Der BFH will am Montag sein Urteil zur eventuell doppelten Rentenbesteuerung verkünden. Der angeklagte Bundeswehroffizier Franco A. spricht am dritten Prozesstag über sich. Und welche Auswirkungen haben die erfolgreichen Klimaklagen?
Thema des Tages
BFH – Doppelbesteuerung von Renten: Der Bundesfinanzhof wird an diesem Montag seine Entscheidung zur Rentenbesteuerung verkünden. spiegel.de (Florian Diekmann) bringt einen ausführlichen Vorbericht. Selten habe ein Richterspruch eine so große Wirkung wie dieser, schreibt das Hbl (Frank Specht/Martin Greive). Es geht um die Frage, ob der Staat durch die für die Übergangszeit bis zur sogenannten nachgelagerten Besteuerung vorgesehene Besteuerung von Rentenbeiträgen und Renten gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verstößt. Die zu erwartende Entscheidung könnte erhebliche Auswirkungen für den Bundeshaushalt haben, nach Informationen des Spiegel (Christian Reiermann) rechne das Bundesfinanzministerium mit Steuermindereinnahmen von jährlich ein bis zwei Milliarden Euro ab 2025.
Rechtsprofessor und Rechtsanwalt Dennis Klein erläutert auf LTO ausführlich, worum es in dem Verfahren geht. Es sei jetzt die vom BFH lang ersehnte Gelegenheit, die Frage der Doppelbesteuerung zu klären. Deren Brisanz werde in den kommenden Jahren auch zunehmen, da die Besteuerungseffekte von Rentenjahrgang zu Rentenjahrgang deutlicher würden, so der Autor.
Rechtspolitik
Corona und Grundrechte: Im Interview mit spiegel.de (Okan Bellikli) warnt Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte davor, dass sich die temporäre Machtverschiebung auf die Exekutive und der recht laxe Umgang mit Grundrechtseingriffen nach der Pandemie in anderen Bereichen fortsetzt. Die meisten Beschränkungen seien zum Gesundheitsschutz gerechtfertigt, aber nicht alles sei notwendig gewesen.
Frauenquoten: Die Regierungskoalition hat sich, wie die Sa-FAZ (Dietrich Creutzburg) und die Sa-SZ (Henrike Roßbach) berichten, auf Regelungen für Vorstände von Unternehmen geeinigt: Künftig muss danach mindestens einer von vier Vorstandsposten mit einer Frau besetzt sein. Außerdem sollen Vorstandsmitglieder leichter Mutterschutz, Elternzeit und Auszeiten zur Pflege von Angehörigen in Anspruch nehmen können, so das geplante Zweite Führungskräftepositionengesetz.
Lieferketten und Menschenrechte: SPD und Union haben sich auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, berichten Sa-taz (Hannes Koch) und LTO. Das Gesetz, das im Juni verabschiedet werden könnte, verpflichtet hiesige Firmen, die Menschenrechte der Arbeiterinnen und Arbeiter in ihren ausländischen Zulieferfabriken zu schützen. Wirtschaftsverbände kritisieren das geplante Lieferkettengesetz auch weiterhin, wie es in der Sa-FAZ heißt. Statt Menschenrechte zu sichern und Umweltverstöße zu verhindern, würden vor allem Bürokraten mit Arbeit versorgt und Aktenordner gefüllt, wird der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Oliver Zander, zitiert.
Demokratieförderungsgesetz: Die Sa-taz (Christian Rath) hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, die derzeit auch das Amt der Familienministerin übernommen hat, zum geplanten Demokratieförderungsgesetz interviewt. Sie setze alles daran, dass der Gesetzentwurf jetzt sehr zügig im Kabinett auf den Weg gebracht werde, damit der Bundestag noch in dieser Wahlperiode das Gesetz beschließen könne. Das Gesetz soll die rechtliche Grundlage für die langfristige Förderung von Projekten und Initiativen gegen Rassismus und Antisemitismus schaffen. Bisher könne der Bund nur Modellprojekte für Personen bis 27 Jahren fördern.
