Stadt und Land müssen sich nicht an den Mehrkosten von Stuttgart 21 beteiligen. Bund-Länder-Arbeitsgruppe legte ihren Bericht zur Sicherung des Rechtsstaats vor. Das AfD-Verfahren am OVG NRW steht vor dem Abschluss.
Thema des Tages
VG Stuttgart zu Stuttgart 21-Kosten: Die Mehrkosten des Projekts Stuttgart 21 müssen aller Voraussicht nach von der Deutschen Bahn getragen werden. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat Klagen der Bahn auf eine Kostenbeteiligung der Projektpartner abgewiesen. Mit den Klagen sollte erreicht werden, dass sich das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart, der Regionalverband Stuttgart und der Stuttgarter Flughafen an den gestiegenen Kosten beteiligen. Der Finanzierungsvertrag von 2009 hatte die Kostenverteilung nur bis zu einem Gesamtvolumen von viereinhalb Milliarden Euro geregelt und bei Überschreitung dieses Betrages lediglich Gespräche zwischen Bahn und Projektpartnern vorgesehen. Hieraus lasse sich, so das VG, keine Verhandlungspflicht oder gar eine Pflicht zur Vertragsanpassung ableiten. Die Gesamtkosten werden mittlerweile auf 11,8 Milliarden Euro geschätzt. Eine Berufung ließ das Gericht nicht zu. FAZ (Oliver Schmale/Thiemo Heeg) und spiegel.de berichten.
Die gewählte Vertragskonstruktion bezeichnet Rüdiger Soldt (FAZ) in einem Kommentar als "grotesk". Sie sei allerdings der Preis für die Durchsetzung des Bahnhofs, "den die Bahn lange Zeit gar nicht wollte und von dem vor allem die Stadt profitiert", gewesen. Anders hätte der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) die Zustimmung des Landes nicht geben können.
Rechtspolitik
Resilienz des Rechtsstaats: LTO (Markus Sehl) liegt der von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Wehrhafter Rechtsstaat" erstellte Bericht vor. Auf 200 Seiten wird untersucht, wie sich die freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Institutionen gegen Verfassungsfeinde verteidigen lassen. Das Dokument sieht Reformvorschläge vor, mit denen einer Blockade des Bundesverfassungsgerichts vorgebeugt werden kann. Es schlägt ferner eine Erhöhung des verwaltungsprozessualen Zwangsgeldes vor, das bei Nichtbefolgung von Urteilen verhängt werden kann und es erinnert den Bund an die "unerlässliche" Fortführung des Pakts für den Rechtsstaat und dessen ausreichende Finanzierung. Das Papier soll auf der am 5. und 6. Juni stattfindenden Justizministerkonferenz diskutiert werden.
Gewalt gegen Politiker: Über den sächsischen Vorschlag, sogenanntes politisches Stalking unter Strafe zu stellen, berichtet nun auch die FAZ (Markus Wehner). Es gehe dabei um Übergriffe im privaten Bereich, etwa wenn Bürgermeister so lange bedroht würden, bis sie zurücktreten. Die Innenministerkonferenz unterstützte den Vorschlag.
Christian Rath (BadZ) kritisiert die Forderung nach härteren Strafen für Angriffe auf Mandatsträger. Dies wäre symbolische Gesetzgebung. Es gebe keine Strafbarkeitslücken. Die weiten Strafrahmen ließen schon jetzt eine Berücksichtigung demokratiegefährdender Motive zu.
EU-Verträge: Rechtsprofessor Paul Kirchhof schlägt im FAZ-Einspruch die Etablierung einer regelmäßig tagenden Institution vor, die eine Handhabung der EU-Verträge im Sinne der EU-Staaten sicherstellen soll. Außerhalb der Jurisdiktionsgewalt des EuGH und verantwortlich den nationalen Parlamenten gegenüber, könne dieser "mitgliedstaatliche Vertragsgarant" per einstimmigem Beschluss Rechtsakte der EU-Organe aufheben. Das Veto eines Mitgliedsstaates solle eine aufschiebende Wirkung mit weiteren Verhandlungen auslösen.
Justiz
OVG NRW – Verdachtsfall AfD: Bereits am nächsten Montag will das Oberverwaltungsgericht Münster sein Urteil über die Rechtmäßigkeit der Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz verkünden. Dies berichten LTO und beck-aktuell. Über die Plädoyers berichten zeit.de (Christian Parth) und taz (Gareth Joswig). Nach deren Einschätzungen habe sich die Partei mit dem zu erwartenden Ergebnis abgefunden und stricke bereits am nächsten Opfernarrativ. Der Prozess selbst habe einige denkwürdige Auftritte von AfD-Personal geliefert. So habe sich der Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, zehn Tage vor der Festnahme seines Mitarbeiters damit gebrüstet, einen "ethnischen Chinesen" zu beschäftigen.
BVerfG zu Vaterschaft: Vor einem Monat verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die geltende Rechtslage beim Anfechtungsrecht leiblicher Väter gegen das Grundgesetz verstößt und forderte den Gesetzgeber zu einer Reform auf. Der SWR-RadioReportRecht (Alena Lagmöller) spricht mit der Anwältin Franziska Köpcke und der Rechtsprofessorin Anne Sanders über die "kleine Revolution".
BGH zu Schenkungsrückforderung: Bei der Ermittlung des angemessenen Unterhalts, zu dessen Sicherung gemäß § 529 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch die Rückforderung einer Schenkung wirksam verweigert werden kann, hat der Regressausschluss des Sozialgesetzbuches XII außer Acht zu bleiben. Dies entschied laut beck-aktuell der Bundesgerichtshof und verwies die zur Verhandlung stehende Klage eines Sozialhilfeträgers, der den Sohn einer mittlerweile verstorbenen Leistungsempfängerin in Regress nehmen will, zur erneuten Verhandlung zurück.
BGH zu Fristversäumnis und Aktenzeichen: Die geringfügig falsche Angabe eines gerichtlichen Aktenzeichens und die hierdurch verzögerte Zuordnung eines fristwahrenden Schriftsatzes führt jedenfalls dann nicht zu einem Fristversäumnis, wenn der Schriftsatz zweifelsfrei erkennen lasse, zu welchem Verfahren er gehört. In der von beck-aktuell berichteten, im März am Bundesgerichtshof erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde war dies der Fall.
BAG zu Betriebsratsschulung: Steht ein Arbeitgeber in der Pflicht, die Kosten einer Schulungsmaßnahme der Personalvertretung des Unternehmens zu tragen, muss er sich auch der Entscheidung der Vertretung über das Format der Veranstaltung fügen. In dem vom Bundesarbeitsgericht Anfang Februar entschiedenen Fall hatte das unterlegene Unternehmen die Personalvertretung darum gebeten, statt einer Präsenzveranstaltung ein Webinar wahrzunehmen. Die Rechtsanwälte Daniel Wasser und Alexander Bourzutschky erläutern im Expertenforum Arbeitsrecht auch Grundsätzliches zur unternehmerischen Kostentragungspflicht.
OLG München zu Hypo Real Estate: Das Kapitalanleger-Musterverfahren über Schadensersatzforderungen gegen die frühere Hypo Real Estate-Bank ist nun auch mit den übrig gebliebenen Beteiligten nach mehr als 13 Jahren vergleichsweise beendet worden. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet, dass das Oberlandesgericht München die Wirksamkeit des Vergleichs festgestellt hat. Die Mehrzahl der Kläger hatte sich bereits vor zwei Jahren mit der Rechtsnachfolgerin der Bank auf eine Zahlung verständigt.
LG Hagen zu Rechtsbeugung durch Prokrastination: Auch im zweiten Anlauf hat das Landgericht Hagen eine Richterin des Amtsgerichts Lüdenscheid wegen Rechtsbeugung zu einer Haftstrafe verurteilt. Die Angeklagte muss eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten antreten, schreibt LTO. Die erneute Strafmaßverkündung war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof in einigen der vorgeworfenen Taten Unterlassung statt aktiven Tun erkannt hatte. Die Richterin hatte sich mental so blockiert gefühlt, dass sie mehrere Akten gar nicht mehr bearbeitete und teilweise die fristgerechte Urteilsabsetzung durch Verfügungen und Vermerke vortäuschte. Ein Sachverständiger stellte nun fest, dass Prokrastination nicht zur verminderten Schuldfähigkeit führe.
