Weil ein Richter am LG Frankfurt zuvor als Referendar bei Hengeler Mueller an Schriftsätzen rund um das LKW-Kartell mitgearbeitet hat, ist er diesbezüglich befangen. Er darf an den entsprechenden Verfahren nicht mehr mitwirken, so der BGH.
Die Anwaltsstation während des Referendariats in einer Großkanzlei kann bei später in der Justiz tätigen Richterinnen und Richtern die Besorgnis der Befangenheit begründen. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden und einen Richter in einem Verfahren hinsichtlich des Lkw-Kartells abgelehnt (Beschl. v. 21.09.2021, Az. KZB 16/21).
Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main verhandelt die Schadensersatzklagen 28 hessischer Städte, die von den Fahrzeugbauern des LKW-Kartells zu viel gezahlte Entgelte zurückverlangen. Die EU-Kommission hatte im Juli 2016 festgestellt, dass sich MAN, Daimler, Volvo/Renault, DAF und Iveco/Fiat in kartellrechtswidriger Art und Weise abgestimmt haben.
Der beisitzende Richter der zuständigen Kammer am Frankfurter LG teilte zu Verfahrensbeginn mit, dass er als Referendar und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hengeler Mueller gearbeitet und dort auch mit Tätigkeiten rund um das Lkw-Kartell betraut war. Die Großkanzlei ist von MAN für ihre Rechtsvertretung mandatiert. Die ebenfalls an dem Prozess beteiligten Daimler und Iveco haben daraufhin Befangenheitsanträge gestellt.
Kenntnis von der strategischen Planung für die Rechtsverteidigung
Das LG und Oberlandesgericht (OLG) hatten die Befangenheitsanträge noch abgelehnt. Aus ihrer Sicht sei der Richter als Referendar lediglich unterstützend tätig gewesen. Es sei zudem wegen der Größe der Kanzlei unwahrscheinlich, dass er mit Verantwortlichen von MAN in Kontakt gekommen sei und eine persönliche Beziehung aufgebaut habe.
Die Zivilprozessordnung regelt in § 42 die Ablehnung eines Richters. Nach Absatz 2 ist ein Richter abzulehnen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss der Richter dafür nicht tatsächlich befangen oder unvoreingenommen sein, sondern es genügt bereits der "böse Schein", also der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität.
Anders als die Vorinstanzen ging der BGH von Zweifeln an der Unvoreingenommenheit aus, weil der abgelehnte Richter vor seiner Zeit in der Justiz für Hengeler Mueller an Schriftsätzen in mehreren parallel gelagerten Klageverfahren rund um das Lkw-Kartell mitgewirkt hat. Es sei deswegen nicht auszuschließen, dass er die strategische Planung für die Rechtsverteidigung von MAN kenne. Naheliegend sei daneben, dass er Sachverhaltsdetails erfahren habe, die auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung seien könnten.
Auswirkung auf weitere Massenverfahren
Dabei ließ es der Kartellrechtsenat in diesem Fall ausreichen, dass der betroffene Richter bei der Großkanzlei im Vorfeld lediglich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referendar tätig war. Seine Position sei der eines bevollmächtigten Rechtsanwalts jedenfalls "angenähert" gewesen, da er den das Lkw-Kartell betreffenden Sachverhalt rechtlich aufarbeitet habe, um eine schlagkräftige Rechtsverteidigung zu ermöglichen. Die Richterinnen und Richter berücksichtigen außerdem auch, dass die Tätigkeit bei Hengeler Mueller weniger als ein Jahr zurücklag.
Das OLG hatte die Befangenheitsanträge zwar abgelehnt, aber die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, weil es der ungeklärten Rechtsfrage grundlegende Bedeutung zugemessen hat. Neben Verfahren im Rahmen des Lkw-Kartells dürfte sich die Entscheidung damit auch für Großkanzleien, Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter in weiteren Massenverfahren wie dem Dieselskandal auswirken.
mgö/LTO-Redaktion
BGH zum Lkw-Kartell: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46651 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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