Kinderrechte ins Grundgesetz: In einem ganzseitigen Essay widmet sich Wolfgang Janisch (Sa-SZ) der Diskussion um die ausdrückliche Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz. Auch wenn viele der jetzt diskutierten Rechte bereits existierten, wäre es vielleicht eine gute Sache, sie im Grundgesetz "besser sichtbar" zu machen, meint Janisch. Bei ihrem aktuellen Vorschlag habe aber die große Koalition, statt einen modernen Ansatz zu wagen, sich für eine mutlose Retroversion entschieden. Im Übrigen sei den Kindern und Jugendlichen in punkto Selbstbestimmung mehr zuzutrauen, als es derzeit geschehe.
EU-Staatsanwaltschaft: LTO (Annelie Kaufmann) schreibt über die Europäische Staatsanwaltschaft, die am 1. Juni ihre Ermittlungstätigkeit aufnimmt. Sie soll Straftaten zum Nachteil des EU-Haushaltes verfolgen und wird in einer hybriden Struktur arbeiten: Eingeleitet werden Ermittlungen zentral aus Luxemburg, die Durchführung liegt dann in den Händen sogenannter delegierter Staatsanwälte in den teilnehmenden Mitgliedstaaten.
Staatsleistungen für Kirchen: Im Interview mit dem Spiegel (Alfred Weinzierl) spricht sich der Vizefraktionschef der Grünen Konstantin von Notz für die baldige Ablösung der Staatsleistungen an die beiden großen Religionsgemeinschaften aus. Diese Staatsleistungen hätten schon die Verfassungsgeber 1919 und 1949 als dringend überarbeitungswürdig bewertet, ihre Ablösung sei also ein Verfassungsauftrag, der bisher nie angegangen wurde. Der jetzt von den Grünen, der FDP und der Linken vorgelegte Gesetzentwurf könnte ein Vorläufer für Koalitionsgespräche nach der Wahl sein.
Sozialisierung von Wohnungsunternehmen: Heribert Prantl (Sa-SZ) meint, dass es nicht sicher sei, dass die von der Berliner Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" angestrebte Vergesellschaftung von Mietshäusern letztendlich vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern würde. Vielmehr könnte ein Verfahren vor dem höchsten Gericht über eine Wohnungsvergesellschaftung in Berlin Anlass sein, die Sozialstaatlichkeit neu zu justieren.
EU-Handelsabkommen: Welche Bedeutung Handelsabkommen für die Durchsetzung europäischer Standards im globalen Wettbewerb haben, erläutert der Völkerrechtsprofessor Sven Simon im FAZ-Einspruch. Die Kernfrage sei dabei, ob die EU rule-maker bleibe oder rule-taker werde, also ob die Europäer die regulatorischen Spielregeln der künftigen wirtschaftlichen und politischen Weltordnung mitverfassen oder ob sie gezwungen sein werden, Standards aus anderen Machtzentren zu übernehmen.
Justiz
OLG Frankfurt M. – Franco A.: Am Freitag wurde der Prozess gegen Franco A. fortgesetzt. Wie die Sa-FAZ (Michael Haneke) und die Sa-SZ (Annette Ramelsberger) berichten, erzählte der Angeklagte, wie angekündigt, über sich selbst. Er habe dabei das Bild eines intelligenten, aber naiven Sonderlings von sich gezeichnet. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 32-Jährigen vor, er habe sich aus einer rechtsextremistischen Gesinnung heraus eine falsche Identität als syrischer Geflüchteter zugelegt, um geplante Anschläge als Terrorakte eines Asylbewerbers darzustellen und so das Vertrauen in die deutsche Asylpolitik zu erschüttern. Franco A. widerspricht den Vorwürfen.