LG Frankfurt/M. - "Sommermärchen" und Steuerhinterziehung: Im Sommermärchen-Prozess hat ein als Zeuge vernommener Steuerfahnder am Landgericht Frankfurt/M. mehrere Thesen über Herkunft und Zweck der in Rede stehenden, vom DFB als Betriebsausgabe deklarierten Millionenzahlung diskutiert. Für die plausibelste hielt der Oberamtsrat der Finanzbehörde einen Deal Franz Beckenbauers über Fernsehrechte. Dies wäre "ungünstig für die Angeklagten", resümiert die FAZ (Christoph Becker).
LG Dortmund – Geldwäsche mit Eisdiele: Wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung sowie Geldwäsche hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Anklage gegen drei Männer bei der zuständigen Staatsschutzkammer des Landgerichts Dortmund erhoben. Die Angeklagten sollen den Betrieb einer Eisdiele in Siegen dazu benutzt haben, Einkünfte aus dem Kokain-Handel zu waschen. Sie seien zudem Mitglieder der kalabrischen ’Ndrangheta. Die FAZ (David Klaubert) berichtet.
GBA – China-Spionage durch AfD-Mitarbeiter: Auf Grundlage eines Ermittlungsbeschlusses des Bundesgerichtshofs, einer Europäischen Ermittlungsanordnung sowie unter Zustimmung des Europäischen Parlaments wurden das Abgeordnetenbüro des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und dessen unter Spionageverdacht stehenden Mitarbeiters Jian G. in Brüssel durchsucht. Es berichten u.a. FAZ (Thomas Gutschker/Friederike Haupt), LTO und beck-aktuell.
StA Dresden – Angriff auf MdEP Ecke: Ronen Steinke (SZ) fordert die Staatsanwaltschaft auf, ein beschleunigtes Verfahren gegen die Angreifer von MdEP Matthias Ecke (SPD) in Gang zu setzen. Es wäre "hundertmal dringender", statt gegen Klimakleber "gegen Radikale, die dieses Wahljahr mit Gewalt kapern wollen", ein entsprechendes Signal zu setzen.
Cannabis-Amnestie/Bayern: Die FAZ (Karin Truscheit) schreibt, dass seit dem 1. April in Bayern bereits 24 Strafgefangene entlassen wurden, die im Zusammenhang mit Cannabis verurteilt wurden. Der durch die Prüfung aller Fälle entstandene Mehraufwand wurde gegenüber der Zeitung von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) kritisiert.
Recht in der Welt
EuGH – FIFA-Transferregeln: In seinem Schlussantrag hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in der vergangenen Woche die geltende Transferregeln für Profifußballer im Widerspruch zur unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit und dem Kartellverbot gesehen. Rechtsprofessor Alexander Scheuch stellt auf LTO die Folgerichtigkeit dieser Einordnung in Frage. Zwar sei es einsichtig, dass das bisherige System von Ablösezahlungen bei vorzeitiger Vertragsauflösung nachgebessert werden müsse, zumal die anteilige Haftung aufnahmewilliger Vereine regelmäßig "zum Glücksspiel" werde. Demgegenüber stehe ein Markt vertragsbrüchiger Spieler, den der Generalanwalt nun zwar schützen wolle, hiermit aber – sollte sich seine Ansicht durchsetzen – wohl das bisherige Transferwesen für alle Wechsel beseitige. Somit trage die noch bevorstehende Entscheidung das Potenzial, den sportlichen Wettbewerb ähnlich zu revolutionieren wie der Fall Bosman vor fast 30 Jahren.
EuGH/Österreich – Vorlagebefugnis: Nur ein Gericht darf den Europäischen Gerichtshof im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens anrufen. Die österreichische Unabhängige Schiedskommission – zuständig für Dopingbekämpfung – erfülle die Voraussetzungen nicht, da ihre Mitglieder grundsätzlich jederzeit abberufen werden können. Über das Urteil berichtet beck-aktuell.
