Der BGH hat neue Abtretungsmodelle à la wenigermiete, die als Inkassodienstleister auftreten, gestattet. Bei einigen deutschen Gerichten gibt es Unbehagen mit Prozessvehikeln, die Ansprüche bündeln. Das sorgt für Unsicherheit, meint Philipp Plog.
Nach dem wenigermiete-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) Ende November 2019 schien der Weg frei für die Forderungsdurchsetzung durch Inkassogesellschaften. Wäre da nicht der kleine Zusatz im Urteil des BGH, das Modell wenigermiete sei "noch" eine Inkassodienstleistung. Dies nutzen jetzt einige Gerichte, um darüber nachzudenken, was "nicht mehr" unter diese Formulierung fällt. Und nun hat es gleich mehrere Prozessvehikel erwischt.
Bei einem solchen Vehikel handelt es sich meist um eine Gesellschaft, die sich Schadenersatzansprüche in großer Anzahl abtreten lässt, als Kläger gebündelt geltend macht, und den Geschädigten das Risiko der Anwalts- und Prozesskosten gegen eine Erfolgsbeteiligung abnimmt.
Das Modell ist besonders attraktiv für kleinere Unternehmen oder Verbände, die ihre Schadensersatzforderungen bündeln wollen. Und denen auf der anderen Seite große Unternehmen als Prozessgegner gegenüberstehen. Eine Konstellation, die häufig im Kartellrecht auftritt.
Widerstand der Instanzgerichte
Im Bereich des Kartellschadenersatzes werden seit einiger Zeit Forderungen so in Inkassogesellschaften gebündelt durchgesetzt. Das Landgericht Hannover (LG Hannover) hat nun mit einer Entscheidung vom Mai 2020 im Zucker-Kartell verschärft, was das Landgericht München (LG München) im LKW-Kartell zuvor eingeleitet hat. Die Gerichte stellen sich gegen die Bündelung von Ansprüchen durch Inkassogesellschaften. Abtretungskonstruktionen wird der Boden entzogen, weil sie "nicht inkassotypisch" seien.
Die Rechtsprechung ist falsch, weil sie ein "phänotypisches Leitbild" der Inkassotätigkeit statuiert, das BGH und Bundesverfassungsgericht überwinden wollten. Sie trägt auch nicht zur Prozessökonomie bei, sondern zerstört Abtretungsmodelle, in denen gleichartige Ansprüche gebündelt werden. Es bleiben auf den ersten Blick nur die Bündelung von Klagen als Streitgenossen, ein vollständiger Forderungskauf - dann ist das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) nicht anwendbar - oder die Abtretung auf eine Anwaltsgesellschaft. Die Rechtsprechung richtet sich keineswegs nur gegen die neuartigen Legal-Techs. Auch Konzerne oder reine Prozessfinanzierungsvehikel, die Ansprüche bündeln und effizient durchsetzen wollen, geraten jetzt unter Druck.
In München hatte der Legal Tech Anbieter Financialright Schadenersatzansprüche gegen die Hersteller des LKW-Kartells für über 3.000 geschädigte Erwerber durch Inkassozessionen auf eine Gesellschaft gebündelt, die mit Inkassolizenz operiert. Das LG verneinte in der Entscheidung vom Februar 2020 die Aktivlegitimation von Financialright. Die Abtretungen an das Inkassounternehmen seien nichtig, weil das Modell "von vornherein ausschließlich auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet" sei. Daneben sah das Landgericht Interessenkonflikte (§ 4 RDG), die angeblich aus der Einbindung eines Prozessfinanzierers resultierten.
Aber auch in einem Fall ohne Prozessfinanzierung findet das LG Hannover zum gleichen Ergebnis. Dort hatten über 60 Vertriebsgesellschaften von Kaufland ihre Schadensersatzansprüche wegen kartellierter Zuckerpreise zur Beitreibung an eine andere Gesellschaft der Unternehmensgruppe abgetreten, ohne jedoch verbundene Unternehmen im Sinne der RDG-Ausnahmeklausel zu sein (§§ 2 Absatz 3 Nr. 6 RDG, 15 Aktiengesetz). Auch hier wurde die Klage abgewiesen, weil die Tätigkeit "jedenfalls im Kern auf die gerichtliche Durchsetzung" gerichtet war. Nicht problematisiert hat das LG Hannover die Bündelung der Ansprüche selbst. Bemühungen der Parteien um außergerichtliche Einigung gab es in beiden Fällen, deren Umfang war jedoch gerade im Verfahren vor dem LG München streitig. Fest steht, dass sie in beiden Fällen nicht zum Erfolg führten.
Inkassodienstleister und Rechtsanwalt Hand in Hand?
Gilt also: Wo außergerichtlich nichts geht, darf ein Prozessvehikel nicht eingesetzt werden?
