Fechner und Thomae fordern eine Grundgesetzänderungen zum BVerfG-Schutz. BVerfG ermöglicht Wiederaufnahme nach EGMR-Urteil. IGH fordert von Israel Verhinderung von Völkermord in Gaza, aber keinen Waffenstillstand.
Thema des Tages
Resilienz des BVerfG: Aus der Ampelkoalition werden Stimmen laut, die das Grundgesetz ändern wollen, um das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Johannes Fechner und sein FDP-Kollege Stephan Thomae haben gegenüber der WamS (Matthias Kamann/Benjamin Stibi) dafür plädiert, die wesentlichen Strukturen des Gerichtes in der Verfassung zu fixieren. Niedergelegt werden sollten, so Thomae, "die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate, die Festschreibung der zwölfjährigen Amtszeit von Richtern und die Festlegung, dass das Gericht über seine Geschäftsverteilung und seine Arbeitsweise selbst entscheiden kann". Ohne grundgesetzliche Verankerung dieser Regeln "gäbe es theoretisch die Möglichkeit, einen dritten Senat einzurichten und die Geschäftsverteilung so zu ändern, dass bestimmte Entscheidungen in diesem dritten Senat getroffen werden müssten“ – auf dessen Besetzung dann eine weiter erstarkende AfD Einfluss nehmen könnte.
Rechtspolitik
BayVerfGH-Richterwahl: Dietmar Hipp (spiegel.de) analysiert die Richterwahl für das bayerische Landesverfassungsgericht, bei der in der vergangenen Woche im bayerischen Landtag en bloc auch zwei Kandidaten der AfD gewählt wurden, und fragt, ob möglicherweise auch beim Bundesverfassungsgericht ähnliches drohen könnte. Am Ende blieben vor allem zwei Optionen, so der Autor: Sich damit abzufinden, dass die AfD ihre parlamentarischen Rechte, auch bei Verfassungsrichterwahlen, wahrnimmt und zugleich mit einer möglichst vernünftigen Politik dafür zu sorgen, dass die AfD künftig wieder weniger Abgeordnete stellt. Oder doch, wenn man in der AfD eine verfassungsfeindliche Partei sieht, endlich den Schritt zu wagen und ein Verbotsverfahren gegen sie einzuleiten, bevor sie vielleicht doch noch Richter:innen für das Bundesverfassungsgericht benennen kann.
Aktionen vor Abtreibungseinrichtungen: Das geplante Gesetz gegen "Gehsteigbelästigungen" vor Abtreibungseinrichtungen wird von der Leiterin der Frankfurter Beratungsstelle von Pro Familia Claudia Hohmann im Interview mit spiegel.de (Birte Bredow) zwar im Grundsatz begrüßt, sie beklagt aber auch, dass der Text zu schwammig formuliert sei. Wenn man das Beratungsangebot wirklich schützen wolle, müsste noch deutlicher formuliert werden, dass auch die subtileren Formen der Einflussnahme verboten seien, fordert sie. Das wäre auch für die Ärzteschaft ein wichtiges Signal.
Künstliche Intelligenz: Am 2. Februar will der EU-Ministerrat endgültig über den KI-Act entscheiden. Dabei sei allerdings noch offen, so die FAS (Alexander Wulfers), wie sich die Bundesregierung positionieren werde, möglich sei eine Enthaltung. In einem offenen Brief von Unternehmen und Zivilgesellschaft wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, von einer Enthaltung abzusehen, berichtet das Hbl. Sollte der KI-Act nicht angenommen werden, heißt es in dem Schreiben, das u.a. vom vzbv, Mozilla und der Bertelsmann-Stiftung unterzeichnet wurde, "wäre das ein hohes Risiko für die Innovationskraft und den Grundrechtsschutz in Europa mit internationalen Auswirkungen".
