unbegleiteter Minderjähriger verliert sein Recht auf Familienzusammenführung nicht dadurch, dass er während des behördlichen Verfahrens die Volljährigkeit erreicht. Anderenfalls stünde das Recht im Belieben der behördlichen Bearbeitungszeit. Dies stellte der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Österreich klar. beck-aktuell berichtet.
BGH zu Rückgewährschuldverhältnis: Die Weigerung, nach einem wirksamen Rücktritt die mangelhafte Kaufsache zurückzunehmen, kann nach Entscheidung des Bundesgerichtshofs einen Schadensersatzanspruch begründen. Dies beruhe auf einer Verletzung der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch. In dem vom BGH bereits Ende November entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Rücknahme von 22.000 Tonnen Schotter, der arsenbelastet war, so LTO.
LG Ingolstadt – Mord an Doppelgängerin: Im Verfahren über die Tötung einer Doppelgängerin hat die Angeklagte am Landgericht Ingolstadt eine Erklärung verlesen. In dieser beschrieb die junge Frau, dass die Tötung ausschließlich von ihrem Mitangeklagten ausging. Dessen Verteidigung beschrieb die Darstellung der Angeklagten als abenteuerlich. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger) und spiegel.de (Julia Jüttner).
BayAGH zu Fachanwaltstitel: Der Bayerische Anwaltsgerichtshof hat in einer nun veröffentlichten Entscheidung von Mitte November den Entzug eines Fachanwaltstitels durch die Anwaltskammer bestätigt. EIn vormaliger Fachanwalt für Steuerrecht hatte den unterbliebenen Nachweis von Pflichtfortbildungen mit der Unmöglichkeit einer Teilnahme an Online-Veranstaltungen und dem coronabedingten Ausfall von Präsenzveranstaltungen begründet. beck-aktuell berichtet.
Windräder: Zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energieträger ist 2022 die Errichtung und der Betrieb von Windrädern als überragendes öffentliches Interesse gesetzlich neudefiniert worden. Diese Wertung hat nunmehr auch Einzug in die Rechtsprechung von Oberverwaltungsgerichten gefunden, wie Rechtsanwalt Peter Rauschenbach im Recht und Steuern-Teil der FAZ mit Entscheidungen aus Greifswald und Münster belegt. Demgegenüber folge die Praxis einiger Fachbehörden "im ohnehin umfangreichen Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen" mitnichten dem Beschleunigungsgebot.
Recht in der Welt
Albanien – Asylabkommen mit Italien: Das Verfassungsgericht Albaniens hat entschieden, dass das von Ministerpräsident Edi Rama mit seiner italienischen Amtskollegin Giorgia Meloni ausgehandelte Migrationsabkommen nicht gegen die Landesverfassung verstößt und auch die territoriale Integrität des Landes nicht verletzt. Vorbehaltlich einer Ratifikation in den Parlamenten beider Länder können damit die Arbeiten für ein von Italien finanziertes Aufnahme- und Abschiebezentrum im Norden Albaniens aufgenommen werden, schreibt die FAZ (Matthias Rüb). Dort sollen Migrant:innen von italienischen Beamt:innen registriert und deren Asylanträge beschieden werden.
IGH/Israel – Krieg in Gaza: Für den Verfassungsblog unternehmen Ammar Bustami und Verena Kahl, Rechtsreferendar und wissenschaftliche Mitarbeiterin, einen ausführlichen Blick auf das am Internationalen Gerichtshof anhängige Verfahren gegen Israel. Hierzu werden sowohl Vorwurf als auch Verteidigung sowie die am vergangenen Freitag verkündeten einstweiligen Anordnungen ausführlich dargestellt. In einem weiteren Schwerpunkt stellt der Beitrag das deutsche Verhalten in Frage. Die Staatsräson in Sachen Nahost bedeute "keine rechtliche Bindung, wohl aber einen konstanten politischen und moralischen Positionierungszwang." Hierdurch werde "die Pluralität und Komplexität deutscher Verantwortung im Hinblick auf den Nahostkonflikt" verdunkelt und gleichzeitig auch das Vertrauen in das Völkerrecht und dessen Gerichtsbarkeit beschädigt.
Die FAZ (Alexander Haneke) porträtiert Aharon Barak, der als von Israel ernannter Ad-hoc-Richter am Verfahren teilnahm. Unter Verweis auf seine Biographie habe der frühere Vorsitzende des Obersten Gerichts Israels in seiner abweichenden Meinung auf die hinter dem Genozidvorwurf zwingend stehende Absicht verwiesen. Auch angesichts der im Eilverfahren geringeren Beweisanforderungen spreche nichts für die Annahme, es sei plausibel, dass Israel eine solche Absicht verfolge. Die taz (Simone Schlindwein) stellt Julia Sebutinde vor. Die ugandische Richterin sprach sich als alleiniges Mitglied des Kollegiums gegen jede Anordnung aus. Nun werde in ihrer Heimat diskutiert, ob diese Haltung mit ihrer Mitgliedschaft in einer mächtigen evangelikalen Sekte zusammenhänge, die sich ausdrücklich zum Zionismus bekenne.
Ungarn – militante Antifa: Das italienische Außenministerium hat in einer offiziellen Protestnote gegen die Behandlung der linksextremen Ilaria S. in Budapest protestiert. S. wird die Beteiligung an Überfällen auf Rechtsextreme vorgeworfen. Dass sie vor Gericht in Handschellen, Fußfesseln und Ketten vorgeführt wurde, habe in Italien Empörung hervorgerufen, schreibt die FAZ (Matthias Rüb).
