Das Vorstandsmitglied eines NPD-Kreisverbandes war für das Verteilen eines Flugblatts presserechtlich verantwortlich und wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Auf ihre Verfassungsbeschwerde hat die 1. Kammer des Ersten Senats die strafrechtliche Entscheidung mit einem am Freitag bekannt gewordenen Beschluss aufgehoben.
Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) enthält der Text des streitgegenständlichen Flugblatts überwiegend Meinungsäußerungen, die vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind. Diese sei zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern finde ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Die angegriffenen Entscheidungen würden jedoch bei der Anwendung der Strafnorm der Verunglimpfung des Staates (§ 90a StGB) der Bedeutung der Meinungsfreiheit nicht gerecht, weil sie verkannt haben, dass durch die Verteilung des Flugblattes die Schwelle zur Verletzung des durch die Norm geschützten Rechtsguts noch nicht überschritten sei (Beschl. v. 28.11.2011, Az. 1 BvR 917/09).
Das Flugblatt war nach der Premiere des Theaterstücks "Georg Elser - allein gegen Hitler" von unbekannt gebliebenen Personen verteilt worden. Unter der Überschrift "Georg Elser - Held oder Mörder?" verhält sich der Text in den ersten beiden Absätzen zur Person des "militanten Kommunisten" Georg Elser und zu dessen gegen Hitler gerichteten Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller 1939, der "acht unschuldige Menschen in den Tod" gerissen habe. Weiter heißt es im Text:
"Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen 'K(r)ampf gegen Rechts' (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren ... ? Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt? Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!"
Dem Staat kommt kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zu
Die Verurteilung der Politikerin wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates verletze sie in ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit, so die Richter. Denn bei Auslegung und Anwendung einer die Meinungsfreiheit einschränkenden Vorschrift im Einzelfall gelte, um der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts Rechnung zu tragen, dass nicht der Inhalt einer Meinung als solcher verboten werden dürfe, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, wenn sie die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechtsgutverletzung überschreite.
Da anders als dem einzelnen Staatsbürger dem Staat kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zukomme, sei im Falle des § 90a StGB die Schwelle zur Rechtsgutverletzung erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinungsäußerung der Staat dermaßen verunglimpft werde, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Flublatt gefährdet nicht den Bestand des Staates
Das streitige Flugblatt setze sich anlässlich der Aufführung des Theaterstücks mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen um Georg Elser auseinander und setze im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des "BRD-Systems" eine eigene Wertung entgegen. Kernaussage des Flugblattes sei bei einer kontextbezogenen objektivierenden Betrachtung der Satz "Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!".
Die Darstellung einer Verkommenheit des "BRD-Systems" sei hingegen weder inhaltlich noch dem Umfang nach thematischer Schwerpunkt des Flugblattes. Bezugspunkt sei auch nicht etwa die verfassungsmäßige Ordnung, sondern mit dem "K(r)ampf gegen Rechts" lediglich ein politischer Einzelaspekt. Die Äußerungen verblieben dabei im Bereich bloßer Polemik, so dass eine auch nur mittelbare Eignung des Flugblattes, den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ausgeschlossen erscheine.
Das BVerfG hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
tko/LTO-Redaktion
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BVerfG zur Meinungsfreiheit: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5356 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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