Das Mordmerkmal der Heimtücke ist umstritten und kompliziert. Der BGH hat nun konkretisiert: Wer jemanden absichtlich an- bzw. überfährt, kann auch dann heimtückisch handeln, wenn er vorher den Motor aufheulen lässt.
Heimtücke als Mordmerkmal kann bei vorsätzlichen Kollisionen mit einem Auto auch dann noch anzunehmen sein, wenn der Täter zuvor den Motor laut aufheulen lässt. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden (Urt. v. 20.06.2024, Az. 4 StR 15/24).
In dem Fall geht es um einen Familienstreit. Anfang 2022 erfuhr ein Mann von einer außerehelichen Beziehung seiner Mutter. Hierdurch sah er die Familienehre gekränkt und seinen Vater herabgewürdigt. Es kam zwischen den Eheleuten immer häufiger zu Streitigkeiten, welche den Sohn stark belasteten. Daraufhin teilte er einige Monate später dem außerehelichen Partner seiner Mutter mit, dass dieser "keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen" solle, anderenfalls werde es "schlimm für ihn."
Als der Sohn wenige Wochen später mit dem Auto auf dem Nachhauseweg war, bemerkte er den Mann, mit dem die Mutter die außereheliche Beziehung führte, zufällig auf dem Gehweg. Er hielt sofort an, setzte das Fahrzeug zurück und bremste vor Beginn eines abgesenkten Bordsteins erneut ab. Dann legte er den ersten Gang ein und drückte das Gaspedal vollständig durch. In einer S-Kurve fuhr er über den abgesenkten Bordstein auf den dort etwa vier bis fünf Meter breiten Gehweg, wobei er spätestens zu diesem Zeitpunkt erkannte, dass der Mann eine Begleitung hatte. Ungeachtet dessen steuerte er mit weiterhin vollständig durchgedrücktem Gaspedal auf die beiden Personen zu.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Mann am Steuer dabei bewusst, dass der Motor bei dieser Fahrweise deutlich wahrnehmbar aufheulen würde. Die weibliche Begleitung des Mannes auf dem Gehweg hat das Geräusch demnach auch akustisch wahrgenommen, drehte sich aber nicht um. Es kam sodann zur Kollision mit einer Geschwindigkeit von 38 Kilometern pro Stunde. Die Frau wurde nur leicht getroffen und kam nach einem Sturz zügig wieder auf die Beine, für den Mann kam es trotz eines heftigen Aufpralls auf dem Fahrzeug, bei dem die Windschutzscheibe zerbarst, zu mittelschweren Verletzungen, die allesamt folgenlos ausheilten.
Das Landgericht verurteilte den Autofahrer daraufhin zu drei Jahren Jugendstrafe wegen versuchten Totschlags gemäß §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen sowie u.a. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB. Vom Vorwurf des versuchten Mordes wurde der Mann freigesprochen, weil er nicht heimtückisch gehandelt habe. In der Revision der Staatsanwaltschaft vor dem BGH ging es juristisch vor allem um zwei Kernfragen.
Frage eins: War das Heimtücke?
Rechtlich relevant wird in diesem Fall, ob anzunehmen ist, dass der Mann mit dem Mordmerkmal der Heimtücke handelte. Das Landgericht verneinte dies mit der Begründung, dass er nicht mit dem nötigen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe, weil er damit rechnen "musste", dass die Geschädigten sein Fahrzeug wegen des aufheulenden Motors und des Scheinwerferlichts wahrnehmen würde.
Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft zum BGH war nunmehr erfolgreich. Zunächst stellte der 4. Strafsenat nochmals die nicht unumstrittene Definition der Heimtücke klar. Demnach muss der Täter "in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung" ausnutzen. Dabei genügt es für das Ausnutzungsbewusstsein, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit "in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen".
Rechtsfehlerhaft in der Landgerichtsentscheidung sei in diesem Fall, dass die Vorinstanz nur auf die Umstände abstellte, welche lediglich die Wahrnehmungssituation der beiden Tatopfer betreffen. Soweit sich die Frau allerdings trotz Aufheulen des Motors nicht umdrehte und der Mann laut dem landgerichtlichen Urteil von einer Parkplatzsuche des Fahrers ausging, drängt sich deren Arglosigkeit aus Sicht des Senats hier jeweils auf. Daran ändere auch nichts, dass zwischen Anfahren und Kollision nur ein sehr kurzer Zeitraum von knapp sechs Sekunden bestanden habe. Die Arglosigkeit der zwei Personen entfällt laut BGH nämlich nicht einfach, nur weil die verbleibende Zeitspanne zu kurz ist, um der erkannten Gefahr überhaupt zu begegnen.
Frage zwei: Wie sieht's mit dem Vorsatz hinsichtlich der Begleitung aus?
Weiterhin problematisch war in diesem Fall die Herleitung des bedingten Tötungsvorsatzes. Diesen habe das Landgericht zuungunsten des Mannes rechtsfehlerhaft begründet. Denn der bedingte Tötungsvorsatz sei gegeben, "wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement)", so der BGH. Dabei seien beispielsweise auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die Motivationslage des Täters zu berücksichtigen.
Demnach hätte das Landgericht in diesem Fall nach den beiden Tatopfern differenzieren müssen, stellte der BGH klar. Einerseits sei naheliegend, dass der Mann die Kollision mit der Frau auf ein Minimum habe reduzieren wollen, was sich auch aus dem tatsächlichen Trefferbild ergebe: Der Mann wurde mittig mit der Fahrzeugfront getroffen, die Frau lediglich von der linken Seite des Fahrzeugs ohne größere Auswirkungen.
Das Landgericht hatte ferner den "Rückschluss" auf den Verletzungs- beziehungsweise Tötungsvorsatz daraus gezogen, dass der Mann gegenüber dem Liebhaber seiner Mutter Wut sowie in Bezug auf seine Familie Verzweiflung und Angst empfand. Das gelte jedoch nur in Bezug auf den Liebhaber der Mutter. Gegenüber der Frau lag demnach gerade kein Schädigungsvorsatz vor, weshalb die Annahme eines bedingten Vorsatzes hier keine tragfähige Grundlage habe, stellt der Senat klar.
Damit hatte die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg. Die Sache muss von einer anderen Kammer des Landgerichts neu verhandelt und entschieden werden.
jb/LTO-Redaktion
BGH hebt Urteil auf: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55342 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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