Digitale Märkte: Die möglichen praktischen Auswirkungen des Digital Markets Act der EU, der demnächst in Kraft tritt, fasst die Mo-FAZ (Maximilian Sachse) zusammen. Änderungen wird es dabei bei der Nutzung der App-Stores und bei Nutzung von User-Daten durch die großen Internetanbieter geben. Außerdem schreibt die EU den Gatekeepern Interoperabilität vor, so dass Nutzer:innen Nachrichten von Drittanbietern an Whatsapp oder den Facebook-Messenger schicken können.
VGT – Trunkenheitsfahrt und Beschlagnahme: Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hat sich dafür ausgesprochen, dass Autos nach Trunkenheits- oder Drogenfahrten künftig unter bestimmten Bedingungen beschlagnahmt werden können. Das berichtet spiegel.de. Die Behörden sollten das Fahrzeug danach immer einziehen können, wenn ein Täter in den zurückliegenden fünf Jahren bereits einmal rechtskräftig wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt wurde. Dagegen hatte sich im Vorfeld der Deutsche Anwaltverein ausgesprochen.
Ergebnisse des VGT: Die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages, der in der vergangenen Woche stattfand, fasst LTO zusammen. Dieses Jahr prägten strafrechtliche Themen – insbesondere die Rechtsfolgen bei Trunkenheitsfahrten oder Unfallflucht – das Treffen, außerde ging es auchum den Punktehandel. Der VGT sprach sich für eine Reform der Unfallflucht gemäß § 142 StGB aus, lehnte allerdings eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit bei Unfällen mit bloßem Sachschaden ab.
Verfassungsschutz: Patrick Bahners (Sa-FAZ) rezensiert das letzte Buch von Ronen Steinke zum Verfassungsschutz. Steinkes Vorschlag sei so einfach wie schlüssig: Der Verfassungsschutz soll abgeschafft werden; die politische Gefahrenabwehr, wo sie illegale Handlungen betrifft, soll Sache der Polizei werden, deren speziellen Befugnissen eine besondere Kontrolle korrespondiert, findet Bahners. Der internationale Vergleich zeige, "dass andere Rechtsstaaten und Demokratien nicht nur ohne Behörde zum Ausspionieren der Opposition, sondern auch ohne Parteiverbotsverfahren überleben".
Justiz
BVerfG zu Wiederaufnahme nach EGMR-Urteil: Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde einer wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Frau im Wesentlichen stattgegeben. Obwohl der EGMR eine Konventionsverletzung wegen der möglichen Befangenheit eines der verurteilenden Richter festgestellt hatte, lehnten das LG Kassel, das OLG Frankfurt/M. und der GBA eine Wiederaufnahme ab, weil es an einer schlüssigen, "aus sich heraus verständlichen, geschlossenen" Darstellung gefehlt habe, inwieweit sich die Fehlbesetzung tatsächlich zum Nachteil der Frau im Strafprozess ausgewirkt hat. Damit seien beim Wiederaufnahmeantrag aber Anforderungen an die Darlegung des “Beruhens” gemäß § 359 Nr. 6 StPO gestellt worden, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar gewesen seien, so das BVerfG laut LTO (Hasso Suliak).
Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) kritisiert den unter Richter:innen weitverbreiteten Glauben an die eigene Unfehlbarkeit, der auch dazu geführt habe, dass erst das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall zur "Einsicht" gekommen sei.
EuGH zu DSGVO-Verstoß: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass zur Geltendmachung eines immateriellen Schadens das bloße Risiko, die eigenen Daten könnten missbräuchlich verwendet werden, nicht ausreicht.
