Die AfD darf weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Sie sei zu Recht als Verdachtsfall eingestuft worden, bestätigte das OVG. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus, die Partei kündigte bereits Nichtzulassungsbeschwerde an.
Nach nur sieben Tagen mündlicher Verhandlung hat das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) über das Berufungsverfahren der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungschutz (BfV) entschieden. Mit drei Urteilen bestätigte das Gericht am Montag in Münster die Vorinstanz: Das BfV habe die AfD zu Recht als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit darf der Verfassungsschutz auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der Partei einsetzen (Urt. v. 13.05.2024, Az. 5 A 1216/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1218/22).
Die Befugnisse des Verfassungsschutzes seien "keineswegs grenzenlos weit", aber eine wehrhafte Demokratie dürfe auch kein "zahnloser Tiger" sein, betonte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des 5. Senats, in der Begründung der Entscheidung. Vor allem bei der Beobachtung politischer Parteien, die besonders geschützt sind, müsse der Verfassungsschutz "hinreichend verdichtete Umstände" vorlegen können, die darauf hinweisen, dass eine Gruppierung möglicherweise Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) verfolge. Das sah der Senat im Fall der Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall gegeben.
SPD: "Richtungsweisendes Urteil"
Katja Mast, die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, und Dirk Wiese, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sind sich sicher, dass das Urteil des OVG Bestand haben wird, selbst wenn es zu einer erneuten Auseinandersetzung mit der Sache durch das BVerwG kommen sollte. "Das OVG Münster hat klar und unmissverständlich die Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch das Bundesamt für den Verfassungsschutz bestätigt. Damit bekräftigt es, worauf wir schon seit Jahren hinweisen. Die AfD hat sich als Ganzes zu einer völkischen Partei radikalisiert, die Menschen systematisch herabwürdigt, rechtsextremistische Positionen einnimmt und nach außen die Interessen Moskaus und Pekings vertritt", teilen sie zur Urteilsverkündung mit.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßt die Entscheidung aus Münster: "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen. Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt – und sind jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden."
Die Linke bekräftigte ihre Forderung nach einem Parteiverbot der AfD. "Ein solcher Antrag ist die Selbstverteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde", sagte die Innenpolitikerin Martina Renner dem Nachrichtenportal T-Online.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) hat das Urteil als "richtungsweisend" bezeichnet. "Die AfD bewegt sich immer tiefer in den Extremismus hinein und entfernt sich gleichzeitig vom Boden des Grundgesetzes", teilte Ebling am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Mainz mit. Für den Verfassungsschutz bestehe nun in ganz Deutschland Klarheit: Die Beobachtung der AfD werde entlang der erfolgten Einstufung mit Priorität fortgesetzt. "Das Urteil ist ein Wendepunkt in der Entwicklung der AfD. Erst recht ist es jetzt auch ein Weckruf an alle Anhängerinnen und Anhänger der Partei, sich von dem braunen Gedankengut zu lösen", sagte Ebling.
BfV: "Auf ganzer Linie obsiegt"
Auch BfV-Präsident Thomas Haldenwang meldete sich nach den Urteilen zu Wort. Er sieht sich durch die Abweisung der Berufungsklage der AfD durch das OVG in seinem Kurs bestärkt. "Das BfV hat heute auf ganzer Linie obsiegt", sagte Haldenwang am Montag in Köln. Sein Dank gehe an alle Mitarbeitenden, insbesondere auch an jene, "die wegen dieser wichtigen Arbeit aus bestimmten Kreisen öffentlich und in sozialen Medien in den vergangenen Monaten immer wieder mit Hass und Hetze überzogen wurden, denen verfassungswidriges und rechtswidriges Verhalten vorgeworfen wurde und die unerträgliche Beleidigungen aushalten mussten". Sie alle könnten sich durch das Urteil bestätigt fühlen.