USA – Trump/Wahlbeeinflussung in Georgia: Der im US-Bundesstaat Georgia anhängige Strafprozess gegen Donald Trump wegen illegaler Wahlmanipulationen könnte platzen, berichtet spiegel.de (Marc Pitzke). Einer der Mitangeklagten des früheren US-Präsidenten hat behauptet, dass die federführende Bezirksstaatsanwältin Fani Willis eine intime Beziehung mit einem extern angeheuerten Sonderermittler eingegangen sei und beantragte auf dieser Grundlage die Abweisung der Anklage. Trump habe sich diesem Antrag angeschlossen.
Juristische Ausbildung
BVerwG zu Änderung der Prüfungsnoten: Das Bundesverwaltungsgericht hat eine vom nordrhein-westfälischen Justizprüfungsamt eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde in einem nun veröffentlichten Beschluss von Mitte Dezember verworfen und damit einen vierjährigen Rechtsstreit über eine Notenanhebung im sogenannten Überdenkungsverfahren beendet. Ausgangspunkt war der Widerspruch eines Prüflings gegen die Bewertung einer Strafrechtsklausur im zweiten Staatsexamen. Im folgenden Überdenkungsverfahren hoben sowohl Erst- als auch Zweitkorrektor die Note um einen Punkt an, womit der Prüfling die Zulassung zur mündlichen Prüfung erreichte. Die hiergegen vom Prüfungsamt vertretene Argumentation, die Notenanhebung hätte den Bewertungsmaßstab unzulässig verschoben, konnte sich dabei in keiner Instanz durchsetzen, so die Doktorandin Jannina Schäffer (LTO-Karriere) in einer vertieften Darstellung. Neben geradezu klassischen prüfungsrechtlichen Aspekten belege der Fall auch die Notwendigkeit einer verdeckten Zweitkorrektur ohne vorherige Kenntnis der Ersteinschätzung.
Sonstiges
Resiliente Demokratie: Rechtsprofessorin Sophie Schönberger setzt sich auf dem Verfassungsblog mit dem Phänomen der parlamentarischen Obstruktion auseinander und unterscheidet hierbei zwischen Rechtsmissbrauch sowie symbolischer und systematischer Blockade. Für deren Überwindung bedürfe es "in der Bevölkerung wie in den Institutionen" überzeugter "Demokraten", die sich der "Tyrannei der Minderheit" entgegenstellen.
Resiliente Demokratie in Thüringen: Angesichts eines möglichen Wahlsiegs der AfD in Thüringen beschreibt Rechtsanwalt Bijan Moini in einem Interview mit spiegel.de (Malte Göbel) mögliche Szenarien der Einflussnahme eines Ministerpräsidenten Björn Höcke. Dessen Anordnungen könnte sich eine demokratisch überzeugte Beamtenschaft mit den Mitteln des Rechts grundsätzlich widersetzen. Im äußersten Norfall könnte die Bundesregierung auch Bundeszwang ausüben, so der Leiter des Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Antisemitismus: Aus Anlass der vorläufig gescheiterten Antidiskriminierungsrichtlinie des Berliner Kultursenators Joe Chialo (CDU) beschreibt die SZ (Ronen Steinke) im Feuilleton die Schwierigkeiten bei der Definition von Antisemitismus. Die als Vorlage verwendete Beschreibung durch die "Internationale Allianz zum Holocaustgedenken" basiere auf Sensibilisierung und Erkenntnisgewinn. Recht dagegen müsse "möglichst klare Konturen ziehen", wenn staatliche Eingriffe folgten.
Kunst und Recht: Der SWR-Radio-Report-Recht (Finn Hohenschwert/Fabian Töpel) beleuchtet in dieser Woche rechtliche Aspekte der Kunst und befragt zu diesem Zweck Peter Raue, der als Anwalt die sogenannte Berghain-Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg erstritt, in der der künstlerische Charakter der dortigen Veranstaltungen Anerkennung fand.
Mandatsbeendigung: Auch nach der Beendigung des Mandats greifen anwaltliche Berufspflichten. Beispiele, etwa zur Aufklärung über Fristen, nennt Rechtsanwältin Inga Willems auf beck-aktuell.
Doppelverdiener-Modell: In einem Interview mit spiegel.de (Florian Gontek) erklärt Stephan Rittberger, Richter am Bayerischen Landessozialgericht, das sogenannte Doppelverdiener-Modell, durch dessen Inanspruchnahme Beschäftigte mit 45 Berufsjahren in den Jahren vor der Regelaltersrente sowohl Rente als auch Arbeitsentgelt – und beides im Wesentlichen ohne Kürzungen - beziehen können.
Das Letzte zum Schluss
Ausgleichende Gerechtigkeit: Mit einer ungewöhnlich milden Strafe ist in Minnesota/USA der aufsehenerregende Diebstahl der von Judy Garland im "Zauberer von Oz" getragenen roten Schuhe geahndet worden. Weil der geständige Dieb todkrank ist und sich in palliativer Behandlung befindet, gilt seine Freiheitsstrafe als abgegolten, so spiegel.de. Wäre er 2005, zum Zeitpunkt des Diebstahls verurteilt worden, hätten ihm zehn Jahre Haft gedroht.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 31. Januar 2024: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53758 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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