BGH zu Wirecard-Anlegerklagen/Bafin: Vor dem Bundesgerichtshof ist die Nichtzulassungsbeschwerde eines Wirecard-Aktieninhabers gescheitert, der sich von der Finanzaufsichtsbehörde BaFin seinen Schaden ersetzen lassen wollte. Der Anleger hatte argumentiert, dass die BaFin Aufsichtspflichten versäumt und gegen Amtspflichten bei der Bilanzkontrolle verstoßen habe. Im BGH-Beschluss heißt es jedoch, die Maßnahmen der BaFin seien nicht zu beanstanden und "waren bei voller Wahrung der Belange einer effektiven Bilanzkontrolle jedenfalls vertretbar". Sa-FAZ und LTO berichten.
Wer angesichts der jahrelangen Versäumnisse der Bafin eine Chance auf Schadenersatz witterte, sei nach dem klar ablehnenden Urteil des Bundesgerichtshofs auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet, kommentiert Marcus Jung (Sa-FAZ). Vertreter:innen der Finanzbranche, Anlegerschützer:innen und der Gesetzgeber sollten dringend darüber reden, wie Kleinaktionär:innen bei Finanzskandalen, die es auch künftig geben werde, nicht völlig schutzlos dastehen.
BGH zu Entbindung vom persönlichen Erscheinen: Bei einer Terminverlegung wirkt die einmal vom Gericht erteilte Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen fort, hat der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren entschieden. Der BGH begründet dies vor allem mit dem Wortlaut und dem Zweck des § 73 Abs. 2 OWiG. Die Vorschrift stelle auf die gesamte Hauptverhandlung im Sinne des § 229 StPO ab, nicht auf anberaumte einzelne Termine.
OLG Stuttgart – Michael Ballweg: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Beschränkung der Anklage gegen den "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg stattgegeben. Im Gegensatz zum LG Stuttgart bejahte das OLG Stuttgart einen hinreichenden Tatverdacht auch hinsichtlich des Tatvorwurfs des versuchten Betruges. Die Staatsanwaltschaft wirft Ballweg vor, seine Popularität ausgenutzt und unter anderem durch öffentliche Aufrufe von Tausenden Personen finanzielle Zuwendungen für die Organisation im Umfang von mehr als einer Million Euro eingeworben zu haben, schreibt LTO. Über die Verwendung der Gelder habe er die Spender aber getäuscht und nur einen Teil tatsächlich für die "Querdenken 711"-Bewegung verwendet.
LAG BaWü zu Urlaubsgeldzahlung: Ein Arbeitgeber darf das Urlaubsgeld nicht einseitig von einer bisher jährlichen Einmalzahlung auf monatliche Zahlungen umstellen, damit der Mindestlohn erreicht wird. Dies hat hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden, beck-aktuell berichtet.
OVG Münster zu Präklusion im Umweltrecht: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat eine Klage der Deutschen Umwelthilfe abgewiesen, mit der die Bundesrepublik verpflichtet werden sollte, ihr Nationales Aktionsprogramm gemäß der Nitratrichtlinie fortzuschreiben. Zur Begründung der Klageabweisung wurde auf das Umweltrechtsbehelfsgesetz verwiesen, wonach Einwendungen im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen sind, die während der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht oder nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden, obwohl es möglich gewesen wäre. Die DUH habe sich zwar gemeinsam mit anderen Umweltschutzvereinigungen im Rahmen von Öffentlichkeitsbeteiligungen zu Änderungen des Nationalen Aktionsprogramms geäußert, allerdings nicht so hinreichend substantiiert und umfangreich, wie es nach den gesetzlichen Vorgaben erforderlich gewesen wäre, so das Gericht laut LTO.
LG Regensburg – versuchter Mord an der getrennten Ehefrau: Über einen Prozess vor dem Landgericht Regensburg, in dem ein Mann wegen versuchten Mordes angeklagt ist, weil er seine Ehefrau mit heißem Öl übergossen haben soll, berichtet ausführlich die Mo-FAZ (Franziska Pröll). Die Staatsanwaltschaft wirft dem 33 Jahre alten Deutschen vor, er habe sich wegen der geplanten Scheidung an seiner getrennt lebenden Partnerin rächen wollen. "Er wollte sein alleiniges Besitzrecht über sie ausüben".