BGH zu Preiserhöhungsklausel bei Netflix: Der amerikanische Videostreaminganbieter Netflix darf in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen in Deutschland keine Klausel mehr verwenden, die ihm beliebige Preiserhöhungen erlaubt. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Berliner Kammergerichtes vom Dezember 2019 hat der Bundesgerichtshof jetzt zurückgewiesen, weil der Streitwert unter der gesetzlich vorgegebenen Schwelle von 20 000 Euro lag, wie die Sa-FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten. Damit ist die Entscheidung jetzt rechtskräftig geworden.
BVerwG zu Luftreinhalteplänen: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Städte Hamburg und Ludwigsburg zur Überarbeitung ihrer Luftreinhaltepläne verpflichtet. Hamburg müsse dabei auch weitere Diesel-Fahrverbote in Betracht ziehen, so laut LTO die Leipziger Richter. Geklagt hatte hier der Bund für Umwelt und Naturschutz, weil jahrelang Stickstoffdioxid-Grenzwerte an einer Messstelle überschritten worden waren.
BAG zu Zeitarbeit und equal pay: Rechtsanwältin Kira Falter und Rechtsanwalt Alexander Bissels analysieren im HBl-Rechtsboard eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom Dezember vergangenen Jahres. Eine Zeitarbeitnehmerin hatte erfolglos Ansprüche auf Equal Pay geltend gemacht, das BAG hat die Revision der Klägerin gegen die klageabweisenden Entscheidungen der Instanzen zurückgewiesen.
OLG Dresden – Lina E.: Die Mo-taz (Konrad Litschko) schreibt über die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Lina E. Ihr und drei weiteren Beschuldigten wird die Bildung einer linksextremen kriminellen Vereinigung vorgeworfen. In wechselnder Besetzung sollen sie sich seit 2018 an fünf schweren Angriffen auf Rechtsextreme in Leipzig, Wurzen und Eisenach beteiligt haben.
OLG Brandenburg zur Ausweisung eines Tschetschenen: Das Oberlandesgericht Brandenburg hat, wie die Sa-FAZ (Marlene Grunert/Friedrich Schmidt) meldet, die Auslieferung eines Tschetschenen nach Russland gestoppt. Dem Mann wird Drogenbesitz vorgeworfen, er gibt jedoch an, das Heroin sei ihm untergeschoben worden. In einer vorherigen Entscheidung hatte das brandenburgische Oberlandesgericht die Auslieferung wie auch das Auswärtige Amt trotz aller menschenrechtlichen Bedenken zunächst für zulässig erklärt. Nach einem abermaligen Antrag entschied das Gericht nun anders. Die Richter verwiesen unter anderem auf eine überlange Verfahrensdauer, die das Recht des Mannes auf ein faires Verfahren inzwischen verletzen würde.
LG Bonn – Cum-Ex/RA Gauweiler: In einem Cum-Ex-Verfahren beim Landgericht Bonn um die Hamburger Privatbank Warburg wird dem prominenten Münchner Rechtsanwalt Peter Gauweiler unterstellt, er könnte Parteiverrat begangen haben. Die Vorwürfe kommen laut Mo-SZ (Klaus Ott/ Nils Wischmeyer) vom Kronzeugen S., der behauptet, vor Jahren, als die Cum-Ex-Ermittlungen begannen, selbst den Rat von Gauweiler und seiner damaligen Kanzlei Bub, Gauweiler & Partner eingeholt zu haben. Dass Gauweiler jetzt als Anwalt für Warburg und gegen ihn, den Kronzeugen streitet, nennt S. irritierend und inakzeptabel.
