Gestern Equal Pay Day, heute Frauentag, morgen Lohngerechtigkeit? Eine neue EU-Richtlinie bringt Fortschritte. Im Cum-Ex-Verfahren am LG Bonn wurde eine geheime Handakte geführt. LG Stade verurteilte Amtsrichterin.
Thema des Tages
Equal Pay: Am gestrigen Equal Pay Day stellte LTO (Tanja Podolski) den Entwurf für die geplante EU-Richtlinie zur Entgeltgleichheit vor. Der Entwurf ist das Ergebnis der Trilog-Verhandlungen von EU-Kommission, Ministerrat und Europäischem Parlament. Die Richtlinie wird in zahlreichen Punkten weitergehen als das deutsche Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Der Auskunftsanspruch der Beschäftigten über den Lohn der Kolleg:innen soll sich künftig auf den Durchschnittslohn beziehen und nicht auf den Median. Es müssten auch nicht mehr mehr sechs Personen des anderen Geschlechts aus der Vergleichsgruppe genannt werden. Der Auskunftsanspruch wird künftig in allen Unternehmen gelten, während das EntgTranspG nur für Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten gilt. Stellenbewerber:innen dürfen künftig nicht mehr nach dem vorigen Gehalt gefragt werden. Unternehmen ab 100 Beschäftigten müssen laut Richtlinien-Entwurf regelmäßig über die Lohnlücke zwischen ihren männlichen und weiblichen Beschäftigten berichten. Am 29. März stimmt das EU-Parlament über den Richtlinien-Entwurf ab. Die Abstimmung gilt als Formsache.
BAG zu Equal Pay/Verhandlungen: Im vergangenen Monat entschied das Bundesarbeitsgericht, dass vermeintliches Verhandlungsgeschick kein hinreichender Grund für geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede darstellt. Im Interview mit zeit.de (David Gutensohn) spricht die erfolgreiche Klägerin Susanne Dumas über die Beweggründe, ihren Anspruch gerichtlich durchzusetzen.
Rechtspolitik
Femizide: Den Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion, sogenannte Femizide (Tötungen von Frauen, weil sie Frauen sind) zwangsläufig als Mord zu bestrafen, kommentiert Ronen Steinke (SZ) zurückhaltend. Es gebe "dringendere Forderungen an die Adresse der Politik, die sofort etwas bringen würden zum Schutz von Frauen," zum Beispiel zahlreichere und besser ausgestattete Frauenhäuser". Eine Gleichung, nach der eine höhere Strafdrohung Täter "besser abschrecken könnte", sei zudem empirisch "höchst zweifelhaft". So bleibe der Vorschlag vor allem "preisgünstig."
Vermögenssteuer: LTO (Hasso Suliak) liegt ein im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstelltes Gutachten von Rechtsprofessor Alexander Thiele über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Vermögenssteuer vor. Für ihre Einführung sprächen vor allem zwei Gründe. Zum einen würde aktuell lediglich Erwerb und Verwendung von Vermögen besteuert, nicht jedoch dessen Bestand. Zum anderen sei die Steuer demokratietheoretisch wichtig, wenn nicht sogar geboten, um den aus sozialer Ungleichheit erwachsenden Gefahren für die demokratische Ordnung zu begegnen. Ihr stehe auch nicht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 entgegen. Die damals angeordnete verfassungskonforme Neuregelung des Vermögenssteuergesetzes sei nämlich unterblieben.
5-G-Netz: Nach Bericht der FAZ (Helene Bubrowski) hat das Bundesinnenministerium die Betreiber von Telekommunikationsnetzen aufgefordert, bis Anfang April eine Liste vorzulegen, aus der hervorgeht, welche Bauteile welcher Produzenten verwendet worden sind. Obgleich versichert worden sei, dass sich die Prüfung nicht gegen bestimmte Anbieter richte, sei davon auszugehen, dass dem Zugriff chinesischer Firmen auf sicherheitsrelevante Komponenten vorgebeugt werden solle. Eine denkbare Untersagung der Verwendung sei "rechtlich heikel" und unterliege in jedem Fall gerichtlicher Prüfung.
Justiz
LG Bonn – Cum-Ex/Christian Olearius: Die SZ (Klaus Ott) berichtet Hintergründe zu dem vor zwei Wochen erfolgreichen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Edgar Panizza, der am Landgericht Bonn für die Zulassung der Cum-Ex-Anklage gegen den Privatbanker Christian Olearius zuständig war. Dass Panizza in diesem Verfahren "geheime Handakten" führte, sei nur durch die irrtümliche Versendung eines USB-Sticks an die Verteidigung von Olearius bekannt geworden. Diese Akten enthielten offenbar eine Art Fahrplan für einen Prozess gegen Olearius, obwohl das Gericht noch gar nicht über die Zulassung der Anklage entschieden hatte. In einer dienstlichen Stellungnahme hat Panizza eingeräumt, eine "interne Handakte" angelegt zu haben. Dies habe aber der "sehr sorgfältigen und umfassenden Bearbeitung und Prüfung" des Falls gedient.
In einem separaten Kommentar erklärt Klaus Ott (SZ), das Vorgehen von Richter Panizza sei ein "Skandal" im größeren Cum-Ex-Skandal. Der Autor erinnert an die Aufgabe der Justiz, Vorwürfe "ergebnisoffen und unvoreingenommen" zu prüfen. Sei dies nicht gewährleistet, dürfe das betreffende Gericht auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wie es das LG nun versuche. Vielmehr müsse offengelegt werden, ob sich in bisherigen Cum-Ex-Verfahren "ähnliche Vorgänge abgespielt haben."
LG Stade zu Rechtsbeugung: Das Landgericht Stade hat eine Amtsrichterin wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Richterin habe über einen Zeitraum von anderthalb Jahren am Amtsgericht Rotenburg in 15 Fällen die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet, ohne die Betreffenden vorher anzuhören. Vor Gericht hatte die Richterin argumentiert, sie habe das Recht nicht vorsätzlich gebeugt, sondern die Anhörungen wegen Arbeitsüberlastung unterlassen. Das Gericht stützte sich jedoch auf die Aussage einer Kollegin, sie habe die Angeklagte mehrfach auf die Notwendigkeit einer vorherigen Anhörung hingewiesen, worauf diese entgegnet habe, dass sie eine andere Rechtsauffassung habe. LTO (Linda Pfleger) berichtet.
BVerfG zu Michael Ballweg: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde des "Querdenken"-Begründers Michael Ballweg nicht zur Entscheidung angenommen. Ballweg hatte die Fortdauer der gegen ihn verhängten, seit Mitte des vergangenen Jahres andauernden Untersuchungshaft angegriffen. Eine Begründung habe das BVerfG nicht mitgeteilt, schreibt LTO.
BGH – Spielervermittlung: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet nun über die Verhandlung des Bundesgerichtshof von Ende Februar zur Rechtmäßigkeit des DFB-Reglements für Spielervermittler:innen. Während der BGH zu erkennen gegeben habe, in gewissen Bereichen ein "Sportprivileg" zugunsten des Verbandes zu akzeptieren, sei dies in anderen Punkten eher fraglich. So dürfte das aktuell noch geltende Verbot erfolgsabhängiger Zusatzprovisionen - die anfallen, wenn Profis den Verein wechseln - kaum zu halten sein. Offensichtlich schütze es vorrangig wirtschaftliche Interessen der im DFB organisierten Vereine. Die Entscheidung des BGH ist für den 13. Juni terminiert. Unabhängig hiervon stünden weitere weitere Auseinandersetzungen über Regularien bevor, die die FIFA Anfang des Jahres erlassen hat. Unter anderem sehen diese Obergrenzen für Provisionen von Beraten vor.
BGH zu E-Scooter-Batterie: Explodiert in der Werkstatt die Batterie eines E-Rollers nach dem Ausbau, ist der entstandene Schaden nicht aufgrund verkehrsrechtlicher Halterhaftung zu regulieren. Dies entschied in einem nun veröffentlichten Urteil der Bundesgerichtshof bereits Ende Januar. Der für die Halterhaftung erforderliche Betrieb eines Kraftfahrzeugs setze einen nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Fahrzeugs voraus. Durch den Ausbau der Batterie sei dieser unterbrochen worden. LTO berichtet.