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sprach von einem wichtigen Signal. "Die Richter haben der AfD erneut einen Spiegel vorgehalten und der Öffentlichkeit noch einmal deutlich gemacht, in welch rechtsextremer Ausgrenzungs-, Verrohungs- und Verschwörungswelt die Reise mit der AfD enden wird", sagte er.
AfD: "Gericht hat Beweisaufnahme verweigert"
Der Rechtsstreit zwischen AfD und Bundesverfassungsschutz ist nach dem Münsteraner Urteil nicht beendet. Die AfD will das Urteil in Leipzig prüfen lassen. Zwar hatte das OVG keine Revision zugelassen. Die AfD hat aber bereits angekündigt, hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig einzulegen. AfD-Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch gab am Montag laut einer Mitteilung der Partei bekannt: "Wir werden selbstverständlich die nächste Instanz anrufen."
AfD-Vizesprecher Peter Boehringer und Reusch äußerten nach dem Urteil Kritik am OVG. Der 5. Senat habe zu wenig getan, um die Punkte des Verfassungsschutzes aufzuklären. Das Bundesamt sei damit nur durchgekommen, weil "sich das Gericht der Beweisaufnahme verweigert hat", sagte Reusch. Boehringer kritisierte mit Blick auf das Verfahren eine "ungenügende Sachverhaltsaufklärung". "Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen grenzt an Arbeitsverweigerung wie schon in der Vorinstanz, was ja gerade der Hauptgrund für die Revision gewesen war."
Droht nun die Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch"?
Faeser betont außerdem die Eigenständigkeit des Verfassungsschutzes: "Wir werden die rechtliche Bewertung weiter von der politischen Auseinandersetzung, die wir in Parlamenten und öffentlichen Debatten führen, klar trennen." Führende AfD-Politiker, darunter der Bundesschatzmeister Carsten Hütter, hatten zuletzt die Meinung geäußert, der Verfassungsschutz werde politisch instrumentalisiert.
Dass das OVG Münster die Einstufung als Verdachtsfall am Montag bestätigt hat, könnte für die Partei weitreichende Folgen haben. Denn der Verfassungsschutz soll bereits ein neues Gutachten vorbereitet haben. Danach könnte die nächste Hochstufung der Bundespartei bevorstehen. Wird sie als "gesichert rechtsextremistisch" – das ist die nächste Stufe nach Verdachtsfall – eingestuft, dürfte der Verfassungsschutz noch weitere Maßnahmen ergreifen, die Dr. Markus Sehl in diesem Artikel erläutert.
OVG: "Herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen"
Inhaltlich begründete der Senat seine Entscheidungen ausführlich. Es gibt nach seiner Überzeugung den begründeten Verdacht, "dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen", hieß es in der Urteilsbegründung. Das sei laut Grundgesetz eine "unzulässige Diskriminierung".
Seine Entscheidung begründet das Gericht unter anderem mit der Terminologie, die in AfD-Kreisen verwendet wird: Die Partei nutze "in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen." Das BfV habe seine Einstufung auch öffentlich bekannt machen dürfen, denn eine sachlich richtige und weltanschaulich-politisch neutrale Bekanntgabe, dass das Bundesamt Informationen über mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen bei der AfD sammelt, belaste die Partei nicht unverhältnismäßig. Dies gelte jedenfalls so lange mit der Bezeichnung als "Verdachtsfall" in keiner Weise der Eindruck erweckt wird, es stehe fest, dass die AfD gegen die FDGO gerichtete Bestrebungen verfolgt.
Die AfD hatte sich in dem Berufungsverfahren dagegen gewehrt, dass der Verfassungsschutz die gesamte Partei, den mittlerweile aufgelösten AfD-"Flügel" und die Jugendorganisation Junge Alternative als extremistischen Verdachtsfall führt. Beim "Flügel" geht es zusätzlich um die Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht (VG) Köln den Verfassungsschützern recht gegeben: Die Richter sahen ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der AfD. Dem schloss sich das OVG mit seinen Entscheidungen vom Montag an.
lmb/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
AfD bleibt Verdachtsfall – die Reaktionen: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54528 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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