LG Berlin I – Tötung durch Kardiologen: Vor dem Landgericht Berlin I muss sich ein Kardiologe der Berliner Charité wegen Totschlags verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Oberarzt vor, im November 2021 und Juli 2022 zwei schwerstkranke Menschen mit dem Narkosemittel Propofol getötet zu haben. Der Arzt sagt, dass er den Patienten Leid im Sterben ersparen wollte. Gutachter halten die eingesetzten Dosen für viel zu hoch. Der Spiegel (Wiebke Ramm) berichtet über den bisherigen Prozessverlauf. Noch im Februar soll das Urteil verkündet werden.
LG Hamburg - Aust vs. Böhmermann: Am 2. Februar wird das Landgericht Hamburg im Hauptsacheverfahren über die Frage verhandeln, ob der Journalist Stefan Aust (Welt/N24), in einem Beitrag von Jan Böhmermann (ZDF) über angebliche linksradikale Straftäter der "Lindner-Lehfeldt-Gruppe" mit einem falschen Photo gezeigt werden durfte. Im einstweiligen Rechtschutz hatte Aust mit seiner dagegen gerichteten Klage recht erhalten. Felix W. Zimmermann (LTO) kritisiert diese Entscheidungen in einem sehr ausführlichen Vorbericht. Die Justiz dürfe das Spiel Böhmermanns mit der Wahrheit nicht verhindern.
VG Frankfurt/O. zu Rückübertragung eines Grundstücks: Über eine Nachwende-Grundstücksauseinandersetzung, die demnächst vielleicht das Bundesverwaltungsgericht beschäftigen wird, berichtet der Spiegel (Guido Mingels) in einer ausführlichen Reportage. Es geht um ein Wohnhaus, das die Vorfahren der jetzigen Bewohner:innen – darunter eine 83-Jährige – rechtswidrig von Jüd:innen erworben hatten und das von der Jewish Claims Conference jetzt zurückgefordert wird. Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder hat im vergangenen September aufgrund der eindeutigen Rechtslage die Klage der Familie gegen die Rückerstattung ihres Grundstücks abgelehnt.
Richteralltag: Der Berliner Richter Matthias Hucke erzählt auf LTO von seinem Berufsalltag im Berliner Bezirk Wedding. Ihm sei schnell klar geworden, dass man im Wedding mehr Sozialarbeiter als Richter sei, schreibt Hucke. Der Stadtteil habe es ihm nicht leicht gemacht, "die Welt der Normen mit der echten Welt zu vereinen". Freude am Beruf fand er wieder, als er einen Schadensersatzfall um eine zerstörte Hitler-Büste lösen musste.
Recht in der Welt
IGH/Israel – Krieg in Gaza: Der Internationale Gerichtshof hat auf Antrag Südafrikas in provisorischen Maßnahmen Israel verpflichtet, bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern, dass das israelische Militär im Gazastreifen Völkermord begeht. Zudem wurde Israel verpflichtet, die desaströsen Lebensbedingungen der Palästinenser:innen in Gaza zu verbessern. Außerdem muss Israel die Aufstachelung zum Genozid durch eigene Hoheitsträger verhindern und bestrafen. Die Entscheidungen fielen mit 15 zu 2 bzw. 16 zu 1 Richterstimmen. Dem Antrag Südafrikas, Israel zu verpflichten, die militärischen Handlungen in Gaza sofort einzustellen, folgte das Gericht nicht. Sa-FAZ (Alexander Haneke/Marlene Grunert), Sa-SZ (Ronen Steinke), Sa-taz (Tobias Müller), spiegel.de und LTO (Max Kolter) berichten.