BGH zu Betriebsratsvergütung: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ kritisiert Rechtsanwalt Thomas Wahlig die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vergütung von Betriebsräten. Orientiere sich die Praxis an der "sehr restriktiven Auffassung" des Gerichts zur angemessenen Vergütung von Betriebsräten, stehe zu befürchten, dass sich kaum noch "fähige und ambitionierte Mitarbeiter" für derartige Ämter zur Verfügung stellen.
VGH BaWü zu Abschiebung nach Afghanistan: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einer nun veröffentlichten Grundsatzentscheidung vor zwei Wochen festgestellt, dass die prekären Lebensverhältnisse in Afghanistan die hohen Anforderungen an ein nationales Abschiebungsverbot erfüllen. Dies gelte, obwohl der Kläger weder Flüchtlingsanerkennung noch subsidiären Schutz beanspruchen könne. Eine Ausnahme vom Verbot sei nur zulässig, wenn der Betreffende in der Heimat auf ein tragfähiges soziales Netzwerk zurückgreifen könne. LTO berichtet.
OVG Bremen zu Falschparkern: Das Bremer Oberverwaltungsgericht hat nun die Begründung seines Urteils von Ende letztem Jahr zum Parken auf Bürgersteigen veröffentlicht. Danach verstößt das "halb aufgesetzte" Parken von Fahrzeugen auf dem Gehweg gegen die Straßenverkehrsordnung. Fußgänger:innen können von den Behörden ein Einschreiten dagegen verlangen. Das OVG gab den Behörden aber mehr Spielraum als das VG Bremen als Vorinstanz. Danach könne berücksichtigt werden, dass das Gehwerkparken jahrzehntelang geduldet wurde. Außerdem könnten die Behörden mit dem Einschreiten dort beginnen, wo den Fußgänger:innen am wenigsten Platz gelasssen wird. Ein ausführlicher Beitrag von spiegel.de (Lukas Kissel) schildert das Urteil und beschreibt neben verkehrsrechtlichen Stellungnahmen auch die besondere politische Gemengelage in Bremen, die sich an der fragwürdigen Zukunft engen Parkraums entzündet.
VG Potsdam – Hohenzollern: In einem Interview mit der Welt (Philip Cassier/Martin Klemrath) erklärt Georg Friedrich Prinz von Preußen, Oberhaupt der ehemaligen deutschen Herrscherfamilie Hohenzollern, dass er die juristischen Auseinandersetzungen über die Rückgabe von rund 4.000 Kunstgegenständen, die zwischen 1945 und 1949 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone enteignet wurden, nicht weiter verfolgen will. So könne eine Verständigung über andere offene Vermögensfragen leichter gelingen. In jedem Fall wünsche er sich "eine unbelastete Debatte um die historische Rolle des Hauses Hohenzollern."
LG Berlin zur Zeitschrift "Sinn und Form": Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Luisa Celine Zimmer kritisiert auf dem Verfassungsblog die Entscheidung des Landgerichts Berlin, der Akademie der Künste vorläufig die Herausgabe der Literaturzeitschrift "Sinn und Form" zu untersagen. Das Landgericht fokussiere sich zu sehr auf das Wettbewerbsrecht und ignoriere verfassungsrechtliche Fragen. So prüfe es nicht, ob die beklagte staatliche Akademie als Kulturinstitution ausnahmsweise selbst grundrechtsfähig sein könnte.
LG Osnabrück – Maskenbetrug: Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat in einem Strafverfahren als Zeuge ausgesagt. Am Landgericht Osnabrück bestritt er persönliche Kontakte zu einem wegen versuchten Betruges angeklagten Unternehmer. Der hatte behauptet, nach einem Angebot für Maskenlieferungen im Frühjahr 2020 vom damaligen Minister zu einer Beteiligung aufgefordert worden zu sein, so die FAZ. Spahn sagte nun, dass er dies ausschließen könne.
AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotest: Im Feuilleton begleitet die FAZ (Elena Witzek) Miriam Meyer, eine Klimaaktivistin der "Letzen Generation", bei ihrer Verhandlung am Berliner Amtsgericht Tiergarten. Wegen mehrfacher Nötigung wurde Meyer zu 70 Tagessätzen verurteilt. In ihren letzten Worten habe sie dem Gericht nachdrücklich vor Augen geführt, dass ihre Beteilungen an Blockaden auf "Verzweiflung" beruhten.
