Geschädigten darf es vor Gericht nicht zu schwer gemacht werden, ihre Schäden geltend zu machen. Das gilt bereits, wenn es nur um den Tatsachenvortrag geht, stellte der BGH klar. Eine ZPO-Norm kommt den Geschädigten dabei doppelt zugute.
Wer bei Gericht einen Anspruch auf Schadensersatz einklagen möchte, muss grundsätzlich erst einmal darlegen und beweisen, dass überhaupt ein Schaden eingetreten ist. Zu hoch dürfen die Anforderungen hieran aber nicht sein, stellte nun der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Leitsatzentscheidung fest. Denn die Erleichterung aus § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) gelte nicht nur für die Beweisführung, sondern auch bereits für die Darlegung des Schadens. Demnach ist etwa die Vorlage eines Privatgutachtens für eine substantiierte Darlegung nicht notwendig. Stattdessen könne der Geschädigte etwaige Reparaturkosten auch erst durch einen Sachverständigen vor Gericht feststellen lassen (Beschl. v. 30.07.2024, Az. VI ZR 122/23).
§ 287 ZPO stellt die Schadensermittlung ins Ermessen des Gerichts, wenn die Parteien sich darüber nicht einig sind. In dem zugrunde liegenden Fall stritten sich zwei Männer über Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall. Der klagende Mann behauptete, der beklagte Fahrer eines Sprinters sei auf eine Bundesstraße aufgefahren, ohne dabei ausreichend auf den Verkehr zu achten. Beim Einfädeln sei er dann seitlich gegen seinen Mercedes AMG gestoßen, wodurch Schäden mitunter an der Beifahrertür, dem Außenspiegel und dem Scheinwerfer entstanden seien.
Nachdem der Mercedes-Fahrer wenige Tage nach dem Unfall ein Privatgutachten über die Schäden hatte erstellen lassen, klagte er auf Schadensersatz gegen den Halter des Sprinters und dessen Haftpflichtversicherung. Das Landgericht (LG) Gießen wies die Klage jedoch ab. Auch vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte der Kläger keinen Erfolg.
OLG: Privatgutachten könnte der "Manipulation" dienen
Zum einen habe der Mercedes-Fahrer nicht hinreichend dargelegt, welche Schäden an seinem Fahrzeug durch den Unfall verursacht worden sein sollen und welche nicht. Denn es habe sowohl Kratzer gegeben, die laut dem Sachverständigengutachten, welches das LG Gießen eingeholt hatte, zum Unfallhergang passten, als auch solche, die nicht darauf zurückzuführen seien.
Das OLG zeigte sich in zweiter Instanz nicht davon überzeugt, dass die geltend gemachten Fahrzeugschäden tatsächlich durch den Unfall und nicht etwa noch im Nachhinein entstanden waren. Es sah in dem vorab eingeholten Privatgutachten des Mercedes-Fahrers eine "ernsthafte Möglichkeit einer Manipulation". Zu dieser Auffassung kam es auch, weil sich der klagende Mercedes-Fahrer geweigert hatte, das beschädigte Fahrzeug vor dem Weiterverkauf besichtigen zu lassen.
Zum anderen hat der klagende Mann laut OLG nicht dargelegt, welche der im Privatgutachten aufgezählten Positionen zur Beseitigung der Schäden erforderlich seien. Auch eine solche Abgrenzung gehöre dazu, so das OLG.
Hiergegen wehrte sich der Mercedes-Fahrer erfolgreich vor dem BGH.
BGH: § 287 ZPO enthält auch Darlegungserleichterung
Das OLG Frankfurt am Main habe zu hohe Anforderungen an die Darlegungspflicht des klagenden Mercedes-Fahrers gestellt, rügte der BGH. Damit habe das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Dieses Recht gebiete unter anderem, dass die Gerichte erhebliche Beweisanträge der Prozessbeteiligten berücksichtigen. Wird ein Beweisangebot nicht berücksichtigt, weil das Gericht "überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat", liege ein solcher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.
In diesem Fall habe der klagende Mercedes-Fahrer die Vorschäden von denjenigen Schäden, die durch den Unfall verursacht wurden, gar nicht weiter abgrenzen müssen. Denn der vom LG beauftragte Sachverständige hatte erstinstanzlich dazu schon vorgetragen. Außerdem habe der klagende Mann in einer Stellungnahme an das OLG bereits konkret dargelegt, welche Schäden durch den Unfall verursacht worden sein sollen. "Es ist nicht ersichtlich, was der Kläger zur Abgrenzung der Beschädigungen hätte weiter sachdienlich darlegen oder ausführen können", so der BGH.
Auch die Anforderungen des OLG, der Mercedes-Fahrer müsse darlegen, welche Positionen zur Beseitigung der Schäden erforderlich seien, seien überspannt gewesen. Dem Geschädigten werde durch § 287 ZPO nicht nur die Beweisführung, sondern bereits die Darlegung erleichtert. Er müsse zur substantiierten Darlegung des mit der Klage geltend gemachten Schadens schon gar kein Privatgutachten vorlegen beziehungsweise ein vorgelegtes Privatgutachten dem Ergebnis der Beweisaufnahme oder der gerichtlichen Überzeugungsbildung entsprechend ergänzen. Stattdessen könne er auch durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen aufklären lassen.
Nach diesem BGH-Beschluss muss das OLG Frankfurt am Main den Fall nun neu verhandeln und dabei die Maßgabe des BGH beachten.
lmb/LTO-Redaktion
BGH zur Darlegung eines Schadens: . In: Legal Tribune Online, 14.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55622 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag