Im neuen Verfassungsschutzbericht wird unter anderem die Klimaschutzbewegung 'Ende Gelände' als extremistischer Verdachtsfall geführt. Auch die Zahl der Menschen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen sind, steigt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die Klimaschutzbewegung "Ende Gelände" als linksextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit kann der Inlandsgeheimdienst zur Beurteilung der Aktivitäten nun auch nachrichtendienstliche Mittel nutzen, wie etwa Observation oder Informanten. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023, der am Dienstag veröffentlicht wurde, ist von einer "Verschärfung von Aktionsformen bis hin zur Sabotage" die Rede. Grundsatzpapiere von "Ende Gelände" lassen nach Einschätzung des BfV zudem "deutlich eine Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen der Gruppierung erkennen". Im April hatten rund 100 Klimaaktivisten der Gruppe in Gelsenkirchen das Uniper-Steinkohlekraftwerk Scholven blockiert.
Insgesamt hat der Verfassungsschutz im vergangenen Jahr einen Zuwachs sowohl beim Linksextremismus als auch beim Rechtsextremismus festgestellt. Dem Bericht zufolge stieg die Zahl derjenigen, die dem linksextremistischen Spektrum zugerechnet werden, um rund 500 Menschen auf rund 37.000 Menschen an. Rund 11.200 Linksextremisten galten im vergangenen Jahr als gewaltbereit. Das waren 3,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Im Rahmen der Vorstellung des Berichts äußerte BfV-Präsident Thomas Haldenwang die allgemeine Sorge, dass sich seine Behörde aktuell "einem sehr hohen Niveau von Bedrohungen gegenüber" sehe. Die aktuell "verschärfte Gefährdungslage" stelle den Verfassungsschutz vor große Herausforderungen, so Haldenwang.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies zudem auf hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe und Spionage insbesondere durch das russische Regime. "Wir haben alle Schutzmaßnahmen massiv hochgefahren, um uns gegen die aktuellen Bedrohungen durch Extremismus, Terrorismus und hybride Bedrohungen zu wappnen. Das ist auch absolut notwendig. Denn die Bedrohung unserer Demokratie durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe hat eine neue Dimension erreicht", so Faeser.
Mehr gewaltbereite Rechtsextreme
Besorgniserregend verlief auch die Entwicklung im rechtsextremistischen Spektrum, LTO berichtete hierzu bereits vorab. Der Verfassungsschutz schätzte hier 14.500 von insgesamt rund 40.600 Rechtsextremisten als gewaltbereit ein. Den Parteien "Die Heimat" (vormals NPD) und "Die Rechte" rechnet der Nachrichtendienst inzwischen weniger Mitglieder zu als noch vor Jahresfrist.
Anders sieht es bei der AfD aus, die der Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Aus den Reihen der AfD und ihrer Nachwuchsorganisation, Junge Alternative (JA), rechnet das BfV inzwischen 11.300 Mitglieder dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zu, wobei Doppelmitgliedschaften in Partei und JA abgezogen sind.
Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 waren rund 10.200 AfD-Mitglieder und JA-Angehörige aufgeführt worden. Um das extremistische Potenzial innerhalb der AfD einzuschätzen, hatte sich der Verfassungsschutz damals auf die Wahl- und Abstimmungsergebnisse beim Bundesparteitag 2022 in Riesa sowie auf Äußerungen von Parteifunktionären berufen. Im aktuellen Bericht heißt es: "Es besteht weiterhin eine - wenn auch signifikant abnehmende - Heterogenität innerhalb der Partei, sodass nicht alle Parteimitglieder als Anhänger extremistischer Strömungen betrachtet werden können." Die AfD hat seit 2022 nach eigenen Angaben netto Mitglieder dazugewonnen.
"Der aktuelle Bericht zeigt sehr eindringlich, dass die Vernetzungsaktivitäten der sogenannten Neuen Rechten weiter zugenommen haben und die Bedeutung dieser Akteure für die rechtsextremistische Szene steigt", so BfV-Präsident Haldenwang.
Wann der Verfassungsschutz über ein aktuelles Gutachten zur AfD berichtet, das derzeit erstellt wird, ist noch offen. "Wir wollen uns keine Zeit damit lassen", sagt Haldenwang. In jedem Fall werde das BfV erst abwarten, was das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in seinen schriftlichen Urteilsgründen ausführt. Das Gericht hatte am 13. Mai in einem Berufungsverfahren die Verdachtsfall-Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für rechtens erklärt. Die AfD hatte insoweit außerdem angekündigt, auch noch den Gang nach Leipzig zum Bundesverwaltungsgericht antreten zu wollen.
Konstante Gefahr durch Islamismus
Im Bereich Islamismus verzeichnet der Verfassungsschutzbericht 2023 mit gut 27.000 Personen ähnliche Zahlen wie im Vorjahr. "Das Risiko jihadistischer Anschläge ist seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel weiter gestiegen. Deutschland steht im Fokus – vor allem von Gruppen wie dem ISPK. Aber auch radikalisierte Einzeltäter ohne erkennbare Anbindung an Terrororganisationen stellen eine große Gefahr dar", sagt Thomas Haldenwang hierzu.
Angesichts dieser Bedrohungslage fordert der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin, dass extremistische Moscheen geschlossen und angekündigte Vereinsverbote "konsequent umgesetzt" werden. "Darüber hinaus brauchen wir im Bereich der inneren Sicherheit eine neue Föderalismusreform. Insbesondere die Struktur der vielen Verfassungsschutzämter muss überprüft werden. Es ist nicht sinnvoll, dass kleinere Bundesländer eigene Verfassungsschutzbehörden unterhalten, die personell und technisch nicht in der Lage sind, Bedrohungslagen frühzeitig zu erkennen.", so Höferlin weiter.
Infolge des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 enthält der Verfassungsschutzbericht erstmals ein phänomenübergreifendes Sonderkapitel zu den Auswirkungen des Nahostkonflikts und zum Antisemitismus, wobei unterschiedliche extremistische Akteure den Nahostkonflikt nutzen würden, "um zu Hass und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden oder den Staat Israel aufzurufen oder sein Existenzrecht zu verneinen", so das BfV. In diesem Zusammenhang kritisiert der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alexander Throm, insbesondere Innenministerin Faeser, die selbst durch steigenden Antisemitismus und die Gewaltbereitschaft der islamistischen Szene nicht "aus ihrem Tiefschlaf" geweckt werden könnte und "eine reine Ankündigungsministerin" bleibe.
Auch die Bedrohung durch Spionage, illegitime Einflussnahme, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe habe - insbesondere durch Russland, China und Iran - an Intensität zugenommen, teilt das BfV mit. Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, gibt sich gleichwohl zuversichtlich: "Unsere Sicherheitsbehörden sind wachsam, unser Rechtsstaat wehrhaft". Die unter "erheblichem Druck" stehende Demokratie würde "mit aller Kraft gegen größer werdende innere und äußere Bedrohungen" verteidigt, so Wiese.
jb/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
Verfassungsschutzbericht 2023 vorgestellt: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54792 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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