AG Heilbronn zu Klimaprotest: Über die Verurteilungen zweier Klimaaktivisten der "Letzten Generation" zu Haftstrafen durch das Amtsgericht Heilbronn berichten nun auch faz.net (Rüdiger Soldt) und LTO. Am gestrigen Dienstag haben sich die Verurteilten und andere Mitglieder der Gruppe erneut an Straßenblockaden in Heilbronn beteiligt.
Recht in der Welt
Israel – Justizreform: zeit.de (Heinrich Wefing) legt dar, dass die in Israel geplante Justizreform "faktisch das Ende der Gewaltenteilung" bedeuten würde. Auch wenn es demokratietheoretisch "keineswegs zwingend" sei, dass ein Gericht "mit schwacher demokratischer Legitimation" die Macht haben soll, Entscheidungen des Parlaments zu korrigieren, sei es bezeichnend, dass die "neuen Autoritären" immer zuerst das Verfasssungsgericht ihres Landes angriffen.
Russland – Kriegskritik: Wegen "Diskreditierung" der Streitkräfte hat ein Moskauer Gericht den Betreiber eines Telegram-Kanals zu einer achteinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Student habe in seinem Kanal über Angriffe auf ukrainische Städte berichtet, schreibt die FAZ (Friedrich Schmidt). Zusätzlich zur Haftstrafe sei verfügt worden, dass er nach der Entlassung für vier Jahre kein Internet benutzen dürfe.
Georgien – NGOs: Die georgische Regierung plant ein Gesetz, nach dem sich Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen als "ausländische Einflussagenten" registrieren lassen müssen, wenn mehr als zwanzig Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland stammen. Die Kritik im Land und von außerhalb weist auf Parallelen zu entsprechenden russischen Bestimmungen hin. Nach Einschätzung der FAZ (Reinhard Veser) dürfte die Verabschiedung des Gesetzes die in Georgien weitgehend erhoffte Mitgliedschaft in EU und NATO unmöglich machen.
Sonstiges
Corona-Maßnahmen: Unter dem Titel "Jenseits der Pandemie" unternimmt Rechtsprofessor Thomas Kingreen auf dem Verfassungsblog ein kritisches Resümee rechtspolitischer Debatten über Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Die Entscheidungsprozesse über Lockdown-Maßnahmen hätten geradezu paradigmatisch "die grundrechtsschützende Funktion formalisierter Gesetzgebungsverfahren mit ihren transparent kommunizierten Abwägungsbegründungen" gezeigt. Als "wahre Hüterinnen des Grundgesetzes" hätten sich dann aber die Fachgerichte und nicht das "suboptimal" agierende Bundesverfassungsgericht erwiesen. Die Diskussion über die – letztlich gescheiterte – Impfpflicht belege Mängel "guter Wissenschaftskommunikation" und fordere angesichts der Herausforderungen des Klimawandels zur Suche des "richtigen institutionellen Designs für eine wissenschaftspluralistische Politikberatung" auf, in der "funktionale Unterschiede zwischen beratender Wissenschaft und entscheidender Politik" beachtet werden.
Deals mit "Letzter Generation": SZ (Christoph Koopmann) und FAZ (Rüdiger Soldt) schreiben über die Vereinbarungen mehrerer Kommunen mit der sogenannten "Letzen Generation". Etwa in Hannover sei ein Moratorium für Straßenblockaden im Austausch für die Zusage vereinbart, sich für Forderungen der Gruppe auf Bundesebene einzusetzen. Ein in diesem Zusammenhang diskutierter "Gesellschaftsrat" aus zufällig ausgewählten Bürgern und Bürgerinnen habe sich bereits in anderen Themenbereichen bewährt.
Das Letzte zum Schluss
Schnelle Lieferung: Schneller als die Polizei erlaubt war ein Böblinger Schmuckdieb unterwegs. spiegel.de berichtet, dass der Mann Pakete aus einem Zustellfahrzeug entwendete und den Inhalt postwendend im nächstgelegenen Juweliergeschäft zum Kauf anbot. Dorthin sollten die Ringe ohnehin ausgeliefert werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 8. März 2023: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51248 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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