Auf der Jahrespressekonferenz des BFH wurden auch neue Urteile vorgestellt. Am LG Hamburg siegte Privatdozent Vosgerau mit einem nebensächlichen Antrag gegen Correctiv. Eine Kriegsbeteiligung beginnt erst mit der Beteiligung an Gefechten.
Thema des Tages
BFH-Jahres-PK / Berliner Testament / Managementbeteiligungen: Auf der Jahrespressekonferenz des Bundesfinanzhofs hat sich Präsident Hans-Josef Thesling zufrieden über den Umfang der in München stattfindenden Videoverhandlungen gezeigt. Er könne aber die Kritik der Länder am Gesetz zur Ausweitung von Videoverhandlungen verstehen, da es an den Instanzgerichten nicht nur um Rechtsfragen, sondern oft auch um die Glaubwürdigkeit von Zeugen gehe. Der BFH nutzte die Presseaufmerksamkeit, um auch zwei aktuelle Entscheidungen vorzustellen. Erstens hielt der BFH die faktische erbschaftssteuerliche Doppelbesteuerung beim Berliner Testament (mit der Jastrowschen Klausel) für zulässig, da es um zwei Erbfälle gehe. Zweitens hat der BFH bei der steuerrechtlichen Beurteilung von Managementbeteiligungen seine bisherige Linie fortgeführt. Quasi als Boni überlassene Unternehmensbeteiligungen seien demnach nicht lohnsteuerpflichtig, vielmehr lediglich als Kapitaleinkünfte zu versteuern. Noch vor dem Sommer könnte eine erste BGH-Entscheidung zur Verfassungskonformität der reformierten Grundsteuer erfolgen. Über Veranstaltung und Entscheidungen berichten FAZ (Katja Gelinsky), SZ (Stephan Radomsky) und beck-aktuell (Joachim Jahn).
Rechtspolitik
Zivilgerichtliche Zuständigkeiten: Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den der seit Jahren festzustellende Rückgang der Eingangszahlen bei den Amtsgerichten aufgehalten werden soll. Kern des jetzigen Vorschlags ist die Anhebung der seit 30 Jahren unveränderten Streitwertgrenze am Amtsgericht von 5.000 Euro auf 8.000 Euro, schreibt LTO (Markus Sehl/Joschka Buchholz). Darüber hinaus sollen sachliche Zuständigkeiten gebündelt werden. Für Nachbarschaftstreitigkeiten sollten Amtsgerichte streitwertunabhängig zuständig sein, Landgerichte hingegen bei Auseinandersetzungen über Heilbehandlungen.
EuGH-Vorabentscheidung: Um Transparenz und Offenheit der Vorabentscheidungsverfahren des Europäischen Gerichtshofs zu stärken, sollen künftig Schriftsätze und Stellungnahmen von Parteien grundsätzlich veröffenlicht werden. Eine entsprechende Änderung der Satzung des EuGH beschloss nun das EU-Parlament. Zudem sollen Verfahren in bestimmten Rechtsgebieten (z.B. Mehrwertsteuer, Zollkodex, Fluggastrechte) künftig beim Gericht der Europäischen Union (EuG) verhandelt werden. LTO berichtet.
EU-Verträge: Im vergangenen November legte das EU-Parlament eine umfangreiche Liste mit Vorschlägen und Ideen für institutionelle und kompetenzielle Reformen der EU vor. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Robert Böttner (JuWissBlog) begrüßt in einer Analyse der vorgestellten Ideen deren Stoßrichtung, stellt jedoch fest, dass die Vorschläge "für eine umfassende Vertragsrevision nicht weit genug" gingen. Angesichts bestehender "eruoskeptischer Tendenzen" bleibe die Umsetzung ohnehin fraglich.
Einschüchterungsklagen: Das EU-Parlament hat sich mehrheitlich für die im Trilog gefundene Version der geplanten Anti-SLAPP-Richtlinie ausgesprochen, durch die Opfer strategisch eingesetzter Einschüchterungsklagen besser geschützt werden sollen. Zwar seien in den Trilog-Verhandlungen die Anwendbarkeitsbestimmungen enger gefasst worden und bleibe die Umsetzung auch immer noch den Mitgliedstaaten vorbehalten, bedauert netzpolitik.org (Maximilian Henning). Dagegen sei aber auch klargestellt worden, "dass Journalismus nicht zwingend auf Papier gedruckt sein muss", um entsprechend anerkannt zu werden. Nun stehe noch die Zustimmung des Rates aus.
