Weil eine Spiegel-Redakteurin der AfD faschistische Züge zusprach, meinte AfD-Politiker Stephan Brandner diese selbst "Faschistin" nennen zu dürfen. Vor dem LG Berlin scheiterte Brandner jedoch mit dem "Wie Du uns, so wir Dir"-Argument.
Spiegel-Hauptstadtredakteurin Ann-Katrin Müller berichtet seit Jahren über die AfD und ist daher Beschimpfungen aus rechtsextremen Kreisen gewohnt. Doch Anfang Dezember des vergangenen Jahres war für sie eine rote Linie überschritten. Stephan Brander, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, nannte sie auf X zunächst eine "Faschistin", später auch "Oberfaschistin" und " Spiegel-Faschistin" – jeweils in Reaktion auf Tweets von Müller mit AfD-Bezug.
Müller wollte das nicht hinnehmen und zog, vertreten durch Dr. Marc-Oliver Srocke (Advant Beiten), vor das Landgericht (LG) Berlin. Srocke argumentierte, es handele sich bei allen Äußerungen um "Schmähkritik"; also einer Kritik die nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern nur der Herabsetzung diene. Mit "Faschist" werde der Vorwurf antidemokratischer, totalitärer, übersteigert nationalistischer und/oder militaristischer Neigungen und Verhaltensformen erhoben.
Selbst wenn man eine – stets unzulässige – Schmähkritik verneinte, würde jedenfalls das Persönlichkeitsrecht von Müller gegenüber der Meinungsfreiheit von Brandner überwiegen. Die Bezeichnungen seien beleidigend und herabsetzend und stellten einen schweren Angriff auf die Ehre und den Ruf von Müller insbesondere auch als Journalistin dar. Die auf entsprechende Hetznachrichten regelmäßig folgenden Droh- und Hassnachrichten durch seine "Follower" nehme Brandner bewusst in Kauf oder bezwecke sie sogar. Vor allem aber existierten überhaupt keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die es rechtfertigen würden, Müller als Faschistin zu bezeichnen.
Simple Verteidigungsformel: Wer andere Faschist nennt, ist selbst Faschist
Rechtsanwalt Sascha Schlösser, selbst für die AfD Stadtrat in Erfurt, versuchte die Aussagen von Brandner vor dem LG Berlin weitschweifig zu verteidigen.
Unter anderem übernahm er eine zuvor von Brandner auf X geäußerte Argumentation, die da lautete: Müller dürfe "Faschistin" genannt werden, "weil sie selbst den Faschismusvorwurf zur salonfähigen Selbstverständlichkeit gemacht und damit Faschismus verharmlost" habe. So habe Müller etwa im Jahre 2021 dem Sender Phoenix gesagt, dass bei einzelnen Funktionären in der AfD faschistische Züge gebe. Sie habe mehrfach ohne oder unter fadenscheiniger Begründung den Faschismusvorwurf gegenüber der AfD erhoben. Wer so sehr an der Normalisierung des Faschismusbegriffs mitgewirkt habe, dürfe zu Recht als Faschist bezeichnet werden.Warum es abwegig sei, der AfD Faschismus zu unterstellen, begründete Schlösser allerdings nicht.
Stattdessen zitierte er ein angebliches – tatsächlich aber nicht belegbares – Zitat des italienischen Schriftsteller Ignazio Silone mit dem Worten: "Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: 'Ich bin der Faschismus.' Nein, er wird sagen: 'Ich bin der Antifaschismus.'" Dies rechtfertige, "die vermeintlich größten Kritiker vermeintlich faschistischer Strömungen selbst unter dem Aspekt des Neufaschismus oder des Faschismus im Schafspelz zu betrachten." Nach dieser Logik sind also Faschismus-Kritiker selbst Faschisten.
LG Berlin entscheidet knapp und klar
Das LG erteilte Brandners Argumentation nun eine klare Absage (Beschl. v. 11.01.2024, Az. 27 O 546/23). Es gab Müllers Unterlassungsbegehren wegen einer Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts sowie wegen Beleidigung statt (§§ 823, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. §§ 185 ff. Strafgesetzbuch, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz). Brandner ist es nun gegen Androhung eines Ordnungsgelder, ersatzweise Ordnungshaft, verboten, Müller als "Faschistin", "Oberfaschistin" und "Spiegel-Faschistin" zu bezeichnen.
Das Gericht stellte fest, dass sich in den "wortreichen Ausführungen" von Brandners Anwalt keinerlei Anknüpfungstatsachen für die Meinung fänden, dass Müller eine Faschistin sei, einen "Angriff auf den freien Journalismus“ unternehme oder eine "Dämonisierung von politischen Gegnern" betreibe. Auch wenn Müller selbst Personen als "faschistisch" bezeichnet haben sollte, rechtfertigte dies nicht, sie so zu bezeichnen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Auf LTO-Anfrage erklärte Stephan Brandner, er werde Rechtsmittel gegen die Entscheidung prüfen.
Der Sache nach zeigte er sich demonstrativ uneinsichtig. Auf X forderte Brandner seine Follower dazu auf, Müller weiter als Faschistin zu bezeichnen. Wörtlich schrieb er: "Wer es schafft, meine Auffassung rechtssicher & -kräftig zu teilen, der wird großzügig belohnt!". Damit könnte Brandner bereits gegen die einstweilige Verfügung verstoßen. Diese verbietet ihm nämlich nicht nur die Aussage selbst zu behaupten, sondern auch diese zu behaupten und/oder verbreiten zu lassen. Müllers Anwalt Dr. Srocke erklärte gegenüber LTO, Brandners Aufforderung zur Kenntnis genomen zu haben und "die entsprechenden zivil- und strafrechtlichen Schritte einzuleiten".
"Wenn jeder Faschist genannt werden darf, fallen echte Faschisten nicht mehr auf." Lesen Sie hier den Kommentar von LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann zur Entscheidung:
* Aktualisiert um Brandners Aufforderung an seine Follower am 18.1.23; 19:10 Uhr; ergänzt um Zweifel an der Authentizität des Zitats von Silone, 19.1.23, 12:28 Uhr
Ann-Katrin Müller siegt gegen Stephan Brandner: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53669 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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