Für Reinhard Müller (Sa-FAZ) wurde in dem Verfahren zu sehr außer acht gelassen, dass Hamas "kaum ein Krankenhaus, kaum eine Schule und Moschee nicht als Gefechtsstand oder Waffenlager" nutze. Auch Ronen Steinke (Sa-SZ) findet den Richterspruch einseitig. Dass die Dauerverbrechen der Hamas so aus dem Fokus gerieten, könne man nur als Leerstelle empfinden. Juliane von Mittelstaedt (spiegel.de) meint dagegen, die Entscheidung des Gerichts zeige, dass die uneingeschränkte Unterstützung Israels in diesem Krieg falsch sei und dass das vor allem der Bundesregierung zu denken geben sollte. Auch für Daniel Bax (Sa-taz) ist die IGH-Entscheidung eine Aufforderung an die Bundesregierung, für ihre Unterstützung einer in Teilen rechtsradikalen Regierung, in der manche aus ihren Vertreibungsplänen keinen Hehl machten, Konsequenzen zu ziehen.
Streikrecht international: Die Sa-FAZ (Andreas Mihm/Corinna Budras u.a.) gibt einen Überblick über das Streikrecht in anderen Ländern. Dort sei es durchaus üblich, den Gewerkschaften bei ihren Arbeitskämpfen Vorgaben zu machen, heißt es im Text. In Italien etwa seien erhebliche Streikeinschränkungen durch die Regierung erlaubt. In Frankreich könnten mit Ausnahme von Polizist:innen, Gefängniswärter:innen und einigen wenigen anderen Berufsgruppen auch Beamt:innen und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes von dem in der Verfassung verankerten Streikrecht Gebrauch machen.
Juristische Ausbildung
BVerwG zu Änderung der Prüfungsnoten: Die Prüfer im juristischen Staatsexamen sind bei der vom Prüfling geforderten Neubewertung bestimmter Klausuren nicht auf die vom Prüfling erhobenen Einwände beschränkt, vielmehr können sie beim Überdenken ihrer Benotung auch aus anderen Gründen zu einer anderen Benotung kommen, ohne den Maßstab zu ändern. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht nach Darstellung von beck-aktuell (Maximilian Amos).
Sonstiges
Grundrechtsverwirkung von Björn Höcke: Für eine Anwendung des Art. 18 GG spricht sich die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff in der Sa-SZ aus. Sie fasst juristische und politische Argumente zusammen. So müssten sich mit dem Ausspruch einer Grundrechtsverwirkung gegen einzelne Extremisten nicht all diejenigen mitgemeint und mitverurteilt sehen, die die AfD unterstützen oder bei kommenden Wahlen mit ihrer Stimme unterstützen wollen. Nur einzelne Extremisten ins Visier zu nehmen, würde verdeutlichen, dass es dabei tatsächlich um den Schutz der Verfassung gehe, und nicht darum, unliebsame Konkurrenz auszuschalten.
Skeptisch sieht dagegen Rechtsprofessor Arnd Diringer in seiner WamS-Kolumne "Recht behalten" eine Anwendung von Art. 18 GG. Er weist darauf hin, dass hier zahlreiche offenen Fragen insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Grundrechte nach der EMRK und nach den einzelnen Landesverfassungen, bestehen. Und auch die Verfassungsmäßigkeit von Art 39 Abs. 2 GG, nach dem mit einer Verwirkung auch das aktive und passive Wahlrecht entzogen werde kann, sei nicht unumstritten.
JA-Verbot: In einem Q&A befasst sich tagesschau.de (Kolja Schwarz) mit einem möglichen Verbot der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative", das, so heißt es im Text, im Gegensatz zum Parteiverbot ein wesentlich einfacheres Verfahren wäre.