Justiz
LG Hamburg zu Remigrations-Treffen: Durch Beschluss des Landgerichts Hamburg ließ der Privatdozent Ulrich Vosgerau dem Recherchenetzwerk Correctiv die in dem Artikel über das Potsdamer Remigrations-Treffen enthaltene Aussage untersagen, Vosgerau habe geraten, möglichst viele Wahlprüfungsbeschwerden einzulegen, um deren Erfolgsaussichten zu erhöhen. Vosgerau konnte das Gericht überzeugen, dass er nicht so argumentiert habe. Zwei andere - ebenfalls nebensächliche - Textaussagen ließ das LG entgegen des Antrags Vosgeraus jedoch unbeanstandet. Zum Kern der Correktiv-Berichterstattung, dass bei dem Treffen auch über die "Remigration" deutscher Staatsbürger:innen mit Migrationshintergrund gesprochen wurde, hatte Vosgerau keine Anträge gestellt, dies hatte nur in der Litigation-PR beider Seiten eine Rolle gespeilt. Es berichten taz (Jan Kahlcke) und LTO (Felix W. Zimmermann).
BVerfG zu Cum-Ex/Hanno Berger: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde des Cum-Ex-Anwalts Hanno Berger gegen die Verwerfung seiner Revision am BGH nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde sei wegen mangelhafter Begründung unzulässig. Damit bleibt die Verurteilung Bergers wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung bestehen. FAZ (Marcus Jung), Hbl (Volker Votsmeier) und LTO berichten.
BVerfG – Linken-Gruppe: Die zahlenmäßige Beschränkung der monatlich zulässigen parlamentarischen Kleinen Anfragen auf zehn ist Gegenstand eines von der Linken-Gruppe im Bundestag eingeleiteten Organstreitverfahrens am Bundesverfassungsgericht. Nach Bericht von spiegel.de (Rasmus Buchsteiner) solle zunächst durch eine Eilentscheidung die Beschränkung außer Kraft gesetzt werden.
BGH zu Umgangsregelung: Das familienrechtliche Umgangsrecht untersteht nicht der freien vertraglichen Disposition der Eltern. Dies stellte der Bundesgerichtshof in einem Beschluss von Ende Januar klar. Dementsprechend sei eine Regelung, nach der die Fälligkeit vereinbarter Zugewinnausgleichszahlungen von der tatsächlichen Gewährung des vereinbarten Umgangs mit den Kindern abhänge, als sittenwidrig aufzuheben. Es dürfe keinen Handel "Geld gegen Kinder" geben, weil dies das Kindeswohl gefährden könnte. Ob diese Sittenwidrigkeit den gesamten gerichtlichen Vergleich erfasst, muss nun das Oberlandesgericht München entscheiden, an das die Sache zurückverwiesen wurde. LTO und tagesschau.de (Gigi Deppe) berichten.
BVerwG zu Täuschungsversuch im Staatsexamen: Über die Anfang des Monats verkündete Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, eine Nichtzulassungsbeschwerde des nordrhein-westfälischen Justizprüfungsamtes zu verwerfen, berichtet vertieft beck-aktuell (Joachim Jahn). Im Fall hatte die Behörde einem Examenskandidaten vorgeworfen, sich bei den schriftlichen Prüfungen durch seinen Zwillingsbruder vertreten lassen zu haben, dies aber nicht beweisen können.
KG Berlin zu Notar-Ernennung: Die Tätigkeit als angestellter Anwalt schließt die Ernennung als Notar auch dann aus, wenn der Bewerber als "Counsel" arbeitet. Dies stellte das Kammergericht in einem im vergangenen Monat verkündeten, von beck-aktuell (Michael Dollmann) berichteten Urteil fest. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit als zentrale Prinzipien des Notarberufs stünden im Widerspruch zum Abhängigkeitsverhältnis eines angestellten Anwalts.
OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Am Oberlandesgerich Koblenz hat der zweite Prozess wegen des tödlichen Brandanschlags auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis 1991 begonnen. Der Angeklagte Peter St. soll als Leitfigur der örtlichen Skinhead-Szene die Tat von Peter S., der bereits im vergangenen Oktober verurteilt wurde, veranlasst oder zumindest begünstigt haben, was die Anklage als Beihilfe wertet. Der Angeklagte schwieg zunächst. Sein Verteidiger Wolfgang Stahl kritisierte in seinem Eröffnungsstatement, dass sich der Vorwurf auf die wenig belastbare Aussage eines früheren Gesinnungsgenossen stütze, der hiervor noch nicht einmal ordnungsgemäß belehrt worden sei. spiegel.de (Julia Jüttner) und taz (Christoph Schmidt-Lunau) berichten.
OLG Hamm zu beA-Nutzung: Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach ist die automatisierte Eingangsbestätigung im Sinne der Ziviliprozessordnung maßgeblich, nicht jedoch die Zustellbestätigung einer Kanzleisoftware. Dies entschied das Oberlandesgericht Hamm Mitte Januar, so beck-aktuell.
LG Stendal zu Geiselnahme durch Attentäter: Wegen einer Geiselnahme bei einem Ausbruchsversuch ist der Attentäter von Halle, Stephan Balliet, vom Landgericht Stendal zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Angesichts der wegen des Attentats bereits gegen ihn verhängten Strafe ergäben sich durch die jetzige Verurteilung keine unmittelbaren Auswirkungen, merkt die FAZ (Reinhard Bingener) an. Die Verurteilung dürfe gleichwohl Baillets Chancen verringern, trotz lebenslanger Freiheitsstrafe und angeordneter Sicherungsverwahrung "noch einmal in Freiheit zu gelangen."
LG Berlin I - § 353d StGB/Arne Semsrott: Die taz (Gareth Joswig) befragt den Aktivisten Arne Semsrott zu seinen Beweggründen, eine Anklage nach § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch zu provozieren, um eine erneute verfassungsgerichtliche Klärung der Norm zu erreichen.
ArbG Hamburg zu KI-Einsatz: Eine betriebliche Erlaubnis für die Nutzung von KI-Systemen wie z.B. ChatGTP unterfällt nach Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten und ist keine Einführung einer technischen Einrichtung. Ein betriebsrätliches Mitspracherecht besteht also nicht, fasst Rechtsprofessor Michael Fuhlrott auf LTO die Mitte Januar verkündete, "soweit ersichtlich" erste gerichtliche Entscheidung über den betrieblichen Einsatz von KI-System zusammen. Bei dieser sei bemerkenswert, dass auch eine bislang unbekannte Konstellation mit dem gesetzlichen Werkzeugkasten des Betriebsverfassungsgesetzes gelöst werden konnte.
AG Potsdam – Tesla-Türgriffe: Am Amtsgericht Potsdam muss sich ein junger Mann wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Bei einem wohl von ihm verursachten Verkehrsunfall verbrannten zwei Mitfahrer, Im Verfahren werde zu klären sein, inwiefern die Türgriffe seines Tesla-Autos hierbei eine Rolle gespielt haben. Wie das Hbl (Sönke Iwersen u.a.) in einem ausführlichen Bericht darlegt, sind sowohl hierzulande als auch in den USA mehrere Fälle aufgetreten, bei denen die versenkbaren Griffe nach einem Unfall ein manuelles Öffnen unmöglich machten.
StA Verden – Daniela Klette: In einem Kommentar zur Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette macht Ronen Steinke (SZ) darauf aufmerksam, dass die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung nach deren 1998 erfolgter Selbstauflösung strafrechtlich mittlerweile verjährt ist. Ihr müsse deshalb die konkrete Beteiligung an konkreten Taten nachgewiesen werden.
Reinhard Müller (FAZ) hofft im Leitartikel, dass die Festnahme lediglich "der Auftakt einer neuen Verfolgungsdruckwelle ist". Diese diene Recht und Gerechtigkeit und erinnere an die Notwendigkeit einer Staatsräson, nach der "es Befreiungskampf und Widerstand gegen den demokratischen Rechtsstaat nicht geben kann."