Finnland – Online-Erpressung: In Finnland ist ein 26-jähriger Hacker zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt worden, nachdem er Psychiatriepatienten mit gehackten Daten erpresst hatte. Die Zeit (Kai Biermann) beschreibt die langjährige Hackererfahrung des jungen Mannes als "bizarre Biografie eines Internet-Trolls."
USA – Trump/Stormy Daniels: Das Strafverfahren über Fälschung von Geschäftsunterlagen durch Donald Trump wurde in New York mit der Zeugenvernehmung von Stormy Daniels fortgesetzt. Die frühere Pornodarstellerin berichtete über die sexuelle Begegnung mit Trump im Jahr 2006. Zwischen Anklage und Verteidigung entspann sich ein Konflikt über die erforderliche Detailtiefe der Aussage. SZ (Boris Herrmann/Christian Zaschke) und bild.de (Herbert Bauernebel) berichten. Ein Porträt der Zeugin bringt zeit.de (Kerstin Kohlenberg).
Juristische Ausbildung
NS-Unrecht im Jurastudium: Die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischem Unrecht sowie jenem der SED-Diktatur ist nach Festlegung des Deutschen Richtergesetzes Bestandteil des rechtswissenschaftlichen Studiums. Möglichkeiten, dies mehr und besser als bislang zu verwirklichen, wurden bei einer Veranstaltung der Universität Leipzig diskutiert, über die LTO-Karriere (Linda Pfleger) berichtet. Das Forum Justizgeschichte stellte hierbei einen Reader vor, der über aktuelle Normen und deren historischen Hintergrund einen niederschwelligen Zugang zum Thema eröffnen soll.
Notenvergabe/Zufall: Über die von Rechtsreferendar Clemens Hufeld an der LMU München durchgeführte Untersuchung zur Notenvergabe bei einer Verwaltungsrechtsklausur für Studierende des dritten Semesters berichtet nun auch beck-aktuell (Joachim Jahn). Die zum Teil erhebliche Varianz der Benotungen könne nicht monokausal erklärt werden, als "Trost" erinnert der Autor an die Existenz eines "Zweitkorrektors" bei Klausuren im Staatsexamen.
Sonstiges
Online-Kommentar GG: Das Projekt "Offener Zugang zum Grundgesetz" plant die Veröffentlichung eines frei zugänglichen Grundgesetzkommentars auf open access-Basis. Dass es hierfür knapp 300.000 Euro Fördergelder des Bundesbildungsministeriums erhält, irritiert den Bundestagsabgeordneten Martin Plum (CDU), der sich um die Staatsferne des Projektes sorgt. Der Bericht der FAZ (Jochen Zenthöfer) erwähnt, dass die "bisherige Mitarbeiterliste … keine Unwucht" erkennen lasse. Das ebenfalls befragte Ministerium habe mitgeteilt, keine inhaltliche Einflussnahme auszuüben.
Geldwäsche: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ beschreibt Staatsanwalt Leif Schubert moderne Methoden der Geldwäsche und warnt davor, unbedacht "Gelder Dritter einfach so" weiterzuleiten, "erst recht nicht auf dubiosem Weg ins Ausland". Wer von flüchtigen Online-Bekanntschaften derartige Aufträge entgegennimmt, dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit Geldwäsche betreiben und muss mit strafrechtlichen und oftmals erheblichen finanziellen Folgen rechnen.
Das Letzte zum Schluss
Pünktlich: Ein Einwohner des bayerischen Weßling kann auch weiterhin seine Uhr nach dem viertelstündigen Läuten einer Kirchenglocke stellen. Darüber dürfte der Mann aber kaum glücklich sein, versuchte er doch am Oberlandesgericht Nürnberg wegen behaupteter Gesundheitsschäden eben dieses Geläut der benachbarten Kirche untersagen zu lassen. Dies scheiterte u.a. deshalb, weil nach Feststellung des Gerichts Glockenläuten in einer bayerischen Marktgemeinde üblich sei. bild.de (Nora Wolfslast/Jörn Ehlert) und beck-aktuell berichten.
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Am Freitag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Jornalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2024: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54504 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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