Die Bundesregierung hätte den Bundestag ausführlich und frühzeitig über die Militäroperation "Sophia" im Mittelmeer informieren müssen. Das BVerfG betonte, dass per Geheimschutz eingeschränkte Informationen nicht ausreichen.
Die Bundesregierung hätte den Bundestag frühzeitig und umfassend über die Militäroperation "EUNAVFOR MED Operation SOPHIA" im Mittelmeer informieren müssen. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und dabei klargestellt: Die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag zu informieren, wird nur grundsätzlich erfüllt, wenn die Informationen allen Abgeordneten frei zugänglich sind - und somit auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden können. Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass sie dieser Informationspflicht aus bestimmten Gründen nicht nachkommen kann, muss sie diese Gründe dem Bundestag darlegen (Urt. v. 26.10.2022, Az. 2 BvE 3715 und BvE 7/15).
Mit der Operation Sophia wollte die Europäische Union gegen Schleuser im Mittelmeer vorgehen, der Einsatz dauerte von Mitte 2015 bis Ende 2019. Auch die Bundeswehr war, unter EU-Führung, daran beteiligt. Bundestagsabgeordnete der Grünen und der Linken wollten sich über ein Krisenmanagementkonzept informieren, dass der Bundesregierung vorlag. Die Fraktion der Linken wollte außerdem ein Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten an alle Staats- und Regierungschefs der EU einsehen, in dem es auch um Zusammenarbeit der EU und der Türkei in Asyl- und Migrationsfragen gehen sollte. Die Bundesregierung stellte das Krisenmanagementkonzept jedoch zunächst nur einzelnen Ausschussmitgliedern in der Geheimschutzstelle zur Verfügung, die Herausgabe des Briefes wurde abgelehnt, mit dem Hinweis, es handele sich um ein persönliches Schreiben an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundestag muss "umfassend" und möglichst früh unterrichtet werden
Die Bundesregierung muss den Bundestag und den Bundesrat jedoch "umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt" unterrichten, so ist es ausdrücklich in Artikel 23 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) geregelt, der die Aufgabenverteilung von Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union regelt. Diese Verpflichtung gilt auch für Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, stellte der Zweite Senat jetzt klar.
Anders als sonst in der Außenpolitik, die in erster Linie von der Bundesregierung gestaltet wird, hat Art. 23 GG für den Bereich des europäischen Integrationsprozesses durch weitreichende parlamentarische Informations- und Mitwirkungsrechte das Gewicht zugunsten des Bundestags verschoben, erklärte die Vizepräsidentin des BVerfG, Prof. Dr. Doris König, bei der Verkündung des Urteils am Mittwoch. Die stärkere Einbindung des Parlaments in europäische Angelegenheiten solle den infolge des Integrationsprozesses erlittenen Kompetenzverlust des Bundestags ausgleichen.
Dies gelte aber nicht nur für den Bereich der Rechtssetzung auf Unionsebene. Vielmehr sollen die weitreichenden Informations- und Mitwirkungsrechte in allen Angelegenheiten der EU dem Bundestag ermöglichen, den Integrationsprozess effektiv zu begleiten. Deshalb müsse das Parlament auch in Fragen über gemeinsame Außen- oder Sicherheitspolitik über Sitzungen der Unionsorgane und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er auf deren Verhandlungslinie und Abstimmungsverhalten noch Einfluss nehmen kann.
Mit geheimen Informationen können Abgeordnete wenig anfangen
Zudem gelte die Verpflichtung der Bundesregierung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gegenüber dem Bundestag und werde nur erfüllt, wenn die Informationen allen Abgeordneten und damit auch der Öffentlichkeit frei zugänglich sind, so der Senat.
Dabei genüge es nicht, eine Information nur unter Geheimschutzregelungen zur Verfügung zu stellen – denn in diesen Fällen können zwar Abgeordnete die Information zu Kenntnis nehmen, sich jedoch nicht öffentlich dazu äußern. Die Information des Parlaments diene jedoch zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit. Das heißt: Der Bundestag ist gerade dazu da, über etwaige zu beschließende Maßnahmen öffentlich zu debattieren.
Zwar gilt die Unterrichtungspflicht nicht uneingeschränkt. Sie kann etwa begrenzt werden, wenn sich das aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder aus dem Staatswohl ergibt. Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass sie ihre Informationspflicht nicht erfüllen kann oder will, muss sie ihre Gründe jedoch ausdrücklich und umfassend darlegen. Das hatte sie jedoch nicht getan. Deshalb lasse sich auch nicht beurteilen, ob es für die Weigerung, die Bundesregierung frühzeitig und umfassend zu informieren, womöglich tragfähige Gründe gegeben hätte, so König.
Der Zweite Senat machte damit auch deutlich, dass er eine substanzielle Begründung der Bundesregierung erwartet - und zwar nicht erst vor Gericht. Die substanzielle Begründung sei eine unentbehrliche Grundlage auch der verfassungsrechtlichen Kontrolle, heißt es in der Entscheidung. Ein Nachschieben von Gründen erst im Organstreitverfahren verfehle den Zweck des Begründungserfordernisses. Denn nur wenn die Bundesregierung ihre Gründe konkret benennt, könne der Bundestag nachvollziehen, warum er bestimmte Informationen nicht erhält – und auch abwägen, ob er ggf. in Karlsruhe klagen will, um die Herausgabe der Informationen zu erzwingen.
BVerfG stärkt Rechte des Bundestags: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50003 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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