LG Kiel – Wehrmachtspanzer: Das Landgericht Kiel verhandelt einen möglichen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz gegen einen 84 Jahre alten Mann, der einen Panzerkampfwagen vom Typ Panzer, sowie weitere frühere Kriegswaffen besessen haben soll. Weil der Angeklagte mit einer originalgetreuen Restaurierung des Panzers beschäftigt war, habe zumindest der Versuch des Herstellens einer Kriegswaffe vorgelegen, meint der Staatsanwalt laut Sa-FAZ.
AG Frankfurt a.M. zu "Schwuchtel": Die Bezeichnung "Schwuchtel" stellt grundsätzlich eine strafbare Beleidigung dar, hat das Amtsgericht Frankfurt a.M. festgestellt, wie LTO mitteilt. Es ging im Verfahren um eine verbale Auseinandersetzung um den Verkauf einer Uhr im Internet.
Klimaklagen: Das Bundesverfassungsgericht hat im April die Bundesregierung zu schärferen Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet, in der vergangenen Woche wurde dem Ölkonzern Shell durch ein niederländisches Gericht aufgegeben, seine CO2-Emmissionen zu senken. Die Sa-FAZ (Jasper von Altenbockum) erläutert anhand der beiden Entscheidungen aus Karlsruhe und Den Haag wie die beiden Gerichte aus den Zielen des Pariser Abkommens individuell einklagbare Rechte gemacht haben. Die Mo-SZ (Wolfgang Janisch) geht im Seite-1-Aufmacher davon aus, dass angesichts der erfolgreichen Shell-Klage jetzt auch deutsche Unternehmen wie VW mit Klimaklagen rechnen müssen.
Rechtsprofessor André Nollkaemper analysiert im Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Entscheidung des niederländischen Gerichtes. Marcus Theuer (FAS) bewertet das Shell-Urteil kritisch: Das Gericht betreibe damit faktisch Klimapolitik, und zwar mit sehr einschneidenden Konsequenzen. In Demokratien sollten solche weitreichenden Entscheidungen von gewählten Abgeordneten getroffen werden, meint er.
Recht in der Welt
Finnland – Mord auf Ostseefähre: Einen über 30 Jahre alten Mordfall hatte das Bezirksgericht in der finnischen Stadt Turku am Freitag zu verhandeln. Die Ermittler werfen dem angeklagten Herman H. Mord und versuchten Mord an dem deutschen Touristenpaar Klaus S. und Bettina T. auf der Ostseefähre "Viking Sally" vor. Die Anklage hat eine lebenslange Freiheitsstrafe für Herman H. gefordert, die Verteidigung dagegen plädierte auf einen Freispruch wegen fehlender Beweise. spiegel.de (Jean-Pierre Ziegler u.a. sowie Ricarda Richter) berichten über das Verfahren. Das Urteil soll an diesem Montag fallen.
Sonstiges
Bundesverdienstkreuz für italienischen Ankläger: Der italienische Militärstaatsanwalt Marco De Paolis erhält das Bundesverdienstkreuz. Er hat als Ankläger eine Vielzahl von Gerichtsverfahren gegen deutsche Kriegsverbrecher geführt, auch gegen Beschuldigte des SS-Massakers in Sant’Anna di Stazzema. Im Interview mit der Sa-taz (Sandro Mattioli) erzählt De Paolis von den Schwierigkeiten, auf die er bei seiner Arbeit gestoßen ist.
Berufsbild "Literaturszeneanwalt": Im "Small talk" auf LTO-Karriere (Annelie Kaufmann) spricht der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Tilman Winterling über seinen Arbeitsalltag. Er vertritt Verlage, Unternehmen und Autorinnen und Autoren.
Kommunalwahlrecht in den 1960iger Jahren: Martin Rath erinnert auf LTO an die 1960 bzw. 1961 vom Bundesverfassungsgericht geforderten Kommunalwahlrechtsreformen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Unter anderem ging es um die Beteiligung von Wählervereinigungen, die bis dato nicht möglich gewesen war.
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lto/pf
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Die juristische Presseschau vom 29. bis 31. Mai 2021: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45075 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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