Recht in der Welt
Niederlande – Marengo-Prozess: Wegen der Beauftragung von fünf Morden und weiteren Taten hat ein Amsterdamer Gericht nach sechs Jahren Verhandlung den Drogenmafia-Chef Ridouan Taghi zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zwei weitere Angeklagte wurden zu lebenslanger, 14 weitere Mitangeklagte zu bis zu 29 Jahren Haft verurteilt. Das Großverfahren habe dem Land die Macht der Drogenmafia vor Augen geführt, schreiben SZ (Thomas Kirchner) und FAZ (Thomas Gutschker). So sei etwa der Bruder des Kronzeugen ermordet worden. Auch die vormalige Verteidigerin des Hauptangeklagten, Inez Weski, war zwischenzeitlich wegen des Verdachts der Weiterleitung von Nachrichten ihres Mandanten festgenommen worden.
Russland – Menschenrechtler Orlow: Wegen "wiederholter Diskreditierung" der Streitkräfte hat ein russisches Bezirksgericht den Menschenrechtsaktivisten Oleg Orlow zu zweieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt. Der 70-jährige frühere Mitarbeiter der mittlerweile verbotenen Organisation Memorial hatte einen kriegskritischen Text veröffentlicht. Während der Verhandlung las er demonstrativ im "Prozess" von Franz Kafka. FAZ (Friedrich Schmidt) und taz (Inna Hartwich) berichten.
Russland – Nawalny-Anwalt Dubkow: In Moskau ist Wassilij Dubkow, Anwalt der Mutter des jüngst verstorbenen Alexej Nawalny, wegen des Vorwurfs "ordnungswidrigen Verhaltens" verhaftet worden. Die Maßnahme stehe offenbar im Zusammenhang mit behördlichen Versuchen, eine Trauerfeier für den toten Oppositionellen zu sabotieren, schreibt spiegel.de.
Sonstiges
Waffenlieferungen und Völkerrecht: In der Debatte über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine erläutert die SZ (Ronen Steinke) die völkerrechtlichen Wertungen. Nach allgemeiner Ansicht werde ein Land nicht durch Zurverfügungstellung von Kriegsgerät zur Kriegspartei, vielmehr sei die Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen mit eigenen Kräften erforderlich. Wenn ein Staat aber nicht nur Kriegswerkzeug liefert, sondern dann auch über Militärberater oder Ausbilder mithilft, dieses Kriegswerkzeug im Gefecht auf bestimmte Ziele zu richten, dann überschreite das die Grenze. Unproblematisch sei dagegen, wenn deutsche Ausbilder bei Trockenübungen unterrichten.
NSU: Die SZ (Annette Ramelsberger) beklagt, dass die Verbrechen der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU immer mehr in Vergessenheit geraten. Während von den am Oberlandesgericht München Verurteilten nur noch Beate Zschäpe im Gefängnis sitze, würden die regelmäßig schlichten Erinnerungsstellen an den Orten der Morde immer wieder vandalisiert. Anlass des Artikels ist der Plan der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 ein Dokumentationszentrum und einen Erinnerungsort für die NSU-Opfer zu errichten.
Geldauflage: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ beschreibt Rechtsanwalt Markus Adick die rechtlichen Voraussetzungen einer strafrechtlichen Verfahrensbeendigung gegen Zahlung einer Geldauflage. Aus dieser sei kein Schuldeingeständnis abzuleiten, sie komme tatsächlich auch mitnichten nur einer "sich vom Verfolgungsrisiko" freikaufenden Elite zugute.
Das Letzte zum Schluss
Strafe: Ob berechtigt oder nicht, gilt Bayern gemeinhin als die strenge Variante der deutschen Strafjustiz. Dass sie darüber hinaus auch kreativ urteilen kann, belegt ein von beck-aktuell berichtetes Urteil des Amtsgerichts Rosenheim. Das AG gab aktivistischen jugendlichen Hausbesetzern auf, fünf Seiten zum Thema "Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Eigentumsgarantie" zu schreiben und warum unsere Verfassungsordnung es nicht erlaube, Häuser zur Durchsetzung politischer Ziele zu besetzen. Ein weiterer Angeklagter solle schriftlich die Parteiprogramme und deren Vorstellungen zur Wohnungspolitik referieren.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 28. Februar 2024: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53982 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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