Wehrhafte Demokratie und AfD: In einem Interview mit der Sa-SZ (Ronen Steinke) argumentiert der Verfassungsrechtler Christoph Möllers, dass auch das Verbot einer parteilichen Jugendorganisation eines Verbotsantrags in Karlsruhe bedürfe, also mit den gleichen hohen Hürden versehen wäre wie ein Parteiverbot, so Möllers. Für "keine gute Idee" hält der Verfassungsrechtler eine Aberkennung von Grundrechten nach Art. 18 GG. Es sei "eigentlich ein unpolitisches Mittel, sich auf Individuen zu stürzen, wenn es eigentlich um Politik geht".
Rechtsprofessor Andreas Fischer-Lescano befürwortet in der Sa-taz sowohl ein Parteiverbotsverfahren als auch ein Grundrechte-Verwirkungsverfahren. Die Risiken in beiden Verfahren seien daher überschaubar, zumal davon auszugehen sei, dass die Verfahren professionell geführt werden. Und selbst eine Ablehnung der Anträge müsse nicht zwangsläufig in einem "PR-Sieg der AfD" münden. Das NPD-Verfahren sei das beste Beispiel dafür, dass eine Partei auch trotz eines abgelehnten Verbotsantrages in der Bedeutungslosigkeit verschwinden kann.
Resiliente Demokratie in Thüringen: Die Sa-taz stellt das vom Verfassungsblog-Gründer Maximilian Steinbeis initiierte Thüringen-Projekt vor, in dem die Thüringer Verfassung "auf ihre Schwachpunkte" hin untersucht werden soll, um sie – vor einem möglichen Wahlsieg der AfD im September – zu wappnen.
Parteigründung: Mit Blick auf die Gründung des Bündnis Sarah Wagenknecht und der Werte-Union erläutert tagesschau.de (Anna Hübner/Finn Hohenschwert) den rechtlichen Rahmen für die Gründung einer neuen Partei. So schreibe das Grundgesetz vor, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Laut Parteigesetz muss eine Partei außerdem einen ausreichenden inländischen Bezug aufweisen. Das setze beispielsweise voraus, dass sowohl die Mehrheit der Mitglieder als auch des Vorstands die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen muss.
Presserecht: LTO (Felix W. Zimmermann) beschreibt Eindrücke vom 13. Presserechtsforum in Frankfurt, bei dem es unter anderem auch um die Rechtsverfahren um Till Lindemann ging.
Meldestelle für Whistleblower:innen: Die beim Bundesamt für Justiz eingerichtet Meldestelle des Bundes, an die sich Whistleblower:innen wenden können, soll deutlich größer werden, als für die tatsächlichen Eingänge nötig wäre. Der CDU-Politiker Martin Plum kritisiert die Behörde mit ihren 29,5 Stellen als "vollkommen überdimensioniert" und sieht Einsparpotential, schreibt die Mo-FAZ (Marcus Jung). Bis Ende 2023 seien in Bonn 419 Meldungen von Hinweisgeber:innen eingegangen, 168 davon anonym.
Insolvenzen: beck-aktuell (Tobias Freudenberg/ Monika Spiekermann) hat sich mit der Anwältin und Insolvenzverwalterin Miriam Rothmund unterhalten. Es geht dabei um den Anstieg der Insolvenzen, die Pleite der Signa-Holding von René Benko, staatliche Rettungsaktionen, die Rolle von Großinsolvenzen für die Rechtsfortbildung und das deutsche Insolvenzrecht im internationalen Vergleich.
Rechtsgeschichte – Ehefrau als Sexobjekt: Ronen Steinke (Sa-SZ) erinnert in seiner Kolumne "Vor Gericht" daran, dass noch in den 1960er- und 1970er-Jahren die Gerichte entschieden, dass eine "ordentliche deutsche Ehefrau" für ihren Mann auch sexuell zur Verfügung stehen müsse. Andreas Frank, der Vorsitzende des Familiengerichtstags, verweist darauf, dass laut BGH von 2008 ein Mann seiner Ex-Frau weniger Unterhalt zahlen muss, wenn sie Sex mit anderen Männern hat.
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LTO/pf/chr
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