Nein. Denn der Gesetzgeber gestattet laut der Begründung zum Gesetzentwurf des RDG den Inkassogesellschaften die "fortlaufende Beratung einer Prozesspartei". Der BGH hat ihnen "die umfassende und vollwertige Beratung der Rechtssuchenden" erlaubt, auch während eines laufenden Prozesses. Sie sind also gerade nicht auf "schlichte Mahn- und Beitreibungstätigkeiten" beschränkt. Soweit es sich um die Durchsetzung von Forderungen handelt, gibt es spätestens seit der wenigermiete-Entscheidung keine Einschränkungen mehr bei der Frage, welche Ansprüche durchgesetzt werden dürfen. Erhebt der Schuldner Einwendungen, hindert das den Inkassodienstleister ebenfalls nicht. Die Vertretung vor Gericht muss natürlich durch Anwälte erfolgen, aber das war auch nie im Streit. Der BGH spricht insofern davon, dass sich der Rechtsrat des Inkassodienstleisters und der des Rechtsanwalts "ergänzen".
Der BGH hat dieses weite Verständnis von Inkasso mit dem ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers nach einer "Liberalisierung" und "Öffnung des Rechtsdienstleistungsrechts für künftige Entwicklung" begründet (jeweils BGH, Rn. 141). Auch das häufig strapazierte Wort "noch" verknüpft der BGH mit einer weiten Auslegung: Der Betreiber von wenigermiete.de bewege sich "(noch) im Rahmen der Inkassodienstleistungsbefugnis (…), weil zur Inkassodienstleistung eine auf die Forderungseinziehung bezogene rechtliche Beratung des Gläubigers gehört." (BGH Rn. 111). Der Hinweis sollte offenbar deutlich machen, dass andere juristische Tätigkeitsfelder außerhalb der Forderungsdurchsetzung – zum Beispiel die Abwehr von Ansprüchen oder allgemeine Rechtsberatung – keine Inkassodienstleistung mehr darstellen.
Es kommt hinzu, dass die "vorrangige Ausrichtung auf eine gerichtliche Durchsetzung" (LG Hannover, Rn. 163) kein taugliches Abgrenzungskriterium für die Aktivlegitimation darstellt. Die Gerichte in Hannover und München führen hier eine ex-post Betrachtung des Konfliktverlaufs durch. Nach diesem Gedankenmodell kann der Anspruchsgegner durch seine Einigungsbereitschaft darüber bestimmen, wie er in Anspruch genommen werden kann. Er muss Verhandlungen nur kategorisch ausschließen, um einem Prozessvehikel die Aktivlegitimation zu entziehen. Das macht keinen Sinn. Umgekehrt würde der Inkassodienstleister zu wirtschaftlich unsinnigen Beitreibungsmaßnahmen verpflichtet, auch wenn sie im Einzelfall nirgendwo hinführen. Das sieht auch das Landgericht Braunschweig so, das am 4. Februar über die Bündelung von Schadenersatzansprüchen durch Financialright im Abgasskandal zu entscheiden hatte (Urt. v. 30.04.2020, Az. 11 O 3092/19, Rn. 71). Und was heißt eigentlich "vorrangige Ausrichtung"? Wo fängt sie an?
Das richterliche Unbehagen mit Abtretungsmodellen
Die Frustration der Richter über die gewaltigen Verfahrensvolumina, die im "Zessionsmodell" auf sie zusteuern, kann man spüren. Beim LG in München wurde die wütende These aufgestellt, dass Financialright ineffizient arbeite und deshalb sogar ein Interessenkonflikt mit Blick auf die Durchsetzung der Forderungen vorliege. Selbst wenn man einen (kleinen) Effizienz-Vorteil unterstellt, wird dieser jedenfalls durch den Aufwand, der aufgrund der Bündelung im Zessionsmodell (...) entsteht, nicht nur aufgezehrt, sondern in sein Gegenteil verkehrt".
Es geht hier in Wahrheit um das Unbehagen einiger Gerichte mit Abtretungsmodellen und Erfolgshonoraren – also genau das, was der BGH im November 2019 gestattet hat. Das missfällt auch einigen anderen Akteuren. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat bereits 2019 vorgeschlagen, den Inkassodienstleistern das Angebot von Erfolgshonoraren, das weitreichende Verbesserungen bei Zugang zum Recht durch Legal Tech gebracht hat, künftig zu versagen. Und der Bundesrat ist im Juni 2020 im Rahmen der Reform des Inkassorechts darauf aufgesprungen, vielleicht ohne zu realisieren, dass der BGH dem Inkassodienstleister gerade die Möglichkeit einräumen wollte, auch finanzielle Anreize für seine Beauftragung zu schaffen.
Die Entscheidungen der Landgerichte schaffen Unsicherheiten beim Zugang zum Recht, bis die höheren Gerichtsinstanzen in Fragen der Forderungsbündelung eine klare Linie finden. Die aktuellen prozessualen Alternativen haben ihre Tücken für die Geschädigten. Der Beitritt zu einer Streitgenossenschaft führt nicht nur zu immensem wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand, es droht auch stets die Abtrennung des Verfahrens. Und nur wenige dürften die finanziellen Risiken des echten Forderungskaufs tragen wollen, am ehesten dürfte diese Variante noch für geschädigte Konzerne in Betracht kommen. Es bleibt der Wechsel des Prozessvehikels auf eine Anwaltsgesellschaft. Bis aber hier eine Liberalisierung des Vergütungsrechts und des Beteiligungsverbots erfolgt, ist diese Variante nur für wenige interessant.
Dr. Philipp Plog ist Managing Partner von Fieldfisher in Deutschland. Er vertritt eine Reihe von Legal Techs und ist Vorstandssprecher des Legal Tech Verbands in Deutschland.
Legal Techs und RDG: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41952 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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