Das ECCHR und die kolumbianische Gewerkschaft SINALTRAINAL haben am Montag bei der Schweizer Staatsanwaltschaft in Zug Strafanzeige gegen die Nestlé AG und führende Direktoren des Konzerns eingereicht. Ihnen wird vorgeworfen, für die Ermordung Luciano Romeros wegen Unterlassens von Schutzmaßnahmen mit verantwortlich zu sein. Mit der Klage könnte erstmals ein Schweizer Unternehmen für im Ausland begangenes Unrecht in der Schweiz haftbar gemacht werden.
Bis heute herrscht in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung ausgesetzt sind. Luciano Romero wurde am 10. September 2005 in Valledupar im Nordosten Kolumbiens von Paramilitärs mit 50 Messerstichen ermordet. Er hatte zuvor jahrelang für die kolumbianische Nestlé-Tochter Cicolac gearbeitet. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, die Tat fahrlässig nicht verhindert zu haben.
Romero erhielt Todesdrohungen, nachdem er vom lokalen Nestlé-Management fälschlich als Guerillero diffamiert worden war. Der paramilitärische Ex-Kommandant Salvatore Mancuso hat ausgesagt, Cicolac habe Zahlungen an seine Einheiten geleistet. Die Schweizer Unternehmensführung soll vom Fehlverhalten ihrer Vertreter in Kolumbien und der Bedrohung der Gewerkschafter vor Ort gewusst haben und dennoch untätig geblieben sein.
Strafbarkeit von Unternehmen seit 2003 im Schweizer Strafgesetzbuch
Die strafrechtliche Relevanz dieser Unterlassung hat nun die Zuger Staatsanwaltschaft zu prüfen. Ermittlungsansätze dazu sind in der rund hundertseitigen Strafanzeige dargelegt. Auch wird sie zu entscheiden haben, ob in diesem Fall erstmalig ein Unternehmen selbst statt einzelner Mitarbeiter strafrechtlich belangt wird. Die Regelung des Art. 102 zur Strafbarkeit von Unternehmen wurde 2003 in das Schweizer Strafgesetzbuch eingefügt und ist seither kaum zum Einsatz gekommen.
"Für uns ist diese Anzeige ein Hoffnungsschimmer. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werden uns die Ermittlungen helfen bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit für dieses Verbrechen an Luciano Romero, einen angekündigten Tod, wie so viele in Kolumbien", sagt Opferanwalt Leonardo Jaimes.
Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center For Constitutional And Human Rights (ECCHR), erklärt: "Wenn in diesem Präzedenzfall erstmalig strafrechtliche Maßstäbe gesetzt werden für Unternehmensverantwortung in Konfliktgebieten, gibt dies im Ausland engagierten Firmen wichtige Hinweise für ihr Risikomanagement. Und es ermutigt Gewerkschafter/innen weltweit, die Justiz für die Verteidigung ihrer Rechte zu nutzen."
tko/LTO-Redaktion
Präzedenzfall Nestlé: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5706 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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