Der erste Medikamentenautomat bleibt verboten. Auch das OLG Karlsruhe kam zu dem Ergebnis, dass das Geschäftsmodell von Docmorris wettbewerbswidrig ist. Der Verkauf von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bleibe Apotheken überlassen.
Gemessen am Wirbel, den er verursacht, ist der Apparat recht unauffällig: In den umgebauten Räumen einer früheren Apotheke ist neben einem Bezahlterminal und einem Bildschirmtisch hinter Glas nur ein Stück Förderband zu sehen. Von dort fällt das gewünschte Medikament nach unten in den Ausgabeschacht. Theoretisch zumindest. Der Docmorris-Apothekenautomat im 2000-Seelen-Ort Hüffenhardt spuckt derzeit nichts aus – und der Betrieb des bundesweit ersten Automaten dieser Art bleibt verboten. Das entschied am Mittwoch das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Urt. v. 29.05.2019, Az. 6 U 36/18 u.a.).
Seit vier Jahren gibt es keine Apotheke mehr in dem Ort gut 20 Kilometer nordwestlich von Heilbronn. Wer Kopfschmerztabletten oder Blutdruckmittel braucht, muss zur nächsten Apotheke fast sechs Kilometer weit fahren. Hüffenhardts Bürgermeister Walter Neff findet es deshalb gut, dass die europaweit tätige Versandapotheke aus den Niederlanden in der nordbadischen Gemeinde eine "Videoberatung mit Arzneimittelabgabe" eingerichtet hat. Das angeschlossene Lager bietet Platz für mehr als 8.000 Schachteln.
Am 19. April 2017 konnten Kunden von hier aus erstmals per Video Kontakt mit einem Apotheker im niederländischen Heerlen aufnehmen und Medikamente aus dem Automaten erhalten. Doch zwei Tage später war wieder Schluss: Das Regierungspräsidium Karlsruhe stoppte das Projekt. Fortan gab es aus dem Automaten noch einige Wochen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Apothekenautomat ist kein Versandhandel
Dann setzte das Landgericht (LG) Mosbach dem im Juni 2017 ein Ende: Es sah einen Verstoß gegen § 73 Abs. 1 Ziff. 1 a des Arzneimittelgesetzes (AMG). Danach dürfen nur Apotheken verschreibungspflichtige Medikamente verkaufen und versenden. Es gab damit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung des Landesapothekenverbandes Baden-Württemberg überwiegend statt. Ein halbes Jahr später unterlag Docmorris dann auch in dem Hauptsachverfahren.
Das OLG Karlsruhe teilte nun die Ansicht der Vorinstanz und bestätigte die Betriebsuntersagung. Es liege ein Verstoß gegen § 3 a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vor. Verschreibungspflichtige Medikamente dürften nur von Apotheken an Verbraucher abgegeben werden.
Es folgte nicht dem Argument von Docmorris, wonach es sich um einen erlaubten Versandhandel handele. Dafür besitzt das niederländische Unternehmen nämlich die Lizenz. Wenn Arzneimittel zunächst ohne konkrete Bestellung in Hüffenhardt gelagert und dann auf Kundenwunsch abgegeben werden, sei dies kein Versand an den Endverbraucher, so der für Wettbewerbssachen zuständige 6. Senat. Ein Versandhandel setze eine Bestellung des Endverbrauchers zeitlich vor der Bereitstellung, Verpackung und Absendung des Arzneimittels voraus.
Docmorris verstößt auch gegen Prüf- und Dokumentationspflichten
Ebenso habe Docmorris gegen Prüf- und Dokumentationspflichten verstoßen. Die per Video erfolgenden Kontrollen und die erst nach Verbringung der Rezepte in die Niederlande vorgenommenen Vermerke genügten nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht den Vorschriften der deutschen Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO). So sei unter anderem nicht gewährleistet, dass etwaige Änderungen auf der Verschreibung unmittelbar bei Abgabe des Arzneimittels vermerkt würden.
Damit waren neben der Klage des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, auch die von zwei Apothekern aus der Umgebung und eines Kölner Apothekers erfolgreich, der eine Online-Apotheke betreibt. Eine Niederlage im Fall Hüffenhardt verbuchte Docmorris auch vor kurzem auch schon vor dem Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe: Das bestätigte Anfang April das Betriebsverbot des Regierungspräsidiums.
Für Apotheker ist es ein Präzedenzfall. Sie kritisieren schon länger, dass Versandhändler in immer neue Felder vordringen wollen. Aus ihrer Sicht will sich Docmorris "Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Arzneimittelsicherheit" verschaffen. Sie warnen vor gesundheitlichen Schäden wegen fehlender Überwachung.
Gesetz soll Arzneimittel-Automaten verbieten
Valentin Saalfrank von der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein verweist auf jährlich rund 500.000 Notaufnahmen im Krankenhaus wegen unerwünschten Arzneimittelwirkungen durch vermeidbare Medikationsfehler. Deshalb plädiert er dafür, die Abgabe nur hoch qualifizierten natürlichen Personen zu überlassen, die eine Betriebserlaubnis haben - anstelle von Kapitalgesellschaften, die zur Gewinnmaximierung verpflichtet seien.
Ob der Rechtsstreit weitergeht, hängt von Docmorris ab. Das OLG hat zwar die Revision nicht zugelassen. Über eine Nichtzulassungsbeschwerde kann der Fall aber immer noch zum Bundesgerichtshof (BGH) kommen. Die Niederländer wollen nun aber erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann über weitere Schritte entscheiden, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Docmorris trifft auch in der Politik auf Widerstand: Ein Referentenentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn für ein "Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken" betont das Verbot von Arzneimittel-Automaten außerhalb von Apotheken.
Hüffenhardts Bürgermeister Neff versteht nicht, warum diese nicht als Alternative für den ländlichen Raum zugelassen werden sollen, wo kein Apotheker mehr hin will. "Man könnte es doch als Pilotprojekt laufen lassen." Wer in Hüffenhardt Schmerzmittel oder Insulin braucht, muss bis auf weiteres ins Auto steigen oder sein Rezept bei der Apotheken-Rezeptsammelstelle einwerfen. Die ist beim Hausarzt im Dorf. Den gibt es immerhin noch, sagt Neff.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
OLG Karlsruhe bestätigt Betriebsverbot für Docmorris: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35673 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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